4612/AB XXII. GP

Eingelangt am 14.09.2006
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BM für Land- und Forstwirtschaft, Umwelt und Wasserwirtschaft

 

 
Anfragebeantwortung

 

 

 

 

 

 

JOSEF PRÖLL

Bundesminister

 

 

An den                                                                                               Zl. LE.4.2.4/0079-I 3/2006

Herrn Präsidenten

des Nationalrates

Dr. Andreas Khol

 

Parlament

1017 Wien                                                                                        Wien, am 14. SEP. 2006

 

 

 

Gegenstand:   Schriftl.parl.Anfr.d.Abg.z.NR Dr. Eva Glawischnig-Piesczek,

Kolleginnen und Kollegen vom 14. Juli 2006, Nr. 4692/J,

betreffend Schutz der Bevölkerung vor ionisierender Strahlung

bei großflächiger radioaktiver Verseuchung

 

 

 

 

 

 

 

Auf die schriftliche Anfrage der Abgeordneten Dr. Eva Glawischnig-Piesczek, Kolleginnen und Kollegen vom 14. Juli 2006, Nr. 4692/J, betreffend Schutz der Bevölkerung vor ionisierender Strahlung bei großflächiger radioaktiver Verseuchung, beehre ich mich Folgendes mitzuteilen:

 

Allgemeine Bemerkungen:

 

Im Bereich Notfallschutz bei nuklearen und radiologischen Zwischenfällen wurden in den letzten Jahren in Österreich eine Reihe von wichtigen Vorhaben umgesetzt, durch die die Behörden auf nukleare oder radiologische Notfälle möglichst frühzeitig, unter Umständen sogar vor einer Freisetzung an Radioaktivität, reagieren und adäquate Maßnahmen zum Schutz der  österreichischen Bevölkerung rechtzeitig treffen können. Dazu zählt:

 

·                     die Ausweitung der Vereinbarungen mit den österreichischen Nachbarstaaten zur frühzeitigen gegenseitigen Alarmierung und Informationsweitergabe bei Anlassfällen,

 

·                     die Modernisierung des österreichischen Strahlenfrühwarnsystems und Kopplung mit vergleichbaren Systemen in Nachbarstaaten Österreichs einschließlich der Errichtung von Luftmessstellen im Nahbereich von grenznahen ausländischen KKW,

 

·                     Installation von sogenannten Entscheidungshilfesystemen zur Abschätzung möglicher Auswirkungen eines nuklearen oder radiologischen Zwischenfalls basierend auf Prognosen der atmosphärischen Ausbreitung freigesetzter radioaktiver Substanzen und die Kopplung dieser Systeme mit entsprechenden Einrichtungen in Nachbarstaaten.

 

Damit stehen den österreichischen Behörden nunmehr im Anlassfall wichtige Informationen aus einem benachbarten Land direkt für die Maßnahmenfestlegung zur Verfügung.

 

Was die rechtlichen Grundlagen zur Bewältigung nuklearer oder radiologischer Zwischenfälle anbelangt, gelten zur Zeit in Österreich Regelungen auf Basis der „Rahmenempfehlungen für die Festlegung und Durchführung von Maßnahmen zum Schutz der Bevölkerung vor ionisierender Strahlung in Fällen großräumiger radioaktiver Verunreinigung“, die 1992 von der österreichischen Strahlenschutzkommission ausgearbeitet wurden.

 

Künftig soll für diesen Bereich eine „Verordnung zu Interventionen bei radiologischen Notfällen und bei dauerhaften Strahlenexpositionen (IntStrSchV)“ als rechtliche Grundlage dienen. Damit soll den Anforderungen des österreichischen Strahlenschutzgesetzes (§ 36l) entsprochen und zugleich die verpflichtende Umsetzung von Artikel 48 bis 53 der Richtlinie 96/29/EURATOM in österreichisches Recht durchgeführt werden. Darüber hinaus werden in dieser Verordnung auch die Ausweitungen und Modernisierungen der österreichischen Notfallsysteme und die Vereinbarungen zur frühzeitigen Informationsweitergabe mit Nachbarstaaten entsprechend berücksichtigt.

 

Die Erstellung der IntStrSchV liegt in der Kompetenz des Bundesministeriums für Land- und Forstwirtschaft, Umwelt und Wasserwirtschaft. Aufgrund der Tatsache, dass Interventionen bei radiologischen Notfällen auch andere Bundesministerien und Behörden in den Bundesländern betreffen, erfolgt eine Diskussion und Abstimmung des Verordnungsentwurfs in einer Unterarbeitsgruppe der Fachgruppe Strahlenschutz des Staatlichen Krisen- und Katastrophenschutzmanagements (SKKM), in der alle betroffenen Behörden vertreten sind.

 

 

 

 

Zu Frage 1:

 

Ein wesentlicher Inhalt der geplanten Verordnung ist die Festlegung von Interventionsrichtwerten für Sofortmaßnahmen zum Schutz der Bevölkerung bei radiologischen Notfällen. Interventionsrichtwerte sind zu erwartende Dosiswerte für die Bevölkerung bzw. Höchstwerte für die Aktivitätskonzentration in Nahrungs- und Futtermittel aufgrund einer radiologischen Notstandssituation. Beim Überschreiten dieser Werte sind entsprechende Gegenmaßnahmen in Betracht zu ziehen. Dies betrifft vor allem folgende mögliche Maßnahmen:

 

·                     das Verbleiben in Häusern,

 

·                     die Einnahme von Kaliumiodidtabletten zur Blockade der Aufnahme des radioaktiven Iods in die Schilddrüse,

 

·                     Evakuierung der Bevölkerung sowie

 

·                     Einschränkungen des Inverkehrbringens von Nahrungsmitteln und der Nutzung von Futtermitteln.

