4/ABPR XXII. GP

Eingelangt am 19.04.2007
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Präsidentin des Nationalrates

Anfragebeantwortung

 

 

                                                                                                                          Wien, 2007 04 19

                                                                                                         GZ.11020.0040/1-L1.1/2007

 

 

A N F R A G E B E A N T W O R T U N G

 

Die Abgeordneten Theresia Haidlmayr, Kolleginnen und Kollegen haben am 22. Februar 2007 an die Präsidentin des Nationalrates die schriftliche Anfrage 2/JPR betreffend Beseitigung von Benachteiligungen für Menschen mit Behinderungen in der Hausordnung für die Parlamentsgebäude (HO 2006) gestellt.

 

Diese Anfrage beantworte ich wie folgt:

Einleitend möchte ich betonen, dass mir die Anliegen von behinderten Menschen ein besonderes Anliegen sind. Behindertengerechtes Bauen erschöpft sich aber nicht nur in der Ermöglichung des Zuganges zu Objekten und der Bereitstellung behindertengerechter WC-Anlagen, sondern umfasst natürlich auch die Sicherstellung der Evakuierung im Brandfall. Gewöhnliche Lifte dürfen aus Sicherheitsgründen nämlich niemals im Brandfall benützt werden und dies ist folglich auch im Historischen Parlamentsgebäude verboten. Erst die Sicherstellung der Evakuierung und damit der Schutz von Gesundheit und Leben der Behinderten ermöglicht ein selbstbestimmtes und möglichst uneingeschränktes Leben und garantiert die damit verbundene Bewegungsfreiheit. Anzustreben ist gemäß der ÖNORM 1600 generell eine selbständige Evakuierungsmöglichkeit für behinderte Menschen.

 

Das historische Parlamentsgebäude ist brandschutztechnisch durch das fast vollständige Fehlen von Brandabschnitten gekennzeichnet und ergibt sich damit im Brandfall für die darin befindlichen Menschen ein höheres Gefahrenpotential.

 

Vorausschauend wurde daher frühzeitig und in späterer Folge laufend die Forderung erhoben, Umbauten so anzulegen, dass eine selbständige Evakuierungsmöglichkeit für Rollstuhlfahrer/innen zumindest aus dem Erdgeschoß und dem 1. Stock, in dem sich die wichtigsten Säle und Ausschusslokale befinden, ermöglicht wird.

 

Die Situation stellt sich derzeit aber noch so dar, dass sich Rollstuhlfahrer/innen im Brandfall nach wie vor überhaupt nur aus wenigen Bereichen des Erdgeschosses (Bereich Tor Schmelingplatz-Mitte und Tor 3) selbständig ins Freie retten können. Auch aus den im Erdgeschoß liegenden Teilen des ÖVP- und SPÖ-Klubs sowie der Bibliothek ist dies nicht möglich, da man überall nur über Stufen ins Freie gelangen kann. 90% des Hauses sind daher für Rollstuhlfahrer/innen nur dann benutzbar, wenn ihre Evakuierung durch Sicherheitspersonal, das hiefür nur in begrenzter Zahl zur Verfügung steht, sichergestellt werden kann (Rollstuhlfahrer/innen müssten derzeit im Brandfall über die Stiegenhäuser händisch hinuntergetragen werden). Hinzu kommt, dass meist nicht bekannt ist, wo sich gerade in dem weiträumigen Haus und in welchem Stockwerk Rollstuhlfahrer/innen aufhalten.

 

Unter anderem aus diesem Grund wurde unter meinem Vorgänger die Neufassung der Hausordnung in Angriff genommen und den baulichen Gegebenheiten entsprechend - nach Durchführung eines Begutachtungsverfahrens unter Einbindung aller damals im Parlament vertretenen Klubs - im Einvernehmen mit der Präsidialkonferenz erlassen. Es wurde sogar ein eigenes Kapitel betreffend Rollstuhlfahrer/innen in die Hausordnung 2006 aufgenommen. Dieses lautet:

 

 

„VI. Rollstuhlfahrer/innen

48. Rollstuhlfahrer/innen und schwerst

gehbehinderte Personen

 

 

a) Rollstuhlfahrern/innen und schwerst gehbehinderten Personen ist der Zugang zu allen für eine selbständige Evakuierung im Brandfall ausgebauten Teile der Parlamentsgebäude gestattet. Der/Die Präsident/in legt in Absprache mit der Präsidialkonferenz in einer Richtlinie die für eine selbständige Evakuierung im Brandfall ausgebauten Teilen der Parlamentsgebäude fest. Die Grenzen dieser Bereiche (insbesonders bei Liften) sind deutlich zu kennzeichnen.

 

 

b) Für behinderte Mandatare, Regierungsmitglieder und alle weiteren zur Teilnahme an den parlamentarischen Verhandlungen Berechtigten sowie von diesen Personen gemäß den Geschäftsordnungen (Nationalrat, Bundesrat, Ständiger gemeinsamer Ausschuss nach § 9 F-VG 1948) beigezogene Bedienstete und nach diesen Geschäftsordnungen geladenen Personen ist der Zugang nach lit. c jederzeit von der Sicherheitsabteilung in die für ihre parlamentarische Arbeit erforderlichen Räumlichkeiten sicherzustellen.

