3551/AB XXII. GP

Eingelangt am 10.01.2006
Dieser Text ist elektronisch textinterpretiert. Abweichungen vom Original sind möglich.

BM für auswärtige Angelegenheiten

 

Anfragebeantwortung

 

Die Abgeordneten zum Nationalrat Mag. Terezija Stoisits, Kolleginnen und Kollegen haben am
10. November 2005 unter der Nr. 3600/J-NR/2005 an mich eine schriftliche parlamentarische
Anfrage betreffend „Auslieferungen auf Basis diplomatischer Zusicherungen und Überwachung
deren Einhaltung“ gerichtet.

Diese Anfrage beantworte ich wie folgt:
Zu Frage 1:

Die internationale Praxis betreffend das Instrument „diplomatische Zusicherungen“ hat bisher zu
keiner gemeinsamen Definition des Begriffs geführt.

Nach österreichischem Verständnis ist unter dem Begriff der diplomatischen Zusicherung eine
formelle Zusicherung eines Staates im Rahmen eines Auslieferungsverfahrens zu verstehen, im Fall
einer Auslieferung gewisse Bedingungen einzuhalten. Voraussetzung hiefür ist ein konkretes
Verlangen des ausliefernden Staates; ohne solches Verlangen abgegebene Erklärungen werden nicht
als diplomatische Zusicherung betrachtet.

Auch wenn das Instrument der diplomatischen Zusicherung völkerrechtlich vorgesehen ist, fand in
der österreichischen Praxis nach meiner Information bisher in keinem Fall eine Auslieferung auf der
Grundlage einer diplomatischen Zusicherung statt.


Artikel 3 EMRK und Artikel 3 des Übereinkommens vom 10. Dezember 1984 gegen Folter und
andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe, BGBl Nr. 492/1987,
verpflichten die Vertragsstaaten bei Prüfung der Frage, ob in einem Staat die Gefahr von Folter
besteht, alle maßgeblichen Umstände zu berücksichtigen, die letztlich den Schutz vor Folter
garantieren können. Ich werde in diesem Sinne stets dafür eintreten, dass in den Fällen, wo mein
Ressort das Bestehen einer konkreten Gefahr der Folter feststellt, keinesfalls ausgeliefert wird und
sich daher auch die Frage einer diplomatischen Zusicherung nicht stellt.

Zu Frage 2:

Grundsätzlich ist der Inhalt einer diplomatischen Zusicherung das Ergebnis eines bilateralen
Konsultationsprozesses zwischen dem Staat, von dem eine Auslieferung begehrt wird und dem
begehrenden Staat: In Österreich würde dieser Prozess mit dem Ersuchen des zuständigen
Landesgerichts bzw. des Bundesministeriums für Justiz beginnen, aus dem sich die Forderung nach
der inhaltlichen Gestaltung der diplomatischen Zusicherung ergibt.

Zu den Fragen 3 und 4:

Die Beurteilung einer allfälligen diplomatischen Zusicherung ist primär vom zuständigen
Landesgericht bzw. vom Bundesministerium für Justiz unter Mitwirkung meines Ressorts
vorzunehmen. Sie hängt vom Grad der Rechtsstaatlichkeit des betreffenden Staates und von den
bisherigen einschlägigen Erfahrungen mit diesem ab.

Weiters kann auch der EGMR mit der Beurteilung einer diplomatischen Zusicherung befasst
werden, soweit es sich um die Einhaltung der Bestimmungen der EMRK handelt. Er kann bis zur
endgültigen Entscheidung eines Falles auch eine Verfügung, nicht auszuliefern, treffen.

Was die Frage der Kooperation von Staaten mit den VN-Sonderberichterstattern betrifft, so treten
die EU und Österreich für eine volle Kooperation aller Staaten mit VN-Sonderberichterstattern ein.
Dieses Thema wurde und wird in Treffen der EU-Troika mit Drittstaaten regelmäßig angesprochen.
Die Verweigerung einer solchen Kooperation wäre daher in die Beurteilung der Verlässlichkeit
einer diplomatischen Zusicherung mit einzubeziehen.


Zu Frage 5:

Laut Mitteilung des mit der Vollziehung des Bundes in diesem Bereich zuständigen
Bundesministeriums für Justiz keine.

Zu Frage 6:

Mein Ressort hat seit 1.1. 2000 nur in einem Fall eine diplomatische Zusicherung eingeholt, es kam
jedoch zu keiner Auslieferung.

