4475/AB XXII. GP

Eingelangt am 04.09.2006
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BM für Landesverteidigung

Anfragebeantwortung

 

 

S91143/39-PMVD/2006                                                                                     1. September 2006

GÜNTHER  PLATTER

BUNDESMINISTER FÜR LANDESVERTEIDIGUNG

 

Herrn
Präsidenten des Nationalrates

Parlament

1017 Wien

Die Abgeordneten zum Nationalrat Dr. Pilz, Freundinnen und Freunde haben am 4. Juli 2006 unter der Nr. 4501/J an mich eine schriftliche parlamentarische Anfrage betreffend "mangelhafte Beantwortung einer parlamentarischen Anfrage durch den BMLV" gerichtet. Diese Anfrage beantworte ich wie folgt:

Zu 1 und 2:

Ich verwehre mich gegen die Darstellung, dass die seinerzeitige Beantwortung der parlamentarischen Anfrage 4136/J (4078/AB) unvollständig sei. Die Beantwortungsinhalte wurden derart gestaltet, dass eine bestmögliche Übersicht über sämtliche relevante Punkte des Gutachtens gegeben ist. Um weiteren Spekulationen hinsichtlich des Inhaltes des in Rede stehenden Gutachten entgegenzutreten, weise ich auf die nachstehenden Ausführun­gen des Verfassungsdienstes des Bundeskanzleramtes (vollständiger Wortlaut) hin:

Das Bundesministerium für Landesverteidigung teilte mit, gestützt auf § 40 Abs. 1 des Geschäftsordnungsgesetzes 1975 habe der zur Beratung des Ankaufes von Luftraum­überwachungsflugzeugen eingesetzte Unterausschuss des Landesverteidigungsausschusses an den Bundesminister für Landesverteidigung das Ersuchen gerichtet, dem Unterausschuss die erforderlichen Unterlagen zur Verfügung zu stellen. Konkret betreffe dieses Ersuchen den Vertrag vom 20. Mai 1985, mit dem 24 Stück Luftraumüberwachungsflugzeuge der Type SAAB 35 OE mit diversem Zubehör und Nebenleistungen angekauft worden seien. Dieser Vertrag werde vom Bundesministerium für Landesverteidigung unter „Verschluss“ behandelt und enthalte in seinem technischen Teil Angaben, die auf Wunsch des schwedischen Vertragspartners (Herstellers) geheim zu behandeln seien.

Das Bundeskanzleramt-Verfassungsdienst wurde ersucht, ein Gutachten zur Frage zu erstellen, ob eine Übermittlung dieses Vertrages, allenfalls aber auch anderer ressortinterner vertraulicher Ausarbeitungen, unter dem Gesichtspunkt der Amtsverschwiegenheit an den Unterausschuss des Landesverteidigungsausschusses zulässig sei. Das Bundeskanzleramt-Verfassungsdienst erstattet zu dieser Frage folgende

gutächtliche Stellungnahme.

1.      Aufgrund des Art. 20 Abs. 3 B-VG sind alle mit Aufgaben der Bundesverwaltung betrauten Organe, soweit gesetzlich nicht anderes bestimmt ist, zur Verschwiegenheit über alle ihnen ausschließlich aus ihrer amtlichen Tätigkeit bekannt gewordenen Tatsachen verpflichtet, deren Geheimhaltung im Interesse einer Gebietskörperschaft oder der Parteien geboten ist. Für die von einem allgemeinen Vertretungskörper bestellten Funktionäre besteht jedoch die Amtsverschwiegenheit gegenüber diesem Vertretungskörper nicht, wenn er derartige Auskünfte ausdrücklich verlangt.

2.      Im Zusammenhang mit dem oben erwähnten do. Schreiben ergeben sich daraus folgende Fragen:

2.1.   Zum einen erhebt sich die Frage, ob der gegenständliche Kaufvertrag zur Gänze oder hinsichtlich bestimmter Teile im Interesse einer Gebietskörperschaft oder einer Partei geheimzuhalten ist. Dem Bundeskanzleramt-Verfassungsdienst ist der Inhalt dieses Kaufvertrages nicht im Detail bekannt. Im Hinblick auf das do. Schreiben muss es jedoch davon ausgehen, dass er u.a. Angaben enthält, die dem Bundesminister für Landesverteidigung nur aus seiner amtlichen Stellung bekannt geworden sind und deren Geheimhaltung im Interesse einer „Partei“, nämlich der Herstellerfirma (arg.: „… die Angaben, die auf Wunsch des schwedischen Vertragspartners geheim zu behandeln sind“), bzw. einer „Gebietskörperschaft“, nämlich des Bundes (arg.:“…Angaben … im Interesse der Republik Österreich … vertraulich zu behandeln …“) gelegen ist (vgl. dazu VwGH Erk. vom 8. Mai 1985, Zl. 84/01/0031).

