4463/AB XXII. GP

Eingelangt am 30.08.2006
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BM für Justiz

Anfragebeantwortung

DIE  BUNDESMINISTERIN
           FÜR  JUSTIZ

BMJ-Pr7000/0056-Pr 1/2006

 

An den

                                      Herrn Präsidenten des Nationalrates

                                                                                                                           W i e n

 

zur Zahl 4668/J-NR/2006

 

Die Abgeordneten zum Nationalrat Dr. Elisabeth Hlavac, Kolleginnen und Kollegen haben an mich eine schriftliche Anfrage betreffend „Dauer-Isolationshaft in türkischen Gefängnissen“ gerichtet.

Ich beantworte diese Anfrage wie folgt:

Zu 1 und 2:

Berichte über Zustände in türkischen Gefängnissen – wie in der Anfragebegründung geschildert – sind mir bislang nicht zugekommen. Allerdings hat das europäische Komitee zur Verhinderung von Folter und unmenschlicher Behandlung die türkischen Gefängnisse erst vor kurzem inspiziert. Der Bericht ist noch nicht veröffentlicht.

Bilaterale Kontakte mit der türkischen Republik haben in der Zeit meiner Ressortverantwortlichkeit bisher nicht stattgefunden. Es ist aber meine feste Überzeugung, dass der Beitritt zu einer Wertegemeinschaft wie die EU besondere Anstrengungen im Bereich der Einhaltung allgemein anerkannter Menschenrechte voraussetzt. Ich gehe davon aus, dass im Zuge des Erweiterungsprozesses und der Ausgestaltung des Verhandlungsmandats der EU mit der Türkei auch die menschenrechtliche Dimension von der dafür zuständigen Bundesministerin für auswärtige Angelegenheiten mit einbezogen wird.

Der Europarat unterhält ein sog. „Joint Programme“ mit der Europäischen Kommission zur Rechtsreform in der Türkei, wobei dem Bereich Strafvollzug und Untersuchungshaft ein breiter Raum zukommt. Ziel ist die Heranführung der rechtlichen und praktischen Standards in der Türkei an die Standards des Europarates, wie sie erst unlängst in der Neufassung und Aktualisierung der Europäischen Strafvollzugsgrundsätze niedergelegt wurden. (Recommendation Rec(2006)2 of the Committee of Ministers to member states on the European Prison Rules, vom Ministerkomitee des Europarates beschlossen am 11. Jänner 2006). In diesen neu gefassten Europäischen Strafvollzugsgrundsätzen, die eine Empfehlung an die Mitgliedstaaten des Europarates darstellen, wird ausdrücklich auf die Problematik der Isolationshaft hingewiesen (Rule 42, 43.2, 49 und 60.5). Demnach darf Isolationshaft („Solitary  confinement“) nur im Ausnahmsfällen und nur unter Wahrung der Menschenwürde verhängt werden. Isolationshaft darf nur für eine bestimmte Zeit und nur so kurz als irgend möglich verhängt werden. Die so Angehaltenen müssen täglich von einem Arzt aufgesucht werden. Neben dem Arzt ist auch das Wachepersonal verpflichtet, häufiger als bei anderen Gefangenen den Insassen im Isolationshaftraum aufzusuchen. Darüber hinaus soll der Insasse täglich eine Stunde Bewegung im Freien zugestanden erhalten.

Neben dieser neu gefassten Empfehlung „Europäische Strafvollzugsgrundsätze“ gibt es für den Bereich Strafvollzug weitere 29 Empfehlungen. Eine Beamtin meines Ressorts war Vorsitzende des Expertenkomitees zur Ausarbeitung einer neuen Empfehlung zum Thema Vollzug und Management der Untersuchungshaft. Die Arbeiten dieses Expertenkomitees sind abgeschlossen. Ich rechne mit einer baldigen Annahme der diesbezüglichen Empfehlung. („Recommendation on the use of remand in custody, the conditions in which it takes place and the provision of safeguards against abuse“). Dem Expertenkomitee gehörten Vertreter von 15 ausgewählten Mitgliedstaaten des Europarates, darunter auch der Türkei, an.

Der Entwurf der Empfehlung zum Thema Vollzug der Untersuchungshaft enthält auch eine Bestimmung über Isolationshaft (Rule 45). Hier wird natürlich besonders auf die rechtliche Stellung des Untersuchungshäftlings, für den die Unschuldsvermutung zu gelten hat, Bezug genommen. Isolationshaft bei Untersuchungshäftlingen darf die Kontakte mit der Außenwelt wie Besuchsempfang, Zugang zu Lesestoff, Zugang zum religiösen Beistand, Sportmöglichkeit, etc. nicht beeinträchtigen.

Wie erwähnt, wird auch diese Empfehlung demnächst vom Ministerkomitee angenommen werden und als Empfehlung des Europarates zwar nicht rechtlich bindend, jedoch moralisch und politisch für die Mitgliedstaaten zu beachten sein.

Einer EMRK-widrigen Praxis – wie in der Anfragebegründung dargestellt – wird nach meinem Dafürhalten mit Initiativen im Rahmen des Europarates (etwa im Wege der parlamentarischen Versammlung) begegnet werden können, deren Mitglied die türkische Republik ist. Mit dem Menschenrechtskommissar und der Europäischen Komitees zur Verhütung von Folter und unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe (CPT) verfügt der Europarat über geeignete und unabhängige Institutionen, die auf eine Untersuchung derartiger Vorwürfe spezialisiert sind.

 

28. August 2006

 

(Maga. Karin Gastinger)