379 der Beilagen zu den Stenographischen Protokollen des Nationalrates XXII. GP

 

Bericht

des Justizausschusses

über die Regierungsvorlage (294 der Beilagen): Bundesgesetz, mit dem das Strafgesetzbuch, die Strafprozessordnung 1975, das Gerichtsorganisationsgesetz, das Auslieferungs- und Rechtshilfegesetz und das Strafvollzugsgesetz geändert werden (Strafrechtsänderungsgesetz 2003),

über die Regierungsvorlage (309 der Beilagen): Bundesgesetz, mit dem das Strafgesetzbuch geändert wird und

über die Bürgerinitiative betreffend „Höhere Strafen für Kindesmissbrauch“ (10/BI)

Durch die Regierungsvorlage 294 der Beilagen soll die Reform des Sexualstrafrechts fortgeführt werden, um gesellschaftlichen Entwicklungen, insbesondere dem gestiegenen Respekt vor der Persönlichkeit des Menschen und seinem Recht auf sexuelle Selbstbestimmung Rechnung zu tragen. Dem Schutz von Minderjährigen vor sexueller Ausbeutung wird durch Ausweitung der Tatbestände gegen Kinderpornographie und des Missbrauchs eines Autoritätsverhältnisses sowie Bestimmungen gegen die Förderung der Prostitution von Minderjährigen und der Mitwirkung von Minderjährigen an pornographischen Darbietungen zentrale Bedeutung beigemessen. Damit sollen auch mehrere Rechtsakte der Europäischen Union, des Europarats und der Vereinten Nationen umgesetzt werden. Wegen der Nähe zur Problematik der sexuellen Ausbeutung werden auch ergänzende Bestimmungen zur verstärkten Bekämpfung des Menschenhandels vorgeschlagen, die inhaltlich wesentlich von umzusetzenden Rechtsakten der Vereinten Nationen und der Europäischen Union beeinflusst sind. Weitere Änderungen betreffen weitgehend technische Anpassungen im Bereich des Strafgesetzbuches. Auch in der Strafprozessordnung, im Gerichtsorganisationsgesetz sind vorwiegend technische Anpassungen vorzunehmen. Im Auslieferungs- und Rechtshilfegesetz wird – neben weiteren technischen Anpassungen – das Verfahren zur Bewilligung der Auslieferung eines Betroffenen im Hinblick auf das Erkenntnis des VfGH vom 12. Dezember 2002, G 151, 152/02-15, mit dem der zweite Satz im § 33 Abs. 5 ARHG aufgehoben wurde, neu gestaltet. Die geringfügigen Änderungen im Strafvollzugsgesetz sollen Bedürfnissen von Wissenschaft und Praxis Rechnung tragen.

Die Regierungsvorlage 309 der Beilagen enthält Änderungen des Strafgesetzbuches, durch welche die Verpflichtungen aus dem EU-Rahmenbeschluss vom 28. Mai 2001 zur Bekämpfung von Betrug und Fälschung im Zusammenhang mit unbaren Zahlungsmitteln  umgesetzt werden sollen. Im StGB sollen mehrere neue Tatbestände für Tathandlungen im Zusammenhang mit unbaren Zahlungsmitteln, z.B. Kreditkarte, Bankomatkarte, Wechsel, Scheck und Reisescheck, sowie eine Definition dieser Zahlungsmittel eingefügt werden. Auf Grund der Umsetzungsverpflichtungen aus dem EU-Rahmenbeschluss werden ferner Anpassungen einzelner Tatbestände des StGB, insbesondere im Bereich des Urkundenstrafrechts vorgenommen.

Die Bürgerinitiatve Nr. 10 wurde dem Nationalrat am 18. September 2003 unterbreitet. Diese fordert eine drastische Erhöhung der Strafen für Kindesmissbrauch. Die mehr als 40.000 UnterzeichnerInnen der Initiative verlangen unter anderem eine massive Anhebung des Strafrahmens für die Produktion und den Konsum von Kinderpornographie. In schweren Fällen sollten die Täter mit lebenslanger Haft bedroht werden. Sexualverbrechen sollten grundsätzlich höher bestraft werden als Vermögensdelikte.

Der Justizausschuss hat die beiden Vorlagen und die Bürgerinitiative in seinen Sitzungen am 11. Dezember 2003 und am 20. Jänner 2004 in Verhandlung genommen. Die Berichterstattung erfolgte durch Abgeordnerten Mag. Dr. Josef Trinkl.

Den weiteren Beratungen im Ausschuss wurde einstimmig die Regierungsvorlage 294 der Beilagen zu Grunde gelegt.

In der Sitzung am 11. Dezember 2003 wurden folgende Expertinnen bzw. Experten gehört: Robert Altenburger, Univ.Prof. Dr. Ernst Berger, Dr. Helmut Graupner und Univ.Lektorin Prof. Dr. Rotraud A. Perner.

