533 der Beilagen zu den Stenographischen Protokollen des Nationalrates XXII. GP

 

Bericht

des Ausschusses für Land- und Forstwirtschaft

über den Antrag 142/A(E) der Abgeordneten Heinz Gradwohl, Kolleginnen und Kollegen betreffend Agrarisches Betriebsmittelrecht und Lebensmittelrecht

Die Abgeordneten Heinz Gradwohl, Kolleginnen und Kollegen haben den gegenständlichen Entschließungsantrag am 4. Juni 2003 im Nationalrat eingebracht und wie folgt begründet:

„Eine von den Kammern für Arbeiter und Angestellte für Wien und Salzburg 2002 in Auftrag gegebene rechtsvergleichende Studie setzte sich unter anderem mit dem Vergleich der Straftatbestände des Lebensmittelrechts und denen des agrarischen Betriebsmittelrechts auseinander. In dieser Studie wurden zum einen die Straftatbestände des LMG und des agrarischen Betriebsmittelrechts und zum anderen die Kontrollmöglichkeiten der Behörden miteinander verglichen und untersucht.

Zum agrarischen Betriebsmittelrecht gehören: Futtermittelgesetz, Düngemittelgesetz, Saatgutgesetz, Sortenschutzgesetz, Qualitätsklassengesetz, Pflanzenschutzmittelgesetz, Pflanzenschutzgesetz, Pflanzgutgesetz, Biozidgesetz.

Ziel der Studie war es, herauszufinden, welche effizienten Maßnahmen und Sanktionsmechanismen im Bereich des Lebensmittelrechts und des agrarischen Betriebsmittelrechts geschaffen werden müssten.

Dabei wurden Änderungen der Rechtslage bis September 2001 berücksichtigt. Wegen ihrer besonderen Bedeutung sowohl für das Lebensmittel- als auch für das agrarische Betriebsmittelrecht wurde die Verordnung Nr. 178/2002 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 28.01.2002 zur Festlegung der allgemeinen Grundsätze und der Anforderungen des Lebensmittelrechts, zur Errichtung des Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit und zur Festlegung von Verfahren zur Lebensmittelsicherheit nachträglich in ihren Grundzügen eingearbeitet. Mit dieser EU-VO wurde u.a. auch das Futtermittelrecht dem Lebensmittelrecht im Sinne des Kontrollprinzips von „Stall bis zum Teller" gleichgestellt. Diese Zielsetzungen werden nun von der Kommission weiter verfolgt.

Anfang Februar 2003 hat die Europäische Kommission einen neuen Vorschlag verabschiedet, mit dem die amtlichen Lebens- und Futtermittelkontrollen reformiert werden sollen. Der Verordnungsentwurf sieht ein einheitlicheres, geschafftes und effizienteres Kontrollsystem sowie strengere Durchsetzungsmaßnahmen vor. Außerdem schafft der Vorschlag einen Rahmen zur Unterstützung von Entwicklungsländern, damit auch diese die EU- Einführungsbestimmungen erfüllen können. Der Verordnungsvorschlag gehört zu den Maßnahmen, die im Weißbuch zur Lebensmittelsicherheit vom Januar 2000 angekündigt worden waren. Die wichtigsten Grundsätze des Lebensmittelrechts sind in der Verordnung 178/2002/EG festgelegt, der neue Entwurf legt dar, wie diese Grundsätze auszulegen und umzusetzen sind.

Zu berücksichtigen ist in diesem Zusammenhang auch, dass zahlreiche EU-Richtlinien, die neben dem Lebensmittelrecht auch das agrarische Betriebsmittelrecht und Veterinärrecht betreffen, in Österreich noch nicht umgesetzt wurden (l59/AB XXII GP.).

Aus Sicht der Auftraggeber aber auch des Verfassers dieser Studie (Univ. Ass. Dr. Robert Kert) ergeben sich unter weiterer Berücksichtigung bereits bekannter Problembereiche (z.B. Legistik, legislative Defizite, Kompetenzlage, Vollziehung) sowie der Ergebnisse der Diskussion der Enquetekommission zum Teilthema "Verhältnismäßigkeit verwaltungsstrafrechtlicher Strafdrohungen und Ausgewogenheit von gerichtlichen und verwaltungsstrafrechtlichen Strafdrohungen im Verhältnis zu einander" nachfolgende Schlussfolgerungen:

Ø         Betrachtet man das Lebensmittelrecht und das agrarische Betriebsmittelrecht in einer Gesamtschau fällt auf, dass die untersuchten Gesetze vielfach nebeneinander bestehen, Ähnlichkeiten aufweisen, in entscheidenden Punkten aber doch wesentlich von einander abweichen. Insbesondere bei den angedrohten Strafen fallen Inkonsistenten auf, die nur so zu erklären sind, dass keine Abgleichung der angedrohten Strafen vorgenommen wurde. Die bemerkenswert großen Unterschiede in den Strafdrohungen können in den wenigsten Fällen mit der Wertigkeit des verletzten Rechtsgutes begründet werden.

