4584/AB XXII. GP

Eingelangt am 13.09.2006
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BM für Justiz

Anfragebeantwortung

 

 

 

 

DIE  BUNDESMINISTERIN
           FÜR  JUSTIZ

BMJ-Pr7000/0053-Pr 1/2006

 

An den

                                      Herrn Präsidenten des Nationalrates

                                                                                                                           W i e n

 

zur Zahl 4623/J-NR/2006

 

Die Abgeordneten zum Nationalrat Mag. Johann Maier, Kolleginnen und Kollegen haben an mich eine schriftliche Anfrage betreffend „Kosten der Justiz (Eigendeckungsgrad) – Erledigung der Geschäftsfälle (III)“ gerichtet.

Ich beantworte diese Anfrage wie folgt:

Zu 1:

Die Ausgaben des Justizressorts im Jahr 2005 betrugen 989,1 Millionen Euro, die Einnahmen 709,6 Millionen Euro. Daraus errechnet sich eine Deckung der Ausgaben durch Einnahmen im Ausmaß von 71,7 %.

Zu 2:

Eine Gegenüberstellung der Ausgaben und Einnahmen in der Gliederung des Bundesfinanzgesetzes für das Jahr 2005 ergibt für das Justizressort folgendes Bild:

 

 

 

Ausgaben in Mio. Euro

Einnahmen in Mio. Euro

Bundesministerium für Justiz

92,5

1,5

Oberster Gerichtshof und

Generalprokuratur

11,0

0,1

Justizbehörden in den Ländern

563,8

654,4

Justizanstalten

292,0

53,6

Bewährungshilfe

29,8

0,0

Summe

989,1

709,6

Zu 3:

Die Amtstage der Gerichte sind bundesweit (grundsätzlich und zumindest) jeden Dienstag abzuhalten. Durch einen Ministerratsbeschluss ist sichergestellt, dass grundsätzlich bei allen Bundesdienststellen jedenfalls (zumindest) der Dienstag Vormittag als Amtstag zur Verfügung steht.

Mangels entsprechender Aufzeichnungen liegen konkrete Informationen über die Anzahl der telefonischen Anfragen und Vorsprachen bzw. über die konkrete Inanspruchnahme der Amtstage nicht vor. Im Rahmen der Personalanforderungsrechnung wurde jedoch für das Jahr 2005 für die Durchführung der Amtstage an den Bezirks- und Landesgerichten ein Personalbedarf von bundesweit rund 29 Richtern und 26 Rechtspflegern ermittelt.

Zu 4:

Die Gerichtstage werden durch Verordnung festgelegt, wobei sich die Anzahl der abgehaltenen Gerichtstage nach dem Bedarf der rechtsuchenden Bevölkerung richtet.

Im Rahmen der Personalanforderungsrechnung wurde für das Jahr 2005 für die Durchführung der bundesweit insgesamt 3.102 Gerichtstage ein Personalbedarf von zusammen fünf Richtern ermittelt. Die abgehaltenen Gerichtstage verteilen sich wie folgt auf die einzelnen Bundesländer:

 

 

Bundesland

Abgehaltene Gerichtstage

Niederösterreich

1.139

Burgenland

65

Steiermark

610

Kärnten

492

Oberösterreich

339

Salzburg

242

Tirol

211

Vorarlberg

4

Zu 5:

An Mieten und Betriebskosten wurde im Jahr 2005 insgesamt (Zentralstelle, Gerichte, Justizanstalten) ein Betrag von 48,3 Millionen Euro an die Bundes-immobiliengesellschaft mbH. bezahlt. Für das Jahr 2006 ist hiefür ein Betrag von 47,8 Millionen Euro veranschlagt.

Zu 6:

Pro aufgelassenem Gericht wird mit einer Einsparung von 0,5 VBÄ (im nicht­richter­lichen Bereich) gerechnet, welche jedoch erst durch Ruhestandsversetzungen bzw. Nichtnachbesetzungen im Laufe der Zeit wirksam wird.

Die Ersparnis an Mieten und Betriebskosten beträgt pro aufgelassenem Gerichtsgebäude im Durchschnitt rund 22.000 Euro jährlich. Unter Berücksichtigung der weiteren Einsparungen an Personalkosten sowie an personalabhängigen und sonstigen standortbezogenen Kosten (z.B. für Heizung, für Gebäudeinstandsetzung etc.) zeigt sich, dass die seinerzeitige Schätzung von jährlichen Einsparungen im Gesamtausmaß von 80.000 Euro pro Gericht realistisch war.

Zu 7 bis 9:

Nach den derzeit vorliegenden Untersuchungen wird von einem mit dem IT-Einsatz in der Justiz erzielbaren Nutzen (einschließlich der nicht budgetwirksamen Komponenten) von knapp über 23  Millionen Euro ausgegangen. Dabei handelt es sich um den reinen Nutzenüberhang, das heißt die Aufwendungen für die IT sind von diesen Werten bereits abgezogen. Daten aus der Verfahrensautomation Justiz werden der Statistik Austria in dem Umfang übermittelt, wie dies zur Erstellung der Gerichtlichen Kriminalstatistik erforderlich ist.

Die Verfahrensautomation Justiz wird auf allen Organisationsebenen der Gerichte eingesetzt, wie den Beantwortungen der Voranfragen (bis zurück zur Zahl 482/J-NR/2003; zuletzt 3190/J-NR/2005) entnommen werden kann, auf die ich an dieser Stelle zur Vermeidung unnötiger Wiederholungen verweise.

Zu 10, 11, 19, 24 und 29:

Bundesweit fielen bei allen ordentlichen Gerichten im Jahr 2005 insgesamt 3.743.524 Geschäftsfälle an. Die Aufteilung auf die einzelnen Gerichtstypen ist nachfolgend tabellarisch dargestellt. Wie in den letzten Jahren wird der Wert für die Gerichtshöfe ohne die Geschäftsfälle aus dem Firmenbuch (211.806) angeführt.

Zu 12 bis 15:

Die Aufteilung des Geschäftsanfalles bei den Bezirksgerichten kann der nachfolgenden Tabelle entnommen werden.