Zu Frage 7:

In Form einer Verbalnote durch das Außenministerium jenes Staates, welcher die Auslieferung
begehrte.

Zu den Fragen 8 bis 12,19 und 20:

Seit Verwendung diplomatischer Zusicherungen gab es in Österreich keine Fälle der Auslieferung
auf der Basis einer diplomatischen Zusicherung.

Im Falle einer Nichteinhaltung einer diplomatischen Zusicherung wären diplomatische Schritte zu
ergreifen, die je nach Sachlage primär von meinem Ressort zu beurteilen sind.

Zu Frage 13:

Das Treffen der "Group of Specialists on Human Rights and the Fight against Terrorism" des
Europarates hat die Ausarbeitung einer gemeinsamen Position europäischer Staaten zum Thema der
diplomatischen Zusicherungen im Zusammenhang mit Auslieferungen zum Ziel.

Österreich tritt in diesem Zusammenhang für die vorbehaltlose Achtung des absoluten Folterverbots
und die Einhaltung der einschlägigen Verpflichtungen im Zusammenhang mit Auslieferungen ein,
wie sie durch internationale Menschenrechtsstandards (EMRK, Übereinkommen gegen Folter und


andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe, Internationaler Pakt
über bürgerliche und politische Rechte), als auch durch die ständige Judikatur des EGMR geregelt
sind und wonach feststeht, dass eine Auslieferung in einen anderen Staat nur dann stattfinden darf,
wenn sichergestellt werden kann, dass die ausgelieferte Person keiner Folter ausgesetzt wird.

Dies entspricht auch dem am 7. Dezember 2005 vom Plenum des Nationalrats angenommenen
Vierparteien-Entschließungsantrag zu Folter, der die Einhaltung des non-refoulement Prinzips im
Zusammenhang mit Auslieferungen bekräftigt.

Zu den Fragen 14 und 22:

Die diesbezügliche Beurteilung hängt von der Rechtsordnung und Rechtspraxis des betreffenden
Staates ab.

Zu den Fragen 15 bis 18 und 21 bis 21c:

Seit 1. Jänner 2000 kam es zu keinen solchen Prozessbeobachtungen (Teilnahme an öffentlichen
Gerichtsverhandlungen), da keine Auslieferungen aufgrund diplomatischer Zusicherungen
erfolgten.

Zu den Fragen 23 bis 25 und 27 bis 27c:

Seit 1. Jänner 2000 kam es zu keinen solchen Besuchen, da keine Auslieferungen aufgrund
diplomatischer Zusicherungen erfolgten.

Zu Frage 26:

Folterungen oder Misshandlungen von Personen können nicht rückgängig gemacht werden.
Aus diesem Grund tritt Österreich in der derzeit im Rahmen des Europarates stattfindenden
Diskussion über diplomatische Zusicherungen vorbehaltlos dafür ein, dass eine Auslieferung in


einen anderen Staat nur dann stattfinden darf, wenn sichergestellt werden kann, dass die
ausgelieferte Person keiner Folter ausgesetzt wird.

Zu den Fragen 28 bis 31:

Seit 1. Jänner 2000 kam es zu keiner Auslieferung aufgrund einer diplomatischen Zusicherung.

Zu Frage 32:

Eine zusätzliche diplomatische Zusicherung der Spezialität wurde nicht eingefordert. Im Übrigen ist
die Auslieferung im angesprochenen Fall auf Grundlage des Europäischen
Auslieferungsübereinkommens, BGBl Nr. 320/1969, erfolgt, das die Vertragsstaaten in Artikel 14
zur Beachtung des Grundsatzes der Spezialität verpflichtet. Da es sich bei der Wahrung des
Grundsatzes der Spezialität um eine stets von den Vertragsstaaten zu beachtende völkerrechtliche
Verpflichtung handelt, ist eine darüber hinausgehende völkerrechtliche Zusicherung im Einzelfall
nicht erforderlich. Im Übrigen ist mit der Vollziehung des Bundes in diesem Bereich die
Bundesministerin für Justiz betraut. Zuletzt hat hiezu Frau Bundesministerin Mag. Karin
Miklautsch in der Beantwortung der parlamentarischen Anfrage Zl. 2110/J-NR/2004 vom
31. August 2004 Stellung genommen.

Zu Frage 33:

Nein.

Zu Frage 34:

Bisher ist kein Haftbesuch erfolgt. Das inhaltlich zuständige Bundesministerium für Justiz hat sich
allerdings um die Möglichkeit eines Besuches bemüht, der nun auch von russischer Seite bewilligt
wurde.