Vorblatt

Problem

Die Ersatzpflicht des Bundes für die durch eine gesetzwidrige oder ungerechtfertigte strafgerichtliche Anhaltung oder eine strafgerichtliche Verurteilung erlittenen vermögensrechtlichen Nachteile ist derzeit im Strafrechtlichen Entschädigungsgesetz  aus dem Jahre 1969 (StEG 1969) geregelt. Die Bestimmungen dieses Bundesgesetzes widersprechen nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) aber teilweise der Europäischen Menschenrechtskonvention (MRK). Österreich ist an die Urteile dieses Gerichtshofs gebunden und verpflichtet, sie – gegebenenfalls auch durch eine Anpassung der Rechtsordnung – zu befolgen.

Ziele und Inhalt

Die Mängel des geltenden Rechts sollen zum Anlass genommen werden, das strafrechtliche Entschädigungsrecht neu zu gestalten. Der Ersatzanspruch aufgrund einer strafgerichtlichen Anhaltung wird konventionskonform ausgestaltet. Zudem hat die geschädigte Person künftig Anspruch auf Ersatz des ideellen Schadens, also auf ein „Schmerzengeld“ für den Verlust der persönlichen Freiheit. Weiter wird das Verfahren drastisch vereinfacht: Die geschädigte Person soll unmittelbar die Zivilgerichte anrufen können, ohne dass sie zuvor eine positive Entscheidung der Strafgerichte herbeiführen muss.

Alternativen

Dem Reformbedarf könnte auch durch eine bloße Novelle des StEG 1969 entsprochen werden. Im Hinblick auf die notwendigen umfangreichen Eingriffe in das geltende Gesetz, den geplanten Entfall des strafgerichtlichen Feststellungsverfahrens und die vorgesehene Umstellung der strafrechtlichen Entschädigung in eine zivilrechtliche Eingriffshaftung empfiehlt es sich aber, diesen Rechtsbereich durch die Erlassung eines besonderen, modernen zivilrechtlichen Standards genügenden Haftungsgesetzes neu zu gestalten.

Auswirkungen auf die Beschäftigung und den Wirtschaftsstandort Österreich

Das neue Recht wird keine Auswirkungen auf die Beschäftigung und den Wirtschaftsstandort Österreich haben.

Finanzielle Auswirkungen

Die mit der Reform des strafrechtlichen Entschädigungsrechts für die öffentlichen Haushalte verbundenen Belastungen sollen möglichst gering gehalten werden. Eine sichere Voraussage über die mit dem Vorhaben verbundenen finanziellen Auswirkungen kann freilich nicht getroffen werden.

Aufgrund der geplanten Neuregelung (auch) der Anspruchsvoraussetzungen lässt sich die Anzahl der für eine Ersatzleistung wegen einer strafgerichtlichen Anhaltung oder Verurteilung künftig in Betracht kommenden Fälle nur schwer abschätzen. Aller Voraussicht nach werden aber wie schon nach geltendem Recht diejenigen Fälle, in denen eine Person nach einer gesetzmäßig angeordneten Verwahrung oder Untersuchungshaft nachträglich freigesprochen oder außer Verfolgung gesetzt wird, den weitaus überwiegenden Teil der Ersatzansprüche ausmachen.

Im Jahr 2003 wurden insgesamt 116 Anträge nach § 2 Abs. 1 lit. b und c StEG 1969 gestellt, von denen 86 ganz oder teilweise positiv erledigt wurden. Dabei wurde ein Betrag von insgesamt 295.189,39 Euro anerkannt. Für den einzelnen Entschädigungsfall ergibt das einen Entschädigungsbetrag von rund 3.400 Euro. Im Jahr 2002 wurden insgesamt 91 Anträge gemäß § 2 Abs. 1 lit. b und c StEG 1969 gestellt, von denen 72 (zumindest teilweise) positiv erledigt wurden. Dabei wurde ein Betrag von insgesamt 345.263,89 Euro anerkannt. Für den einzelnen Entschädigungsfall ergibt das einen Entschädigungsbetrag von durchschnittlich rund 4.800 Euro. Im Jahr 2001 wurden 50 Anträge nach dem StEG 1969 gestellt, von denen 36 positiv erledigt wurden. Dabei wurde ein Gesamtbetrag von 219.506,96 Euro (3,020.481,59 S) anerkannt, was einem Betrag von durchschnittlich rund 6.100 Euro pro Entschädigungsfall entspricht. Im Jahr 2000 wurde ein Betrag von 84.982,65 Euro (1,169.386,75 S) auf Grund des StEG 1969 anerkannt, wobei bei 25 positiv erledigten Anträgen auf den einzelnen Entschädigungsfall durchschnittlich ein Betrag von etwa 3.400 Euro entfiel. Bereits diese Divergenzen zeigen, dass nähere Prognosen anhand des vorhandenen Zahlenmaterials für die Zukunft nur schwer getroffen werden können. Zu sehr hängt das Ausmaß der Ersatzleistung von den nicht vorhersehbaren Umständen des Einzelfalls ab. Der Entwurf geht aber davon aus, dass die jährliche Belastung des Bundes trotz der Verbesserungen der Anspruchsvoraussetzungen den Gesamtbetrag von jährlich 500.000 bis 600.000 Euro nicht übersteigen wird.

Die Auswirkungen der Neuregelung auf den Personalbedarf lassen sich ebenfalls nur schwer vorhersagen. Eine gewisse Entlastung wird der Wegfall des strafgerichtlichen Feststellungsverfahrens nach sich ziehen. Gleichzeitig könnte aber der Anfall bei den Landesgerichten insbesondere unmittelbar nach dem In-Kraft-Treten des neuen Gesetzes steigen, wobei auch hier freilich keine drastischen Mehrbelastungen zu erwarten sind. Diese Mehrbelastung der Zivilgerichte kann kaum durch die Entlastungen der Strafjustiz kompensiert werden. Daher ist mit einem geringfügigen personellen Mehrbedarf im Bereich der Zivilgerichte zu rechnen.

Gewisse Einsparungen werden daraus resultieren, dass künftig die aufwändige Vertretung der Republik in den Verfahren vor dem EGMR wegfallen wird.

Ein Mehranfall wird sich bei der Finanzprokuratur ergeben, die zur „Clearingstelle“ ausgebaut werden soll. Dort ist eine zusätzliche Planstelle notwendig. Gleiches gilt für das Bundesministerium für Justiz, in dem über die Anerkennung oder Ablehnung des Anspruchs im administrativen Vorverfahren entschieden wird.

Verhältnis zu Rechtsvorschriften der Europäischen Union

Vorschriften der Europäischen Union werden nicht berührt, die strafrechtliche Entschädigung wird im Gemeinschaftsrecht selbst nicht geregelt. Das Vorhaben dient aber der Anpassung der Rechtsordnung an die Vorgaben der MRK und deren Auslegung durch den EGMR.