Sparte

Geschäftsanfall 2005

in %

Zivilsachen (C und Hc)

719.069

21,8%

Strafsachen (U, Hs und Ns)

80.313

2,4%

Exekutionssachen

1.177.635

35,8%

Sonstige

1.317.439

40,0%

Summe

3.294.456

100,0%

Zu 16, 21, 26 und 30:

Gerichtstyp

2005 enderledigte Verfahren

am 31.12.2005 offene Verfahren

Oberster Gerichtshof

8.209

662

Oberlandesgerichte

92.472

9.153

Gerichtshöfe

349.194

81.029

Bezirksgerichte

3.229.735

540.809

Alle Gerichtstypen

3.679.610

631.653

Zu 17, 22 und 27:

Gerichtstyp

Durch Vergleich erledigte Verfahren 2005

in %

Oberlandesgerichte

61

0,2%

Gerichtshöfe

17.822

48,1%

Bezirksgerichte

19.159

51,7%

Alle Gerichtstypen

37.042

100,0%

Zu 20:

Zu 25:

Oberlandesgerichte

 

 

Sparte

Geschäftsanfall 2005

in %

Justizverwaltungs-, Dienst-
und Disziplinarsachen

76.473

80,3%

Rechtsmittel in Zivilsachen
und Fristsetzungsanträge

10.152

10,7%

Rechtsmittel in Strafsachen
und Fristsetzungsanträge

7.928

8,3%

Kartellsachen

649

0,7%

Summe

95.202

100,0%

Zu 18, 23, 28 und 31:

Die bei den Bezirksgerichten, Landesgerichten und Oberlandesgerichten – jeweils mit staatsanwaltschaftlichen Behörden – sowie dem Obersten Gerichtshof und der Generalprokuratur verrechneten Ausgaben und Einnahmen sind der nachstehenden Übersicht zu entnehmen.

Bei Erstellung dieser Übersicht wurden die im Zentralkredit erfassten, aus dem Rechnungswesen nicht unmittelbar zuordenbaren Ausgaben und Einnahmen entsprechend umgelegt. Die Ausgaben für RichteramtsanwärterInnen und Rechts-praktikantInnen sowie die über die Einbringungsstelle hereingebrachten Beträge werden bei den Oberlandesgerichten verrechnet. Die Einnahmen aus Pauschal­ge­büh­ren für Rechtsmittel werden bei den Erstgerichten (Bezirks- und Landes­ge­richten) verrechnet. Nicht in der Übersicht enthalten sind die Zahlungen für Mieten und Betriebskosten an die Bundesimmobiliengesellschaft mbH, die im Jahr 2005 rund 493.000 Euro für den Obersten Gerichtshof und die Generalprokuratur und rund 29,3 Millionen Euro für alle übrigen Gerichtsgebäude betragen haben.

 

Ausgaben in Mio. Euro

Einnahmen in Mio. Euro

Bezirksgerichte

236,0

391,1

Landesgerichte

220,0

113,5

Oberlandesgerichte

107,7

149,7

Oberster Gerichtshof und Generalprokuratur

11,0

0,1

Zu 32:

Beim Obersten Gerichtshof fielen im Jahr 2005 in Zivilsachen 1.419 ordentliche und 1.591 außerordentliche, gesamt daher 3.010 Rechtsmittelakten an. In Strafsachen waren 711 Rechtsmittel zu verzeichnen.

Zu 33 und 36:

Im Jahr 2005 betrugen die Einnahmen aus Gebühren und Ersätzen in Rechtssachen  591,8 Millionen Euro. Eine Aufschlüsselung dieser Einnahmen nach Gerichtstypen ist aus den Daten der Haushaltsverrechnung nicht möglich. Eine vom Bundes­ministerium für Justiz vorgenommene Zuordnung nach Sparten ergibt folgendes Bild:

Aufteilung der Einnahmen

nach Geschäftssparten

in Millionen Euro

Strafsachen (inkl. ATA)

5,6

Exekutionssachen (E)

55,2

Zivilprozesse (insb. C, Cg, Cga)

110,2

Firmenbuch

17,0

Insolvenzverfahren

9,9

Grundbuch und Sonstiges

393,9

Summe

591,8

Zu 34:

Für die Jahre 2005 und 2006 sind die Einnahmen an Gebühren und Ersätzen in Rechtssachen mit jeweils 614,4 Millionen Euro veranschlagt. Für das Jahr 2007 liegt noch keine Prognose vor.

Zu 35:

Im Jahr 2005 betrugen die Personalkosten des Justizressorts (Justizbehörden in den Ländern, Oberster Gerichtshof und Generalprokuratur, Justizanstalten und Zentralstelle) 474,8 Millionen Euro. Für das Jahr 2006 sind sie mit 475 Millionen Euro veranschlagt, für das Jahr 2007 liegt noch keine Prognose vor.

Zu 37:

Eine Erhöhung der Gerichtsgebühren ist – vorbehaltlich einer gegenteiligen politischen Willensbildung nach den kommenden Nationalratswahlen – für die nächste Zeit grundsätzlich nicht vorgesehen.

Allerdings sind durch die mit 1. August 2006 wirksam gewordene gesetzliche Valorisierung der Gebührenbeträge gemäß § 31a GGG (die an die Entwicklung des Verbraucherpreisindex gekoppelt ist) an manchen Stellen Unebenheiten und Sprünge im Gebührengefüge aufgetreten. Das Bundesministerium für Justiz plant nun, möglichst bald in der kommenden Legislaturperiode eine Novelle zum Gerichtsgebührengesetz vorzubereiten, durch die diese betraglichen Inkonsistenzen wieder geglättet werden sollen. Dies wird bei manchen Gebühren zu geringfügigen Erhöhungen, bei manchen anderen zu – zum Teil erheblichen – Absenkungen führen. Die Maßnahme sollte insgesamt aufkommensneutral sein.

Zu 38 bis 40:

Vorauszuschicken ist, dass sämtliche der angesprochenen Einsparungen im Personalbereich des Justizressorts durch die normalen Personalabgänge abgedeckt werden konnten und keine Dienstnehmer gekündigt werden mussten.