 

 

c) In andere als nach lit. a gekennzeichnete Teile dieser Gebäude ist Rollstuhlfahrern/innen und schwerst gehbehinderten Personen der Zugang in Absprache mit der Sicherheitsabteilung insoweit zu ermöglichen, als von dieser eine unverzügliche Evakuierung sichergestellt werden kann (z.B. durch Begleitung mittels geeigneter Evakuierungshelfer/innen). Nach Möglichkeit hat eine Voranmeldung zu erfolgen. Es sind auch die Ziffern 28 lit. c und 45 zu beachten.

 

 

d) Rollstuhlfahrer/innen und schwerst gehbehinderte Personen ohne Dauerzutrittskarte können sich in die für eine selbständige Evakuierung im Brandfall nicht ausgebauten Teile der Parlamentsgebäude begeben, wenn sie von der ortskundigen Person, die sie in einem Parlamentsgebäude empfängt bzw. eine Führung oder Hausbegehung durchführt, – beim Eingangstor abgeholt, und – ständig begleitet werden (zwecks allfälliger Unterstützung der durch die Sicherheitsabteilung zu veranlassenden Evakuierung über die Stiegenhäuser, da Lifte im Brandfall nicht benützt werden dürfen). Diese Person hat bei einem Räumungsalarm sofort die Sicherheitszentrale telefonisch zu verständigen.“

 

 

Auch die Klubs wurden in der Hausordnung verhalten, auf die Bedürfnisse von behinderten Menschen, insbesonders deren sichere Evakuierung im Brandfall, Bedacht zu nehmen:

 

 

„45. Zutritt

Der Zutritt zu den Räumen der Klubs ist unter Bedachtnahme auf die Bestimmungen des Abschnittes III gemäß den Anordnungen gestattet, die seitens der Klubs hinsichtlich der ihnen überlassenen Räume getroffen werden. Hierbei hat der Klub auf die Bedürfnisse von behinderten Menschen, insbesonders deren sichere Evakuierung im Brandfall, Bedacht zu nehmen.“

 

 

Die behindertengerechte Umgestaltung des Parlamentsgebäudes ist ein Mehrjahresprogramm, wobei eine 100-prozentige Barrierefreiheit vermutlich erst in sieben bis zehn Jahren erreicht werden kann. Priorität hat dabei nach wie vor die barrierefreie Erreichbarkeit des ersten Stockes. Die Fassung der neuen Ziffer 48 ist so flexibel gefasst, das bei jedem weiteren be-hindertengerechten Teilausbau des Parlamentsgebäudes (selbständige Evakuierungsmög-lichkeit) ohne Änderung der Hausordnung Rollstuhlfahrern/innen und schwerst gehbehinderten Personen ein selbständiger Zugang bzw. eine selbständige Zufahrt zu diesen Teilen der

Parlamentsgebäude gestattet werden kann. In diesem Lichte muss aktuell auch das zitierte Schreiben der Parlamentsdirektion vom 2. März 2004 (ZI.33000.0040/10- A2.2/2004) gesehen werden.

 

Um die Evakuierung bis dahin zu erleichtern und im Ernstfall für die behinderten Menschen auch komfortabler zu machen, werde ich einen neu entwickelten Evakuierungsstuhl für Treppen testen lassen.

 

 

Zu Frage 1:

Nein.

Das Bundes-Behindertengleichstellungsgesetzes ist am 1. Jänner 2006 in Kraft getreten. Gemäß der Übergangsfrist in § 19 Abs. 2 sind die Bestimmungen dieses Bundesgesetzes hinsichtlich baulicher Barrieren im Zusammenhang mit Bauwerken, die auf Grund einer vor dem 1. Jänner 2006 erteilten Baubewilligung errichtet wurden, bis zum 31. Dezember 2015 nur insoweit anzuwenden, als eine bauliche Barriere rechtswidrig errichtet wurde.

Es trifft zu, dass in der Hausordnung 2006 für Teile der Parlamentsgebäude die Begleitung durch Evakuierungshelfer/innen vorgesehen ist, was als diskriminierend empfunden werden könnte. Die Aufhebung dieser Bestimmung würde allerdings zu dem noch unbefriedigenderen Ergebnis führen, dass die für eine selbständige Evakuierung im Brandfall nicht ausgebauten Teile der Parlamentsgebäude für Rollstuhlfahrer/innen und schwerst gehbehinderte Personen aus Gründen der Sicherheit nicht generell zugänglich gemacht werden könnten. Die Bestimmungen der HO 2006 stellen somit nur die Reflexion auf die baulichen Barrieren der vorhandenen Bausubstanz dar.

 

 

Zu Frage 2:

Andere Bestimmungen, die laut dem Bundes-Behindertengleichstellungsgesetzes in meinem Einflussbereich diskriminierend sind, sind mir nicht bekannt.