Abweichende persönliche Stellungnahme

gemäß § 42 Abs. 5 GOG

der Abgeordneten Dr. Evelin Lichtenberger

zum Bericht des Verkehrsausschusses über die Regierungsvorlage (204 der Beilagen): Bundesgesetz, mit dem das Bundesgesetz über Seilbahnen erlassen wird (Seilbahngesetz 2003 – SeilbG 2003), und mit dem das Eisenbahngesetz 1957 geändert wird

Das neue Seilbahngesetz dient zunächst der Umsetzung der EU-Richtlinie 2000/9/EG über Seilbahnen für den Personenverkehr, mit der vor allem spezifische Sicherheitsbestimmungen für das Seilbahnwesen verankert werden. Diese europäische Regelung ist wie die erstmalige gesonderte Regelung des Seilbahnwesens außerhalb des Eisenbahngesetzes im Grundsatz positiv. Die Umsetzung der unter maßgeblicher Mitwirkung Österreichs entstandenen EU-Richtlinie erfolgt allerdings erst eineinhalb Jahre nach dem in der Richtlinie vorgegebenen Datum und damit grob verspätet. Dies ist bedauerlich und nicht geeignet, die politische Priorität des Themas Seilbahnsicherheit in Österreich zu unterstreichen. Die verspätete Umsetzung wird zudem die bereits in den nächsten Monaten fällige Berichterstattung über die Anwendung der Richtlinie gegenüber der EU-Kommission erschweren.

Im Mittelpunkt der erstmaligen spezifischen bundesgesetzlichen Regelung des Seilbahnwesens stand offenkundig die Bewältigung des Seilbahnunglücks von Kaprun sowie die künftige diesbezügliche Prävention. Die Bedeutung dieses Aspekts wird auch von den Grünen unterstrichen. Gerade deshalb erscheinen aber manche Neuregelungen wie die bloß fünfjährigen Prüfintervalle zuwenig weitgehend. Zugleich mit einer Verschärfung und Präzisierung von Sicherheits- und Brandschutzvorgaben werden mit dem Seilbahngesetz aber auch eine Reihe von Deregulierungsschritten gesetzt und Zuständigkeiten an die Länder übertragen. Dies führt aber zu zahlreichen zusätzlichen Schnittstellen, negative Auswirkungen auf die Seilbahnsicherheit sind damit vorprogrammiert. Unabhängig davon ist festzuhalten, dass die in der Regierungsvorlage klar dokumentierte personelle Unterdotierung der Seilbahnbehörde im BMVIT, an der sich auch drei Jahre nach Kaprun noch nichts geändert hat, aus Sicherheitsperspektive indiskutabel und ein schweres Versäumnis der politisch Verantwortlichen ist.

Neben der unbestritten wichtigen Sicherheitsfrage sind wichtige andere Aspekte der Regulierung des Seilbahnwesens allerdings generell zu kurz gekommen. Es hätte anlässlich dieser Neuregelung die - wohl einmalige - Chance bestanden, die für Seilbahnen anachronistischen Sonderregelungen aus dem Eisenbahnwesen zu überdenken und zugunsten eines fortschrittlichen Anlagerechts abzuschaffen. Das Seilbahnwesen steht in einer besonders sensiblen Beziehung zu Aspekten des Umweltschutzes und des Nachbarschaftsschutzes. In beiden Bereichen wurde das Seilbahnwesen bisher denselben großzügigen Sonderregelungen wie das Eisenbahnwesen insgesamt unterworfen. Der grundsätzliche sachliche Unterschied zwischen den öffentlichen Verkehrszwecken dienenden Eisenbahnen und den jedenfalls in Österreich nahezu ausschließlich der Freizeitindustrie dienenden und entlang kommerzieller und nicht „gemeinnütziger“ Leitlinien operierenden Seilbahnen ist aber mehr als offensichtlich. Die Chance, diesen sachlichen Unterschieden und inhaltlichen Erfordernissen endlich Rechnung zu tragen, wurde vollumfänglich versäumt, im Gegenteil gibt es sogar weitere Rückschritte in einigen Bereichen.

Im einzelnen sind folgende Punkte besonders kritisch zu beurteilen:

+      Das neue Gesetz knüpft am veralteten Eisenbahngesetz an, der Schutz der Umwelt wird nicht eigens verankert, Nachbarschaftsschutz ist nicht gegeben.

+      So bleibt die völlig unangebrachte Enteignungsmöglichkeit nach dem Eisenbahnenteignungsgesetz für Grundeigentümer oder dinglich Berechtigte (Pächter), die sich weigern, Grund und Boden zur Verfügung zu stellen, unverändert bestehen.

+      Das neue Seilbahngesetz regelt auch die bisher nach der Gewerbeordnung zugelassenen Schlepplifte. Während nach der Gewerbeordnung Vorhaben nur zulässig sind, wenn sie keine unzumutbare Beeinträchtigung von Eigentum und Wohlbefinden der Nachbarn sowie der Umwelt mit sich bringen, entfällt dieser Schutz der Nachbarn ersatzlos. Hier tritt also eine massive Verschlechterung ein. Eine vergleichbare Rechtlosstellung der Nachbarn auch bei nachteiligen Wirkungen, wie sie in §42 des Gesetzes zum Ausdruck kommt, ist sonst nur mehr bei militärischen Anlagen anzutreffen. Hier kommt eine krasse politische Überbewertung des Seilbahnwesens und – wie beispielsweise die Stellungnahme des Landes Tirol im Begutachtungsverfahren gezeigt hat – einzelner ihrer prominenten Proponenten zum Ausdruck, die für die Grünen weder nachvollziehbar noch unterstützenswert ist.