Ø     Auffallend ist die unterschiedliche Terminologie der untersuchten Gesetze, wie ein Vergleich der Bedeutungen des Wortes „Inverkehrbringen" in den einzelnen Gesetzen zeigte, das in den meisten Gesetzen eine zentrale Rolle spielt, da es viele der Tathandlungen charakterisiert.

         Wenn aber solche elementare Begriffe in derart verwandten Rechtsgebieten wie dem Lebensmittelrecht und dem agrarischen Betriebsmittelrecht unterschiedlich verstanden werden, ist die Rechtssicherheit nicht in ausreichendem Maße gegeben. Eine Abgrenzung der einzelnen Tathandlungsbegriffen in den einzelnen Gesetzen ist damit beinahe unmöglich.

Ø     Ein wesentlicher Grund für diese Divergenzen, der sich beim Vergleich von Lebensmittelrecht und agrarischem Betriebsmittelrecht zeigt, ist die Tatsache dass die Kompetenzen für die Vollziehung, aber auch für die Erstellung der Gesetzesentwürfe bei unterschiedlichen Ministerien liegt.

         Für die Vollziehung des Futtermittelgesetzes, des Saatgutgesetzes, des Düngemittelgesetzes, des Pflanzenschutzmittelgesetzes, des Pflanzenschutzgesetzes, des Pflanzgutgesetzes, des Biozidproduktegesetzes, ist der Bundesminister für Land- und Forstwirtschaft, Umwelt und Wasserwirtschaft zuständig, während die Vollziehung des Lebensmittelgesetzes, des Fleischuntersuchungsgesetzes, des Tierarzneimittelkontrollgesetzes (mit Ausnahme der gerichtlichen Strafbestimmungen, für die das Justizministerium zuständig ist), aber etwa auch des - in diesem Zusammenhang wichtigen - Arzneimittelgesetzes in die Zuständigkeit des Bundesministeriums für Gesundheit und Frauen (ehemals Bundesministerium für soziale Sicherheit und Generationen) fallt.

Ø     Für von den Gerichten zu vollziehenden Strafbestimmungen trifft ausschließlich auch noch das Bundesministerium für Justiz eine legistische Zuständigkeit. Und es hat den Anschein, dass im Zuge der Erstellung von Gesetzesentwürfen nicht - oder nur sehr eingeschränkt - versucht wird, die Gesetze aufeinander abzustimmen. Anders ist es vielfach nicht zu erklären, warum für dieselben oder ähnliche Tatbestände die angedrohten Strafen doch erheblich von einander abweichen und auch die legistische Qualität der Strafbestimmungen sehr unterschiedlich ist. Es ist daher ernsthaft zu überlegen, ob nicht auch die legistische Abfassung von Verwaltungsstrafbestimmungen zur Gänze beim Justizministerium liegen sollte. Um eine einheitliche Struktur der Verwaltungsstrafbestimmungen zu erreichen, wäre dies jedenfalls zu begrüßen.

Ø     Die Regelungen über die behördliche Kontrolle erscheinen sowohl im Lebensmittelgesetz als auch im agrarischen Betriebsmittelrecht grundsätzlich ausreichend. Dass es dennoch immer wieder zu sogenannten "Lebensmittelskandalen" kommt, ist zweifelsohne weniger ein legislatives Problem als vielmehr ein Vollzugsproblem. Es ist daher in erster Linie eine Effizienzsteigerung der tatsächlichen Kontrollen im Rahmen der mittelbaren Bundesverwaltung erforderlich, indem häufiger und einheitlicher kontrolliert wird und dafür auch die notwendigen Kontrollorgane (z.B.: Sachverständige) sowie Sachmittel ausreichend zur Verfügung stehen. Dies ist vom jeweils zuständigen Landeshauptmann sicherzustellen.