Die Veränderungen in den Planstellenzuweisungen gemäß den Bundesfinanzgesetzen der Jahre 2005 und 2006 werden in der nachstehenden Übersicht auf Grundlage der Stellenpläne dargestellt (Anlage II zu den Bundesfinanzgesetzen; ohne Planstellen für ältere Arbeitslose und Behinderte sowie ohne Lehrlinge und Verwaltungspraktikanten; ausgewiesen sind jeweils die Veränderungen zum Vorjahr)




 

Oberster Gerichtshof und
Generalprokuratur

Justizbehörden in den Ländern

Oberlandesgerichte, Landesgerichte und Bezirksgerichte sowie Oberstaatsanwaltschaften und Staatsanwaltschaften

Justizanstalten

 

Richter

Staatsanwälte

Nichtrichterliche Bedienstete

Richter

Staatsanwälte

Nichtrichterliche Bedienstete

Exekutivdienst

Justiz-
anstalten gesamt

2005

0

0

0

+20

0

-151

+123

+128

2006

0

0

0

0

0

-246

-124

-124

 

Auf Grund einer Anpassung des Allgemeinen Teiles des Stellenplans 2005/06 stehen überdies Aufnahmemöglichkeiten für 100 Aspiranten (Ausbildung Exekutivdienst) zur Verfügung, wodurch Einsparungen des Jahres 2006 zum Teil abgefedert werden. Außerdem wurde die Lehrlingsausbildung verstärkt. Im eingeschränkten Umfang kommen auch Leasing-Kräfte der ÖBB zum Einsatz.

Die in den Unterkapiteln „Justizbehörden in den Ländern“ und „Justizanstalten“ ausgewiesenen Planstellen werden vom Bundesministerium für Justiz im Rahmen der Planstellenaufteilungen auf Grundlage genauer Auslastungsberechnungen auf die jeweils vier Oberlandesgerichts- und Oberstaatsanwaltschaftssprengel jährlich neu aufgeteilt. Veränderungen in der Planstellendotation der einzelnen Dienststellen ergeben sich aber nicht nur durch Planstellenreduktionen, sondern auch durch Verschiebungen zum Zweck des Ausgleichs von Auslastungsunterschieden. Daher sind aussagekräftige dienststellenbezogene Darstellungen der Einsparungen praktisch nicht möglich.

Die mir von den Präsidenten der vier Oberlandesgerichte erstatteten Vorschläge für die jeweils sprengelinterne Aufteilung der im Stellenplan 2006 zugewiesenen Planstellen für nichtrichterliche Bedienstete sind als Beilagen angeschlossen. Überdies ist ein Ausdruck der letzten Systemisierung für den Justizanstaltenbereich angefügt. Hinsichtlich der Aufteilung der richterlichen Planstellen weise ich auf die gemäß § 23 Gerichtsorganisationsgesetz zuletzt mit 2. Juni 2006 im Amtsblatt der österreichischen Justizverwaltung veröffentlichte Systemisierungsübersicht hin, von der gleichfalls ein Exemplar angeschlossen ist.

Zu 41:

Zur Beantwortung dieser Frage verweise ich auf die angeschlossene Stellungnahme des Bundesministeriums für Justiz zum Wahrnehmungsbericht es Österreichischen Rechtsanwaltskammertages zur österreichischen Rechtspflege für den Berichtszeitraum 2004/2005.

 

.September 2006

 

(Maga. Karin Gastinger)


 

REPUBLIK ÖSTERREICH

BUNDESMINISTERIUM FÜR JUSTIZ

BMJ-Pr4708/0001-Pr 1/2006

 

Museumstraße 7

1070 Wien

 

 

An den

Österreichischen

Rechtsanwaltskammertag

Tuchlauben 12

1010 Wien

 
 

 

Briefanschrift

1016 Wien, Postfach 63

e-mail
post@bmj.gv.at

Telefon

(01) 52152-0*

Telefax

(01) 52152 2727

Sachbearbeiter(in):

Mag. Oliver Kleiß

*Durchwahl:

2157

 

 

Betrifft:

Wahrnehmungsbericht des
Österreichischen Rechtsanwaltskammertages
zur österreichischen Rechtspflege
für den Berichtszeitraum 2004/2005

 

Das Bundesministerium für Justiz dankt für die Übersendung des Wahrnehmungsberichtes des Österreichischen Rechtsanwalts­kammertages zur österreichischen Rechtspflege für den Berichtszeitraum 2004/2005 und beehrt sich zu jenen Punkten, die nach dem Inhalt des Berichts konkretisierbar bzw. individualisierbar sind, wie folgt Stellung zu nehmen:

1.   GESETZGEBUNG-LEGISTIK

1.1.     Mangelnde Gesetzesqualität und Gesetzesbegutachtung

Aus der Sicht des Bundesministeriums für Justiz darf zu diesem Punkt bemerkt werden, dass sich die Forderung nach einer besseren Verständlichkeit der Gesetzestexte und Verordnungstexte sowie nach Einbindung in das Begutachtungsverfahren offenbar an andere Ressorts richtet.

1.2.     Grundrechtsschutzdefizite und Kompetenzüberschreitungen

Zu diesem Bereich darf vorweg auf ein in der Anlage beigefügtes Grundsatzpapier über die Weiterentwicklung des Europäischen Strafrechts und die Grundrechte der Bürger hingewiesen werden, das ua. Gegenstand der Beratungen beim Informellen Treffen der Justiz- und Innenminister vom 12. bis 14. Jänner 2006 in Wien gewesen ist. Insbesondere Abschnitt 1 dieses Papiers versucht die auch teilweise vom Österreichischen Rechtsanwaltskammertag angesprochenen Problembereiche, wie etwa das Spannungsverhältnis zwischen dem Rahmenbeschluss über den Europäischen Haftbefehl und die Übergabeverfahren zwischen den Mitgliedstaaten und den Grundrechten, aufzugreifen und Lösungen zu skizzieren. Es soll ein Schwerpunkt auf die Entwicklung eines kohärenten und schlüssigen Konzepts zur Stärkung der Verfahrensrechte gelegt werden.