An den Debatten beteiligten sich außer dem Berichterstatter die Abgeordneten Mag. Terezija Stoisits, Dr. Helene Partik-Pablé, Mag. Barbara Prammer, Dr. Gertrude Brinek, Bettina Stadlbauer, Mag. Walter Tancsits, Mag. Johann Maier, Mag. Gisela Wurm, Mag. Elisabeth Grossmann, Dr. Johannes Jarolim, Mag. Eduard Mainoni, Dr. Christian Puswald, Detlev Neudeck und Mag. Karin Hakl sowie der Bundesminister für Justiz Dr. Dieter Böhmdorfer  und die Ausschussobfrau Abgeordnete Mag. Dr. Maria Theresia Fekter .

Im Zuge der Debatte am 20. Jänner 2004 haben die Abgeordneten Mag. Dr. Maria Theresia Fekter und Detlev Neudeck einen umfassenden Abänderungsantrag eingebracht.

Dieser Antrag war wie folgt begründet:

„Zu Art I (Änderungen des Strafgesetzbuches):

Zu Art. I Z 4 lit. a (§ 74 Abs. 1 Z 4 StGB):

Im Hinblick auf die mittlerweile vorliegende RV betreffend ein Bundesgesetz über die justizielle Zusammenarbeit in Strafsachen mit den Mitgliedstaaten der Europäischen Union (EU-JZG), 370 der Beilagen,  ist nunmehr absehbar, dass in nächster Zeit eine einfachgesetzliche Rechtsgrundlage u.a. für den Einsatz von Beamtinnen und Beamten aus anderen Mitgliedstaaten der Europäischen Union im Rahmen von gemeinsamen Ermittlungsgruppen geschaffen werden wird.  Diese zu erwartende Entwicklung soll bereits in der Ergänzung der Beamtendefinition nach § 74 Abs. 1 Z 4 vorweggenommen werden, um eine weitere Änderung in naher Zukunft zu verhindern.

Zu Art. I Z 8 (§ 106 StGB):

Der Justizausschuss hält es für angezeigt, die Strafdrohung in § 106 Abs. 2 für den Fall, dass die Nötigung den Selbstmord oder einen Selbstmordversuch der genötigten Person zur Folge hat, von derzeit sechs Monaten bis zu fünf Jahren auf Freiheitsstrafe von einem bis zu zehn Jahren anzuheben.

In Abs. 3 soll eine an § 104a Abs. 4 angelehnte weitere Qualifikation mit einer Strafdrohung von einem bis zu zehn Jahren Freiheitsstrafe aufgenommen werden (vgl. auch Ministerialentwurf JMZ 318.016/6-II.1/2003). An sich könnte im Hinblick auf Artikel 5 Abs. 2 des Entwurfs für einen Rahmenbeschluss des Rates vom 22. Dezember 2003 zur Bekämpfung der sexuellen Ausbeutung von Kindern und der Kinderpornographie, Abl. Nr. L 12 vom 20. 1. 2004, S 44,  mit der Strafdrohung nach § 106 Abs. 1 StGB das Auslangen gefunden werden. Der Justizausschuss hält es jedoch für angezeigt, bei den Strafdrohungen gegen sexuelle Ausbeutung nicht im unteren Bereich des durch den Rahmenbeschluss vorgegebenen Rahmens für die Mindesthöchststrafdrohung zu bleiben.

Zu Art. I Z 14 und 15 (§§ 201 und 202 StGB):

