444 der Beilagen zu den Stenographischen Protokollen des Nationalrates XXII. GP

 

Bericht

des Gesundheitsausschusses

über den Antrag 272/A(E) der Abgeordneten Manfred Lackner, Kolleginnen und Kollegen betreffend Verbesserungen bei der Zulassung von Arzneimittelspezialitäten für Kinder und Jugendliche

Die Abgeordneten Manfred Lackner, Kolleginnen und Kollegen haben den gegenständlichen Initiativantrag am 12. November 2003 im Nationalrat eingebracht und wie folgt begründet:

„Nach Einschätzung von Experten sind 80 Prozent der Arzneimittel, die in der Kinderheilkunde eingesetzt werden, für diesen Indikationsbereich nicht zugelassen. Diese Medikamente sind mithin nicht gezielt und systematisch untersucht worden, so weit es um ihre Dosierung, Wirksamkeit und Nebenwirkungen bei der pädiatrischen Anwendung geht.

Für etwa 40 Prozent der in Deutschland verordneten Medikamente, die nach der Klassifizierung der Weltgesundheitsorganisation (WHO) unverzichtbar sind, gilt nach Herstellerangaben in der Kinderheilkunde ein prinzipielles Anwendungsverbot. Die Kinderärzte müssen jedoch solche „Erwachsenenmedikamente" zur Therapie einsetzen, wenn ein Heilungsversuch Erfolg verspricht.

In diesen Fällen bewegen sich die Kinderärzte außerhalb des haftungsrechtlichen Schutzes des Arzneimittelgesetzes. Für Heilversuche mit „Erwachsenenmedikamenten" benötigen die Pädiater die spezielle Einwilligung der Eltern oder sonstiger Erziehungsberechtigten und – so weit möglich - die der Kinder selbst.

Von der therapeutisch wirksamen Dosis eines Arzneimittels, das zur Behandlung einer Erkrankung bei Erwachsenen angewandt wird, kann nicht ohne Weiteres eine für den kindlichen oder jugendlichen Organismus wirksame Dosis abgeleitet werden. Kinder und Jugendliche können nicht als kleine Erwachsene angesehen und therapiert werden.

Die Kinderheilkunde unterscheidet anhand der Reifungs- und Differenzierungsprozesse des Organismus vielmehr fünf Entwicklungsstadien (Frühgeborene, Neugeborene, Kleinkinder, Schulkinder und Adoleszente), die jeweils durch physiologische Besonderheiten gekennzeichnet sind, die ihrerseits für die Arzneimitteltherapie relevant sind.

Wegen des Fehlens systematisch erhobener wissenschaftlicher Daten verharrt die Arzneimitteltherapie bei Kindern und Jugendlichen notwendigerweise auf der Stufe der Empirie, wenn „Erwachsenenmedikamente" eingesetzt werden. Die vorhandenen Therapieempfehlungen sind letztlich mit einer „Kochrezeptesammlung" vergleichbar. Die medikamentöse Behandlung von Kindern und Jugendlichen weist demnach nicht den Qualitätsstandard auf, der bei Erwachsenen erreicht ist. Der Einsatz von „Erwachsenenmedikamenten" in der Pädiatrie geht mit einem höheren Risiko für unerwünschte Nebenwirkungen einher, es kann zu klinisch relevanten Über- und Unterdosierungen kommen. Diese Situation kann sich zudem dadurch weiter verschärfen, dass in der Kinderheilkunde gut bewährte Präparate wegen fehlender wirtschaftlicher Interessen der pharmazeutischen Unternehmer nicht mehr in die Nachzulassung gebracht und deshalb alsbald nicht mehr zur Verfügung stehen werden. Die Kinder, die in Österreich leben, haben aber dasselbe Recht auf eine adäquate, effiziente und sichere Pharmakotherapie wie Erwachsene.

Mit dem Problem des Einsatzes von „Erwachsenenmedikamenten" in der Kinderheilkunde ist nicht nur Österreich konfrontiert. Zu seiner Lösung sind weltweit verschiedene Alternativen entwickelt worden. Die USA haben eine Vorreiterrolle übernommen. Mit dem Modernization Act von 1997 haben sie ein Gesetzespaket geschnürt, das zum einen Zwangsmaßnahmen und zum anderen wirtschaftliche Anreize enthält.