1.2.1 Europäischer Haftbefehl

Der Hinweis, dass der Europäische Haftbefehl (Rahmenbeschluss 2002/584/JHA) erlassen wurde, bevor eine Einigung über die Verfahrensrechte für die Beschuldigten erzielt werden konnte, ist formal richtig. In der Sache selbst hat sich freilich gerade die Umsetzung des europäischen Haftbefehls durch das EU-JZG im europäischen Vergleich als vorbildhaft erwiesen. Generell ist festzuhalten, dass der Europäische Haftbefehl – wie überhaupt der Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung – nicht im Gegensatz zu den Grundrechten steht. Allerdings könnte der Umstand, dass auch im System der gegenseitigen Anerkennung die Wahrung der Grundrechte den nationalen Verfahrensordnungen überlassen bleibt, allenfalls in einzelnen Bereichen im Verhältnis mancher Staaten zueinander, deren Rechtsschutzsysteme nicht hinreichend kompatibel sind, im Einzelfall zu gewissen Lücken führen. Die Analyse dieser möglichen Lücken und deren Abhilfe ist das politische Ziel, das mit Abschnitt 1 des Grundsatzpapiers verfolgt wird. Dass dagegen der Europäische Haftbefehl eine Angleichung der Verfahrensrechte erfordern würde, ist aus Sicht des Bundesministeriums für Justiz nicht erkennbar und wurde in dieser Form bisher auch nicht gefordert. Die Mitgliedstaaten der Europäischen Union haben sich vielmehr einstimmig für eine besonders rasche Annahme eines Rahmenbeschlusses über den Europäischen Haftbefehl ausgesprochen. Ein Zuwarten oder ein Inkrafttreten etwa zusammen mit einem noch auszuarbeitenden Rahmensbeschluss über Verfahrengarantien wurde allgemein abgelehnt. Von Österreich wurde in den Verhandlungen insbesondere auf die Problematik der Auslieferung eigener Staatsangehöriger hingewiesen und zumindest in diesem Bereich für Österreich eine Übergangsfrist in der Dauer von fünf Jahren erreicht.

Der Europäische Haftbefehl wurde durch das Bundesgesetz über die justizielle Zusammenarbeit in Strafsachen mit den Mitgliedstaaten der Europäischen Union (EU-JZG), BGBl. I Nr. 36/2004, umgesetzt. Dieses Gesetz räumt der von einem Europäischen Haftbefehl betroffenen Person im Verfahren vor den österreichischen Gerichten die entsprechenden Verfahrengarantien und Anfechtungsmöglichkeiten ein.

1.2.2. Rahmenbeschluss Verfahrensgarantien

Zur Diskussion über den Rahmenbeschluss „Verfahrensgarantien“ selbst darf vorab bemerkt werden, dass der Österreichische Rechtsanwaltskammertag in die Verhandlungsposition des Bundesministeriums für Justiz voll eingebunden war und auch Gelegenheit hatte, ausführlich Stellung zu nehmen. In der Sache selbst ist auszuführen, dass sich die Beratungen über den Rahmenbeschluss derzeit in einer Sackgasse befinden, weil mit ihm entgegen gesetzte Vorstellungen verbunden werden. Einerseits sollen die Grenzen ausgelotet werden, innerhalb deren Einschränkungen von Verteidigungsrechten bei der Verfolgung terroristischer Straftaten zulässig sind. Dahinter verbirgt sich der Versuch der Legitimation nationaler Sondergesetze, die zum Beispiel den Zugang zu einem Anwalt im Fall des Verdachts von terroristischen Straftaten über die in der Rechtsprechung des EGMR erlaubten Fälle hinaus beschränken. Andererseits soll die Bestimmung des Artikels III-270 Abs. 2 des Vertrags einer Europäischen Verfassung vorweg genommen werden, wonach durch ein Europäisches Rahmengesetz (vergleichbar mit einer Richtlinie) ua. Mindestvorschriften für die Rechte des Einzelnen im Strafverfahren festgelegt werden können, soweit dies zur Erleichterung der gegenseitigen Anerkennung gerichtlicher Urteile und Entscheidungen und der polizeilichen und justiziellen Zusammenarbeit in Strafsachen mit grenzüberschreitender Dimension erforderlich ist. Dieser Zusammenhang mit den Rechtsakten auf dem Gebiet der gegenseitigen Anerkennung ist in den Beratungen verloren gegangen und soll wieder in den Fokus der Bemühungen gerückt werden, dies vor allem deshalb, um das hinter Ablehnungsgründen versteckte Misstrauen gegenüber justiziellen Entscheidungen anderer Mitgliedstaaten abzubauen und auf diese Weise die Zusammenarbeit zu fördern.

Im Rahmen seines Vorsitzes will Österreich der Diskussion um den Schutz der Grundrechte des einzelnen wieder neuen Schwung verleihen, indem hervorgehoben wird, dass es um Verfahrensrechte in Strafsachen „mit grenzüberschreitender Dimension“ geht, konkret um die gegenseitige Anerkennung und Vollstreckung sowohl von Entscheidungen im Ermittlungsverfahren (EHB, EBA, ....) als auch um die Anerkennung und Vollstreckung rechtkräftiger Entscheidungen (Geldstrafen, Freiheitsstrafen, Einziehungen) und sowohl um Verfahrensteile im Ausstellungs- bzw. Urteilsstaat als auch im Vollstreckungsstaat.

