4569/AB XXII. GP
Eingelangt am 12.09.2006
Dieser Text ist elektronisch textinterpretiert. Abweichungen vom Original sind
möglich.
Bundeskanzler
Anfragebeantwortung
Die
Abgeordneten zum Nationalrat Mag. Maier, Kolleginnen und Kollegen haben am
12. Juli 2006 unter der Nr. 4598/J an
mich eine schriftliche parlamentarische Anfrage
betreffend gegenseitige Anerkennung von Geldstrafen und Geldbußen in der EU ge-
richtet.
Diese Anfrage beantworte ich wie folgt:
Zu den Fragen 1 bis 12:
Eine gegenseitige
Anerkennung von Geldstrafen und Geldbußen ist gegenwärtig
nur
im Vertrag zwischen der Republik Österreich und
der Bundesrepublik Deutschland
über Amts- und
Rechtshilfe in Verwaltungssachen, BGBl. Nr. 526/1990, (in weiterer
Folge: Amts- und
Rechtshilfevertrag) vorgesehen (zu den bei diesem Vertrag auftre-
tenden Problemen siehe Beantwortung zu Frage 15).
Gemäß Art. 2 Abs. 1 des Amts- und Rechtshilfevertrages
verkehren die Behörden im
Amts- und Rechtshilfeverkehr zwischen den
Vertragsstaaten unmittelbar miteinan-
der; aus diesem Grund bestehen keine bundeseinheitlichen Statistiken über die an
deutsche bzw. österreichische Behörden gerichteten Rechtshilfeersuchen.
Von
Seiten des Bundeskanzleramtes selbst wurden keine Ersuchen nach dem Amts-
und Rechtshilfevertrag gestellt. Ebensowenig wurden Ersuchen deutscher Behörden
gestellt, die vom Bundeskanzleramt zu erledigen gewesen wären.
Zu den Fragen 13 und 14:
Es ist bisher noch nie vorgekommen, daß eine Meinungsverschiedenheit einem
Schiedsgericht nach Art. 16 des Amts- und Rechtshilfevertrages unterbreitet werden
mußte.
Zu Frage 15:
Die dem Bundeskanzleramt bekannt gewordenen Probleme bei der Leistung von
Amts-
und Rechtshilfe durch deutsche Behörden betreffen folgende Fallgruppen
(wo-
bei eine zahlenmäßige Aufschlüsselung schon deshalb unterblieben ist, da
das Bun-
deskanzleramt keinen Überblick über die
konkreten Einzelfälle hat, die hinter den von
österreichischen Behörden herangetragenen Beschwerden stehen):
-
Verweigerung der Zustellung unter Hinweis auf das Fehlen eines
Zustellzeugnis-
ses
(Fälle aus den
Jahren 1994 und 1995), das Fehlen von Formblättern (Fälle
aus
dem Jahr 1992) sowie das Fehlen eines Nachweises, daß ein im
Postweg
vorgenommener
Zustellversuch erfolglos geblieben sei (Fälle aus den Jahren
1991,
1992, 1994,1995 und 2002);
-
Verweigerung
der Vollstreckungshilfe in Fällen
der Bestrafung nach § 103 Abs. 2
KFG 1967, BGBl. Nr. 267, und vergleichbaren
landesgesetzlichen Bestimmungen
(Fälle aus den Jahren 1997, 1998,
2001, 2002, 2004 und 2005);
-
Verweigerung
der Vollstreckungshilfe unter Hinweis auf eine in Österreich angeb-
lich herrschende „Schuldvermutung",
die dann Platz greife, wenn der Halter eines
Kraftfahrzeugs seiner Mitwirkungspflicht bei der Ermittlung des Sachverhalts
nicht
nachkomme (Fälle aus den Jahren 1997 bis 2000 sowie
2002 bis 2006);
-
Verweigerung der Vollstreckung von Geldstrafen, mit denen Verstöße gegen die
Verordnung (EG) Nr.
3298/94 geahndet werden (Fälle
aus dem Jahr 2003);
-
Verweigerung der Vollstreckung von „rechtsfehlerhaften"
(aber rechtskräftigen)
Bescheiden
(Fälle aus dem
Jahr 2003);
-
Verweigerung der Vollstreckung mit der Begründung, daß es sich um
keinen ge-
eigneten
Vollstreckungstitel handle (Fälle
aus den Jahren 1995 und 2004);
-
Verweigerung der Vollstreckungshilfe unter Hinweis auf eine
innerstaatliche Wert-
grenze
(über die im
Amts- und Rechtshilfevertrag selbst festgelegte Wertgrenze
hinaus)
(Fall aus dem Jahr 2004);
-
Verweigerung der Vollstreckungshilfe unter Hinweis auf die „Zahlungsunwilligkeit"
des
Verpflichteten (Fälle aus den Jahren 2002 und 2003) oder auf
das Vorliegen
von Zahlungsrückständen des
Verpflichteten gegenüber einem anderen Rechts-
träger (Fälle aus dem Jahr 2004);
-
Verweigerung der Vollstreckungshilfe unter Hinweis auf die beschränkten perso-
nellen
Kapazitäten der deutschen Vollstreckungsbehörde (Fälle aus den
Jahren
1996,
2002 und 2003);
-
Säumnis bei der Leistung von Vollstreckungshilfe (Fälle aus den
Jahren 1997 und
1998);
-
Verlangen auf Tragung von Kosten der Amts- und Rechtshilfe über den im
Amts-
und
Rechtshilfevertrag vorgesehenen Umfang hinaus (Fälle aus den
Jahren
1999,
2000 und 2003).