+      Sowohl aus Umwelt- als auch aus Budgetperspektive ist weiters außerordentlich bedenklich, dass Genehmigungen ohne Rücksicht auf die Gefahrenzonenplanung oder Raumordnung erfolgen können, wodurch in Umkehrung des Verursacherprinzips eine öffentliche Hand genehmigt, eine zweite womöglich für nötig werdende Folgemaßnahmen bei Lawinen- und Wildbachverbauung oder Hochwasserschutz in Anspruch genommen wird, der Nutzen einseitig beim verursachenden Unternehmen bleibt.

+      Sehr fragwürdig ist die Festlegung, dass Genehmigungen auch ohne Abwarten rechtskräftiger Rodungsbewilligung und naturschutzrechtlicher Genehmigung erfolgen können, wodurch Druck auf entsprechende Entscheidungen in diesen Feldern und somit unangebrachte Realisierungssachzwänge entstehen.

+      Eine einigermaßen ernsthafte Berücksichtigung von Umweltaspekten wird daher weiterhin nur bei derjenigen Minderheit von Seilbahnprojekten erfolgen, die vom UVP-Gesetz erfasst sind, das sind Errichtung und Erweiterung von Schigebieten erst ab einer Größenordnung von 20 ha bzw. 10 ha in Schutzgebieten. Nur Neuerschließungen von Gletscherschigebieten fallen ohne Mindestschwelle unter das UVP-G (siehe UVP-G Anhang 1, Zif 12). Vorhaben unter diese Schwelle sind nach dem Seilbahngesetz zu beurteilen, nur in besonderen Fallkonstellationen kommen auch das Forstgesetz (Rodungen), das Wasserrechtsgesetz (z.B. Beschneiungsanlagen) und das jeweilige Naturschutzgesetz (Situierung in Schutzgebieten) zur Anwendung. Dies ist insgesamt unzureichend und wurde nicht korrigiert.

+      Die Anbindung von Seilbahnerschließungen an den Öffentlichen Verkehr als Genehmigungsvorgabe, die bisher bestenfalls in der Vollzugspraxis des BMVIT einfließen konnte, hat nun zwar Berücksichtigung im Seilbahngesetz gefunden, allerdings nur in einer außerordentlich zurückhaltenden Formulierung. Dies wird unter anderem den deutlich weiter gehenden Verpflichtungen der Alpenkonvention zu diesem Thema klar nicht gerecht.

+      Generell wurde verabsäumt, die seit 18.12.2002 verpflichtenden und seitdem in Österreich auch bei der Novellierung von Gesetzen direkt anzuwendenden Bestimmungen der Alpenkonvention zu berücksichtigen. Besonders im Verkehrsprotokoll (touristische Aufstiegshilfen und Fragen des Öffentlichen Verkehrs), Tourismusprotokoll (Ausrichtung der touristischen Entwicklung und Aufstiegshilfen) und Bodenschutzprotokoll (Auswirkungen touristischer Infrastrukturen) sind für das Seilbahnwesen und seine Regulierung wesentliche Verpflichtungen enthalten, die auch in das Seilbahngesetz einzufließen hätten.

+      Im Hinblick auf die Abtragung stillgelegter Anlagen und das Ausmaß der Wiederherstellung des ursprünglichen Zustandes wird den zuständigen Landeshauptleuten freiere Hand als bisher gelassen, derartige Schritte auch zu unterlassen.

+      Laut Erläuterungen könnten in Zukunft auch „gemeinnützige Vereine“ als Errichter und Betreiber von Seilbahnen auftreten. Hier wird möglicherweise eine Tür für neuerliche ungerechtfertigte Privilegien, diesmal in steuerlicher Hinsicht, geöffnet, welche grundsätzlich abzulehnen sind.

+      Schließlich sind die im Gesetz vorgesehenen Strafhöhen gerade auch bei gravierenden Verstößen gegen Sicherheits- und Brandschutzbestimmungen klar unzureichend.

+      Es ist auch bedauerlich, dass das Gesetz keinen unmittelbaren Anknüpfungspunkt für ein neues bundesweites Seilbahnkonzept bietet, das im Sinne einer nachhaltigen Entwicklung des Gesamtsektors dringend nötig wäre und seit 1978(!) einer Aktualisierung harrt.

Insgesamt wird im Gesetzestext somit trotz einzelner positiver Ansätze eindeutig Interessen der Seilbahnwirtschaft überproportional entgegengekommen, während Interessen des Umweltschutzes und des Anrainerschutzes bei weitem nicht das erforderliche Gewicht erhalten.

Aus diesen Gründen lehnen die Grünen das Seilbahngesetz ab.

 

Dr. Evelin Lichtenberger