1.2.3. Richtlinie Vorratsdatenspeicherung

Zur Richtlinie „Vorratsdatenspeicherung“ darf darauf hingewiesen werden, dass sich Frau Bundesministerin Maga. Karin Gastinger auf europäischer Ebene um einen Kompromiss bemüht hat, der die Balance zwischen einer erhöhten Effizienz der Strafverfolgung und der Wahrung der Grundrechte, hier insbesondere des Grundrechts auf Datenschutz wahrt. Die Einigung zwischen den drei europäischen Institutionen beweist die Tragfähigkeit dieser Bemühungen. Zum Schutz der Grundrechte wären insbesondere die Zweckbestimmung der Speicherung (schwerwiegende Straftaten), die daran orientierten Zugriffsbeschränkungen, die Verpflichtung zu besonderen Datenschutz- und Datensicherheitsbestimmungen, die Einrichtung einer unabhängigen Kontrollbehörde und die Verpflichtung zur Kriminalisierung hervorzuheben. Im Bereich der Datenkategorien, die zu speichern sind, hat sich die österreichische Verhandlungslinie durchgesetzt, sodass eine Beschränkung der Daten auf ein verhältnismäßiges Ausmaß erreicht werden konnte (im Telefonbereich im Wesentlichen jene Daten, die schon derzeit zu Verrechnungszwecken gespeichert werden; im Internet jene Verkehrsdaten, die notwendig sind, um den Zugang zu bestimmten IP- Adressen einer bestimmten Adresse zuordnen zu können). Ein Zugriff wird in Österreich weiterhin nur unter den Bedingungen der Überwachung einer Telekommunikation zulässig sein. Die Rechte der Verteidigung sind durch die Bestimmungen der §§ 149a bis 149c StPO im Übrigen vollständig geschützt; jeder Eingriff in das Vertrauensverhältnis zwischen Beschuldigtem und Verteidiger unterliegt einem strengen Beweisverwertungsverbot, das durch ein Vernichtungsgebot abgesichert ist. Jedenfalls ist auch daran zu erinnern, dass sowohl die Terroranschläge von Madrid als auch jene von London durch Ermittlung von Telekommunikationsdaten aufgeklärt werden konnten; Telefon und Internet dürfen nicht dem ungehinderten Zugriff verbrecherischer Absichten geöffnet werden (Betrug im Internetversandhandel; Kinderpornografie; Verbreitung fremdenfeindlicher und rassistischer Inhalte, etc.).

1.2.4. 3. Geldwäsche-Richtlinie“ (Rl 2005/60)

Zur „3. Geldwäsche-Richtlinie“ (Rl 2005/60) ist zu bemerken, dass die Rechtsanwälte (und Notare) bereits durch die Richtlinie 2001/97 („2. Richtlinie“) in das Geldwäsche-Präventions-Regime einbezogen worden; grundlegende Änderungen an den Rechtsanwälte betreffenden Bestimmungen hat die 3. Richtlinie nicht gebracht. Hauptanliegen der 3. Richtlinie ist die Erweiterung des Anwendungsbereiches über Geldwäsche hinaus auf Terrorismusfinanzierung.

Zweifellos steht die Richtlinie im Spannungsfeld zwischen den Bedürfnissen der Kriminalitätsprävention vor dem Hintergrund neuer krimineller Phänomene einerseits und der Aufrechterhaltung rechtstaatlicher Garantien andererseits.

In den letzten Jahren konnten – jedenfalls im deutschsprachigen Raum – Äußerungen beobachtet werden, die den Eingriff durch die Richtlinie in das Anwaltsgeheimnis als zu weitgehend oder unerträglich bezeichnen. Allerdings greift die Richtlinie in jenen Tätigkeitsbereich von Rechtsanwälten und Notaren, die im Rechtsstaat unverzichtbar unter dem Geheimnisschutz stehen müssen, nämlich in Vertretung und Rechtsberatung, nicht ein. Dass außerhalb dieses Bereiches liegende Tätigkeiten der freien Rechtsberufe, insbesondere die Vermögensverwaltung, nicht in gleicher Weise privilegiert werden können, wird außerhalb des deutschsprachigen Raumes verschiedentlich anders gesehen.

Aus der Sicht des Bundesministeriums für Justiz ist die Interessensabwägung zwischen bürgerlicher Freiheit und Kriminalitätsprävention daher durchaus gelungen.

Eine verbindliche Auskunft über die Lösung dieser Interessensabwägung ist übrigens in einiger Zeit vom Europäischen Gerichtshof (EuGH) zu erwarten: ein belgisches Gericht hat jüngst dem EuGH die Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt, ob die Einbeziehung von Rechtsanwälten in den Anwendungsbereich der Richtlinie und insbesondere die für Rechtsanwälte geltende Meldepflicht gegen Art. 6 der Menschenrechtskonvention verstößt[1].

1.2.5. Europäisches Mahnverfahren

Die Kommission hat im März 2004 einen Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rats zur Einführung eines Europäischen Mahnverfahrens angenommen. Im Kommissionsentwurf war vorgesehen, dass das Europäische Mahnverfahren auch dann Anwendung findet, wenn Gegenstand ein reiner Binnensachverhalt ist.

Das Bundesministerium für Justiz hat hingegen immer die Auffassung vertreten, dass Artikel 65 des EG-Vertrags keine Grundlage für eine umfassende Vereinheitlichung oder Angleichung des formellen oder materiellen  Zivilrechts darstellt. Art 65 EGV umfasst Maßnahmen im Bereich der justiziellen Zusammenarbeit in Zivilsachen mit grenzüberschreitenden Bezügen, soweit sie für das reibungslose Funktionieren des Binnenmarktes erforderlich sind. Für die Ausdehnung des Anwendungsbereichs des Europäischen Mahnverfahrens auf reine Binnenfälle fehlt es am grenzüberschreitenden Element. Darüber hinaus ist auch fraglich, ob der Unterschied zwischen den nationalen Systemen das Funktionieren des Binnenmarkts in einer Situation beeinträchtigten könnte, in der sich der Rechtsstreit lediglich innerhalb eines einzigen Mitgliedstaates abspielt. Der Umstand, dass jeder innerstaatliche Rechtsstreit später theoretisch grenzüberschreitend werden kann, ist auch nicht ausreichend. Das grenzüberschreitende Element muss vielmehr real und aktuell sein.