Zu den Fragen 16 bis 18:
Für eine generelle Vereinheitlichung von „Verwaltungsrechts-
und Verwaltungsver-
fahrensnormen [...] zwischen den EU-Mitgliedstaaten" besteht -
insbesondere im
Hinblick auf den Grundsatz der Subsidiarität - kein
Anlass; auch sind dem Bundes-
kanzleramt derartige
Bestrebungen oder Pläne im Rahmen der EU nicht bekannt.
Was die „gegenseitige!..] Anerkennung von
Geldstrafen und Vollstreckung zwischen
den EU-Mitgliedstaaten" betrifft, so
erscheint es sinnvoll, die praktischen Erfahrun-
gen, die sich nach Umsetzung des Rahmenbeschlusses 2005/214/JI ergeben wer-
den, abzuwarten.
Zu den Fragen 19 bis 21:
Nachstehende Abkommen beinhalten (nicht auf einzelne Verwaltungsgebiete
be-
schränkte) Regelungen über Amts- und
Rechtshilfe in Verwaltungssachen. Eine
wechselseitige Anerkennung von Geldstrafen und deren Vollstreckung ist in
diesen
Verträgen allerdings
nicht vorgesehen; die Frage nach dabei auftretenden Proble-
men
stellt sich daher nicht.
-
Europäisches Übereinkommen über die
Zustellung von Schriftstücken in Verwal-
tungssachen
im Ausland, BGBl. Nr. 67/1983, in der Fassung der Kundmachung
BGBl.
III Nr. 53/2005;
-
Europäisches Übereinkommen über die
Rechtshilfe in Strafsachen vom 20. April
1959, BGBl. Nr.
41/1969, in der Fassung des Zusatzprotokolls BGBl. Nr. 296/1983,
in Verbindung mit dem Vertrag zwischen der
Republik Österreich und der Schwei-
zerischen Eidgenossenschaft über die Ergänzung des
Europäischen Übereinkom-
mens
über die
Rechtshilfe in Strafsachen vom 20. April 1959 und die Erleichterung
seiner
Anwendung, BGBl. Nr. 716/1974, sowie Art. 32 des Vertrags zwischen der
Republik Österreich, der Schweizerischen
Eidgenossenschaft und dem Fürstentum
Liechtenstein über die grenzüberschreitende Zusammenarbeit der
Sicherheits- und
Zollbehörden, BGBl. III Nr. 120/2001;
-
Europäisches Übereinkommen über die
Rechtshilfe in Strafsachen vom 20. April
1959,
BGBl. Nr. 41/1969, in der Fassung des Zusatzprotokolls BGBl. Nr. 296/1983,
in Verbindung mit dem Vertrag zwischen der Republik Österreich
und dem Fürsten-
tum
Liechtenstein über die Ergänzung des
Europäischen Übereinkommens über
die Rechtshilfe in
Strafsachen vom 20. April 1959 und die Erleichterung seiner An-
wendung, BGBl. Nr. 352/1983, sowie Art. 32
des Vertrags zwischen der Republik
Österreich, der Schweizerischen Eidgenossenschaft und dem
Fürstentum
Liech-
tenstein über die grenzüberschreitende Zusammenarbeit der
Sicherheits- und Zoll-
behörden, BGBl. III Nr.
120/2001;
-
Europäisches Übereinkommen über die
Rechtshilfe in Strafsachen vom 20. April
1959,
BGBl. Nr. 41/1969, in der Fassung des Zusatzprotokolls BGBl. Nr. 296/1983,
in Verbindung mit dem Vertrag zwischen der Republik Österreich
und der Französi-
schen
Republik zu dem Europäischen Übereinkommen über die
Rechtshilfe in
Strafsachen
vom 20. April 1959, BGBl. Nr. 331/1985;
-
Europäisches Übereinkommen über die
Rechtshilfe in Strafsachen vom 20. April
1959,
BGBl. Nr. 41/1969, in der Fassung des Zusatzprotokolls BGBl. Nr. 296/1983,
in
Verbindung mit dem Vertrag zwischen der Republik Österreich und
der Tsche-
chischen Republik über die Ergänzung des
Europäischen Übereinkommens über
die
Rechtshilfe in Strafsachen vom 20. April 1959 und die Erleichterung seiner
Anwendung, BGBl. Nr.