Während beim schweren sexuellen Missbrauch von Unmündigen (§ 206 StGB) und bei der Schändung (§ 205 StGB, künftig Sexueller Missbrauch einer wehrlosen oder psychisch beeinträchtigten Person) nach geltendem Recht der Eintritt einer Schwangerschaft bei der missbrauchten Person qualifizierend iSv strafsatzerhöhend wirkt, ist eine solche Qualifikation in den §§ 201 und 202 idgF nicht vorgesehen. Bei Unmündigen (§ 206) und psychisch beeinträchtigten Personen (§ 205) erscheint die Qualifizierung schon wegen der erhöhten Gefahr des Eintritts von Problemschwangerschaften gerechtfertigt, die sich aus der körperlichen oder psychischen Entwicklung oder Verfassung des Opfers ergeben können. Aber auch eine aus einer Vergewaltigung oder geschlechtlichen Nötigung resultierende Schwangerschaft kann sowohl die körperliche als auch die seelische Belastung der betroffenen Frau bedeutend erhöhen, z.B. im Falle einer Fehlgeburt oder wenn die Mutter durch die bloße Existenz des Kindes fortdauernd an die bedauernswerten Umstände erinnert wird, unter denen sie es empfangen hat. Ebenso würde die Entscheidung für einen Abbruch einer unerwünschten Schwangerschaft einen nicht unerheblichen Eingriff in den Körper der Frau nach sich ziehen, abgesehen davon, dass bereits der Entscheidungsprozess für oder gegen eine Abtreibung mit großen und auch über diesen Prozess hinaus fortdauernden seelischen Belastungen verbunden sein kann. Aus diesem Grund war auch in der Stammfassung des StGB (BGBl. Nr. 60/1974) in den Fällen von Notzucht (§ 201) und Nötigung zum Beischlaf (§ 202) eine höhere Strafdrohung für die durch die Tat herbeigeführte Schwängerung vorgesehen (EB zu RV StGB, 30 BlgNR XIII. GP S. 345). Diese Qualifikation ist erst im Zuge der Umgestaltung der §§ 201 bis 203 in der Stammfassung durch die Strafgesetznovelle 1989 (BGBl. Nr. 242/1989), zumal ohne nähere Begründung, weggefallen (JAB 927 BlgNR XVII. GP, S. 3f). Im Hinblick auf die ähnlich gravierenden Auswirkungen auf das Opfer wie bei den nach geltendem Recht strafsatzerhöhenden Folgen bzw. Begleitumständen der Tat hält es der Justizausschuss für angezeigt, den Eintritt einer Schwangerschaft in die Deliktsqualifikationen aufzunehmen.

Zu Art. I Z 17 (§ 205 StGB):

Im Sinne eines verbesserten Schutzes des durch § 205 StGB erfassten Personenkreises soll die bisherige Differenzierung zwischen Beischlaf und beischlafsähnlichen Handlungen einerseits und sonstigen geschlechtlichen Handlungen andererseits aufgegeben werden. Wie bei der geschlechtlichen Nötigung (§ 202 StGB) soll beim Grunddelikt eine (einheitliche) Höchststrafe von bis zu fünf Jahren zur Verfügung stehen. Diese Änderung zieht auch Folgeänderungen bei den Qualifikationen nach sich.

Zu Art. I Z 18 (§ 207a StGB):

Im Hinblick auf die Verwerflichkeit der Verbreitung von Kinderpornographie und die mit der Entwicklung der Technik erleichterten Möglichkeiten der Herstellung und Verbreitung sowie Kommerzialisierung solcher Produkte erscheint es dem Justizausschuss angezeigt, die in der Regierungsvorlage 294 der Beilagen vorgeschlagenen Strafsätze für Handlungen nach Abs. 1 und 2 jeweils um eine Stufe anzuheben. Hinsichtlich des Besitzes von Kinderpornographie erscheint eine Differenzierung zwischen mündigen und unmündigen Minderjährigen angebracht, weshalb die Strafdrohung für den Besitz von pornographischen Darstellungen mit unmündigen Minderjährigen auf Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahre angehoben werden soll. Auch hier sollen letztlich die im Entwurf eines Rahmenbeschlusses des Rates vom 22. Dezember 2003 zur Bekämpfung der sexuellen Ausbeutung von Kindern und der Kinderpornographie vorgegebenen Mindestrahmen für die Höchststrafdrohung weiter ausgeschöpft werden.

Zu Art. I Z 22 (§ 214 StGB):

Im Sinne eines erhöhten Schutzes von Unmündigen hält es der Justizausschuss für angezeigt, für die entgeltliche Vermittlung von Sexualkontakten mit unmündigen Minderjährigen eine Strafdrohung von sechs Monaten bis zu fünf Jahren Freiheitsstrafe vorzusehen, was durch eine Trennung in zwei Absätze mit abgestuften Strafdrohungen zum Ausdruck gebracht werden soll. Stellt die Handlung gleichzeitig eine Beitragshandlung zum sexuellen Missbrauch von Unmündigen dar, wird Idealkonkurrenz mit §§ 12, 206 bzw. 207 StGB anzunehmen sein (Leukauf/Steininger, StGB3. § 214 Rz 10; Philipp in WrK2, § 214 Rz 11).

Zu Art. I Z 23 (§ 215a StGB):

Auch hier soll nach Ansicht des Justizausschusses bei der auf den Entwurf eines Rahmenbeschlusses des Rates vom 22. Dezember 2003 zur Bekämpfung der sexuellen Ausbeutung von Kindern und der Kinderpornographie zurückgehenden Qualifikation in Abs. 2 in Bezug auf Unmündige der durch den Rahmenbeschluss vorgegebene Mindestrahmen für die Höchststrafdrohung weiter ausgeschöpft werden.

