43/ABPR XXII. GP
Eingelangt am 27.03.2006
Dieser Text ist elektronisch textinterpretiert. Abweichungen vom Original sind
möglich.
Der
Präsident des Nationalrates
Anfragebeantwortung
Die Abgeordneten Mag. Gisela Wurm,
Kolleginnen und Kollegen haben am 2. März 2006 an den
Präsidenten
des Nationalrates die schriftliche Anfrage 44/JPR betreffend elektronische
Einbringung und
Unterstützung von Bürgerinitiativen gerichtet.
Diese Anfrage beantworte ich wie folgt:
In Anbetracht der grundsätzlichen
Bedeutung des in der Anfrage angeschnittenen Themas habe
ich
im Interesse einer möglichst einvernehmlichen Vorgangsweise die
Präsidialkonferenz in
deren
Sitzung am 23. März 2006 befasst. Der Präsidialkonferenz lag dabei nachstehende
von
der
Parlamentsdirektion ausgearbeitete Information vor:
„Die Vorsitzende des Ausschusses für
Petitionen und Bürgerinitiativen Abg. Mag. Wurm hat in
der Anfrage 44/JPR an
den Präsidenten des Nationalrates die elektronische Einbringung und
Unterstützung von Bürgerinitiativen
thematisiert.
Schon derzeit sind Texte der Bl im
Internet abrufbar. Für eine elektronische Einbringung und
Unterstützung von Bl bestehen allerdings
derzeit nach § 100 Abs. 2 GOG nicht die
geschäftsordnungsmäßigen
Voraussetzungen. Es wäre somit eine Änderung der
Geschäftsordnung erforderlich, um diesem Anliegen Rechnung tragen zu
können.
Die Parlamentsdirektion hat Beispiele
in anderen Parlamenten erhoben (siehe Anlage).
Gemeinsam ist
diesen, dass wesentlich weniger strenge Voraussetzungen für die Einbringung
solcher Initiativen bestehen. So ist etwa
die Unterstützung einer „Petition" beim schottischen
Regionalparlament nicht an
Staatsangehörigkeit oder Wohnort in Schottland gebunden.
Die EDV-Kosten einer etwa dem
schottischen oder dem - davon abgeleiteten - deutschen
Modell
entsprechenden Lösung können derzeit nur abgeschätzt werden; sie dürften in der
Größenordnung von € 40.000 bis 60.000 liegen. Dazu kommen dann noch
Personalkosten für
die
Wartung und Moderation. Daneben ist für allfällige Lizenzrechte und sonstige
Leistungen mit
einem Aufwand von weiteren € 10.000 pro Jahr zu rechnen.
Sollte die Parlamentsdirektion
beauftragt werden, eine Realisierung dieses Vorhabens
durchzuführen,
wäre es sinnvoll, im Rahmen einer Arbeitsgruppe ein Sollkonzept zu erstellen.
Die technische
Umsetzung eines einmal definierten Sollkonzepts könnte bei entsprechender
Priorisierung innerhalb von drei Monaten
geschehen.
Der Rechts- und
Legislativdienst hat zur Frage einer diesbezüglichen Anpassung des
Geschäftsordnungsgesetzes
folgende Überlegungen angestellt:
Rechtsgrundlage für Petitionen ist Artikel 11 StGG 1867.
Demnach steht das Petitionsrecht
jedermann zu. Petitionen unter einem
Gesamtnamen dürfen nur von gesetzlich anerkannten
Körperschaften oder Vereinen
ausgehen.
In Ausführung des Art
11 StGG ist die GOG - Novelle 1988 ergangen, die das Instrument der
Bürgerinitiative
für österreichische Staatsbürger vorsieht, die das 19. Lebensjahr vollendet
haben.
Nur unter bestimmten Voraussetzungen sind Bürgerinitiativen vom Nationalrat zu
verhandeln.
Das Erfordernis der Schriftlichkeit in
§ 100 Abs 1 und 2 GOG - NR könnte im Zuge der
Einführung der
elektronischen Einbringung und Unterstützung von Bl durch die Zulässigkeit der
Verwendung der online - Formulare ergänzt
werden.