744/1995;
-
Europäisches Übereinkommen über die
Rechtshilfe in Strafsachen vom 20. April
1959,
BGBl. Nr. 41/1969, in der Fassung des Zusatzprotokolls BGBl. Nr. 296/1983,
in Verbindung mit dem
Vertrag zwischen der Republik Österreich
und der Slowaki-
schen Republik über die Ergänzung des
Europäischen Übereinkommens über die
Rechtshilfe in
Strafsachen vom 20. April 1959 und die Erleichterung seiner Anwen-
dung, BGBl. Nr. 28/1996;
-
Europäisches Übereinkommen über die
Rechtshilfe in Strafsachen vom 20. April
1959,
BGBl. Nr. 41/1969, in der Fassung des Zusatzprotokolls BGBl. Nr. 296/1983,
in Verbindung mit dem
Vertrag zwischen der Republik Österreich
und der Republik
Polen über die Ergänzung des Europäischen Übereinkommens über die Rechtshil-
fe in Strafsachen vom 20. April 1959 und die
Erleichterung seiner Anwendung,
BGBl. III Nr. 39/2005;
-
Schengener Durchführungsübereinkommen, BGBl.
III Nr. 90/1997, in der Fas-
sung
des Protokolls Nr. 2 zum EU-Vertrag und zu den Verträgen zur Gründung
der
EG;
-
Europäisches Übereinkommen über die
Rechtshilfe in Strafsachen vom 20. April
1959,
BGBl. Nr. 41/1969, in der Fassung des Zusatzprotokolls BGBl. Nr. 296/1983,
in
Verbindung mit dem Übereinkommen - gemäß Artikel 34
des Vertrags über die
Europäische Union vom Rat erstellt - über die Rechtshilfe in Strafsachen
zwischen
den Mitgliedstaaten
der Europäischen Union
samt Erklärungen, BGBl. III
Nr.
65/2005.
Zu Frage 22:
Derzeit finden von Seiten des Bundeskanzleramtes keine Verhandlungen über den
Abschluß von Abkommen über Amts- und Rechtshilfe in Verwaltungssachen statt.
Zu den Fragen 23 und 24:
Der Abschluß dieser bilateralen Abkommen über Rechts-
und Amtshilfe in Verwal-
tungssachen wird
seitens des Bundeskanzleramtes nicht weiter vorangetrieben. An-
gesichts des Fortschreitens der europäischen
Integration erscheint vielmehr eine
Verstärkung der multilateralen Amts- und
Rechtshilfe sinnvoll.
Zu Frage 25:
Das „Kassieren" von Verkehrsstrafen setzt
- sofern der betreffende Lenker nicht auf
österreichischem
Staatsgebiet angehalten werden kann - eine Zustellung der be-
hördlichen
Erledigung, mit der die Strafe verhängt worden ist, und gegebenenfalls
auch die Vollstreckung der Strafe voraus. Die Zulässigkeit
einer Zustellung im Aus-
land ist nach § 11 des Zustellgesetzes, BGBl. Nr. 200/1982,
zuletzt geändert durch
das
Bundesgesetz BGBl. I Nr. 10/2004, zu beurteilen. Die Zulässigkeit einer Voll-
streckung
im Ausland hängt vom Vorliegen einer entsprechenden völkerrechtlichen
oder
gemeinschaftsrechtlichen Rechtsgrundlage ab.
Zu den Fragen 26 und 27:
Erwägungsgrund 2 des Rahmenbeschlusses
2005/214/JI spricht vom Grundsatz der
gegenseitigen Anerkennung für „Geldstrafen
oder Geldbußen von Gerichts- oder
Verwaltungsbehörden".
Unter „Entscheidung" im Sinn des Rahmenbeschlusses fal-
len gemäß dessen Art. 1 lit. a sublit. ii und iii
auch Entscheidungen von nicht gericht-
lichen Behörden, sofern
die Möglichkeit bestanden hat, die Sache vor ein „auch in
Strafsachen zuständiges Gericht" zu bringen. Da der
Terminus „Gericht" im Sinn des
Tribunalbegriffs des Art. 6 MRK zu verstehen
ist und somit auch die unabhängigen
Verwaltungssenate
erfaßt, ist von der europaweiten Umsetzung des Rahmenbe-
schlusses eine
umfassende Anerkennung und Vollstreckbarkeit der von österreichi-
schen Behörden verhängten Geldstrafen für Verkehrsdelikte zu erwarten.
Zu Frage 28:
Im Zuständigkeitsbereich des Bundeskanzleramtes
werden Änderungen der Verwal-
tungsverfahrensgesetze notwendig sein.
Zu Frage 29:
Ich verweise auf die Beantwortung der gleichlautenden parlamentarischen Anfrage
Nr. 4599/J durch den Bundesminister für Verkehr, Innovation und Technologie.