Abweichende persönliche Stellungnahme
gemäß § 42 Abs.5 GOG
der Abgeordneten Maga.
Terezija Stoisits
zum Bericht des Justizausschusses über die Regierungsvorlage eines
Bundesgesetzes, mit dem die Strafprozessordnung 1975 neu gestaltet wird
(Strafprozessreformgesetz) (25 d.B.),
über den Antrag der Abgeordneten Maga.
Terezija Stoisits und KollegInnen betreffend Reform der Verfahrenshilfe im
Strafprozess (228/A(E)) und
über die Bürgerinitiative betreffend
„Rechtsanspruch auf Verfahrenshilfe für Geschädigte/Verbrechensopfer im
Strafverfahren – Strafprozessreformgesetz/ Regierungsvorlage“ (3/BI)
Gliederung
A. Allgemeiner Teil
1. Einleitung
2. Verfassungswidrigkeiten
in der StPO-Reform
3. Strafprozessreform
– Weisungsrecht
B. Besonderer Teil
1. Umfang
des Rechtschutzes im Vorverfahren (§§ 107 f)
2. Zur
prozessualen Rollenverteilung zwischen StA und Kriminalpolizei
3. Umfang
von Grundrechtseingriffen
4. Keine
Abschaffung der Vertrauensperson (§ 164)
5. Recht
des Beschuldigten auf angemessene Verteidigung
6. Opferrechte
7. Zeugenrechte
8. Keine
Einschränkung des außergerichtlichen Tatausgleichs
9. Abschaffung
der Bezirksanwälte
10. Entfall
der Anwesenheitspflicht in der Hauptverhandlung
A. Allgemeiner Teil
1. Einleitung
Die Reform des strafprozessualen
Vorverfahrens ist schon die längste Zeit überfällig gewesen.
Die Vorarbeiten haben vor bald drei Jahrzehnten nach der großen
Strafrechtsreform 1974 begonnen. Der Reformbedarf
war allgemein anerkannt, da das Vorverfahren im österreichischen Strafprozess
nie nach den Buchstaben der geltenden StPO aus dem Jahre 1873 durchgeführt
worden ist. Nach dieser hat die Kriminalpolizei überhaupt keine selbstständigen
Ermittlungsbefugnisse auszuüben. Das Vorverfahren sollte primär von
unabhängigen RichertInnen durchgeführt werden. Dennoch ist es jahrzehntelang
möglich gewesen, dass die Polizei völlig eigenständig – „pfannenfertig“ -
ermittelt. Eine derartige Praxis - wie viele
ExpertInnen meinen: contra legem - ist im engsten Kernbereich des Staates absolut unerträglich und eines demokratischen Rechtstaates unwürdig.
Wir haben dieses große Reformvorhaben stets
begrüßt und unterstützt. Der Grüne Parlamentsklub hat im November 1995 eine
Enquete im Parlament zur „ Reform des strafprozessualen Vorverfahrens – eine
Chance für den Rechtsstaat“, deren Ergebnisse auch in Buchform veröffentlicht wurden,
veranstaltet. Umso bedauerlicher ist es, dass weder Regierungsfraktionen noch
Justizminister Dr. Böhmdorfer bereit waren, die fachlich hervorragenden
Vorarbeiten aus dem Justizressort und die Kritik der ExpertInnen im
Unterausschuss zu einem konstruktiven Ende zu bringen. Wichtige
verfassungsrechtliche Bedenken, die Frage des Weisungsrechtes, die Kritik der
gesamten Rechtsanwaltschaft, offene Punkte beim Opferschutz, um hier nur die
wichtigsten Fragen zu nennen, sind schlussendlich einfach vom Tisch gewischt
worden. Justizminister Böhmdorfer und Ausschussvorsitzende Fekter haben
aus tagespolitischen Gründen – die Landtagswahl in Kärnten steht vor der Türe –
einen „billigen“ Erfolg einfahren wollen und deshalb einen politischen Konsens
auf breiter Ebene verspielt.
Seitens der Regierungsparteien bestand
keine Bereitschaft, die Frage des Weisungsrechts des
Justizministers zu diskutieren. Als Weisungsspitze der Staatsanwaltschaft hätte
sich eine BundesanwältIn, die vom Nationalrat mit qualifizierter Mehrheit
gewählt wird und dem Parlament verantwortlich ist, für eine verfassungskonforme
Lösung angeboten. Die Regierungsfraktionen wollen aber am völlig anachronistischen
Weisungsprivileg des Justizministers, das es in dieser Form in ganz Europa
nicht mehr gibt, unbedingt festhalten. Unberücksichtigt geblieben ist auch die
Forderung auf Verankerung der Staatsanwaltschaft als Anklagebehörde in der
Bundesverfassung.
Regierungsfraktionen und Justizministerium
haben sich in der Frage der Verfassungswidrigkeit
stets auf das Rechtsgutachten der Professoren Funk und Öhlinger berufen. Dieses
Gutachten wurde vom Justizministerium selbst in Auftrag gegeben und kam zu dem
Schluss, dass sich das Konzept des Entwurfes gerade noch im Rahmen des
verfassungsrechtlich Zulässigen bewege. Alle anderen Stimmen – darunter
gewichtige wie von Prof. Robert Walter und Prof. Heinz Mayer – blieben
ungehört. Bezeichnenderweise wurden im Unterausschuss als
VerfassungsexpertInnen auch nur die beiden Autoren des Ministerialgutachtens
beigezogen. Massiven Einwände wegen eines Verstoßes gegen das
Prinzip der Gewaltentrennung wurden schlichtweg ignoriert. Anstatt eine
verfassungsrechtlich „wasserdichte Lösung“ auf breitem Konsens anzustreben,
nimmt die Mehrheit das Risiko einer Aufhebung durch den Verfassungsgerichtshof
bewusst in Kauf. Die Regierungsfraktionen lehnten es ab, mit der Opposition die
wichtigen Verfassungsfragen zu erörtern, um doch eine Vier-Parteien-Einigung zu
erzielen. Damit siegt einmal mehr „speed kills“ über eine seriöse legistische
Lösung. Gerade die jahrelang vorbereitete Reform des strafprozessualen
Vorverfahrens hätte sich etwas Besseres verdient. Bisher war es in der Zweiten
Republik politischer Usus, derartig große Strafrechtsreformen im Konsens zu
verabschieden.