Diese Auffassung wurde von der überwiegenden Zahl der Mitgliedstaaten vertreten. Beim Treffen des Rates der Justiz- und Innenminister am 1. und 2. Dezember 2005 wurde Einvernehmen dahin gehend erzielt, dass der Anwendungsbereich des Europäischen Mahnverfahrens auf grenzüberschreitende Rechtsstreitigkeiten beschränkt werden soll. Eine grenzüberschreitende Rechtssache liegt dann vor, wenn mindestens eine der Parteien ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt in einem anderen Mitgliedstaat als dem des angerufenen Gerichts hat.

1.2.6. Grünbuch Erbrecht

Zu den im Wahrnehmungsbericht aufgeworfenen Bedenken ist zunächst festzuhalten, dass eine materielle Regelung des Erbrechts nicht zur Diskussion steht. Das Grünbuch erörtert lediglich das Erbstatut, also die Frage, welches Recht bei Fällen mit Auslandsbezug auf die Erbfolge anzuwenden sein soll, sowie die Abhandlungszuständigkeit.

Zu der Befürchtung, die Erblasser werden versuchen, das Pflichtteilsrecht zu umgehen, indem sie ihren Wohnsitz in einen Staat verlegen, in dem das Pflichtteilsrecht entweder nicht besteht oder den Erblasser weniger beschränkt, und dass sich die Mitgliedstaaten so gezwungen sehen könnten, ihr Erbrecht liberaler zu gestalten, um nicht wohlhabende Erblasser zu verlieren, möge Folgendes in Betracht gezogen werden: Es gibt viele Rechtsordnungen, die die Erbfolge und das Pflichtteilsrecht nicht an die Staatsangehörigkeit des Erblassers knüpfen, sondern an den gewöhnlichen Aufenthalt (etwa Frankreich und Schweiz), wie dies auch das Grünbuch diskutiert. Diese Staaten haben weder über negative Auswirkungen ihrer Kollisionsregel berichtet noch sich gezwungen gesehen, ihr materielles Erbrecht zu ändern.

Es ist richtig, dass die unterschiedlichen Erbsysteme eine einheitliche kollisionsrechtliche Regelung nicht einfach machen. Ungeachtet dessen erscheint das Vorhaben keineswegs aussichtslos. Die kollisionsrechtliche Behandlung von Rechtsinstituten, die dem eigenen materiellen Recht nicht bekannt sind, wie etwa der englische Trust, bedeutet auch nicht, dass das Institut in die Rechtsordnung eingeführt werden muss. Die kollisionsrechtliche Regel erleichtert nur die praktische Handhabung von sonst ungeregelten Fällen.

Die Zuständigkeit der Gemeinschaft wäre nur überschritten, wenn materielles Recht geregelt würde oder eine Binnenmarktrelevanz fehlte. Beides ist nicht der Fall. Tatsächlich gibt es im Erbrecht nicht unerhebliche praktische Probleme und Rechtsunsicherheiten, wenn ein Auslandsbezug besteht. Schon der relativ einfache Fall, dass der österreichische Erblasser in Spanien ein Feriendomizil hinterlässt, stellt die Erben vor - immer wieder an das Bundesministerium für Justiz herangetragene - Schwierigkeiten.

Wie die Regelung letztlich gestaltet sein wird, ob und inwieweit etwa der Erblasser eine Rechtswahl treffen können soll (wie es das deutsche Recht in beschränkten Maße zulässt), ist noch zu diskutieren und zu verhandeln. Man kann über die zur Diskussion gestellten Lösungsansätze durchaus unterschiedlicher Ansicht sein und auch den Bedarf an einer Regelung in Frage stellen. Die Regelungskompetenz der Gemeinschaft steht freilich aus Sicht des Bundesministeriums für Justiz außer Zweifel.

Eine sinnvolle Regelung wird ua. die Beratung der Erblasser bei der Nachlassplanung im Interesse der Klienten beträchtlich erleichtern und das Risiko von Fehlern senken. Im Ergebnis scheint daher das Vorhaben grundsätzlich auch im Interesse der rechtsberatenden Berufe zu liegen.

1.3.     Europäisches Vertragsrecht

Beim Projekt eines Europäischen Vertragsrechts handelt es sich um ein Vorhaben der Kommission. Es soll bis zum Jahr 2009 ein „Gemeinsamer Referenzrahmen“ (Common Frame of Reference – kurz CFR) für ein Europäisches Vertragsrecht geschaffen werden. Ziel ist es, in dieses Rechtsinstrument gemeinsame Begriffsbestimmungen, allgemeine Grundsätze des Vertragsrechts und auch Modellregelungen für einzelne Vertragsarten wie etwa den Kaufvertrag aufzunehmen. Der „Gemeinsame Referenzrahmen“ soll nach dem derzeitigen Stand für die Legislativarbeit des Rates und des Europäischen Parlaments nicht verbindlich sein. Gedacht ist er aber als eine Art „Handlungsanleitung“ für die Kommission, die sich bei der Verfassung ihrer Vorschläge (etwa für Richtlinien auf dem Gebiet des Verbraucherschutzes oder auch für unmittelbar wirksame Verordnungen) an die im Referenzrahmen enthaltenen Bestimmungen richten soll. Damit sollen die Widersprüche und Ungereimtheiten im bisherigen zivilrechtlichen Besitzstand des Gemeinschaftsrechts aufgelöst und behoben werden. An ein „Europäisches Zivilgesetzbuch“ ist aber nicht gedacht.

Die Arbeiten auf europäischer Ebene zur Schaffung eines gemeinsamen Referenzrahmens für ein Europäisches Vertragsrecht sind auch für das Bundesministerium für Justiz von größtem Interesse. Das damit im Zusammenhang eingerichtete, bislang aus 177 Mitgliedern bestehende Forschungsnetzwerk („CFR-Netzwerk“) liefert damit im Zusammenhang einen wichtigen Beitrag. Umso mehr wird begrüßt, dass sich auch österreichische Experten aus der Praxis an den Arbeiten dieses Netzwerks beteiligen. Zu der offensichtlich auch von anderer Seite geäußerten Kritik an der beschränkten Teilnehmerzahl der bisherigen Workshops des Netzwerks hat die Kommission in ihrem ersten jährlichen Fortschrittsbericht zum Europäischen Vertragsrecht und zur Überprüfung des gemeinschaftlichen Besitzstandes, KOM (2005) 456 endgültig, Stellung genommen. Die Begrenzung wurde damit begründet, dass ein kleinerer Teilnehmerkreis eine intensivere Auseinandersetzung mit dem jeweiligen Thema (bislang wurden 32 Forschungsthemen ausgewählt, die bis Ende 2007 erörtert werden sollen) ermöglicht. Die Kommission hat aber gleichzeitig betont, dass jene Mitglieder, die nicht zu den Workshops zugelassen werden, ihre Stellungnahme schriftlich abgeben können.