Die Hersteller innovativer Arzneimittel sind seither angehalten, die Indikationsstellung auch für die Kinderheilkunde zu beantragen und die entsprechenden Nachweise beizubringen, wenn erwartet werden kann, dass das Medikament für die Behandlung kranker Kinder und Jugendlicher geeignet ist.

Die Sicherheit und therapeutische Wirksamkeit solcher Arzneimittel müssen für jede einzelne Altersgruppe untersucht werden. Ferner kann die US-amerikanische Zulassungsbehörde, die Food and Drug Administration (FDA), kindgerechte Darreichungsformen vorschreiben. Den Herstellern bereits zugelassener „Erwachsenenmedikamente" kann die FDA gegebenenfalls vorgeben, ihre Präparate im nachhinein für den Einsatz in der Kinderheilkunde zu untersuchen. So wurde schon eine Prioritätenliste erstellt, die 400 zu prüfende Wirkstoffe umfasst.

Die wirtschaftlichen Anreize bestehen in der Verlängerung des Patentschutzes bzw. Alleinvertriebsrechts um sechs Monate, wenn das Arzneimittel auch für den Einsatz in der Kinderheilkunde zugelassen wird. Beantragt der Arzneimittelhersteller eine nachträgliche Indikationsstellung in der Kinderheilkunde, wird er von den Bearbeitungsgebühren befreit.

Die Pediatric Rule sieht weitere Verbesserungen vor: Bei der FDA ist ein Ausschuss pädiatrischer Sachverständiger einzusetzen, Leitlinien über kinetische und klinische Studien mit Kindern und Jugendlichen sind zu erarbeiten und zu veröffentlichen, schließlich ist die systematische Begleitung und Überwachung aller Studien zu gewährleisten, die mit Kindern durchgeführt werden.

Darüber hinaus werden in den USA staatliche Zuschüsse für Kompetenzzentren gezahlt, die Studien mit Wirkstoffen vorbereiten, durchführen und auswerten, die in der Kinderheilkunde eingesetzt werden sollen. Weiters fließen unmittelbar staatliche Gelder in die Förderung von Forschung an und mit Wirkstoffen, die in der Pädiatrie angewendet werden sollen. Die Europäische Kommission hat ähnliche Konzepte erarbeitet.

Im Gegensatz zu den staatlichen Aktivitäten spielt die Entwicklung von Medikamenten für Kinder in der Arzneimittelforschung der Pharmaunternehmen lediglich eine untergeordnete Rolle. Die Gründe hierfür sind die hohen Entwicklungskosten, die begrenzten Absatzchancen auf dem Markt und das ausgeprägtere Risiko des Auftretens unerwünschter Nebenwirkungen in der klinischen Prüfung.

Unter dem Strich ist die Situation auf dem Gebiet der Arzneimittelsicherheit in der Kinderheilkunde so unbefriedigend, dass sie nicht länger hinnehmbar ist. Es besteht dringender Handlungsbedarf.“

Der Gesundheitsausschuss hat den gegenständlichen Antrag in seiner Sitzung am 17. März 2004 in Verhandlung genommen. An der Debatte beteiligten sich außer dem Berichterstatter im Ausschuss Abgeordneter Mag. Johann Maier die Abgeordneten Elmar Lichtenegger, Dr. Kurt Grünewald, Theresia Haidlmayer, Dr. Erwin Rasinger, Dipl.-Ing. Günther Hütl, Beate Schasching, Gabriele Heinisch-Hosek und die Bundesministerin für Gesundheit und Frauen Maria Rauch-Kallat sowie der Staatssekretär im Bundesministerium für Gesundheit und Frauen Dr. Reinhart Waneck.

Bei der Abstimmung fand der vorliegende Initiativantrag nicht die Zustimmung der Ausschussmehrheit.

Als Ergebnis seiner Beratungen stellt der Gesundheitsausschuss somit den Antrag, der Nationalrat wolle diesen Bericht zur Kenntnis nehmen.

Wien, 2004-03-17

Ridi Steibl                 Barbara Rosenkranz

    Berichterstatterin                     Obfrau