4404/AB XXII. GP

Eingelangt am 21.08.2006
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BM für Justiz

Anfragebeantwortung

 

 

DIE BUNDESMINISTERIN
FÜR  JUSTIZ

BMJ-Pr7000/0048-Pr 1/2006

An den

                                      Herrn Präsidenten des Nationalrates

                                                                                                                           W i e n

zur Zahl 4576/J-NR/2006

 

Die Abgeordneten zum Nationalrat Mag. Terezija Stoisits, Kolleginnen und Kollegen haben an mich eine schriftliche Anfrage betreffend „Gültigkeit bzw. Aufhebung von NS-Beschlüssen zur Zwangssterilisation“ gerichtet.

Ich beantworte diese Anfrage wie folgt:

Zu 1:

Das „Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses“ hinterlässt nur auf den ersten Blick den Eindruck, dass die „Unfruchtbarmachung“ bestimmter kranker oder behinderter Menschen in einem rechtsförmigen Verfahren erfolgen sollte. Bedenkt man aber beispielsweise, dass die Maßnahme gegen den Willen selbst einsichts- und urteilsfähiger Betroffener, ungeachtet ihrer geistigen und körperlichen Fähigkeiten, von einem einseitig besetzten Spruchkörper und im Geist der erbbiologischen und rassistischen Ideologien des Nationalsozialismus angeordnet und durchgesetzt werden konnten und wurden, so widersprachen das Gesetz selbst ebenso wie die auf seiner Grundlage ergangenen Verfahren und Beschlüsse eindeutig rechtsstaatlichen Grundsätzen.

Zu 2:

Die Beschlüsse der „Erbgesundheitsgerichte“ wurden nach der Ausscheidung des „Gesetzes zur Verhütung erbkranken Nachwuchses“ aus dem österreichischen Rechtsbestand nicht formell durch einen Akt des Gesetzgebers aufgehoben. Ob und inwieweit im Einzelfall gerichtliche Beschlüsse behoben wurden, kann das Bundesministerium für Justiz mangels zureichender Informationen zu diesem Problembereich nicht sagen.

Das Bundesministerium für Justiz ist jedoch der Auffassung, dass Beschlüsse der „Erbgesundheitsgerichte“ mit der Wiedererrichtung Österreichs faktisch gegen-standslos geworden sind, zumal sie auch nicht mehr vollstreckt werden konnten.

Zu 3 und 4:

Eine Aufhebung der mittlerweile gegenstandslos gewordenen Beschlüsse der „Erbgesundheitsgerichte“ bedarf nach meinem Dafürhalten jedenfalls einer gesetzlichen Regelung, sei es, dass den Gerichten hiefür eine gesonderte Befugnis eingeräumt wird, sei es, dass diese Aufhebung generell durch einen Akt des Gesetzgebers erfolgt.

Zu 5 bis 7:

Soweit das das Bundesministerium für Justiz beurteilen kann, sind die „Unfruchtbarmachungen“ behinderter und kranker Menschen unter der Herrschaft des Nationalsozialismus nach der Wiedererrichtung Österreichs fallweise in der Öffentlichkeit diskutiert worden. Diese Diskussionen haben aber nicht in eine gesetzliche Regelung gemündet. Ungeachtet dessen bildet die aufgrund des Überleitungsgesetzes 1945 erfolgte Aufhebung des „Gesetzes zur Verhütung erbkranken Nachwuchses“ durch die provisorische Staatsregierung doch ein wichtiges Signal, dass die auf seiner Grundlage getroffenen Maßnahmen gegen kranke und behinderte Menschen Unrecht waren.

. August 2006

(Maga. Karin Gastinger)