Besonderheiten des Normsetzungsverfahrens

Es bestehen keine Besonderheiten des Normsetzungsverfahrens.


Erläuterungen

Allgemeiner Teil

Ausgangslage

Das Bundesgesetz über die Entschädigung für strafgerichtliche Anhaltung und Verurteilung (Strafrechtliches Entschädigungsgesetz – StEG), BGBl. Nr. 270/1969 (im Folgenden StEG 1969), zuletzt geändert durch das Bundesgesetz BGBl. I Nr. 91/1999, steht seit einiger Zeit in der rechtspolitischen Diskussion. Anlass dafür waren in erster Linie die durch Art. 6 MRK normierten Verfahrensgarantien und deren Auslegung durch den EGMR. Die gesetzliche Regelung solcher Entschädigungsfälle muss besonderen Anforderungen genügen. Das zeigt nicht zuletzt der Werdegang des StEG 1969: In den Sechzigerjahren war der Fall Rebitzer gegen Österreich, eine Menschenrechtsbeschwerde wegen Verletzung der Unschuldsvermutung nach Art. 6 Abs. 2 MRK, unmittelbarer Anlass für die Neuregelung dieses Rechtsbereichs (Moos, Reformbedürftigkeit des Strafrechtlichen Entschädigungsgesetzes? RZ 1997, 122, unter Hinweis auf Okresek, Die EMRK und ihre Auswirkungen auf das österreichische Strafverfahrensrecht, EuGRZ 1987, 497 [499]). Obwohl der Gesetzgeber seinerzeit im Hinblick auf die damalige Judikatur des Gerichtshofs bemüht war, sowohl den Anforderungen der MRK als auch des Bundes-Verfassungsgesetzes gerecht zu werden, bereiten aus heutiger Sicht einige der damaligen Wertungen Probleme. Das gilt etwa für die Entscheidung, die Fälle der „ungerechtfertigten“ Verurteilung einerseits und der „ungerechtfertigten“ Verwahrungs- oder Untersuchungshaft andererseits unterschiedlich zu behandeln. Letztere seien – so die Erläutenden Bemerkungen der RV 1197 BlgNR 11. GP. 7 – ein weniger schwerer Eingriff in die Rechtssphäre des Rechtsunterworfenen als die rechtskräftige Verurteilung und daher eher zu akzeptieren. Diese Einschätzung schlug sich in unterschiedlich strengen Anspruchsvoraussetzungen nieder. Von dem in den beiden früheren Entschädigungsgesetzen (RGBl. Nr. 318/1918 und BGBl. Nr. 242/1932) enthaltenen Erfordernis der Verdachtsentkräftung ging das StEG 1969 nur für Ersatzansprüche wegen einer rechtskräftigen Verurteilung ab. Für die Ansprüche wegen vorläufiger Verwahrung- oder Untersuchungshaft oder wegen einer auf Ersuchen eines inländischen Gerichtes verhängten Auslieferungshaft wurde dagegen die „Entkräftung des Verdachtes“ als Voraussetzung des Anspruchs beibehalten.

Bis zum Jahre 1969 hatte sich der EGMR mit der Reichweite der Unschuldsvermutung des Art. 6 Abs. 2 MRK bei der Entscheidung über eine Entschädigung für die durch eine strafrechtliche Verfolgung verursachten Nachteile nicht befasst. Soweit ersichtlich, setzte sich der Gerichtshof damit erst in den Jahren 1982 und 1983 näher auseinander (Pilnacek, Strafrechtliches Entschädigungsgesetz im Spannungsverhältnis zu Art 6 MRK, ÖJZ 2001, 546, 554). Der EGMR betonte zwar, dass der Konvention kein Recht auf Entschädigung nach der Einstellung eines Strafverfahrens oder dessen Beendigung durch einen Freispruch zu entnehmen sei. Für den Fall der Einräumung solcher Ansprüche seien aber die Anforderungen der Unschuldsvermutung nach Art. 6 Abs. 2 MRK besonders zu beachten. Diese Auffassung präzisierte der EGMR in der Entscheidung im Fall Sekanina gegen Österreich (ÖJZ 1993, 816): Demnach sei der Ausspruch von Verdächtigungen, die die Unschuld eines Angeklagten beträfen, zwar denkbar, solange ein Strafverfahren nicht mit einer Entscheidung über die Begründetheit der Anklage geendet habe. Sobald aber ein Freispruch rechtskräftig geworden sei, sei es nicht mehr zulässig, sich auf solche Verdächtigungen zu berufen. Einen der (vorläufigen) Schlusspunkte dieser Rechtsprechung bildet die Entscheidung des EGMR im Fall Rushiti gegen Österreich (ÖJZ 2001, 55): Hier betonte der Gerichtshof erneut, dass es bei einem freisprechenden Erkenntnis mit der Unschuldsvermutung nach Art. 6 Abs. 2 MRK nicht vereinbar sei, wenn im Anschluss an ein solches Erkenntnis der Fortbestand der Verdachtsgründe geprüft oder darüber durch staatliche Organe entschieden werde. Sobald ein Freispruch, und zwar auch ein Freispruch in dubio, rechtskräftig geworden sei, widersprächen jegliche Schuldverdächtigungen einschließlich solcher, die in der Begründung des Freispruchs zum Ausdruck kämen, der Unschuldsvermutung.

Kritisch beurteilte der EGMR ferner die Verfahrensbestimmungen des § 6 StEG 1969 und besonders die dort vorgesehene Entscheidung des Strafgerichts über die Anspruchsvoraussetzungen des § 2 und die Ausschlussgründe des § 3: Das Fehlen einer Verpflichtung zur Durchführung einer öffentlichen Verhandlung und zur öffentlichen Verkündung der strafgerichtlichen Entscheidung widerspreche dem Art. 6 Abs. 1 MRK. Soweit ein innerstaatliches, ziviles Recht auf Entschädigung bestehe, bedürfe er zur Sicherstellung eines fairen Verfahrens sowohl der Durchführung einer öffentlichen Gerichtsverhandlung als auch einer öffentlichen Entscheidungsverkündung (vgl. etwa EGMR 24.11.1997, 138/1996/757/956, Fall Werner gegen Österreich).