Nach den „Grundsätze(n) des
Petitionsausschusses über die Behandlung von Bitten und
Beschwerden
(Verfahrensgrundsätze) des Bundestages der Bundesrepublik Deutschland" ist
z.B.
geregelt:
„4. Schriftform
(1) Petitionen sind schriftlich einzureichen. Die Schriftform ist bei Namensunterschrift gewahrt.
Bei elektronisch übermittelten Petitionen
ist die Schriftlichkeit gewahrt, wenn der Urheber und
dessen Postanschrift ersichtlich sind und das
im Internet für elektronische Petitionen zur
Verfügung gestellte Formular verwendet wird (elektronischer Ersatz der
Unterschrift)."
Aus der Sicht des RL
- Dienstes spricht nichts dagegen, eine ähnliche Formulierung im GOG -
NR
vorzusehen.
Unter einem könnte
das erforderliche Alter für die Unterstützer an das gesetzliche Wahlalter von
18 Jahren nach § 21
Nationalratswahlordnung angepasst werden."
In der
Präsidialkonferenz bestand auf meinen Vorschlag Einvernehmen, die sich im
Zusammenhang
mit der elektronischen Einbringung von Bürgerinitiativen ergebenden Fragen
wie auch andere
Themen für eine GO-Reform im Geschäftsordnungskomitee zu behandeln.
Anlage
E-Petitionen - internationale Beispiele
Die Recherche der Parlamentsdirektion ergab einige Umsetzungsbeispiele für e-Petitionen -
namentlich sind dies das schottische Regionalparlament, der Deutsche Bundestag und das
Regionalparlament von Queensland (Australien).
Für alle Beispiele gilt, dass die gesetzlichen Voraussetzungen für Petitionen an das
Parlament in allen genannten Ländern anders (z.T. weniger strikt) sind als in Österreich.
Eine parlamentarische Bürgerinitiative, wie wir sie kennen, gibt es nicht.
Das in Schottland und Deutschland angewandte System kennt eine Einschränkung
hinsichtlich des Textumfangs von elektronisch eingereichten Petitionen. Allerdings ist in
beiden Ländern die Frage der eindeutigen Identifizierung durch eigenhändige Unterschrift
oder Angabe der Reisepassnummer kein Diskussionspunkt.
Hinsichtlich der Themen der Petitionen gibt es, ähnlich wie in Österreich, Einschränkungen
(Kompetenzverteilung, unabhängige Justiz u.ä.), außerdem dürfen Petitionen z.B. keine
falschen oder diffamierenden Inhalte haben und müssen datenschutzrechtliche Aspekte
berücksichtigen.
e-Petitionen im schottischen Parlament
The International Teledemocracy
Centre (ITC) has been working with the Scottish Parliament since
1999, researching the design and management
of an electronic petitioning System for the Public
Petitions Committee of the Parliament. We have had a formal contract with The
Scottish Parliament
from November 2002 to 2005 to provide a hosted electronic petitioning
service to the Public Petitions
Committee (PPC) and research and report on e-engagement using the e-Petitioner
tool. Importantly,
the research has provided higher-level
insights into the mechanisms that need to be built into
electronic participation Systems to
appreciate how, where and why people use them.
In November 2005 the ITC, in partnership with British Telecom (BT), began a new
period of supporting
the ePetitioner for the Parliament.
BT are providing a secure hosted electronic petitioning service to
the PPC for two years and in that time
the ITC will manage the service and research further
developments.
The e-petitioning system allows any
Citizen to raise and sign an e-petition, or to add comments to an
online discussion if they wish. The e-petitioning management process is
seamlessly integrated with
procedures for handling paper petitions,
which Citizens can choose to use instead of or in conjunction
with e-petitions. The project demonstrates that by explicitly supporting
e-petitioning, parliaments and
other public sector actors can establish a dynamic platform for Citizens to
highlight issues through
Channels that are convenient for them, and
to watch their concerns progress through the stages of
public decision-making. It is
enabling the Scottish Parliament to address the decline in civic
engagement that has become
widespread in Europe.
(Zitat:
http://www.e-petitioner.org.uk/)
Nach rund vierjährigen Entwicklungszeit wurde das System im Februar 2004 offiziell
eingeführt.