Richtig ist, dass bislang die generelle Ausrichtung des Vorhabens wohl nicht ausreichend abgeklärt ist. Eine Diskussion über den Inhalt des gemeinsamen Referenzrahmens und seine Funktion wäre daher auch aus der Sicht des Bundesministeriums für Justiz wünschenswert und geboten. Gelegenheit für entsprechende Erörterungen könnte die Diskussionskonferenz zum Europäischen Vertragsrecht bieten, die im Rahmen der österreichischen Ratspräsidentschaft am 25. und 26. Mai 2006 in Wien stattfinden soll.

2.   STRAFRECHTSPFLEGE

2.1.     Besprechung mit dem Beschuldigten

Das Bundesministerium für Justiz vertritt grundsätzlich die Ansicht, dass über das Ersuchen, einen Strafgefangenen mit neuer Voruntersuchung zwecks Besprechung mit seinem Verteidiger in das Gefangenenhaus des Gerichtshofes, vor dem die Hauptverhandlung stattfinden soll, zu überstellen, nicht vom Untersuchungsrichter zu entscheiden ist. Seine im § 180 Abs. 4 StPO normierten Kompetenzen enthalten solche Entscheidungen nicht. Allfällige weitere in diesem Zusammenhang zu treffende Veranlassungen wie etwa die Erhebung einer Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes gemäß § 33 Abs. 2 StPO werden vom Bundesministerium für Justiz derzeit geprüft.  

3.   ZIVILRECHTSPFLEGE

3.1.     Allgemeines

3.2.1 Stelligmachen der Partei zur vorbereitenden Tagsatzung

§ 258 Abs. 2 ZPO sieht vor, dass die Parteien und ihre Vertreter dafür zu sorgen haben, dass in der vorbereitenden Tagsatzung der Sachverhalt und allfällige Vergleichsmöglichkeiten umfassend erörtert werden können. Zu diesem Zweck ist die Partei oder, soweit diese zur Aufklärung des Sachverhalts nicht beitragen kann, eine informierte Person zur Unterstützung des Vertreters stellig zu machen. Die Gesetzesbestimmung geht daher davon aus, dass es nicht im Ermessen des Richters liegt, ob er meint, die Partei oder eine sonstige Person zur Erörterung des Sachverhalts zu benötigen, sondern dass eine solche Person jedenfalls dann stellig zu machen ist, wenn ansonsten der Sachverhalt nicht ordnungsgemäß erörtert werden könnte. Die Beurteilung dieser Frage obliegt aber nicht dem Richter. Wie in den Erläuterungen zu dieser Bestimmung ausgeführt wurde, ist Zielvorstellung, in der vorbereitenden Tagsatzung die Anwesenheit derjenigen Person zu erreichen, die seitens der Partei jeweils über die unmittelbarsten Informationen über den Verfahrensgegenstand verfügt. Diese Funktion kann auch der Rechtsvertreter der Partei erfüllen, wenn er derjenige ist, der in der Sache die meisten Informationen hat. Eine Anwesenheit der Parteien ist daher nicht zwingend geboten und auch nur indirekt sanktioniert; nicht die Anwesenheit einer Person, sondern die Verfügbarkeit der benötigten Information wird angeordnet und ihr Fehlen allenfalls im Wege der allgemeinen Prozessförderungspflicht oder der speziellen Präklusionsvorschriften wahrgenommen.

Ist nach dem Inhalt der Klage anzunehmen, dass sich der Beklagte nicht in den Streit einlassen werde, so kann im bezirksgerichtlichen Verfahren eine eingeschränkte vorbereitende Tagsatzung anberaumt werden, zu der die Partei nicht stellig zu machen ist. Hiefür gibt es ein eigenes Ladungsformular (ZPForm 29), in dem klargestellt wird, dass diese Tagsatzung auf den Vortrag der Parteien und allfällige Prozesseinreden beschränkt ist.

3.2.2. Sperrfrist

Die Bestimmung des § 257 Abs. 3 ZPO, wonach vorbereitende Schriftsätze spätestens eine Woche vor der vorbereitenden Tagsatzung bei Gericht und beim Gegner einlangen müssen, soll bewirken, dass eine entsprechende Vorbereitung für die Verhandlung möglich ist. Vor Einführung dieser Bestimmung mit der Zivilverfahrens-Novelle 2002 konnten derartige Schriftsätze bis zur ersten mündlichen Verhandlung eingebracht werden. Auch in diesem Fall war eine schriftliche Replik des Gegners nicht möglich. Inwieweit die Vorverlegung dieses Zeitraums nun zu mehr Problemen führen soll, kann nicht nachvollzogen werden. Auch der Gegner hat entsprechend Zeit sich mit den vorgebrachten Argumenten auseinanderzusetzen und dann eben mündlich in der vorbereitenden Verhandlung darauf zu replizieren.

3.2.3. Angabe der Seitenzahlen auf den Protokollen

Zur Anregung, dass auf dem den Parteienvertretern übermittelten Verhandlungsprotokoll nicht nur die Ordnungsnummer, sondern auch die durchgehenden Seitenzahlen vermerkt werden, weil in Urteilen nur die Seitenzahlen des Aktes zitiert werden, darf auf den Erlass des Bundesministeriums für Justiz vom 24. Oktober 1986, JABl. Nr. 62/1986, hingewiesen werden, in dem die Entscheidungsorgane ersucht wurden, in den gerichtlichen Entscheidungen den Inhalt des Gerichtsaktes so zu zitieren, dass nicht die Aktenseite, sondern die jeweilige Ordnungsnummer und die Seitenzahl in dieser angegeben werden.