Wir haben die Grundidee der Reform immer
unterstützt: ein selbstständiges kriminalpolizeiliches Ermittlungsverfahren
unter staatsanwaltlicher Leitung und mit richterlichem Rechtsschutz entspricht
grundsätzlich sowohl den Erfordernisses der Praxis als auch einen effizienten
Rechtsschutz für die Betroffenen. Es ist aber überhaupt nicht daran gedacht, am
faktischen Übergewicht der Polizei im Strafprozess
etwas zu ändern. Das zeigt sich daran, dass die Staatsanwaltschaft von den
polizeilichen Ermittlungen in den allermeisten Fällen überhaupt erst nach drei Monaten informiert werden muss. Wovon die Staatsanwaltschaft keine Kenntnis hat, kann sie weder
leiten noch kontrollieren!
Bezeichnend ist auch, dass Innenminister Dr. Strasser sich an den
Vorberatungen nicht beteiligt hat, um die Auswirkungen der laufenden Polizeireform auf den künftigen Strafprozess zu erörtern.
Insbesondere warnen wir vor den in der Öffentlichkeit kolportierten Plänen, die
durch die Polizeireform nicht mehr benötigten PolizeijuristInnen
zu „StaatsanwältInnen“ umzuschulen. Das bewährte Prinzip, dass nur
StaatsanwältIn werden kann, wer zum RichterInnenamt zugelassen ist und damit
die gemeinsame Ausbildung von RichterInnen und StaatsanwältInnen absolviert
hat, muss gewahrt bleiben.
Bei den Verteidigerrechten
bleibt die Reform Vieles schuldig. Der unbeschränkte Verteidigerkontakt wird
auch in Zukunft nicht Regelfall sein, da Polizei und Staatsanwaltschaft die
Möglichkeit eingeräumt wird, VerteidigerInnen auszuschließen, wenn sie die
Ermittlungen gefährdet sieht. Darüber hinaus kann der Anwaltskontakt vor der
Einvernahme auf eine bloße Rechtsbelehrung
beschränkt werden. Immerhin konnte ein Vorschlag der Abgeordneten Dr.
Partik-Pablé, der eine noch weitgehendere verfassungs- und
menschenrechtswidrige Einschränkung des Verteidigerkontaktes vorgesehen hätte,
abgewendet werden. Die neue StPO erfüllt zwar gerade noch
die Standards der EMRK, Österreich bleibt aber mit diesen
Verteidigungsrechten Europäisches Schlusslicht.
Der Ausbau der Opferrechte
ist ein wesentliches Element der Reform. Dass die Opferrechte aber nicht durch
ein wirksames Rechtsmittel abgesichert sind, wird sie in der Praxis stark
relativieren. Dass die juristischen Prozessbegleitung
nur durch RechtsanwältInnen, nicht aber durch Opferschutzeinrichtungen möglich
ist, wird für viele Opfer von Gewalttaten sowohl zu einer finanziellen
Mehrbelastung als auch psychische Doppelbelastung führen. Opfer müssen
weiterhin ihr Schicksal doppelt darlegen. Der gemeinsame Entschließungsantrag
aller vier Fraktionen an den Justizminister, die Opferrechte vorzuziehen und
nicht erst 2008 um zu setzten, zeigt das gemeinsame Bemühen um die Verbesserung
der Opfersituation im Strafprozess. Der Vorbehalt nicht vorhandener personeller
und finanzieller Ressourcen würde der Absicht der Stärkung
der Position des Opfers widersprechen.
Wir bedanken uns bei allen ExpertInnen, die
bei diesem Reformwerk mitgearbeitet haben, insbesondere bei den beteiligten
MitarbeiterInnen des Justizressorts – allen voran Oberstaatsanwalt Mag. Christian
Pilnacek -, bei allen Fachleuten, die im parlamentarischen Unterausschuss mit
ihrer profunden Kritik wichtige Verbesserungen initiiert haben, und ganz
besonders Univ.-Ass. Dr. Alois Birklbauer und StA Dr. Walter Geyer, die unsere
Ausschussarbeit unterstützt haben.
2. Verfassungswidrigkeiten in der StPO-Reform
Der vorliegende Entwurf zur
Strafprozessreform ist aus verfassungspolitischer Sicht äußerst problematisch.
Das Justizministerium hat ein Gutachten in Auftrag gegeben und veröffentlicht.
Die Gutachter, Prof. Funk und Prof. Öhlinger kommen zwar zum Schluss, dass die
Reform auch ohne verfassungsrechtliche Absicherung möglich sein könnte. Es gibt
aber gewichtige Stimmen aus der Wissenschaft, die das ausschließen. Prof.
Walter und Univ.-Ass. Zeleny sowie Prof. Bertel haben ihre Bedenken in mehreren
Artikeln ausgeführt.
Auch bei der Frage der Verfassungsmäßigkeit
spielt die Frage des Weisungsrechtes des
Justizministers die Hauptrolle. Solange die
Staatsanwaltschaft dem Justizminister weisungsgebunden ist, ist sie eine
Administrativbehörde und keinesfalls Organ der unabhängigen Justiz. Die
Grünen fordern daher seit langem einer Verlagerung der
Weisungsspitze vom Justizminister zu einem neu einzurichtenden Bundesanwalt,
der vom Parlament mit qualifizierter Mehrheit gewählt wird und diesem
verantwortlich ist. Damit wäre gewährleistet, dass die einzelnen
StaatsanwältInnen nicht mehr den politischen Weisungen des Justizministers
ausgesetzt sind. Damit wäre aber auch gewährleistet, dass die
Staatsanwaltschaft nicht mehr eine normale Verwaltungsbehörde sind, sondern
Teil der Justiz. Die verfassungsrechtlichen Probleme wären
dann vom Tisch.
Solange sich der Justizminister sowie ÖVP
und FPÖ an diesem völlig anachronistischen Privileg festklammern, bleiben aber
etliche schwere verfassungsrechtliche Bedenken bestehen und steht das grundsätzlich
sinnvolle Konzept der ExpertInnen des Justizministeriums einer
kriminalpolizeilichen Ermittlung unter Leitung der Staatsanwaltschaft unter
richterlicher Kontrolle unter dem Damoklesschwert der Verfassungswidrigkeit:
- Die Reform
verstößt gegen den Trennungsgrundsatz in Art. 94 B-VG:
Nach
dem B-VG ist die Justiz von der Verwaltung in allen Instanzen getrennt. Nun
soll ein Rechtszug vom Verwaltungsorgan Staatsanwaltschaft zum Justizorgan
Gericht geschaffen werden. Das verstößt gegen den Trennungsgrundsatz.
Soweit Zwangsakte betroffen sind – verstößt es auch gegen das Recht, sich dagegen beim UVS zu beschweren (Art 129a B-VG)
und soweit Bescheide betroffen sind, gegen das Recht auf
Anrufung des Verfassungs- und des Verwaltungsgerichtshofes (Art 144 B-VG).
- Die Reform
verstößt gegen das Bundesgesetz über den Schutz der persönlichen Freiheit, das
Gesetz zum Schutz des Hausrechtes:
Verfassungsrechtlich
muss eine richterliche Bewilligung für Festnahmen oder Hausdurchsuchung
vorliegen. Der Entwurf sieht aber eine Bewilligung der Staatsanwaltschaft mit
richterlicher Bewilligung vor. Ich sehe darin kein Problem, weil ja eine
richterliche Bewilligung vorliegt und der Antrag des StA ein zusätzliches
Schutzinstrument für den Beschuldigten ist.
- Die Reform
verstößt gegen verfassungsrechtlich gewährleistete Grund- und Freiheitsrechte:
○ die zwangsweise
durchgeführte Blutabnahme gegen den Willen des Betroffenen. In der Straßenverkehrsordnung
ist dieser zwangsweise Eingriff in körperliche Unversehrtheit mit Verfassungsbestimmung
ausdrücklich verboten. Statt dessen ist lediglich vorgesehen, die Weigerung mit
einer Verwaltungsstrafe zu ahnden. Der zwangsweise Eingriff ist aber tabu. Nun
soll dieser Grundrechtseingriff im Strafverfahren einfachgesetzlich erlaubt
werden. Das ist verfassungsrechtlich höchst bedenklich! Weiters verstößt das
gegen das Grundrecht auf Menschenwürde (Art. 3 MRK).
○ Lockspitzel:
Der Kriminalpolizei soll auf Anordnung des Staatsanwalts erlaubt werden, sogar
unverdächtige Personen zu Delikten, zB Suchtmittelkauf, anzustiften. Nach dem
Verbrechen, das durch ein derartiges Scheingeschäft aufgeklärt werden soll,
fragt dann niemand. Strafverfahren, die auf derartigen Machenschaften basieren,
sind unfair und widersprechen dem Menschenrecht auf ein faires
Verfahren (Art. 6 MRK). Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte
lässt das Scheingeschäft nur zu, wenn es gerichtlich angeordnet ist und der
Verdächtigte mehr getan hat, als ihm die Polizei nahegelegt hat.
○ Die Dauer
des Polizeigewahrsams Der Festgenommene kann 48 Stunden in
Polizeigewahrsam bleiben. Die Gerichte haben weitere 48 Stunden bis über die
Verhängung der U-Haft entschieden wird. Diese Fristen stammen aus der
Postkutschenzeit und sind nicht mit dem Menschenrecht auf
Freiheit und Sicherheit (Art. 5 MRK) vereinbar. Die MRK verlangt, dass
der Festgenommene unverzüglich einem Richter vorgeführt wird, der unverzüglich
über die Haft zu entscheiden hat.
3.
Strafprozessreform – Weisungsrecht
Manche können das Wort Weisung schon nicht
mehr hören, das bei jedem Straffall mit politischer Implikation wie das
Ungeheuer vom Loch Ness in den Medien auftaucht, ohne dass man wüsste, ob es
wirklich existiert. Weisung ist längst zu einem Synonym für die Abhängigkeit
der Justiz, genauer: der StaatsanwältInnen vom Justizminister geworden. Wenn
eine Staatsanwältin über einen Verfahrensschritt zu entscheiden hat, der den
Regierungsparteien unangenehm ist - etwa ob bei Parteifreunden des Ministers
eine Hausdurchsuchung beantragt wird - tut sie dies im fröhlichen Bewusstsein,
dass über ihren nächsten Karriereschritt der Minister befinden wird. Unnötig zu
betonen, dass diese Konstellation weder auf die Entscheidung der Staatsanwältin
noch später auf die des Ministers auch nur irgendeinen Einfluss haben kann,
bekanntlich sind alle Menschen gut, Minister und StaatsanwältInnen sogar noch
besser.
Vordergründig geht es nur um ein
Befangenheitsproblem. In den „clamorosen“ Fällen ist der Justizminister als
Teil der Regierung „politisch befangen“, weil deren Ausgang den regierenden
Parteien nützen oder schaden kann. Wenn er oder ihm direkt unterstehende
Behörden in solchen Fällen eine Entscheidung treffen, wird diese immer Anlass
zur Kritik und für Misstrauen sein, völlig unabhängig von der Richtigkeit der
Entscheidung. Im Übrigen bewegt sich ein guter Teil zwischen richtig und falsch
im Ermessensbereich, oft ist die Vornahme einer Hausdurchsuchung genauso
begründbar wie ihre Unterlassung.
Im Grunde handelt es sich aber um die
Stellung der dritten Staatsgewalt schlechthin, um die Frage, wie viel Justiz
ein demokratischer Rechtsstaat braucht oder wie stark die dritte Gewalt
eingeschränkt werden kann. Als vor mehr als 130 Jahren die Strafprozessordnung
formuliert wurde, war unbestritten, dass (schon) die Klärung von Straftaten und
natürlich auch die Entscheidung über Unschuld oder Schuld (dann auch über die
Sanktion) Sache der Justiz ist. Der Untersuchungsrichter hat nach der geltenden
Prozessordnung entweder völlig selbstständig (im Rahmen einer Voruntersuchung)
oder über konkrete Anträge des Staatsanwaltes den Sachverhalt zu ermitteln,
während dem Staatsanwalt lediglich die Antragstellung und die Entscheidung über
Anklage oder Einstellung zukommt. Die Sicherheitsbehörde wiederum hat überhaupt
nur eine vorläufige Notkompetenz („wenn das unverzügliche Einschreiten des
Untersuchungsrichters nicht erwirkt werden kann“, § 24 StPO).
Die Realität hat sich von diesem Konzept
ziemlich weit entfernt. Dass Ermittlungen überwiegend selbstständig von den
Sicherheitsbehörden durchgeführt werden, mag schon aufgrund der personellen
Überlegenheit und der kriminalistischen Fachkompetenz selbstverständlich und
unvermeidbar sein. Gerade im Strafverfahren ist ein derartiger rechtlicher
Graubereich äußerst problematisch. Durchaus begründet wurden den
Anklagebehörden zunehmend mehr Aufgaben zugewiesen, zuletzt die „Diversion“,
bei der im unteren Kriminalitätsbereich vom Staatsanwalt auch die Sanktion
(z.B. Geldbuße oder sozialkonstruktive Leistung) vorgeschlagen wird, bei deren
Annahme es zu keinem Gerichtsverfahren (mit Verurteilung und Strafe) kommt.
Inzwischen werden mehr als drei Viertel aller Anzeigen gegen bekannte Täter von
den Anklagebehörden entschieden (ca. 50 % Einstellungen, Rest Diversion und
andere, unbedeutende Erledigungen), in weniger als 25 % der Fälle wird Anklage
erhoben.
Die geplante Reform des Vorverfahrens soll
das gesamte Vorverfahren verrechtlichen – eigentlich eine
Selbstverständlichkeit in einem demokratischen Rechtssaat. Der Entwurf lehnt
sich an die deutsche Regelung an. Seine klare Aufgabenverteilung – Ermittlungen
durch Polizei unter Leitung und Kontrolle der Staatsanwälte, während Richter
über Rechtseingriffe wie Hausdurchsuchungen, Telefonüberwachungen und
Untersuchungshaft entscheiden – ist grundsätzlich sachgerecht. Das Problem ist
nicht das Konzept des Entwurfes, sondern die Abhängigkeit der StaatsanwältInnen
von einem politischen Organ = die Einflussmöglichkeit des Ministers.
In den meisten Ländern Europas unterstehen
Staatsanwälte nicht dem Justizminister, in fast keinem anderen Land kann der
Minister wie ein absoluter Herrscher im Mittelalter als oberster Gerichtsherr
auf jeden einzelnen Straffall Einfluss nehmen. Zumeist werden StaatsanwältInnen
als Teil der dritten Gewalt angesehen, allerdings mit anderer Organisation und
Kontrolle als RichterInnen. Während RichterInnen in ihren Entscheidungen ad
personam unabhängig sind und einer nachträglichen Kontrolle durch Rechtsmittel
unterliegen, sind die einzelnen StaatsanwältInnen in der Regel nicht unabhängig
(Ausnahme Italien) und werden im vorhinein intern und durch ihre übergeordneten
Behörden kontrolliert. Dazu kommt eine wechselseitige Kontrolle, weil
Staatsanwälte nur Anträge bei Gericht stellen (und selbst keinen Grundrechtseingriff
vornehmen) können, während Gerichte wiederum ohne Anträge der Staatsanwälte
kaum Entscheidungen treffen dürfen und selbst letztlich der Kontrolle des
Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte unterliegen.
Die Auseinandersetzungen zwischen der
italienischen Justiz und Silvio Berlusconi oder der französischen und Jaques
Chirac sind nur möglich, weil weder der italienische Justizminister noch der
französische Einfluss auf StaatsanwältInnen, RichterInnen und einzelne
Verfahren haben. Über die Karriere von StaatsanwältInnen (und natürlich
RichterInnen) entscheidet dort letztlich der Oberste Justizrat (Selbstverwaltungskörper
der Justiz), die Regierung hat darauf keinen Einfluss. Ebenso wenig kann sie in
einzelne Verfahren durch Weisung eingreifen. Nur deswegen muss Belusconi
versuchen, Gesetze zu seinen Gunsten zu ändern, nur deswegen muss sich Chirac
auf seine Immunität als Präsident zurückziehen. Insofern funktioniert dort die
wechselseitige Kontrolle der Staatsgewalten. Von einer Situation wie in Österreich,
wo der Staatsanwalt den Justizminister berichten und um Erlaubnis fragen
müsste, ob und welche Erhebungen er im Zusammenhang mit der unternehmerischen
Tätigkeit eines Regierungsmitgliedes oder der Tätigkeit eines Parteifreundes
des Regierungschefs beantragen darf, können Berlusconi und Chirac nur träumen.
Sind StaatsanwältInnen Teil der Dritten
Gewalt und von der politischen Verwaltung unabhängig, dann ist eine Übertragung
von Aufgaben der Gerichten an sie – wie vor kurzem durch die Einführung der
Diversion oder jetzt durch die diskutierte StPO-Reform vorgesehen – eine
unproblematische Verschiebung innerhalb der Dritten Gewalt und kann nach rein
sachlichen Gesichtspunkten erfolgen. Andernfalls aber stellt dies eine weitere
Vergrößerung des Einflusses der Verwaltung dar, eine neue Grenzlinie, durch die
der Bereich Justiz noch schmäler, die politische Verwaltung noch mächtiger
wird.
Etliche strittige Fragen zum vorliegenden
Entwurf, ganz besonders die selbstständige Ermittlungsbefugnis der
RichterInnen, stellen sich nur deshalb, weil die Regierungsfraktionen starr am
Weisungsrecht des Justizministers festhalten. Würden sie auf dieses völlig
anachronistische Privileg, das es in dieser Form in ganz Europa nicht mehr
gibt, verzichten, wären etliche strittige Punkte der Reform mit einem Schlag
gelöst.
Wir fordern, dass die Weisungsspitze auf
eine Generalanwaltschaft, die vom Nationalrat mit qualifizierter Mehrheit
bestellt wird und dem Parlament verantwortlich ist, übergeht. Zusätzlich muss
die Unabhängigkeit der StaatsanwältInnen auch in Personalangelegenheiten
abgesichert werden. Selbstverständlich geht es aber nur um die Weisungsspitze
und nicht um eine Weisungsfreiheit der einzelnen StaatsanwältInnen. Die
behördeninterne Weisungszusammenhang bleibt selbstverständlich bestehen.
Interne staatsanwaltliche Weisungen sollen aber transparent sein – eine Weisung
soll grundsätzlich im Akt aufscheinen.
B. Besonderer Teil
1. Umfang des
Rechtschutzes im Vorverfahren (§§ 107 f)
- Der
in § 106 Abs 1 vorgesehene Ausschluss der Ermessensübung (abgesehen von den
Fällen missbräuchlicher Ermessensübung) führt dazu, dass zentrale Akte
polizeilicher Tätigkeit nicht mehr einer richterlichen Kontrolle unterliegen.
Der damit eingeschlagene Weg ist bedenklich.
- Auch
in § 107 Abs 3 gibt es eine zu große Beschränkung der Rechtsmittelmöglichkeiten im
Vorverfahren. Danach kann das Oberlandesgericht die Behandlung einer Beschwerde
ablehnen, wenn die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtfrage abhängt,
der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Gericht von der
Rechtsprechung des Oberlandesgerichtes oder des Obersten Gerichtshofs abweicht,
eine Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen
Rechtsprechung nicht einheitlich beantwortet wird. Diese Ablehnungsmöglichkeit
der Beschwerde sollte eingeschränkt werden (vgl Lambauer, Protokoll 6.11.2003,
29, Unterstützung Fuchs, Stellungnahme S 3).
2. Zur
prozessualen Rollenverteilung zwischen StA und Kriminalpolizei
- Generell
ist davon auszugehen, dass die Rolle der Kriminalpolizei gegenüber der StA zu
stark ausgestaltet ist. Im Abänderungsantrag gehen etliche Fälle des autonomen
kriminalpolizeilichen Handelns zu weit. Bezeichnend ist, dass gegenüber dem
seinerzeitigen Diskussionsentwurf in vielen Fällen (zB §§ E 6, 9, 11, 13, 15,
26; MinEntw. §§ 103, 104, 114, 124, 128, 137, 141, 167) die polizeilichen
Ermittlungsbefugnisse ausgebaut wurden.
- Die
Ausweitung zeigt sich in der Bestimmung über die
Berichtspflicht (§ 100 Abs 2), vor allem im Umstand, dass bei nicht
schweren Verbrechen die StA von der Polizei, wenn keine Anträge des StA,
insbesondere wegen Ermittlungsmaßnahmen, die in Grund- und Freiheitsrechte
eingreifen, erforderlich sind, erst nach drei Monaten über die strafbare
Handlung zu informieren ist. Die Leitungsbefugnis ist in solchen Fällen mangels
Kenntnis von der strafbaren Handlung nicht einmal potentiell möglich.
- Eine
Einschränkung dieser Dominanz der Kriminalpolizei wäre in zwei Richtungen
möglich: Es könnte generell eine zeitlich frühere Berichtspflicht (zB innerhalb
eines Monats) festgelegt werden und/oder diese frühere Berichtspflicht auf
Delikte von bestimmter Schwere eingegrenzt werden, zB auf jene Delikte, für die
eine notwendige Verteidigung besteht (§ 61 Abs 1 Z 5: Verbrechen, ausgenommen §
129 Z 1 bis 3 und § 164 Abs 4 StGB). Für die leichteren Delikte könnte die
Drei-Monats-Grenze aufrecht erhalten bleiben.
- Eine
unsachgerechte Rollenverteilung zwischen StA und Kriminalpolizei zeigt sich im
möglichen Verlangen der Kriminalpolizei auf schriftliche
Anordnungen des StA samt Begründung (§ 102; krit Fuchs,
Protokoll 15.5.2003, 13). Es wurde nach Kritik zwar versucht, diese Bestimmung
durch eine Neuformulierung zu entschärfen, es sollte jedoch noch stärker
klargestellt werden, dass Gegenstand der Begründungspflicht nicht die
Rechtfertigung der Anordnung an die Kriminalpolizei ist, sondern die
Erforderlichkeit der Zwangsmaßnahme gegen eine bestimmte Person zum Inhalt hat.
- Die
übermächtige Rolle der Kriminalpolizei wird auch darin deutlich, dass es die RV
nicht versucht, die unnötige Doppelgleisigkeit zwischen
StPO und SPG bei Grundrechtseingriffen, insbes bei erkennungsdienstlichen
Maßnahmen zu beseitigen (zB Löschungsverpflichtung von Daten;§ 75 Abs. 4). Da
es sich in solchen Fällen weitgehend um die Aufklärung einer bereits begangenen
strafbaren Handlung handelt und nicht um die Abwehr einer aktuellen Gefahr,
wäre es konsequent, eine ausschließliche Zuständigkeit der StPO ab Beendigung
eines gefährlichen Angriffs vorzusehen. Ansonsten könnten die in der StPO
normierten, zT sehr strengen formalen Voraussetzungen für eine mit einer Grundrechtsverletzung
verbundene Zwangsmaßnahme (Antrag des StA, richterliche Genehmigung) leicht
umgangen werden, indem ein solcher Grundrechtseingriff von der Polizei auch
nach den Vorschriften des SPG vorgenommen werden kann (hinsichtlich der DNA
Analyse nach § 124 Abs 5 siehe Birklbauer,
Protokoll 5.6.2003, 40 f; Mikusch, Protokoll
17.9.2003, 45).
3. Umfang von
Grundrechtseingriffen
- Es
ist schwierig, eine Balance zwischen Effizienz der Justiz und Achtung der
Grund- und Freiheitsrechte des Menschen herzustellen. Im Sinne von Art 8 Abs 2
EMRK müssen Grundrechtseingriffe notwendig und verhältnismäßig sein. Durch
richterliche Anordnungs- und Überprüfungskompetenz soll diese Balance
gewährleistet werden. Die skizzierte hohe Polizeidominanz in der RV 2003 zeigt,
dass die genannte Balance teilweise gestört ist.
- Konkrete
Bedenken bestehen, wie bereits im Rahmen der verfassungsrechtlichen
Überlegungen erwähnt, gegen die Neuregelung der körperlichen
Untersuchung (§ 123). Sie ist nach dieser Bestimmung auch gegen
Zeugen zulässig und nötigenfalls mit angemessenem Zwang durchsetzbar. Im Rahmen
der körperlichen Untersuchung sollen nach dem vorliegenden Abänderungsantrag
auch leichte medizinische Eingriffe wie etwa die Blutabnahme oder Röntgenuntersuchungen
zulässig und zwangsweise durchsetzbar sein. Die Vereinbarkeit mit dem aus Art
90 Abs 2 B-VG und Art 6 EMRK abgeleiteten Nemo-tenetur-Grundsatz ist fraglich.
Darüber hinaus ist die zwangsweise Blutabnahme, wenn man die konkrete
Durchführung der Blutabnahme bedenkt („Festschnallen“ des Patienten, damit der
Grundrechtseingriff möglich wird usw), wohl im Hinblick auf Art 8 Abs 2 EMRK
unverhältnismäßig und grundrechtswidrig (aA Schmoller,
Protokoll 17.9.2003, 34). Es sollte auch in der neuen StPO niemand verpflichtet
sein, seinen Körper als Beweismittel zur Verfügung stellen zu müssen (vgl Fuchs, Protokoll 17.9.2003, 42 f).
- Die
Frist von 48 Stunden zur Einlieferung eines festgenommenen
Verdächtigen in das gerichtliche Gefangenenhaus (§ 172 Abs 3) sollte
verkürzt werden. Zumindest sollte eine Bestimmung in die StPO, nach der die
Verständigung der Familie des festgenommenen Beschuldigten unmittelbar,
längstens jedoch binnen 24 Stunden erfolgen muss (vgl Breuer,
Protokoll 17.9.2003, 27).
- Für
die im Abänderungsantrag in § 170 Abs 2 vorgesehene obligatorische
Untersuchungshaft fehlt die Notwendigkeit. Es ist diesbezüglich auf den
ursprünglichen Entwurf der RV 2003 zurückzugehen und diese Möglichkeit zu
streichen. Zu sehr wird andernfalls über die Hintertür der „Haftgrund des
öffentlichen Ärgernisses“ eingeführt.
- Für
Scheingeschäfte und verdeckte Ermittlung sollte,
zumal dafür keine richterliche Anordnungspflicht vorgesehen ist, zumindest eine
nachprüfende Gerichtskontrolle vorgesehen werden. Weiters sollte eine
Beschränkung der systematischen, länger dauernden verdeckten Ermittlung (§ 131
Abs 2) auf Verbrechen erfolgen.
- Bedenklich
ist, dass die Vorschriften über die erkennungsdienstliche Evidenz, trotz des
damit verbundenen Eingriffs in das Grundrecht auf Datenschutz, nicht in der
neuen StPO geregelt sein soll. Für diese erkennungsdienstliche Datei braucht
man mehr rechtsstaatliche Garantien (vgl Mikusch, Protokoll 17.9.2003, 51).
- In
diesem Zusammenhang ist auch nicht einzusehen, warum nach dem vorliegenden
Abänderungsantrag der Zugriff auf Namensverzeichnisse nach § 75 Abs 1 Z 1 erst
nach Ablauf von zehn Jahren ab dem Zeitpunkt, ab dem die Strafe vollzogen
wurde, zu unterbinden ist, und nicht wie ursprünglich in der RV 2003 vorgesehen
nach Ablauf von fünf Jahren. Es sollte bei der ursprünglichen Frist von fünf
Jahren bleiben.
- Ist
über die Vernehmung des Beschuldigten eine Ton- oder Bildaufnahme anzufertigen
(§ 164 Abs 4 aE), sollte dafür auf Grund des damit verbundenen, nicht
unwesentlichen Grundrechtseingriffs seine Zustimmung erforderlich sein.
4. Keine
Abschaffung der Vertrauensperson (§ 164)
- Auch
wenn die Vertrauensperson (vgl § 164 Abs 2) im Unterausschuss kontroversiell
diskutiert wurde (gegen die Abschaffung zB Loderbauer,
Protokoll 17.9.2003, 11; Mohringer, Protokoll
17.9.2003, 39, Bertel, Protokoll 22.1.2004, 12, Birklbauer, Protokoll 22.1.2004, 30 f; für die Abschaffung
Soyer, Protokoll 17.9.2003, 53), sollte auf Grund
der jahrelangen positiven Erfahrungen im JGG diese Möglichkeit auch für
Strafverfahren gegen erwachsene Beschuldigte eingeführt werden. Die Rolle der
Vertrauensperson, bei einer Vernehmung dem Beschuldigten eine „psychische
Stütze im Hintergrund“ zu sein, ist eine andere als die Rolle des Verteidigers.
Ein Konkurrenzverhältnis zwischen beiden ist daher nicht gegeben. Ausdrücklich
sei festgehalten, dass es nicht – wie noch in der Regierungsvorlage – um ein
Entweder-Oder gehen kann, wo das Recht auf Rechtsbeistand nur über die
Vertauensperson geregelt wurde. Uns geht es wegen der unterschiedlichen Funktionen
um ein Sowohl-Als-Auch. Die Beiziehung eines Verteidigers ist aber in jeder
Phase des Verfahrens absolut unabdingbar.
5. Recht des
Beschuldigten auf angemessene Verteidigung
- Es
wurde betont, dass die Einschränkung des Rechts auf Verteidigerbeiziehung
konträr zu Grundsätzen der Rsp des EGMR ist (Funk,
Protokoll 22.1.2004, 9). Das Recht auf Beiziehung eines Verteidigers ist in
einem demokratischen Rechtstaat aus Grundsätzen der Fairness geboten. Der
Verdächtige muss VOR seiner Vernehmung die Möglichkeit haben, sich mit dem
Verteidiger umfassend zu beraten, und zwar sowohl über den materiellrechtlichen
Vorwurf und die Verteidigungsstrategie, als auch über die prozessualen Rechte. Die
vorliegende RV geht hier zu wenig weit.
- Die
in § 59 vorgenommene Differenzierung der Möglichkeit der Verteidigerbeiziehung
zwischen einem festgenommenen und einen nicht festgenommenen Verdächtigen ist
unsachlich. Gerade wenn jemand festgenommen ist, braucht er eine effiziente
Verteidigung. Die in § 59 Abs 1 vorgenommene Möglichkeit der Beschränkung des
Verteidigerkontakts für einen festgenommenen Verdächtigen ist daher zu
streichen.
- Über
das Recht auf Beiziehung eines Verteidigers ist der Verdächtige so bald wie
möglich zu belehren (vgl Ruhri, Protokoll
15.5.2003, 45). Der in § 50 vorgesehene Aufschub der Rechtsbelehrung ist daher
zu streichen (vgl ua Bertel, Protokoll 22.1.2004,
10).
- Der
Verteidiger muss während der Vernehmung ein Frage- und
Beweisantragsrecht haben. Die Einschränkungen in § 164 Abs 2 sind daher
entsprechend zu ändern.
- § 59
besagt, dass die Staatsanwaltschaft die Überwachung der
Verteidigergespräche in Fällen der Verabredungs- und Verdunkelungsgefahr
bis zu zwei Monaten ausdehnen kann. Das ist unter dem Gesichtspunkt des Art 5
Abs 4 EMRK bedenklich (vgl Bertel, Protokoll
5.6.2003, 13). Bedenklich ist auch, dass nach § 59 Abs 2 die Möglichkeit der
Überwachung des Verteidigerkontakts innerhalb der ersten 48 Stunden nach der
Festnahme der Kriminalpolizei eingeräumt wird, ohne dass diesbezüglich der StA
eine Anordnungs- bzw Kontrollmöglichkeit hat. Diese Möglichkeit sollte generell
gestrichen werden, um dem Verdächtigen auch wirklich Aufbau und Diskussion
einer effizienten Verteidigungsstrategie zu ermöglichen.
- Grundsätzlich
soll die Justiz möglichst transparent sein. Daher soll auch das Tagebuch des StA der Akteneinsicht unterliegen. Damit
würden auch behördeninterne Weisungen transparent.
- § 52 regelt die Herstellung von
Aktenablichtungen und Kopien. Dieses Recht bezieht sich jedoch nicht auf
Ton- oder Bildaufnahmen. Dieser Satz sollte entfallen, weil nämlich nicht
einzusehen und auch nicht begründbar ist, warum der Verdächtigte nicht die
Möglichkeit und das Recht haben sollte, zum Akt gehörende Ton- und
Bildaufnahmen vervielfältigt zu erhalten – noch dazu, wo der derzeitige
Entwicklungsstand der Technik solchen Vorgängen keine erheblichen
Schwierigkeiten bereitet (vgl Moringer, Protokoll
17.9.2003, 39)
- Zu
überlegen wäre im Zuge der Reform des strafprozessualen Vorverfahrens eine Umstrukturierung der Verfahrenshilfe dahin gehend, dass
auch der Verfahrenshilfeanwalt eine effektive Verteidigung betreiben und dafür
im Einzelfall eine Entlohnung bekommen sollte, und nicht nur später einmal die
Aussicht auf einen entsprechenden Pensionszuschuss (Fuchs,
Protokoll 17.9.2003, 42).
- Wie
in anderen Staaten wäre es auch für Österreich zu überlegen, schon für die erste Vernehmung durch die Polizei
Verfahrenshilfe vorzusehen. Es soll diesbezüglich kein soziales Problem bestehen, ob jemand überhaupt vom
Verteidigungsrecht Gebrauch machen kann oder nicht. Es geht nicht an, dass
letztlich soziale Barrieren für die Möglichkeit der Wahrnehmung des
Verteidigungsrechts entscheidend sind (Birklbauer,
Protokoll 6.11.2003, 28). Dass Beschuldigte einen unentgeltliche Vertretung
erst nach 48 Stunden Polizeigewahrsam erhalten, schafft eine
Zwei-Klassen-Justiz.
- Das
System der Pflichtverteidigung soll nicht
abgeschafft, sondern ganz im Gegenteil ausgebaut werden: So wäre endlich
gewährleistet, dass jeder Festgenommene sein Verteidigerrecht auch tatsächlich
wahrnimmt.
- Die
Übersetzungshilfe (§ 56) ist auf den unvertretenen Beschuldigten beschränkt.
Das ist eine einem Rechtssaat unwürdige Einschränkung, die eine effektive
Verteidigung beeinträchtigt und nichts anderes als eine Zwei-Klassen-Justiz
bedeutet.
- Bedenklich
ist, wie bereits erwähnt, die Pflicht des Opfers, eine körperliche Untersuchung
zu dulden (§ 117 Z 3 lit b; siehe Paper von Jesionek).