Auf der Website des schottischen Parlaments findet der/die Benutzer/in eine gute Einführung
in das System als auch das entsprechende Kontaktformular (template) zur Einreichung.
dzt. 88 e-petitions abrufbar
Insgesamt 131 offene Petitionen und 812 „closed petitions"
Website: http://epetitions.scottish.parliament.uk/
Öffentliche Petitionen im deutschen Bundestag
In Deutschland gibt es von jeher
Einzel-, Sammel- und Massenpetitionen. Das Petitionsrecht
nach Art. 17 Grundgesetz (GG) gibt jedermann das Recht, sich einzeln oder in
gemeinschaft
mit anderen
schriftlich an die Volksvertretung zu wenden. Elemente der direkten Demokratie
bietet ansonsten auf Bundesebene lediglich
Art 29 GG, der zur Neugliederung des
Bundesgebietes Volksentscheid und
Volksbefragung vorsieht. Auf Länderebene gibt es
indes mehr Elemente der direkten
Demokratie.
Die Geschichte der elektronischen
Petitionen ist im Zusammenhang mit den Bestrebungen in
Richtung
e-Parlament zu sehen. Für die Fraktionen standen hier immer zwei Aspekte im
Vordergrund:
•
Welchen
Vorteil/Nutzen bringt der elektronische Weg für die Bürger/innen?
•
Welchen Vorteil/Nutzen bringt der elektronische Weg für das parlamentarische
Verfahren?
Diese Fragen wurden in Bezug auf die elektronische
Einbringung von Petitionen seit Anfang
2003 aufgeworfen. Im Lauf dieses Jahres wurde
nach Vorbildern gesucht - und in
Schottland mit dem System
e-petitioner gefunden. Im September 2004 wurden dann die
entsprechenden Anträge von Abgeordneten im Deutschen Bundestag
eingebracht. Für die
Abgeordneten war dabei nicht nur der
rechtliche Aspekt (vgl. Richtlinie zur
Verfahrensordnung, s.u.) sondern
auch die technische Umsetzung von Bedeutung. Das Jahr
2005 wurde zur Umsetzung genutzt,
wobei die vorgezogene Bundestagswahl vom
September 2005 eine raschere
Umsetzung nötig machte.
Auch deshalb hat man
sich für eine Verwaltungsvereinbarung zwischen den Schottischen
Parlament
und dem Deutschen Bundestag zur Nutzung des e-petitioner-Systems
entschieden. Diese
Vereinbarung bedeutete, dass die „Öffentliche Petition" über den Server
der Napier University Edinburgh abgewickelt
wird. Diese Vereinbarung sieht Basiskosten von
etwa 30.000C für die zweijährige Erprobungszeit + Nebenkosten vor.
Für eine Neuentwicklung wurde mit etwa 50.000€ gerechnet.
Neuere Entwicklung lassen aber auch ein
Public Private Partnership Modell möglich
erscheinen,
das die Kosten für Entwicklung, Nutzung und Wartung ggf. weiter senken
könnte.
Die Umsetzung erfolgte in zwei Schritten:
• Es wurde die Möglichkeit geschaffen, per E-mail eine Petition einzubringen. Nachdem
eine Petition im Deutschen Bundestag keine Mindestanzahl
an Unterstützer/innen
aufweisen muss, ist
das relativ häufig der Fall. Seitdem diese Möglichkeit geschaffen
wurde, sind auch Mehrfachpetitionen
zulässig, d.h. mehrere Personen schicken zu
einem Thema jeweils eine eigene Petition. Diese werden dann
zusammengefasst.
Website: http://www.bundestag.de/ausschuesse/a02/petition/index.asp
• Als neues Instrument wurde die sog. „Öffentliche Petition" eingeführt. Diese wird
ebenfalls per E-mail eingebracht, darüber
hinaus jedoch auf der Website des
Deutschen Bundestages
für andere Bürger/innen zur Unterschrift „aufgelegt" und ein
Diskussionsforum zum Thema für die
Zeitspanne, in der unterschrieben werden
kann, eingerichtet. Name,
Bundesland/Wohnsitzland sowie Datum der
Unterzeichnung werden auf der
Website veröffentlicht.
Website: http://itc.napier.ac.uk/e-Petition/bundestag/
Für beide Möglichkeiten gibt es auf der Website ein Kontaktformular, das dann per E-mail an
die Verwaltung des Deutschen Bundestages versandt werden kann.
Aufwand:
•
finanzieller Aspekt: s.o.