Ø     § 25a LMG statuiert öffentliche Warnpflichten des zuständigen Bundesministers, wenn durch eine gesundheitsschädliche Ware (Lebensmittel) eine größere Bevölkerungsgruppe gefährdet ist, und daher eine Gemeingefährdung vorliegt. Für keine Rechtsmaterie des agrarischen Betriebsmittelrechts gibt es allerdings eine ähnlich lautende Bestimmung mit der Verpflichtung des zuständigen Bundesministers unter bestimmten gesetzlichen Voraussetzungen (z.B. gesundheitsschädliche Futtermittel), die Öffentlichkeit zu warnen. Für eine diesbezügliche Regelung spricht nun allerdings auch die in Kraft stehende Lebensmittel-Basisverordnung der EU, die eine Aufklärungspflicht der Behörden vorsieht, wenn Lebensmittel oder Futtermittel ein Risiko für die Gesundheit von Mensch und Tier mit sich bringen. Aber auch nach dem novellierten Futtermittelgesetz (in der Fassung des Agrarrechtsänderungsgesetzes 2002) ist diese Verpflichtung nicht vorgesehen, obwohl die EG Verordnung Nr. 178/2002 dies verlangt.

Ø         Betrachtet man die angedrohten Strafen im Lebensmittelrecht und im agrarischen Betriebsmittelrecht, scheinen - auch wenn es gewisse Defizite gibt - die Gründe für die mangelhafte Einhaltung der gesetzlichen Bestimmungen keinesfalls in den gesetzlich vorgesehenen Strafbestimmungen selbst zu liegen, etwa in zu niedrigen Strafen oder fehlenden gerichtlichen Strafen.

Entscheidend und wichtiger ist vielmehr, dass der Staat auf Verstöße reagiert. Wesentlich für die Prävention ist zweifelsohne, dass kontrolliert und die angedrohten Strafen auch verhängt sowie dass - wenn notwendig - auch die Strafrahmen ausgeschöpft werden. Hier bestehen in der lebensmittelrechtlichen wie auch in der agrarrechtlichen Vollziehungspraxis vielfach Defizite, indem die vorgesehenen Strafrahmen nicht einmal annähernd ausgenutzt werden. Dies betrifft sowohl die Verwaltungsstrafbehörden als auch die Gerichte. Bloß im Gesetz angedrohte hohe - aber nicht verhängte - Strafen werden auch in Zukunft keine Lebensmittel- oder Futtermittelskandale verhindern können.

Ø         Die Einführung gerichtlicher Strafbestimmungen mit verhältnismäßig hohen Strafdrohungen in dem im Dezember 2001 durch den Nationalrat beschlossene Tierarzneimittelkontrollgesetz erscheint systematisch verfehlt, da das Gesetz grundsätzlich von seiner Regelungsmaterie her dem Veterinärrecht zuzuordnen ist, die darin vorgesehen gerichtlichen Strafbestimmungen inhaltlich aber Regelungsbereiche des Lebensmittelgesetzes betreffen. Die hohen Strafdrohungen könnten nur durch das Tatbestandserfordernis einer abstrakten Gefährdung der menschlichen Gesundheit gerechtfertigt werden.

Ø         Für die Frage, ob die Strafdrohungen des Lebensmittelgesetzes, und auch jene des agrarischen Betriebsmittelrechts ausreichend sind, ist die Frage entscheidend, in welchem Verhältnis die Strafbestimmungen jener Gesetze und jene des Strafgesetzbuches (StGB) stehen. Auch wenn die Tatbestände des StGB keineswegs durch jene des LMG als lex specialis verdrängt werden, sollte aufgrund der unterschiedlichen Ansichten in der Literatur und Praxis das Verhältnis des Lebensmittelgesetzes zum StGB durch den Gesetzgeber geklärt und durch gesetzliche Festschreibung der Subsidiarität des Lebensmittelgesetzes die volle Anwendbarkeit des StGB neben dem LMG gewährleistet werden.

Ø         In Bezug auf die Sanktionierung von Verstößen gegen EG Recht sorgt vor allem die Sanktionierung von Verstößen gegen unmittelbar anwendbares EG Recht für Schwierigkeiten sowohl im Lebensmittelgesetz als auch im agrarischen Betriebsmittelrecht.

         Damit den europarechtlichen Anforderungen an das Erfordernis der Gleichstellung von Verstößen gegen originär österreichisches Recht und EG Recht entsprochen wird, wird im Normalfall eine Verweisung auf EG Verordnungen als ganzes nicht ausreichend sein, da damit nicht klar ist, welche der in den Verordnungen genannten Bestimmungen gemeint, und wie die Verstöße zu bestrafen sind.

         Die Sanktionen müssen zum einen jenen entsprechen, die für nach Art und Schwere gleichartige Verstöße gegen nationales Recht angedroht sind. Ansonsten entsprechen sie nicht den Anforderungen des sog. Assimilationsprinzips: Dies kann nur dadurch erreicht werden, in den bestehenden österreichischen Strafbestimmungen entsprechende Strafbestimmungen auch für Verstöße gegen das Gemeinschaftsrecht zu schaffen. Hier besteht vor allem auch im Lebensmittelgesetz ein dringender Änderungsbedarf, da beispielsweise § 74 Abs. 6 LMG diese Anforderungen keinesfalls erfüllen kann.