Zu Art. 1 Z 27 (§ 218 StGB):

Der Vorschlag betreffend Einfügung eines (neuen) Tatbestandes gegen sexuelle Belästigung ist im Allgemeinen auf Zustimmung gestoßen. Es wurden jedoch auch Befürchtungen geäußert, dass die konkrete Ausgestaltung in der Fassung der Regierungsvorlage – mangels näherer Einschränkung im Tatbestand selbst – den Strafbarkeitsbereich zu weit ausdehnen könnte (vgl. etwa Schmoller schon in seiner Stellungnahme zum Begutachtungsentwurf). In diesem Sinn erscheint es dem Justizausschuss angezeigt, den Tatbestand stärker zu konturieren, als dies in der Regierungsvorlage der Fall ist. Ohne Einbuße in der Praxisrelevanz und Effizienz der Bekämpfung sexueller Belästigungen soll dies konkret dadurch geschehen, dass der Tatbestand ausdrücklich auf geschlechtliche Handlungen am Körper des Opfers sowie auf solche Handlungen vor dem Opfer (im Sinne der Rechtsprechung zu § 208 StGB) beschränkt wird. Dabei bekräftigt der Justizausschuss, dass dem Begriff Belästigung wesensimmanent ist, dass es sich um für die damit konfrontierte Person Unerwünschtes handeln muss. Während dies für geschlechtliche Handlungen am Körper der betroffenen Person – abgesehen davon, dass sich das Opfer tatsächlich belästigt fühlt – ohne weiteres genügen soll, soll bei den weniger unmittelbaren (belästigenden) Handlungen vor einer Person das dem geltenden § 218 entnommene Kriterium der Eignung, berechtigtes Ärgernis zu erregen, hinzutreten müssen, um gegebenenfalls eine Strafbarkeit nach dieser Bestimmung auslösen zu können.

Während also der Justizausschuss in Bezug auf geschlechtliche Handlungen, die vom Täter – wenn auch nur bedingt vorsätzlich – auf die Belästigung einer oder mehrerer ins Auge gefasster Einzelpersonen ausgerichtet sind, gegenüber der Regierungsvorlage Raum für eine Einschränkung der Strafbarkeit im vorstehenden Sinn erblickt, besteht nach Ansicht des Justizausschusses andererseits weiterhin ein Anwendungsbereich für einen strafrechtlichen Konfrontationsschutz vor Belästigungen über den individuellen Bereich hinaus. Für diesen Bereich wird die Beibehaltung des geltenden § 218 als neuer Abs. 2 mit der Maßgabe vorgeschlagen, dass (auch) hier der Begriff der unzüchtigen Handlung durch den Begriff der geschlechtlichen Handlung ersetzt werden soll.

Das Antragserfordernis für die Verfolgbarkeit einer Belästigung durch eine geschlechtliche Handlung soll nur für den Bereich des Abs. 1 gelten und daher nur insoweit, als nicht Tatbildlichkeit im Sinne des Abs. 2 gegeben ist.

Zu Art. I Z 26 der Regierungsvorlage 294 der Beilagen (§ 219 StGB):

Nach Auffassung des Justizausschusses erscheint ein Entfall dieser Bestimmung nicht geboten.

Zu Art. II (Änderungen der Strafprozessordnung):

Die Frage der anwaltlichen Vertretung des Beschuldigten während einer kontradiktorischen Vernehmung (Artikel II Ziffern 4 bis 6 der Regierungsvorlage 294 der Beilagen) soll im Hinblick auf  die Diskussion über die Verbesserung der Verteidigungsrechte im Zusammenhang mit der Regierungsvorlage eines Strafprozessreformgesetzes (25 der Beilagen XXII. GP) erörtert werden.“

Ein weiterer Abänderungsantrag wurde von den Abgeordneten Dr. Johannes Jarolim und Mag. Terezija Stoisits eingebracht.

Bei der Abstimmung wurde der in der Regierungsvorlage 294 der Beilagen enthaltene Gesetzesentwurf in der Fassung des oben erwähnten umfassenden Abänderungsantrages der Abgeordneten Mag. Dr. Maria Theresia Fekter und Detlev Neudeck teils einstimmig teils mit Stimmenmehrheit angenommen. Der Abänderungsantrag der Abgeordneten Dr. Johannes Jarolim und Mag. Terezija Stoisits fand nicht die Zustimmung der Ausschussmehrheit.

Die Bürgerinitiative betreffend „Höhere Strafen für Kindesmissbrauch“ (10BI) und die Regierungsvorlage 309 der Beilagen gelten durch diese Beschlussfassung als miterledigt.


Als Ergebnis seiner Beratungen stellt der Justizausschuss somit den Antrag, der Nationalrat wolle dem angeschlossenen Gesetzentwurf die verfassungsmäßige Zustimmung erteilen.

Wien, 2004-01-20

Mag. Dr. Josef Trinkl Mag. Dr. Maria Theresia Fekter

       Berichterstatter                     Obfrau