Die österreichischen Strafgerichte tragen dieser Rechtsprechung des EGMR durch eine verfassungs- und grundrechtskonforme Auslegung des geltenden Gesetzes Rechnung (vgl. etwa zur Berücksichtigung der Unschuldsvermutung OGH EvBl 2004/24, zur Öffentlichkeit des Verfahrens und zur mündlichen Entscheidungsverkündung OGH EvBl 2002/55; RZ 2002/6; EvBl 2001/36 ua; vgl. dazu näher Schwab, StEG – Evolution durch Interpretation, RZ 2001, 162). Dennoch bedarf auch das geltende Gesetz einer Änderung, um jegliche Zweifel an der Konformität des österreichischen Rechts mit der MRK zu zerstreuen. Die Bundesregierung hat daher im Ministerrat vom 1.2.2002 beschlossen, eine grundrechtskonforme Neugestaltung dieses Rechtsbereichs unter Bedachtnahme auf moderne zivilrechtliche Grundsätze in die Wege zu leiten.

Hauptgesichtspunkte des Entwurfs

Der Reformbedarf wird zum Anlass genommen, das strafrechtliche Entschädigungsrecht insgesamt neu zu gestalten. Dem Geschädigten soll es in Hinkunft – nach Durchführung eines außergerichtlichen Aufforderungsverfahrens – frei stehen, sich sogleich an das Zivilgericht zu wenden und seine Ansprüche einzuklagen. Dabei kann er auch Verfahrenshilfe beantragen und erhalten. Das bisher einem Zivilprozess vorgeschaltete strafrechtliche Verfahren über die Anspruchsvoraussetzungen und die Ausschließungsgründe (§ 6 StEG 1969) soll dagegen – trotz mancher im Begutachtungsverfahren gegen diesen Vorschlag geäußerten Bedenken (vgl. dazu auch Lukasch/Schwab, [Zuviel?] Neues zum StEG, RZ 2003, 147) – beseitigt werden. Mit der damit verbundenen Konzentration der Anspruchstellung auf die Zivilgerichte soll das Verfahren im Interesse aller Beteiligten beschleunigt werden. Gleichzeitig wird damit auch der Judikatur des EGMR zu den Verfahrensgarantien des Art. 6 Abs. 1 MRK Rechnung getragen. Letztlich ist es zweckmäßig, zur Entscheidung über den im Kern zivilrechtlichen Entschädigungsanspruch einen anderen Zweig der Gerichtsbarkeit als die Strafgerichte zu berufen.

Darüber hinaus soll die Rechtsposition des Geschädigten hinsichtlich der Anspruchsvoraussetzungen und der Ausschlussgründe verbessert werden. Vor allem ist hier die Anspruchsvoraussetzung der Verdachtsentkräftung nach einem freisprechenden Erkenntnis zu erwähnen. Die derzeit geltende Regelung widerspricht nicht nur in Teilen der MRK, sondern hat den Betroffenen aufgrund der damit verbundenen Beweislastverteilung in der Praxis häufig große Probleme bereitet und die Durchsetzung ihrer Ansprüche verhindert. Das Erfordernis der vollständigen Verdachtsentkräftung nach einem Freispruch soll daher entfallen. Es wäre aber nicht sachgerecht, eine Entschädigung in allen anderen Fällen der Einstellung des Verfahrens quasi automatisch ohne nähere Würdigung der konkreten Umstände des Einzelfalls zu gewähren. Vielmehr bedarf es eines Instrumentariums, mit dem unangemessenen und unbilligen Ergebnissen begegnet werden kann. Zu denken ist hier an Fälle, in denen die uneingeschränkte Zuerkennung einer Ersatzleistung etwa im Hinblick auf eine zunächst „drückende“ Beweislage oder bei Vorliegen schwerwiegender Haftgründe unverständlich wäre. Derartigen unangemessenen Entschädigungsansprüchen soll mit einer – bisher im Gesetz nicht vorgesehenen – „differenzierten Ermessensklausel“ begegnet werden. Eine solche Ermessensregelung sollte auch im Licht der MRK keine Probleme bereiten (vgl. Matscher, Nachholbedarf im österreichischen Strafverfahrensrecht? ÖJZ 2002, 741, 742 [FN 10]), zumal die Konvention nach der Rechtsprechung des EGMR die Mitgliedstaaten der Konvention nicht dazu verhält, für die fraglichen Fälle überhaupt eine Entschädigung zu gewähren.

Die dargestellten Maßnahmen erforderten im geltenden StEG 1969 umfangreiche Änderungen. Angesichts dessen und im Hinblick auf die grundlegende Neuorientierung dieses Rechtsbereichs ist es sinnvoll, das geltende Recht nicht durch eine bloße Novelle zu ändern, sondern ein neues (Eingriffs-)Haftungsgesetz zu erlassen. Dabei soll auch auf den Ersatz immaterieller Schäden Bedacht genommen werden: Für die durch den Entzug der persönlichen Freiheit erlittene Beeinträchtigung, also für das „Haftübel“ im engeren Sinn, soll dem Betroffenen eine angemessene Entschädigung zustehen. Die Entwicklung im Schadenersatzrecht tendiert allgemein dahin, den Schädiger auch zum Ersatz bloß ideeller Nachteile zu verhalten. Vor diesem Hintergrund wäre es nicht sachgerecht, in den Fällen der strafrechtlichen Entschädigung weiterhin nur materielle Schäden auszugleichen und für das „Haftübel“ selbst, also für den Eingriff in das fundamentale Recht auf persönliche Freiheit, Schadenersatz zu verweigern. Die tatsächlichen Verhältnisse lassen sich nicht mit dem Polizeibefugnis-Entschädigungsgesetz (nach dem kein immaterieller Schadenersatz geleistet wird) vergleichen, weil dort nicht Entschädigungen für Eingriffe in die persönliche Freiheit geleistet werden, sondern für „Sonderopfer“, die unbeteiligte Dritte durch Maßnahmen der Exekutive erleiden.

Was den Umfang des Ersatzes angeht, so sieht der Entwurf von einer „Deckelung“ oder Pauschalierung der Beträge ab. Nur so kann letztlich den konkreten Umständen des Einzelfalls verlässlich Rechnung getragen werden. Das zeigt nicht zuletzt auch die Rechtsprechung zu § 1329 ABGB, Art. 5 Abs. 5 MRK und § 1 AHG.

Finanzielle Auswirkungen

Auf die Ausführungen im Vorblatt wird verwiesen.

Kompetenzgrundlage

Die Kompetenz des Bundes zur Erlassung des vorgeschlagenen Bundesgesetzes gründet sich auf Art. 10 Abs. 1 Z 6 B-VG (Zivil- und Strafrechtswesen).

Besonderheiten des Normerzeugungsverfahrens

Es bestehen keine besonderen Beschlusserfordernisse im Nationalrat und im Bundesrat. Das Vorhaben unterliegt nicht dem Konsultationsmechanismus, weil es zivilrechtliche Regelungen vorsieht, durch die die anderen Gebietskörperschaften nicht belastet werden. Auch muss es nicht nach dem Notifikationsgesetz 1999 notifiziert werden.