Ø   Darüberhinaus müssen die Sanktionen wirksam, verhältnismäßig und abschreckend sein. Um das zu erreichen müssen Verstöße gegen manche EG Verordnungen, etwa gegen die Verordnung Nummer 2377/90 zur Schaffung eines Gemeinschaftsverfahrens für die Festsetzung von Höchstmengen von Tierarzneimitteln in Nahrungsmitteln tierischen Ursprungs oder Teile der novel-food-Verordnung, jedenfalls mit gerichtlichen Strafen geahndet werden.

Ø   Diese gemeinschaftsrechtlichen Anforderungen werden vor allem auch bei der Implementierung der im Jänner 2002 erlassenen EG-Verordnung Nr. 178/2002 zur Festlegung der allgemeinen Grundsätze und Anforderungen des Lebensmittelrechts, zur Errichtung der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit und zur Festlegung für Verfahren zur Lebensmittelsicherheit (Lebensmittel-Basis-Verordung) zu beachten sein, die neben Lebensmitteln auch Futtermittel umfasst, und ein allgemeines Verbot enthält, unsichere Lebensmittel und Futtermittel in Verkehr zu bringen.

Ø     Schließlich scheint es im Lebensmittelrecht und im agrarischen Betriebsmittelrecht (wie auch in anderen Verwaltungsgesetzen) geboten, eine originär (verwaltungs)strafrechtliche Verantwortlichkeit Juristischer Personen einzuführen, da es sehr oft Unternehmen sind, die als potentielle Täter in Frage kommen, und wirkungsvolle Strafen vielfach nur gegen Unternehmen verhängt werden können.

Ø     Die strengen formalen Erfordernisse für ein Verwaltungsstrafverfahren, die vom VwGH verlangt werden, führt dazu, dass das LMG wie auch das agrarische Betriebsmittelrecht durch die Bezirksverwaltungsbehörden nicht mehr vollzogen werden können. Die Folge sind einerseits Verfahrensverschleppungen und Verfahrenseinstellungen, andererseits die Flucht in das Strafrecht durch den Gesetzgeber.“

 

Der Ausschuss für Land- und Forstwirtschaft hat den gegenständlichen Entschließungsantrag in seinen Sitzungen am 10. März und 8. Juni 2004 in Verhandlung genommen. An der Debatte beteiligten sich nach der Berichterstattung durch den Abgeordneten Heinz Gradwohl die Abgeordneten Georg Keuschnigg, Dipl.-Ing. Wolfgang Pirklhuber, Heinz Gradwohl und Dipl.-Ing. Werner Kummerer sowie der Bundesminister für Land- und Forstwirtschaft, Umwelt und Wasserwirtschaft, Dipl.-Ing. Josef Pröll. Auf Antrag des Abgeordneten Georg Keuschnigg wurden die Verhandlungen am 10. März 2004 vertagt. Nach der Wiederaufnahme der Verhandlungen in der Sitzung am 8. Juni 2004 ergriffen die Abgeordneten Heinz Gradwohl, Dipl.-Ing. Dr. Wolfgang Pirklhuber, Nikolaus Prinz, Jakob Auer, Franz Eßl, Klaus Wittauer, Rainer Wimmer, Gerhard Reheis, Karl Freund, Ing. Josef Winkler, Heidrun Walther, Christian Faul, Dipl.-Ing. Werner Kummerer, Heidemarie Rest-Hinterseer, Gabriele Binder, Notburga Schiefermair, Dipl.-Ing. Uwe Scheuch, Dipl.-Ing. Klaus Hubert Auer, Mag. Ulrike Sima und Mag. Kurt Gaßner sowie der Bundesminister für Land- und Forstwirtschaft, Umwelt und Wasserwirtschaft, Dipl.-Ing. Josef Pröll das Wort.

 

Bei der Abstimmung fand der gegenständliche Entschließungsantrag keine Mehrheit.

 

Als Berichterstatter für das Plenum wurde Abgeordneter Dipl.-Ing. Günther Hütl gewählt.

Als Ergebnis seiner Beratungen stellt der Ausschuss für Land- und Forstwirtschaft somit den Antrag, der Nationalrat wolle diesen Bericht zur Kenntnis nehmen.

Wien, 2004 06 08

               Dipl.-Ing. Günther Hütl    Fritz Grillitsch

       Berichterstatter                  Obmann