3.2.4. Personalsituation Salzburg, Tirol

Die Personalentwicklung in den Gerichtshofsprengeln Salzburg und Innsbruck (Bezirksgerichte und Landesgerichte) für den Zeitraum des Wahrnehmungsberichtes stellt sich wie folgt dar (Quelle: Jahresbezogene Verwendungsübersichten des PIS):

 

2004

2005

GH-Sprengel Salzburg

 

 

Ri

89,00

88,80

Rpfl/-Anw

43,08

42,44

KzlL

71,45

74,26

KzlD

71,45

75,50

Schreibdienste

16,46

15,86

GH-Sprengel Innsbruck

 

 

Ri

123,09

121,56

Rpfl/-Anw

57,66

57,67

KzlL

98,39

100,10

KzlD

78,12

73,56

Schreibdienste

21,13

20,49

                            

Den Tabellen ist zu entnehmen, dass bei Sprengelsummensicht von 2004 auf 2005 im Bereich der Richter und Rechtspfleger/-anwärter – trotz der bekanntlich allgemein angespannten Budgetlage - lediglich minimale Personalrückgänge zu verzeichnen waren. Der Gerichtshofsprengel Salzburg weist im gesamten Kanzleibereich sogar eine Personalaufstockung auf; der Gerichtshofsprengel Innsbruck musste im Gegenzug zu einer Aufstockung im Bereich der Kanzleileitung einen Rückgang im Kanzleidienst verzeichnen.

Die Schreibdienste haben in beiden Gerichtshofsprengeln ebenfalls lediglich minimale Rückgänge zu verkraften. Soweit auf private Schreibdienste zurückgegriffen wird, muss selbstverständlich auf Qualitätskontrolle besonderes Augenmerk gelegt werden.

Im Zuge der Lehrlingsinitiative der Bundesregierung stehen in beiden Bundesländern zudem Verwaltungsassistenten in Ausbildung (Salzburg: 9, Tirol: 16).

Ferner bleibt anzumerken, dass mit Stichtag 1. Februar 2006 bereits 225 Verwaltungsassistenten im Justizressort tätig sind und damit ein Großteil der 250 Lehrstellen besetzt ist.

3.2.     Berichte einzelner Rechtsanwaltskammern

3.2.1. Schlüssigkeit der Mahnklage

Zu der Feststellung, dass Verbesserungsaufträge für tatsächliche oder vermeintliche Formgebrechen extrem zugenommen haben, kann, soweit es sich um tatsächliche Formgebrechen handelt, seitens des Bundesministeriums für Justiz insofern nicht Stellung genommen werden, als dies nicht vom Bundesministerium für Justiz beeinflusst werden kann (sofern diese Feststellung nicht dahingehend zu verstehen wäre, dass auch bei tatsächlichen Formgebrechen keine Verbesserungsaufträge erteilt werden sollten – wovon wohl nicht auszugehen ist). Soweit es sich um „vermeintliche“ Formgebrechen handelt, ist darauf hinzuweisen, dass die Beurteilung, ob eine Eingabe an einem Formgebrechen leidet, eine Frage der unabhängigen Rechtssprechung darstellt und aufgrund der Vielzahl möglicher Eingaben und möglicher Formgebrechen eine gesetzliche Regelung nicht möglich ist.

Zu dem auf Seite 31 oben angeführten Beispiel einer Mahnklage („Werklohn/Honorar, Beleg Nummer 16 vom 12.5.2004 über Euro 4.129,34“), ist aus der Sicht des Bundesministeriums für Justiz – selbstverständlich unvorgreiflich der unabhängigen Rechtsprechung – auszuführen, dass das dargestellte Beispiel als exemplarisch für eine unschlüssige Klage anzusehen ist. Die Tatsache, dass ein Anspruch nicht mit „normaler“ Klage, sondern als Mahnklage eingebracht wird, bedeutet nicht, dass § 26 ZPO nicht mehr gilt. Es sind an die Anforderungen der Schlüssigkeit dieselben Maßstäbe anzulegen wie bei einer sonstigen Klage. Aus diesem Grund wurde mit der Zivilverfahrens-Novelle 2002 ausdrücklich in § 244 Abs. 2 Z 4 ZPO aufgenommen, dass der Zahlungsbefehl auch dann nicht erlassen werden darf, wenn die Klage unschlüssig ist. Damit sollten gerade Mahnklagen wie die hier als Beispiel angeführte hintangehalten werden.

3.2.2. LG Salzburg Arbeits- und Sozialgericht:

Die arbeits- und sozialgerichtlichen Abteilungen des LG Salzburg sind derzeit aus Raumnot in einer Expositur untergebracht.

Nach jahrelangen Bemühungen der Justiz hat das Innenressort nun die "Rudolfskaserne" aufgekündigt, sodass das Bezirksgericht Salzburg in absehbarer Zeit zur Gänze dort untergebracht werden kann. Dadurch werden im Landesgerichtsgebäude Räume frei, die für den Platzbedarf der Staatsanwaltschaft im Hinblick auf die StPO-Reform 2008 sowie für eine Rückübersiedlung der ausgelagerten Abteilungen verwendet werden.

3.3.     Einzelfälle

Abschließend wird darauf hingewiesen, dass den im Bericht dargestellten Einzelfällen die Präsidenten der Oberlandesgerichte erforderlichenfalls nachgehen und Abhilfemaßnahmen ergreifen werden. Darüber hinaus wurde der Wahrnehmungsbericht 2004/2005 des Österreichischen Rechtsanwaltskammertages auch den zuständigen Fachabteilungen im Haus zur Kenntnis gebracht.

**Genehmigungsdatum**
Für die Bundesministerin:
**Genehmiger(in)**

Elektronisch gefertigt

 

Anmerkung der Parlamentsdirektion:

 

Die vom Bundesministerium übermittelten Anlagen stehen nur als Image (siehe Anfragebeantwortung gescannt) zur Verfügung.



[1] Rechtssache C-305/05.