         Ohne nähere Kenntnis des gegenständlichen Kaufvertrages vermag das Bundeskanzleramt-Verfassungsdienst nicht im einzelnen festzustellen, welche Teile desselben der Amtsverschwiegenheit  im Sinne des Art. 20 Abs. 3 B-VG unterliegen, wohl wird aber im Hinblick auf das do. Schreiben und die hiezu oben angestellten Erwägungen festgehalten, dass es offenbar bestimmte Teile des Vertrages gibt, die der Amtsverschwiegenheit unterliegen. Es unterliegt der pflichtmäßigen Beurteilung des Bundesministers für Landesverteidigung unter Bedachtnahme auf die involvierten Interessen jene Teile des Kaufvertrages zu bezeichnen, die entweder im Interesse des Herstellers der Luftraumüberwachungsflugzeuge oder ebenfalls im militärischen Interesse der österreichischen Landesverteidigung geheimzuhalten sind. Gleichartige Überlegungen gelten auch für „ressortinterne Ausarbeitungen“, deren Bekanntmachung solchen Geheimhaltungsinteressen widersprechen würde.

2.2.   Zum anderen ist aus dem letzten Satz des Art. 20 Abs. 3 B-VG abzuleiten, dass für die Mitglieder der Bundesregierung (und für die Bundesministerien) die Amtsverschwiegenheit auch gegenüber dem allgemeinen Vertretungskörper „Nationalrat“ zu beachten ist. (Da die Bundesverfassung im einzelnen keine Unterscheidung trifft, gilt dies für alle Teilorgane des Vertretungskörpers „Nationalrat“, also sowohl für den Nationalrat als ganzes (Plenum) als auch für seine Ausschüsse und Unterausschüsse). Dies ist das Ergebnis einer Wortinterpretation des Art. 20 Abs. 3 letzter Satz B-VG: Seit der B-VG Novelle 1929 werden die Mitglieder der Bundesregierung bekanntlich nicht mehr vom Nationalrat gewählt, die in Rede stehende Bestimmung ist aber anlässlich dieser Änderung nicht im Sinne einer Durchbrechung des Prinzips der Amtsverschwiegenheit im Verhältnis zwischen Bundesregierung und Nationalrat adaptiert worden; wobei bemerkenswert ist, dass diese Bestimmung (damals Art. 20 Abs. 2) anlässlich der B-VG-Novelle 1929 einem anderen Punkt geändert wurde.

         Diese Auffassung wird auch von der rechtswissenschaftlichen Literatur überwiegend vertreten (vgl. etwa ADAMOVICH – FUNK, Österreichisches Verfassungsrecht3, 204; ADAMOVICH – FUNK, Allgemeines Verwaltungsrecht2, 131f, WALTER, Österreichisches Bundesverfassungsrecht, 408; WALTER MAYER, Grundriß des österreichischen Bundesverfassungsrechts5, 181; SWA-Rechtsgutachten 40 und 43; WALDSTEIN, Wozu braucht man noch ein Parlament, Die Zukunft, 1967, Heft 17/18, 46ff; ERMACORA, Parlamentarische Anfrage und Amtsverschwiegenheit, JBl.1970, 116 – der freilich bemerkenswerterweise das Verschwiegenheitsgebot im Interesse der Gebietskörperschaft im Verhältnis zwischen Bundesregierung und Nationalrat nicht gelten lassen will; KOJA, Interpellationsrecht und Amtsverschwiegenheit, MERKL-FS, 151; MORSCHER, die parlamentarische Interpellation, 288ff, LAURER, Der parlamentarische Untersuchungsausschuss, 65). Dabei wird nicht übersehen, dass das erzielte Interpretationsergebnis unbefriedigend erscheinen mag, dies insbesondere auch deshalb, weil es zu einer ungerechtfertigten Ungleichbehandlung im Vergleich zu den Auskunftspflichten der Landesregierung gegenüber dem Landtag führt; diese wird nämlich vom Landtag gewählt und ist daher dem Landtag gegenüber unbeschränkt auskunftspflichtig. Für eine korrigierende Auslegung des Art. 20 Abs. 3 letzter Satz B-VG wird jedoch kein Ansatzpunkt gesehen. Nicht verschwiegen werden soll, dass in der wissenschaftlichen Literatur insbesondere mit dem Argument, dass Art. 52 B-VG die lex specialis gegenüber der Vorschrift über die Amtsverschwiegenheit gemäß Art. 20 Abs. 3 B-VG bild3, gelegentlich die gegenteilige Auffassung vertreten wurde (vgl. BRODA, Den Anfängen wehren, Die Zukunft, 1967, Heft 11, S.4ff; NOWAKOWSKI, Zur Fragestunde des Nationalrates, Die Zukunft, 1967, Heft 12, S.12ff; BRODA, Wozu braucht man noch ein Parlament?, Die Zukunft, 1967, Heft 20, S.17ff; FISCHER, Kontrolle nur durch die Mehrheit?, Die Zukunft, 1967, Heft 20, S.18ff; NOWAKOWSKI, Fragerecht und Interpellationsrecht, Die Zukunft, 1967, Heft 23/24, S.1ff; CERNY – FISCHER, Kommentar zur Geschäftsordnung des Natioanlrates2, 249 – bemerkenswerterweise vertreten diese Kommentatoren im Zusammenhang mit § 40 des Geschäftsordnungsgesetzes 1975 die Auffassung, dass „öffentlich Bedienstete … in den Ausschusssitzungen … unter Bedachtnahme auf das Amtsgeheimnis“ auftreten, wobei gerade die den Ausschüssen (Unterausschüssen) gemäß § 40 des Geschäftsordnungsgesetzes 1975 eingeräumten Rechte auf Art. 52 B-VG gestützt werden; vgl. auch RINGHOFER, Die österreichische Bundesverfassung, der die Annahme, „dass die dem Nationalrat politisch verantwortliche Bundesregierung … sich diesem Vertretungskörper gegenüber allein deswegen auf das Amtsgeheimnis berufen dürfte, weil sie nicht von ihm, sondern vom Bundespräsidenten bestellt wird“, als „wenig sinnvoll“ bezeichnet). Diese Meinungen können jedoch nicht als herrschend bezeichnet werden!