Aspekte der Deregulierung

Das Vorhaben widerspricht nicht den Zielen des Deregulierungsgesetzes.


Besonderer Teil

Zu § 1

§ 1 Abs. 1 umschreibt den Anwendungsbereich des Gesetzes. Es geht um die Haftung des Bundes für Schäden, die eine natürliche Person wegen des Entzugs der persönlichen Freiheit im Dienst der Strafjustiz oder wegen einer Verurteilung durch ein inländisches Strafgerichts erleidet. Dabei werden praktisch vornehmlich Ansprüche wegen einer Freiheitsentziehung in Betracht kommen. Andere Schadenersatzansprüche aufgrund der Verurteilung durch ein inländisches Strafgericht sind aber (so wie nach geltendem Recht – vgl. § 1 StEG 1969) ebenfalls erfasst, sofern die weiteren Voraussetzungen der §§ 2 ff. vorliegen.

Die schädigende Maßnahme muss – wie sich aus dem Zusammenhang mit § 2 ergibt –  von einem inländischen Organ der Strafrechtspflege im Rahmen eines gerichtlichen Strafverfahrens ausgegangen, aber nicht unbedingt im Inland vollzogen worden sein. Im Besonderen unterliegt der Fall einer Festnahme und Anhaltung im Ausland aufgrund eines inländischen Haftbefehls oder Auslieferungsersuchens weiterhin dem strafrechtlichen Entschädigungsrecht. Als strafgerichtliche Verurteilung ist ferner auch ein Urteil anzusehen, mit dem eine Anhaltung nach § 21 Abs. 1 StGB angeordnet wurde (OGH SSt 56/8 = EvBl 1985/135). Dagegen soll die Verhängung einer Beugehaft nach wie vor keine Ersatzansprüche nach diesem Bundesgesetz begründen (OGH RZ 1996/28).

Neben der durch ein Strafgericht angeordneten Haft oder einer strafgerichtlichen Verurteilung kann auch eine vorläufige Verwahrung durch eine inländische Verwaltungsbehörde oder durch eines ihrer Organe die Ersatzpflicht des Bundes auslösen, sofern die Festnahme zum Zweck der gerichtlichen Strafrechtspflege, also im Dienste der Strafjustiz (vgl. § 2 Abs. 3 StEG 1969), vorgenommen wurde. Zu denken ist hier an die vorläufige Verwahrung nach § 177 StPO und auch nach § 180 Abs. 3 StVG. Anders als nach bisherigem Recht (§ 2 Abs. 3 StEG 1969) gilt dies freilich nicht nur in denjenigen Fällen, in denen die sicherheitsbehördliche Verwahrung einer gerichtlichen Verwahrungs- oder Untersuchungshaft voranging oder, sofern es nicht zu einer gerichtlichen Haft kam, die 48-Stunden-Frist (§ 177 Abs. 2 StPO) überschritten wurde. Die Haftung des Bundes besteht vielmehr für jede sicherheitsbehördliche „Verwahrung“, die dem Zweck der gerichtlichen Strafrechtspflege diente. Nach geltendem Recht besteht etwa dann, wenn mangels Gefahr im Verzug ein gerichtlicher Haftbefehl hätte eingeholt werden können und in der Folge keine gerichtliche Haft verhängt wurde, kein Ersatzanspruch. Diese Differenzierung erscheint nicht nur aus der Sicht des Geschädigten problematisch und wird daher nicht übernommen.

Nach § 1 Abs. 2 wird – so wie nach geltendem Recht (§ 11 Abs. 1 StEG 1969) –  durch das vorgesehene Bundesgesetz eine nach dem Amtshaftungsgesetz bestehende Haftung des Bundes weder ausgeschlossen noch eingeschränkt. Die Bestimmungen des Amtshaftungsgesetzes, die für die Haftpflicht des Bundes ein rechtswidriges und schuldhaftes Verhalten eines Organs voraussetzen, bleiben vielmehr unberührt.

Nach § 1 Abs. 2 des Begutachtungsentwurfs sollten auch andere Bestimmungen, die eine Haftung des Bundes vorsehen, unberührt bleiben. Insoweit wird der Begutachtungsentwurf freilich nicht übernommen. Die damit angesprochenen Bestimmungen, nämlich Art. 5 Abs. 5 MRK sowie Art. 7 des Bundesverfassungsgesetzes zum Schutz der persönlichen Freiheit, sind bisher nicht ausdrücklich „einfach-gesetzlich“ ausgeführt worden. Das hat immer wieder zu Problemen in der Praxis geführt (vgl. dazu Felnhofer-Luksch, Bemerkungen zum Entwurf für ein Strafrechtliches Entschädigungsgesetz 2004, ÖJZ 2003, 410 [413 f.]). Das Strafrechtliche Entschädigungsgesetz 2005 ist deshalb als Ausführungsgesetz dieser grund- und verfassungsrechtlichen Bestimmungen für den Bereich der Strafrechtspflege konzipiert. Ansprüche nach Art. 5 Abs. 5 MRK und nach Art. 7 des erwähnten Bundesverfassungsgesetzes, die aus Freiheitsentziehungen im Dienste der Strafrechtspflege abgeleitet werden, sind künftig unter dem Entschädigungsgrund des § 2 Abs. 1 Z 1 (gesetzwidrige Haft) geltend zu machen. Die mit den grund- und verfassungsrechtlichen Vorgaben nicht kompatiblen Ausschluss- und Einschränkungsgründe der §§ 3 und 4 sind bei Verletzung der genannten grund- und verfassungsrechtlichen Bestimmungen nicht anzuwenden (vgl. § 3 Abs. 3 und die Erläuterungen dazu).

Zu § 2

Ein Ersatzanspruch nach § 1 Abs. 1 besteht nur dann, wenn einer der in § 2 Abs. 1 Z 1 bis 3 angeführten Entschädigungsgründe vorliegt. Zudem setzt die Ersatzpflicht des Bundes allgemein voraus, dass die persönliche Freiheit von einem inländischen Strafgericht oder einer inländischen Verwaltungsbehörde (bzw. deren Organen) zum Zweck der gerichtlichen Strafrechtspflege entzogen wurde oder die Entscheidung, aus der ein Anspruch abgeleitet wird, von einem inländischen Strafgericht stammt. Im Fall einer im Inland aufgrund des Ersuchens einer ausländischen Stelle verhängten Haft haftet der Bund nur dann, wenn die Festnahme oder Anhaltung den österreichischen Gesetzen widerspricht. Auch hat der Bund unter dieser Prämisse nur für den Zeitraum der Anhaltung in Österreich einzustehen. Weitere Nachteile können in einem solchen Fall dagegen nicht dem Bund, sondern nur dem ausländischen Staat zugerechnet werden.