 

Bei den im Entwurf vorgesehenen Dosiswerten handelt es sich um Richtwerte. Im Unterschied zu starren Grenzwerten haben die Behörden im konkreten Anlassfall die Möglichkeit, ereignisspezifische Faktoren bei der Umsetzung der Schutzmaßnahmen zusätzlich zu berücksichtigen. Die zurzeit diskutierten Interventionsrichtwerte sind jene Werte, die von internationalen Organisationen wie der WHO und der IAEO empfohlen werden.

 

Was die Einschränkungen des Inverkehrbringens von Nahrungsmitteln und der Nutzung von Futtermitteln anbelangt, wurden von der EU für verschiedene Nuklidgruppen Höchstwerte für die Aktivitätskonzentration für verschiedene Nahrungs- und Futtermitteln festgelegt (Verordnungen: 87/3954/EURATOM, 89/2218/EURATOM und 90/770/EURATOM). Im Fall einer radiologischen Notstandssituation würden diese festgelegten Höchstwerte per Verordnung der Kommission EU-weit zur Anwendung kommen. Zusätzlich ist vorgesehen, dass eine Sachverständigengruppe innerhalb eines Monats dem Rat einen Vorschlag zur Anpassung der oben genannten Verordnung bzw. zur Beibehaltung dieser Verordnung vorlegt.

 

Um im Anlassfall möglichst rasch reagieren zu können, soll durch den gegenständlichen Entwurf der IntStrSchV festgelegt werden, dass in einer radiologischen Notstandssituation die EU-Höchstwerte für Aktivitätskonzentrationen in Nahrungs- und Futtermitteln bereits vor dem Inkrafttreten einer EU-weiten Verordnung in Österreich durch Schubladenverordnungen der Länder erlassen werden sollen. Damit würden von Anfang an eindeutige und einheitliche Festlegungen gelten, was die behördliche Umsetzung von Maßnahmen zum Schutz der Bevölkerung wesentlich erleichtern würde.

 

Zu Frage 2:

 

Die zur Zeit in Österreich für Sofortmaßnahmen geltenden Regelungen sind in der selben Größenordnung wie die, die in der künftigen Verordnung vorgesehen sind und sich an internationalen Empfehlungen orientieren. Der spezifisch österreichischen Vorgangsweise, für Kinder und Jugendliche niedrigere Interventionsrichtwerte festzulegen, wird dabei Rechnung getragen. Somit kann von keiner grundlegenden Verbesserung oder Verschlechterung gegenüber dem jetzigen Niveau gesprochen werden.

 

In den Nachbarländern Österreichs sind unterschiedliche Interventionsgrenzen für Sofortmaßnahmen festgelegt; es gibt bis jetzt keine einheitliche EU-weite Regelung. Allerdings geht der internationale Trend in den letzten Jahren hin zur Harmonisierung dieser Festlegungen. Dies würde im Fall von grenzüberschreitenden Auswirkungen von radiologischen Notfällen sicherstellen, dass die betroffenen Staaten beiderseits der Grenze vergleichbare Maßnahmen zur Strahlenschutzvorsorge treffen. Eine uneinheitliche Vorgangsweise würde zu einer zusätzlichen Verunsicherung der Bevölkerung führen. Österreich unterstützt daher die Harmonisierung der Interventionsrichtwerte.

 

Was die Einschränkungen des Inverkehrbringens von Nahrungsmitteln und der Nutzung von Futtermitteln anbelangt, so wurden – wie ausgeführt – die Aktivitätshöchstwerte bereits durch EURATOM-Verordnungen festgelegt und sind im Anlassfall per Verordnung der Kommission EU-weit anzuwenden. Die österreichische Forderung nach der Festlegung niedrigerer Grenzwerte ist bei der Erstellung der EURATOM-Verordnungen von den anderen Mitgliedstaaten einhellig abgelehnt worden; eine Abänderung dieser Verordnungen steht derzeit nicht zur Diskussion.

 

Zu Frage 3:

 

Die Verordnung zu Interventionen bei radiologischen Notfällen und bei dauerhaften Strahlenexpositionen wird in absehbarer Zeit – je nach Fortschritt in der SKKM-Arbeitsgruppe – noch im Jahr 2006 in Begutachtung gehen. Die Erlassung der Verordnung wird so rasch wie möglich nach Einarbeitung allfälliger Stellungnahmen erfolgen.

 

Zu Frage 4:

 

Neben der „Verordnung zu Interventionen bei radiologischen Notfällen und bei dauerhaften Strahlenexpositionen“ befindet sich zur Zeit die „Verordnung über Maßnahmen zum Schutz von Personen vor erhöhter Exposition durch terrestrische natürliche Strahlenquellen“ in meinem Ressort in Ausarbeitung und soll ebenfalls noch 2006 in Begutachtung gehen.

 

Diese beiden Verordnungen werden nach der Novellierung des österreichischen Strahlenschutzgesetzes 2002 und 2004 und dem Inkrafttreten der Allgemeinen Strahlenschutzverordnung, der Medizinischen Strahlenschutzverordnung und der „Verordnung über Maßnahmen zum Schutz des fliegenden Personals vor kosmischer Strahlung“ die Umsetzung der Richtlinie 96/29/EURATOM in österreichisches Recht komplettieren.

 

 

Der Bundesminister: