Abweichende
persönliche Stellungnahme
gemäß § 42 Abs. 5
GOG
der Abgeordneten Dr. Gabriela
Moser
zum Bericht des Justizausschusses über Regierungsvorlage:
Bundesgesetz über die justizielle Zusammenarbeit in Strafsachen mit den
Mitgliedstaaten der Europäischen Union (EU-JZG) (370 d.B.)
Die vorliegende Regierungsvorlage bezweckt
die innerstaatliche Umsetzung verschiedener Rechtsakte im Rahmen der sog.
Dritte Säule der Europäischen Union (Art 29 ff EUV). Diese betreffen das
formelle Recht, nämlich die Koordinierung und Zusammenarbeit von
Polizeibehörden und Organen der Strafrechtspflege sowie die gegenseitige
Anerkennung strafrechtlicher Entscheidungen der Mitgliedstaaten. Kernstück der
Regierungsvorlage ist die Einführung des Europäischen Haftbefehls
einschließlich einer Regelung der Durchlieferung (§§ 3–38 RV). Ein
weiterer zentraler Bereich der Regierungsvorlage betrifft die Anerkennung
und Vollstreckung justizieller Entscheidungen (§§ 39–54 RV), dh die
„Verkehrsfähigkeit“ von Entscheidungen innerhalb der EU. Darüber hinaus enthält
die Regierungsvorlage Bestimmungen über die Rechtshilfe zwischen den
Mitgliedstaaten (§§ 55–59 und 75 RV), Eurojust (§§ 63–68 RV), das Europäische
Justizielle Netz (§§ 69 f RV), die Bildung gemeinsamer
Ermittlungsgruppen der Mitgliedstaaten (§§ 60–62 und 76 RV), verdeckte
Ermittlungen durch Beamte der Mitgliedstaaten (§§ 73 f RV) und sog kontrollierte
Lieferungen (§§ 71 f RV).
Gerade im Bereich der Strafverfolgung kommt
auf Europäischer Ebene einer justizförmigen Kontrolle besondere Bedeutung zu,
liegen doch der Europäische Haftbefehl, die Bildung gemeinsamer
Ermittlungsgruppen, die verdeckten Ermittlungen und die kontrollierten
Lieferungen an der Schnittstelle der Zusammenarbeit von Justiz und
Sicherheitsbehörden und bedeuten zugleich einen Einschnitt in das
Strafverfolgungsmonopol der einzelnen Mitgliedstaaten. Es besteht die Gefahr,
dass jener Bereich, der durch das Zurückweichen der staatlichen Souveränität
frei wird, nur unzureichend durch die Justiz überprüft wird. Es handelt sich
auf europäischer Ebene dabei um ein generelles Problem bei der Ausgestaltung
der „polizeilichen und justiziellen Zusammenarbeit in Strafsachen“ (Art 29 ff
EUV). Jedenfalls besteht auch in der vorliegenden Regierungsvorlage
diesbezüglich noch Aufholbedarf.
2. Europäischer
Haftbefehl (§§ 3–31 RV)
Der Europäische Haftbefehl vereinheitlicht
und vereinfacht die Übergabe von Personen und Gegenständen im Rahmen von
Strafverfahren zwischen den Mitgliedstaaten der EU und löst insofern das
bislang geltende, eher komplizierte Auslieferungsrecht ab. Grundlage dafür ist
der Rahmenbeschluss vom 13. Juni 2002 über den Europäischen Haftbefehl und die
Übergabeverfahren zwischen den Mitgliedstaaten (ABl Nr. L 190 vom 18. 7. 2002,
S 1; im Folgenden „RB“). Im Folgenden werden zentrale Punkte der darauf
basierenden Regierungsvorlage herausgegriffen:
a) Übergabe
österreichischer Staatsbürger und in Österreich wohnender Personen (§§ 5 ff, 77
Abs 1 RV)
§ 5 RV, der als Verfassungsbestimmung
ausgestaltet ist, regelt die Vollstreckung eines Europäischen Haftbefehls gegen
österreichische StaatsbürgerInnen. Nach § 5 Abs 2 RV
ist die Vollstreckung eines Europäischen Haftbefehls gegen
ÖsterreicherInnen unzulässig, wenn die Tat nach
österreichischem Recht gerichtlich strafbar ist und
in den Geltungsbereich der österreichischen Strafgesetze
fällt. Thematisch damit in Zusammenhang steht die Übergangsregelung des § 77 Abs 1 RV, wonach ÖsterreicherInnen
bis 1. Jänner 2009 (richtig: bis 31. Dezember 2008) einem anderen Mitgliedstaat
nicht übergeben werden dürfen, wenn die dem
Europäischen Haftbefehl zu Grunde liegende Tat nach
österreichischem Recht nicht mit gerichtlicher Strafe bedroht ist.
Beide Bestimmungen sind zum Schutz der
österreichischen StaatsbürgerInnen grundsätzlich sehr erfreulich. Bei § 5 Abs 2 RV stellt sich allerdings die Frage nach einer
geeigneten Rechtsgrundlage im Rahmenbeschluss. Der
von Österreich speziell ausverhandelte Vorbehalt in Art 33 Abs 1 RB kommt dafür
nicht in Frage, weil es danach gerade darauf ankommt, dass eine Tat in
Österreich nicht mit gerichtlicher Strafe bedroht ist. Art 33 Abs 1 RB bildet
so die Rechtsgrundlage für § 77 Abs 1 RV. Damit kommt als Rechtsgrundlage für §
5 Abs 2 RV nur Art 4 Z 2 RB in Betracht. Demzufolge kann die Vollstreckung eines
Europäischen Haftbefehls verweigert werden, wenn die betroffen Person wegen
derselben Tat strafrechtlich verfolgt wird. Eine
(tatsächliche) strafrechtliche Verfolgung im Inland ist aber mehr als bloß die gerichtliche Strafbarkeit, wie § 5 Abs 2 RV sie verlangt.
§ 5 Abs 2 RV überdehnt damit dem Wortlaut nach Art 4 Z 2 RB. Allenfalls könnte
Art 4 Abs 2 RB in dem Sinne erweiternd ausgelegt werden, dass es auf Grund des
in Österreich geltenden Legalitätsprinzips ohnedies zu einer strafrechtlichen
Verfolgung kommen wird. Mit Blick auf die nicht unproblematische Frage der
demokratischen Legitimation von Rahmenbeschlüssen an und für sich erscheint
eine solche erweiternde Auslegung vertretbar.
Geht man somit davon aus, dass Art 4 Z 2 RB
eine geeignete Grundlage für § 5 Abs 2 RV darstellt, so ist jedoch nicht
einzusehen, warum das Privileg des § 5 Abs 2 RV nur österreichischen
StaatsbürgerInnen zu Gute kommen soll. Art 4 Z 2 RB macht diesbezüglich keine
Einschränkungen. Sinnvoll erscheint es daher, die Bestimmung des § 5 Abs 2 RV auch auf in Österreich
wohnhafte Personen auszudehnen.
Damit dürften auch AusländerInnen, die in
Österreich ihren Lebensmittelpunkt haben, wegen eines Europäischen Haftbefehls
nicht an andere Mitgliedstaaten übergeben werden, wenn die Tat nach
österreichischem Recht gerichtlich strafbar ist und in den Geltungsbereich der
österreichischen Strafgesetze fällt. Eine solche Regelung würde weiter gehen
als der ansonsten für Ausländer maßgebliche § 7 RV. Ebenso auf
in Österreich wohnhafte Personen ausgedehnt werden sollte § 5 Abs Abs 4 und 5 RV. Art 4 Z 6 und Art 5 Z 3 RB bilden
dafür geeignete Grundlagen. Bei § 77 Abs 1 RV ist das auf Grund des eindeutigen
Wortlauts von § 33 Abs 1 RB dagegen nicht möglich.
Wenn schon von dem bisherigen Grundsatz der
Nichtauslieferung von österreichischen StaatsbürgerInnen abgegangen wird,
sollte eine neue moderne Regelung getroffen werden. Einerseits besteht nämlich
kein Grund innerhalb der EU StaatsbürgerInnen, die schon lange in einem anderen
EU-Land leben und dort Delikte begehen, die Flucht in den „sicheren Hafen
Österreich“ zu ermöglichen. Andererseits verdienen Personen ohne
österreichischer Staatsbürgerschaft, die mitunter seit ihrer Geburt in
Österreich leben, den selben Schutz vor Auslieferung wie österreichische
StaatsbürgerInnen.
Im Anhang der RV findet sich die Liste
jener Straftaten, bei denen die beiderseitige Strafbarkeit nicht mehr geprüft
wird, wenn die Strafdrohung mehr als drei Jahre beträgt. Der Katalog ist
absolut unbestimmt und enthält zum Einen Delikte, die Zweifellos in jedem
EU-Staat strafbar sind (z.B. vorsätzliche Tötung und Menschenhandel),
andererseits Straftaten, deren Inhalt völlig unklar bleibt (Cyberkriminalität
und Sabotage).
Damit ist eine Auslieferung aber in Fällen
möglich, die absolut nicht vertretbar sind: Eine irische Staatsbürgerin lebt in
Österreich, führt hier einen legalen Schwangerschaftsabbruch durch, müsste nach
Irland ausgeliefert werden. Ein österreichischer Unternehmer, der die
Ersatzteillieferung an ein französisches Verkehrsunternehmen einstellt, müsste
ausgeliefert werden, weil dies nach französischem Strafrecht unter Sabotage
fallen kann.
b) Spezialität
(§ 4 Abs 5, § 31 RV)
Unter Spezialität versteht man den
Grundsatz, dass eine Person nur wegen jener Tat verfolgt werden darf, auf Grund
derer sie ausgeliefert bzw an einen anderen Staat übergeben wurde. Zu kritisieren ist die Regelung des §
31 Abs 7 RV, wonach der Bundesminister für Justiz per Verordnung eine
Liste jener Mitgliedstaaten zu verlautbaren hat, die erklärt haben, gegenüber
anderen Mitgliedstaaten, die dasselbe erklären, vom Prinzip der Spezialität
Abstand zu nehmen, sofern die vollstreckende Justizbehörde im Einzelfall keine
anders lautende Erklärung abgibt. Die diesbezügliche Kritik hat zwei
Ansatzpunkte: Zum einen verpflichtet der Rahmenbeschluss durch Art 27 Abs 1
nicht zu derartigen pauschalen Erklärungen unter den Mitgliedstaaten. Zum
anderen ist unklar, nach welchen Überlegungen der Untersuchungsrichter im
Einzelfall entscheiden soll, dass der Grundsatz der Spezialität doch zu gelten
habe. Der Kasuistik scheinen Tür und Tor geöffnet. Es empfiehlt sich daher die Streichung des § 31 Abs 7 RV. Damit ist insofern nichts
verloren, als ein Mitgliedstaat, der die übergebene Person auch wegen anderer
als der im Europäischen Haftbefehl genannten Taten belangen will, gem § 27 Abs
2 ARHG iVm § 1 Abs 2 RV um Zustimmung zur weiteren Strafverfolgung oder
Strafvollstreckung ersuchen kann. In diesem Fall wäre vom Untersuchungsrichter
zu prüfen, ob die Voraussetzungen für eine Vollstreckung eines Europäischen
Haftbefehls auch für diese Taten vorlägen.
c) Rechte
der betroffenen Person
Der Rahmenbeschluss überlässt es weitgehend
den Mitgliedstaaten, die Rechte der betroffenen Person zu regeln. So wird in
Art 11 RB unter dem Titel „Rechte der gesuchten Person“ gesagt, dass sich die
Information der betroffenen Person über den gegen sie vorliegenden Europäischen
Haftbefehl, das Recht auf Rechtsbeistand und auf einen Dolmetscher nach dem
innerstaatlichen Recht des Vollstreckungsstaates richten. Dasselbe gilt nach
Art 14 RB für die Vernehmung der betroffenen Person.
Die gegenständliche
Regierungsvorlage greift den Titel „Recht der betroffenen Person“ als Grundlage
für eine zusammenfassende Bestimmung über die Verfahrensrechte der/des
Betroffenen nicht auf, sondern behilft sich
weitgehend mit Verweisen auf das ARHG.
Im Sinne der Transparenz und eines
Bekenntnisses zu den „Beschuldigten“-Rechten würde sich daher eine einheitliche Regelung der Verfahrensrechte der betroffenen Person
wie in den §§ 49 ff StPO-neu empfehlen. Inhaltlich spricht vieles dafür, das
Verfahren zur Vollstreckung eines Europäischen Haftbefehls zu einer Rechtssache
mit notwendiger Verteidigung zu machen; vor allem
deshalb, weil es für die betroffene Person häufig schwierig sein wird, die
Konsequenzen einer Übergabe infolge eines Europäischen Haftbefehls abzusehen
und die richtigen Schritte im Verfahren zu setzen, zB Einwilligung oder
Verweigerung betreffend eine vereinfachte Übergabe.
3. Zusammenfassung
Die vorliegende Regierungsvorlage ist als
einheitliche Reglung thematisch verwandter Regelungsgegenstände zu begrüßen.
Inhaltlich besteht jedenfalls in folgenden Punkten noch Diskussionsbedarf:
Ausdehnung
des § 5 RV (insb § 5 Abs 2 RV) auf in Österreich wohnhafte Personen, so dass
die Vollstreckung eines Europäischen Haftbefehls nicht nur gegenüber
österreichischen StaatsbürgerInnen, sondern auch gegenüber in Österreich
wohnhaften Personen unzulässig ist, wenn die Tat nach österreichischem Recht
gerichtlich strafbar ist und in den Geltungsbereich der österreichischen
Strafgesetze fällt.
Streichung des § 31 Abs 7 RV, was bedeutet, dass Österreich gegenüber andere Mitgliedstaaten nicht generell auf den Grundsatz der Spezialität verzichten kann.