Nach § 2 Abs. 1 Z 1 hat der Geschädigte Anspruch auf Entschädigung, wenn er – in einem gerichtlichen Strafverfahren oder zum Zweck der Strafrechtspflege – gesetzwidrig festgenommen oder in Haft gehalten wurde. Diesen Entschädigungsgrund nennt der Entwurf im Folgenden „gesetzwidrige Haft“. Darunter fällt jegliche rechtswidrige Festnahme oder Anhaltung wegen des Verdachts einer mit gerichtlicher Strafe bedrohten Handlung, im Besonderen auch Verstöße gegen Art. 5 MRK oder gegen das Bundesverfassungsgesetz zum Schutz der persönlichen Freiheit, aber auch Verstöße gegen „einfache“ Gesetze wie etwa die StPO. Ferner sind auch die Verwahrungshaft durch eine Verwaltungsbehörde (Sicherheitsbehörde oder Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes, Finanzstrafbehörden im gerichtlichen Finanzstrafverfahren, militärische Organe) zum Zweck der gerichtlichen Strafrechtspflege, die Auslieferungshaft aufgrund eines gesetzwidrigen inländischen Auslieferungsersuchens sowie die gesetzwidrige Festnahme und Anhaltung im Inland aufgrund eines ausländischen Ersuchens umfasst. Der Entschädigungsgrund deckt aber auch gesetzwidrige Freiheitsentziehungen im Vollzug eines strafgerichtlichen Urteils ab, etwa die Aufrechterhaltung einer Strafhaft über den im Urteil festgelegten Zeitraum hinaus.

Der Entschädigungsgrund entspricht dem Anspruch auf Entschädigung wegen gesetzwidriger Haft nach § 2 Abs. 1 lit. a StEG 1969. Bei der Auslegung des Begriffs „gesetzwidrig“ kann also ua. auf die zur geltenden Rechtslage ergangene Rechtsprechung zurückgegriffen werden. Auch weiterhin wird damit – soweit insbesondere der erforderliche Rechtswidrigkeitszusammenhang gegeben ist – grundsätzlich jede Verletzung des materiellen und formellen Haftrechts (wie etwa die Überschreitung der in § 179 Abs. 1 StPO normierten 48-Stunden-Frist zur Vernehmung des Beschuldigten und Entscheidung über die Untersuchungshaft) zur Geltendmachung eines Ersatzanspruchs wegen gesetzwidriger Haft berechtigen (vgl. Pilnacek, ÖJZ 2001, 546 [549]).

§ 2 Abs. 1 Z 2 betrifft den Fall, in dem eine festgenommene oder in Haft gehaltene Person später freigesprochen oder außer Verfolgung gesetzt wurde. Der Entwurf nennt diesen Entschädigungsgrund den Fall der „ungerechtfertigten Haft“. Die Bestimmung umfasst insbesondere eine vor der rechtskräftigen Beendigung des Strafverfahrens erlittene sicherheitsbehördliche oder gerichtliche Verwahrungshaft, die Untersuchungshaft und die aufgrund eines inländischen Auslieferungsersuchens im Ausland verhängte Auslieferungshaft. Im Gegensatz zu § 2 Abs. 1 lit. b StEG 1969 sieht der Entwurf keine weitere Einschränkung des Anspruchs vor. Die Gründe, die zu einer Einschränkung oder einem Ausschluss des Ersatzanspruchs führen können, werden zur besseren Verständlichkeit des Gesetzes künftig in eigenen Bestimmungen, nämlich in den §§ 3 und 4, zusammengefasst.

§ 2 Abs. 1 Z 3 entspricht im Wesentlichen dem § 2 Abs. 1 lit. c StEG 1969, die Bestimmung behandelt den Entschädigungsgrund der „Wiederaufnahme“. Ein Anspruch nach der Z 3 setzt die Aufhebung einer rechtskräftigen, von einem inländischen Gericht ausgesprochenen Verurteilung und die nachträgliche Einstellung des Verfahrens, den Freispruch des Verurteilten oder die Verhängung einer milderen Strafe oder Maßnahme voraus. Auch wenn der rechtskräftigen Verurteilung oder dem wiederaufgenommenen Verfahren eine Verwahrungs-, Untersuchungs- oder Auslieferungshaft vorangegangen war, soll der daraus abgeleitete Ersatzanspruch unter die Z 3 fallen. § 2 Abs. 1 lit. c zweiter Halbsatz StEG 1969, wonach für diese Fälle nach Maßgabe der in § 2 Abs. 1 lit. a und b enthaltenen Bestimmungen Ersatz zu leisten ist, wird nicht übernommen.

Ähnlich wie im Amtshaftungsrecht (vgl. § 1 Abs. 1 AHG) soll das Organ, das die Festnahme oder Anhaltung anordnete, eine derartige Maßnahme vornahm oder das verurteilende Erkenntnis des inländischen Strafgerichts fällte, dem Geschädigten nicht haften (§ 2 Abs. 2). Eine gänzliche Befreiung dieses Organs von jedweder Verantwortung für den eingetretenen Schaden ist damit aber nicht verbunden. Vielmehr ist das Organ nach dem  § 7 dem Bund zum Rückersatz des Schadens verpflichtet, wenn es den Schaden vorsätzlich oder grob fahrlässig verschuldete.

Zu § 3

Die §§ 3 und 4 fassen jene Umstände zusammen, bei deren Vorliegen ein Ersatzanspruch kraft Gesetzes zur Gänze ausgeschlossen ist (§ 3 Abs. 1) oder durch den Richter ausgeschlossen oder eingeschränkt werden kann (§ 3 Abs. 2 und § 4).

§ 3 Abs. 1 Z 1 entspricht dem § 3 lit. b StEG 1969. Die Haftung des Bundes ist in den Fällen der gesetzwidrigen Haft, der ungerechtfertigten Haft und der Wiederaufnahme mit einer nachträglichen milderen Sanktion (§ 2 Abs. 1 Z 1, 2 und 3 zweiter Fall) insoweit ausgeschlossen, als die Zeit der Anhaltung auf die verhängte Strafe angerechnet wurde (§ 38 StGB; § 400 StPO). Dieser Ausschlussgrund gilt nicht nur etwa für die Fälle der Anrechnung auf eine unmittelbar zu vollziehende (unbedingte) Strafe. Vielmehr schließt auch die Anrechnung auf eine ganz oder zum Teil bedingt nachgesehene Strafe den Ersatzanspruch in diesem Umfang aus. Es ist auch gleichgültig, ob die Anrechnung auf eine Freiheits- oder auf eine Geldstrafe erfolgte (vgl. OGH EvBl 1993/203).