•
Personal: Im Büro des Petitionsausschusses ist eine
Vollzeitkraft des gehobenen
Dienstes (juristische Grundkenntnisse)
mit der Betreuung der Diskussionsforen
betraut. Diese kontrolliert mehrmals täglich die Diskussionsbeiträge und löscht
unlautere
Einträge. Bei schwierigen Einzelfällen helfen je nach Thema
unterschiedliche
Jurist/innen (Anzahl der Ansprechpartner/innen: 15)
Erste Erfahrungen:
• Derzeit werden etwa
10 Prozent der Petitionen
mittels des Kontaktformulars
eingebracht. Öffentliche Petitionen
gibt es derzeit etwa 75, wobei hier angemerkt
werden muss, dass fast die doppelte
Anzahl eingebracht wurde, fast 50 Prozent
jedoch abgelehnt werden mussten. Das
lag z.T. an den Themen, aber auch an nicht
der Würde des Hauses entsprechenden Inhalten.
Insgesamt: pro Monat
rund 1.000 (sic!) Petitionen. Etwa 80% werden vom Parlament
behandelt;
2005 betrafen ca. 50% der Petitionen „Bitten zur Gesetzgebung". In den
14
Ausschuss-Sitzungen des Jahres 2005 wurden 232 Petitionen einzeln behandelt.
Darüber hinaus gab es 64 Sammelübersichten,
die mehrere tausend Petitionen in
Kurzform darstellten. Nach der
Formierung des neu gewählten Deutschen
Bundestages wurde die Möglichkeit der
elektronischen Einbringung ziemlich gut
angenommen.
•
Die
Beteiligung in den Diskussionsforen ist sehr rege, das Nutzerverhalten ist
jedoch
der Würde des Hauses nicht immer angepasst -
Probleme mit der sog. Netikette
treten im Gegensatz zum schottischen
Parlament sehr wohl auf. Aus diesem Grund
wird derzeit auch eine Anpassung der „Richtlinie für die Behandlung von
öffentlichen
Petitionen (öP) fgem. Ziff 7.1(4) der
Verfahrensgrundsätze" diskutiert. Manche
Probleme entstehen nämlich offenbar
auch aufgrund der zu unbestimmten Begriffe in
dieser Richtlinie.
•
Das Büro für Technikfolgenabschätzung beim Deutschen
Bundestag soll darüber
hinaus
mit einer Evaluierung des neuen Instruments der öffentlichen Petitionen
beauftragt
werden, in der es u.a. auch um den Nutzen für den parlamentarischen
Prozess
gehen soll. Darüber hinaus muss auch der Ablauf, z.B. Moderation der
Diskussionsforen,
einer Evaluierung unterzogen werden (z.B. Wie stellt man eine
kontinuierlich
gleiche Art der Moderation sicher?)
Australien - Queensland
Das System ist seit 2002 online; es ist nur für Bürger/innen und Bewohner/innen von
Queensland offen. Man verpflichtet sich außerdem zu richtigen Angaben zur eigenen
Person, wenn man eine e-Petition unterzeichnet. Bei Zuwiderhandeln sind Strafen
vorgesehen.
Im Parlament in Queensland ist auch eine Mischform aus papierener und elektronischer
Petition zulässig.
Der Prozess einer e-Petition kann aber nur gestartet werden, wenn ein/e Abgeordnete/r sich
für das jeweilige Thema einsetzt.
Auch in Queensland funktioniert die Einreichung über ein Kontaktformular (request form).
Dieses wird dann vom/von der unterstützenden Abgeordneten im Parlament eingebracht.
Die e-Petionen „liegen" zumindest 1 Woche und längstens 6 Monate zur Unterstützung auf
der Website „auf“. Es ist dezidiert festgelegt, dass die Rolle des Parlaments lediglich darin
besteht, den Prozess zu erleichtern, nicht jedoch eine Petition zu bewerben. Jede Person,
die eine e-Petition unterstützen will muss zuerst die oben genannten Bedingungen
akzeptieren, bekommt dann eine „random identification number", die man gemeinsam mit
Name und Adresse (inkl. Postleitzahl) und e-mail-Adresse bei der Unterstützung angeben
muss. Alle diese Angaben werden nicht auf der Website veröffentlicht - dort ist lediglich die
Anzahl der Unterstützungen ablesbar.
Website: http://www.parliament.qld.qov.au/EPetitions
QLD/HTML/index.htm