         Vor allem sei darauf hingewiesen, dass bei der Beantwortung parlamentarischer Anfragen durch die Bundesregierung oder einzelne ihrer Mitglieder in der Praxis die Amtsverschwiegenheit auch gegenüber dem Nationalrat bzw. dessen Mitgliedern beachtet wird (vgl. etwa II-3398 BlgNR XV.GP).

Da gemäß § 35 Abs. 6 des Geschäftsordnungsgesetzes 1975 die Verhandlungen der Unterausschüsse, soweit nichts anderes beschlossen wird, vertraulich sind, könnte die Frage aufgeworfen werden, ob auch im Falle vertraulicher Verhandlungen im Unterausschuss diesem gegenüber die Amtsverschwiegenheit einzuhalten ist. Diese Frage ist zu bejahen. Art. 20 Abs. 3 B-VG verpflichtete nämlich die Organe der Bundesverwaltung unter den dort genannten Voraussetzungen ganz allgemein zur Amtsverschwiegenheit. Er sieht nicht etwa vor, dass der Amtsverschwiegenheit unterliegende Mitteilungen an Personen gemacht werden dürfen, die ihrerseits einem Vertraulichkeitsgebot unterliegen. Mangels einer solchen Bestimmung lässt sich aber aus der Vertraulichkeit der Verhandlungen eines parlamentarischen Unterausschusses für die Zulässigkeit der Durchbrechung der Amtsverschwiegenheit nichts gewinnen. Lediglich der Vollständigkeit halber wird darauf hingewiesen, dass auch die Einbeziehung der in Art. 22 B-VG geregelten Amtshilfeverpflichtung im vorliegenden Zusammenhang zu keinem anderen Ergebnis führen würde (vgl. dazu LAURER, aaO 32).

3.      Das Bundeskanzleramt-Verfassungsdienst möchte der Frage nicht weiter nachgehen, ob das gegenständliche Ersuchen des Unterausschusses des Landesverteidigungs­ausschusses auf Vorlage von Akten des Bundesministeriums für Landesverteidigung zulässigerweise auf § 40 des Geschäftsordnungsgesetzes gestützt werden kann (vgl. ATZWANGER – KOBZINA – ZÖGERNITZ, Nationalratsgeschäftsordnungsgesetz 1975, 118, FN 3).

4.      Das Bundeskanzleramt-Verfassungsdienst kommt aufgrund der dargelegten Erwägungen zu dem

Ergebnis:

         Der Bundesminister für Landesverteidigung ist gegenüber dem parlamentarischen Unterausschuss des Landesverteidigungsausschusses zur Amtsverschwiegenheit verpflichtet. Jene Teile des Kaufvertrages über die Luftraumüberwachungsflugzeuge, die nach seiner pflichtgemäßen Beurteilung, sei es im Interesse einer Partei, insbesondere des Herstellers, sei es im Interesse des Bundes, geheimzuhalten sind, sind auch gegenüber dem Unterausschuss des Landesverteidigungsausschusses geheimzuhalten; gleiches gilt für einschlägige „ressortinterne Ausarbeitungen“.