§ 3 Abs. 1 Z 2 entspricht inhaltlich im Wesentlichen dem letzten Halbsatz des § 2 Abs. 1 lit. b StEG 1969: Der Bund haftet im Fall der ungerechtfertigten Haft (§ 2 Abs. 1 Z 2) nicht, wenn die Verfolgung des Geschädigten lediglich deshalb ausgeschlossen war, weil die Ermächtigung zur oder der Antrag auf Strafverfolgung zurückgenommen wurde oder die Strafbarkeit der Tat aus anderen erst im Nachhinein eingetretenen Gründen entfiel. Nach wie vor macht es dabei keinen Unterschied, ob die weitere Verfolgung aus Gründen des materiellen oder des formellen Strafrechts ausgeschlossen war. Auch kommt es weiterhin nicht darauf an, ob diese Umstände dem Gericht bekannt waren (siehe die Erläuternden Bemerkungen der RV 1197 BlgNR 11. GP. 10). Gründe, die den Entfall der Strafbarkeit der Tat nach der Festnahme oder Anhaltung bewirken, sind außer der Zurücknahme der Ermächtigung zur oder des Antrags auf Strafverfolgung alle materiellen Strafaufhebungs- und Strafausschließungsgründe sowie prozessualen Verfolgungshindernisse.

§ 3 Abs. 1 Z 3 übernimmt den in § 3 lit. c StEG 1969 enthaltenen Ausschlussgrund. Der Bund haftet im Fall der ungerechtfertigten Haft (§ 2 Abs. 1 Z 2) nicht, wenn die Verfolgung lediglich deshalb ausgeschlossen war, weil der Geschädigte die Tat im Zustand der Zurechnungsunfähigkeit begangen hatte. Für den Fall der Wiederaufnahme des Verfahrens (§ 2 Abs. 1 Z 3) soll dieser Ausschlussgrund aber nicht übernommen werden, zumal dies dem Art. 3 des 7. Zusatzprotokolls zur MRK widersprechen könnte.

§ 3 Abs. 1 Z 4 entspricht schließlich dem § 3 lit. d StEG 1969. Ein Ersatzanspruch ist nach der Wiederaufnahme des Verfahrens (§ 2 Abs. 1 Z 3) ausgeschlossen, wenn die nachträglich günstigere Entscheidung allein auf eine zwischenzeitige Änderung des Gesetzes zurückzuführen ist. Hier besteht kein Widerspruch zu dem eben erwähnten Art. 3 des 7. Zusatzprotokolls zur MRK, zumal es bei diesem Ausschlussgrund nicht um eine neue oder neu bekannte Tatsache, sondern um eine Änderung der Rechtslage geht.

Der in § 3 Abs. 1 Z 5 des Begutachtungsentwurfs enthaltene und dem § 2 Abs. 2 AHG  (Unterlassung der Einbringung eines Rechtsmittels) nachgebildete Ausschlussgrund wird nicht übernommen. Im Begutachtungsverfahren haben mehrere Stellungnahmen darauf hingewiesen, dass eine solche Regelung zur Einbringung von Rechtsmitteln aus reiner Vorsicht animieren und damit zu einer letztlich unnötigen Belastung der Rechtsmittelgerichte führen könnte. Weiter kommt derartigen Rechtsmitteln im Strafverfahren im Allgemeinen keine aufschiebende Wirkung zu, sodass der Nutzen des Ausschlussgrundes für den haftpflichtigen Bund durchaus fraglich ist. Die Unterlassung der Einbringung eines Rechtsmittels soll daher nicht zum Ausschluss der Haftung des Bundes führen. Sie kann aber im Einzelfall ein Mitverschulden des Geschädigten begründen (§ 4).

Auch § 3 Abs. 2 des Begutachtungsentwurfs über den Ausschluss der Haftung aufgrund eines Erkenntnisses eines Höchstgerichts wird nicht übernommen. Der Verfassungsgerichtshof und der Verwaltungsgerichtshof sind kaum bzw. nicht als „inländische Strafgerichte“ im Verständnis des § 1 Abs. 1 tätig. Insoweit geht die im Begutachtungsentwurf enthaltene Regelung also ins Leere. Auch aus Erkenntnissen des Obersten Gerichtshofs, die in Strafsachen gefällt werden, wird im Allgemeinen kein Ersatzanspruch nach § 1 Abs. 1 ableitbar sein. Wenn dies aber ausnahmsweise doch einmal der Fall sein sollte (hier ist vor allem an den Fall der Wiederaufnahme im Verständnis des § 3 Abs. 1 Z 3 zu denken), sollte der Bund dafür einstehen.

Wie schon im Allgemeinen Teil der Erläuterungen dargelegt, ist das Erfordernis der Verdachtsentkräftung nach § 2 Abs. 1 lit. b StEG 1969 einer der wesentlichen Kritikpunkte des EGMR am geltenden Entschädigungsrecht. Die Übernahme dieser Anspruchsvoraussetzung in das neue Gesetz wäre im Licht des Art. 6 Abs. 2 MRK überaus problematisch, auch wenn die Prüfung der Verdachtslage künftig nicht mehr im Strafverfahren, sondern in einem vom Betroffenen eingeleiteten Zivilprozess erfolgt. Den Erkenntnissen des EGMR lässt sich aber auch entnehmen, dass dem Geschädigten der gegen ihn bestandene Tatverdacht ohne Verletzung der Unschuldsvermutung entgegengehalten werden kann, wenn das Verfahren auf andere Weise als durch einen Freispruch endete. Diese Differenzierung ist – wie auch das Begutachtungsverfahren gezeigt hat – zwar nicht unbestritten (vgl. etwa Moos, RZ 1997, 123), doch hat der Gerichtshof seine Interpretation des Konvention in einer Reihe von Erkenntnissen beibehalten und ausgebaut. In seinem Urteil vom 28.10.2003 im Fall Baars gegen die Niederlande, BNr. 44320/98, hat der EGMR zuletzt neuerlich betont, dass weder Art. 6 Abs. 2 MRK noch eine andere Vorschrift der Konvention einem Angeklagten das Recht auf eine Entschädigung gewährt, wenn ein gegen ihn eingeleitetes Verfahren eingestellt worden ist. Die Verweigerung einer Entschädigung für die im Verfahren angefallenen Auslagen und Kosten stellt für sich allein noch keine Verletzung der Unschuldsvermutung dar. Die Entscheidung über eine solche Entschädigung nach der Beendigung des Verfahrens kann durch ihre Begründung zu einer Verletzung der Unschuldsvermutung führen, wenn zuvor der gesetzliche Schuldbeweis nicht erbracht wurde und der Angeklagte seine Verteidigungsrechte nicht ausüben konnte. Allerdings führt dabei die Bezugnahme auf einen im vorherigen Verfahren verbliebenen Tatverdacht allein noch nicht zu einer Verletzung des Art. 6 Abs. MRK, selbst wenn die Äußerungen missverstanden werden könnten.