- Die
Legitimation des Opfers nach § 65 Abs 5 Z 5 zur Nichtigkeitsbeschwerde nach § 281 Abs 1 Z 4 bei einem
Freispruch des Angeklagten wurde nun im Abänderungsantrag ersatzlos gestrichen.
Die Rechte des Opfers werden aber nur effektiv durchsetzbar sein und von den
Gerichten tatsächlich eingehalten werden, wenn sie durch die
Rechtsmittellegitimation abgesichert sind.
- Das
Opfer soll nun nur mehr über den Verfahrenfortgang informiert werden. Der
Entfall der in der RV noch vorgesehenen Übermittlung der Anklageschrift ist
sachlich nicht gerechtfertigt (§ 66).
- Der
Personenkreis, für die eine obligatorische kontradiktorische
Vernehmung (§ 156 Abs. 2 Z 2 und § 165 Abs. 4) vorgeschrieben ist, ist
auf unter Vierzehnjährige und Opfer von Sexualdelikten beschränkt. Dieser Kreis
sollte auf Gewaltopfer ausgeweitet werden.
- Opferschutzeinrichtungen
sollen nicht von der juristische Prozessbegleitung ausgeschlossen werden.
- Die
zwingende ausdrücklich angeführte Informationspflicht für Opfer über die
Möglichkeit einer Kontaktaufnahme mit einem Rechtsanwalt , mit einer
Beratungsperson oder mit einer Opferschutzeinrichtung ist in der RV nach dem
letzten Abänderungsantrag nicht mehr expressis verbis vorgesehen. Zur Wahrung
der Rechte des Opfers ist diese aber unabdingbar. Die nun vorgesehene allgemeine
Informationspflicht über die Voraussetzungen der Prozessbegleitung geht zu
wenig weit.
- Die
Regelungen der Opferrechte soll bereits vor dem geplanten Inkrafttreten im
Jahre 2008 wirksam werden.
- Die
Verfahrenshilfe wird auf die zweckentsprechende
Rechtsverfolgung eingeschränkt (§ 67 Abs. 6). Wenn es nach Lage des
Falles erforderlich ist, insbesondere dann, wenn es sich um einen für den
juristischen Laien nicht leicht durchschaubaren Sachverhalt und dessen
rechtliche Konsequenzen handelt, sollte aber in jedem Fall die Verfahrenhilfe
zu gewähren sein.
- Im
Strafprozess besteht im Unterschied zu anderen Verfahrensgesetzen kein Schutz
des Arztgeheimnisses (ausgenommen für Psychiater).
Eine Berücksichtigung des Arztgeheimnisses im Strafprozess ist notwendig,
allenfalls unter den Einschränkungen in § 158, dass ein Arzt über
Umstände, die er in Ausübung seines Berufes in Erfahrung gebracht hat, die
Aussage verweigern darf, zumindest in der begrenzten
Form, solange die Aussage nicht unerlässlich ist.
Das würde auch eine Harmonisierung mit dem höchstpersönlichen Lebensbereich
bedeuten, weil ein Arzt häufig Umstände über den höchstpersönlichen
Lebensbereich von Personen in Erfahrung bringt und da nur eingegriffen werden
sollte, wenn das bei einer Güterabwägung unerlässlich erscheint (Schmoller, Protokoll 17.9.2003, 36; Fuchs,
Stellungnahme, S 4).
- Wie
die geschiedenen Ehegatten gegen ihren ehemaligen Partner ein Aussageverweigerungsrecht haben, sollten auch ehemalige Lebensgefährten diese Möglichkeit haben (ähnlich
wie in § 65 Z 1), weil hier auf Grund der Betroffenheit nicht
einzusehen ist, warum zwischen Ehegatten und Lebensgefährten differenziert
werden soll (Birklbauer, Protokoll 6.11.2003, 25).
Anstatt des Begriffs des Lebensgefährten sollte in der neuen StPO durchgängig
auf den Angehörigenbegriff des § 72 StGB verwiesen werden, damit homosexuelle
Lebensgefährten den selben Schutz wie heterosexuelle Lebensgefährten genießen
können.
8. Keine
Einschränkung des außergerichtlichen Tatausgleichs
- Zum
außergerichtlichen Tatausgleich im Rahmen der Diversion heißt es in § 204, dass
der Tatausgleich bei einer Straftat nur möglich ist, wenn durch die Tat
Rechtsgüter einer Person unmittelbar beeinträchtigt sein könnten. Der außergerichtliche Tatausgleich wird damit auf Individualrechtsgüter eingeschränkt. Da dieser
Sanktionsersatz in der Praxis auch bei Widerstand gegen die Staatsgewalt
(§ 269 StGB) erfolgreich angewendet wurde, wo kein Individualrechtsgut
verletzt wurde, sollte diese Einschränkung fallen, denn es ist häufig
pädagogisch sinnvoll, wenn nach einem solchen Vorfall der Jugendliche dem
Polizisten an einem runden Tisch mit einem Mediator gegenübersitzt (Birklbauer, Protokoll 6.11.2003, 27).
9. Abschaffung
der Bezirksanwälte
- Die
Stärkung der Stellung des StA bedingt die Abschaffung des Bezirksanwalts.
(§ 20 Abs. 2) Angesichts der riesigen Bedeutung der bezirksgerichtlichen
Fälle, insbesonders auch bei der Diversion, ist es unverantwortlich, dass der
öffentliche Ankläger in bezirksgerichtlichen Verfahren nicht rechtskundig sein
muss. Ein starker Staatsanwalt ist auch im Interesse des Beschuldigten (Höpfel,
Protokoll 15.5.2003, 33).
10. Entfall
der Anwesenheitspflicht in der Hauptverhandlung
- Die in § 6 vorgesehene Anwesenheitspflicht für die Hauptverhandlung sollte gestrichen werden, da dies insofern missverständlich ist, als es weiterhin ein Abwesenheitsverfahren sowie die Möglichkeit geben soll, den Angeklagten in bestimmten Fällen aus der Hauptverhandlung zu entfernen (Birklbauer, Protokoll 22.1.2004, 30).