Es wäre verfehlt, wenn jede einem Freispruch oder einer Verfahrenseinstellung vorangegangene Festnahme oder Anhaltung „automatisch“ zu einer Haftung des Bundes führte (vgl. auch Aufner, Strafrechtliche Entschädigung und ihre mögliche zivilrechtliche Neuordnung – Der Entwurf eines Strafrechtlichen Entschädigungsgesetzes 2004, in BMJ (Hrsg), Haftung für staatliches Handeln [2003] 377, 384 f). Eine solche Automatik kann nämlich im Einzelfall zu durchaus unangemessenen Ergebnissen führen. Eine Entschädigung kann etwa – vorbehaltlich der Umstände des Einzelfalls – dann unangemessen sein, wenn ein Freispruch darauf zurückzuführen ist, dass der Verwertung einer Aussage ein nachträgliches „Beweisverwertungsverbot“ entgegensteht (wenn beispielsweise die geschlagene und verletzte Frau im Strafverfahren gegen ihren Partner wegen des Verdachts der Körperverletzung ihre Aussage „zurückzieht“, um den „Familienfrieden“ zu retten), wenn ursprünglich vorhandene Beweismittel verloren gehen oder wenn ein Freispruch oder eine Verfahrenseinstellung allein aus formalen Gründen erfolgt. Ebenso wäre eine (volle) Haftung des Bundes in denjenigen Fällen fragwürdig, in denen der Freiheitsentzug zur Verhinderung weiterer Schäden notwendig ist, etwa wenn eine Haft wegen gefährlicher Drohung aufgrund der drohenden Tatausführung verhängt werden muss und der Bund andernfalls Amtshaftungsansprüche der später geschädigten Dritten ersetzen muss (vgl OGH SZ 62/73).  Für solche und andere Fälle soll dem Richter die Befugnis eingeräumt werden, den Entschädigungsanspruch zu mindern oder auszuschließen. Auch lässt es die vorgeschlagene Ermessensklausel zu, den Ersatzanspruch der geschädigten Person auf bestimmte Nachteile zu beschränken und etwa den Anspruch auf Ersatz des immateriellen Schadens für das erlittene „Haftübel“ auszuschließen.

Bei der Ermessensentscheidung darf das Gericht freilich nach einem Freispruch gemäß § 259 Z 3 StPO nicht auf den gegen Beschuldigten oder Angeklagten bestandenen oder auch noch bestehenden Tatverdacht eingehen. Es kann aber auch in einem solchen Fall die Haftgründe und die Gründe für den Freispruch oder die Verfahrenseinstellung werten und bei Einschätzung dieser Umstände die Haftpflicht des Bundes mindern oder ganz ausschließen. Nach einer sonstigen Verfahrenseinstellung kann überdies auch der bestandene und noch vorhandene Tatverdacht berücksichtigt werden.

Nach § 3 Abs. 3 sind die Ausschluss- und Minderungsgründe der Abs. 1 und 2 nicht anzuwenden, wenn der Entschädigungsanspruch wegen einer gesetzwidrigen Haft auf einer Verletzung des Art. 5 MRK oder des Bundesverfassungsgesetzes zum Schutz der persönlichen Freiheit beruht (siehe auch die Erläuterungen zu § 1 Abs. 2). Darunter ist auch ein Verstoß gegen die innerstaatlichen und „einfach-gesetzlichen“ Vorschriften zu verstehen, die diesen grund- und verfassungsrechtlichen Vorgaben entsprechen. Bei Verletzung dieser Vorschriften wird die Handlung (oder Unterlassung) auch zum konventions- bzw. verfassungswidrigen Entzug der persönlichen Freiheit des Betroffenen (vgl. OGH SZ 54/108). Die Entschädigungsgrundlagen des Art. 5 Abs. 5 MRK und des Art. 7 des genannten Bundesverfassungsgesetzes lassen aber eine Einschränkung oder einen Ausschluss der Haftung aus den in den §§ 3 und 4 angeführten Gründen nicht zu.

Zu § 4

§ 3 regelt den Ausschluss und die Einschränkung des Ersatzanspruchs aus Gründen, die spezifisch das strafrechtliche Entschädigungsrecht betreffen. § 4 übernimmt dagegen ein Instrument des allgemeinen Schadenersatzrechts in diesen Rechtsbereich, nämlich die Mitverantwortung des Geschädigten. Auch diese Änderung ist eine Folge der Neugestaltung der strafrechtlichen Entschädigung als zivilrechtliche Eingriffshaftung. Wenn sich der Geschädigte selbst sorglos verhalten hat, soll ihm nicht der volle Ersatz zustehen. Vielmehr soll er dann einen Teil oder in besonders schwerwiegenden Fällen auch den gesamten Schaden selbst tragen. Zu beachten ist auch, dass das Mitverschulden nach zivilrechtlichen Grundsätzen kein echtes Verschulden, sondern eine bloße Obliegenheitsverletzung ist, weil das Verschulden Rechtswidrigkeit voraussetzt, der sorglose Umgang mit eigenen Gütern aber nicht verboten ist (Koziol/Welser, Bürgerliches Recht II12, 308). Auch im Bereich der strafrechtlichen Entschädigung soll eine solche Obliegenheitsverletzung aber Auswirkungen auf den Umfang des Ersatzes haben.

§ 4 nennt demonstrativ einige Beispiele eines solchen Mitverschuldens. Der erste Fall (Herbeiführung des Verdachts) ist dem § 3 lit. a StEG 1969 nachgebildet. Die Herbeiführung des Verdachts wird – aber anders als nach bisherigem Recht – nicht in jedem Fall zum Ausschluss der Haftung führen, sondern nur dann, wenn das Verhalten des Geschädigten die dem Bund zurechenbaren Haftungsgründe seinem Gewicht nach bei weitem überwiegt. Als Mitverschulden kann dem Geschädigten selbst die Herbeiführung eines Verdachts aber nicht zur Last gelegt werden, wenn er sich unter unangemessenem Druck der Strafverfolgungsbehörden falsch oder im Widerspruch zu späteren Aussagen verantwortete. Ein weiteres Beispiel für ein Mitverschulden bilden die Fälle, in denen es deshalb zu einer Festnahme oder Anhaltung kommt, weil der Geschädigte einer gerichtlichen Ladung nicht Folge leistete oder gegen die ihm auferlegten Auflagen (§ 180 Abs. 5 StPO) verstieß. Ferner kann es ein Mitverschulden begründen, wenn der Geschädigte gegen die Festnahme oder Anhaltung kein Rechtsmittel einbrachte.

Zu den Gründen für die Regelung des § 4 Abs. 2 sei auf die Erläuterungen zu § 3 Abs. 3 verwiesen.

Zu § 5

Nach § 5 Abs. 1 richten sich der Gegenstand und der Umfang des Ersatzes des Bundes nach den allgemeinen Bestimmungen des ABGB. Das Gesetz verzichtet damit zugunsten eines generellen Verweises auf eine Aufzählung der Teile des Ersatzanspruchs. Praktisch wird vornehmlich der Ersatz eines allfälligen Verdienstentgangs in Betracht kommen. Zudem ist hier an die Kosten eines Rechtsbeistandes zu denken, die für zweckentsprechende und notwendige Maßnahmen zur Wiedererlangung der persönlichen Freiheit entstanden sind.

Anders als nach geltendem Recht (vgl. § 1 StEG 1969) beschränkt sich der Ersatzanspruch aber nicht auf rein vermögensrechtliche Belange. Nach § 5 Abs. 2 ist vielmehr wegen des Entzugs der persönlichen Freiheit auch eine angemessene Entschädigung für die durch die Festnahme oder die Anhaltung erlittene Beeinträchtigung zu leisten. Dabei kommt es nicht auf das Verschulden eines Organs an. Ein Ersatz für das erlittene „Haftübel“ (im engeren Sinn) soll ohne Rücksicht auf die allfällige Vorwerfbarkeit eines Organverhaltens gewährt werden. Bei der Beurteilung der Angemessenheit werden insbesondere die Dauer der Anhaltung sowie die persönlichen Verhältnisse des Geschädigten und deren Veränderung durch die Anhaltung zu berücksichtigen sein.

Allerdings soll als immaterieller Schaden nur die durch das unmittelbare „Haftübel“ erlittene Beeinträchtigung abgegolten werden. Ein Ersatz anderer immaterieller Schäden kommt nur in Betracht, wenn das allgemeine Schadenersatzrecht einen solchen vorsieht (§ 5 Abs. 1). Für Beeinträchtigungen des Rufes, die noch nicht zu konkreten Vermögensnachteilen in Form einer Kreditschädigung geführt haben, wird keine Ersatzpflicht des Bundes vorgesehen. Das entspricht dem allgemeinen Schadenersatzrecht (§ 1330 ABGB), von dem abzuweichen hier kein Anlass besteht .

Ein Ersatz nach § 1 Abs. 1 kann generell nur in Geld geleistet werden (vgl. auch § 1 Abs. 1 letzter Satz AHG).

Zu § 6

§ 6 übernimmt die bisher in § 4 Abs. 1 StEG 1969 geregelten Exekutions- und Verfügungsbeschränkungen. Ersatzansprüche nach § 1 Abs. 1 sind demnach weiterhin – außer zugunsten einer Forderung auf Leistung des gesetzlichen Unterhalts oder auf Ersatz von Aufwendungen, die der Geschädigte nach dem Gesetz selbst hätte machen müssen (§ 1042 ABGB) – unpfändbar. Ferner sind in diesem Umfang auch Verfügungs- und Verpflichtungsgeschäfte über den Ersatzanspruch unwirksam. Dem Geschädigten soll der Ersatz auch künftig weitestgehend ungeschmälert zur Verfügung stehen.

Zu § 7

Nach § 2 Abs. 2 haftet das Organ selbst dem Geschädigten nicht. Das soll aber nicht bedeuten, dass das Organ von jeder Haftung für den eingetretenen Schaden befreit ist. Ebenso wie im Amtshaftungsrecht soll es zum Rückersatz des vom Bund aufgrund dieses Bundesgesetzes geleisteten Schadens dann verpflichtet sein, wenn es den Schaden vorsätzlich oder grob fahrlässig verursacht hat. Diese Verpflichtung besteht freilich nur, wenn der Bund den Rückersatz begehrt und dem Geschädigten den Schaden bereits ersetzt hat (vgl. Schragel, AHG3 Rz 198). Eine Klage gegen das Organ kann also erst dann erhoben werden, wenn der Bund den Geschädigten befriedigt, ihm also Zahlung geleistet hat.

Ein Rückersatz soll nur in denjenigen Fällen stattfinden, in denen das Organ ein grobes Verschulden trifft. Damit wird die bewährte Regelung des § 3 Abs. 1 AHG in das strafrechtliche Entschädigungsrecht übernommen. Das erscheint schon im Hinblick darauf angezeigt, dass aufgrund der vorgesehenen Ausweitung des Ersatzanspruchs künftig auch Ansprüche geltend gemacht werden könnten, die zwar auf ein rechtswidriges und schuldhaftes Organverhalten zurückgehen, aber der Einfachheit halber im strafrechtlichen Entschädigungsverfahren geltend gemacht werden.

Zur Auslegung des Begriffs der groben Fahrlässigkeit wird auf die allgemeinen schadenersatzrechtlichen Grundsätze und insbesondere auf die Judikatur zu § 3 AHG verwiesen. Grobe Fahrlässigkeit wird danach vorliegen, wenn das Organ die erforderlicher Sorgfalt in ungewöhnlicher und darum auffallender Weise vernachlässigt hat. Es muss sich um ein Versehen handeln, das mit Rücksicht auf die Schwere und die Häufigkeit nur bei besonders nachlässigen und leichtsinnigen Menschen vorkommt und den Eintritt des Schadens als wahrscheinlich und nicht nur als möglich vorhersehbar macht (Dittrich/Tades, ABGB36       § 1324 E. 9 ff.).

Nach dem zweiten Satz des § 7 sind auf den Rückersatzanspruch die §§ 3, 4 und 5 sowie § 6 Abs. 2 AHG sinngemäß anzuwenden. Das bedeutet zunächst, dass das Gericht bei grober Fahrlässigkeit den Rückersatz mäßigen kann, wobei insbesondere auf die in § 2 Abs. 2 DHG angeführten Umstände Bedacht zu nehmen ist (§ 3 Abs. 2 AHG). Diese Verweisung hat – wie auch schon die Aufzählung in § 2 Abs. 2 DHG – demonstrativen Charakter, sodass auf ähnliche berücksichtigungswürdige Umstände Bedacht zu nehmen ist (Mader in Schwimann, ABGB2 VIII Rz 7 zu § 3 AHG). Hat ein Organ auf Weisung gehandelt (was nur im Rahmen der vorläufigen Verwahrung durch eine inländische Verwaltungsbehörde oder durch eines ihrer Organe praktisch sein wird), so wird es nur ersatzpflichtig, wenn die Weisung strafgesetzwidrig war oder von einem offenbar unzuständigen Vorgesetzten stammte (§ 4 AHG). Bei Schädigungen durch Entscheidungen und Verfügungen eines Kollegialorgans haften dem Bund nur die Mitglieder, die für diese gestimmt haben (vgl. § 3 Abs. 3 AHG).

Im Rückersatzverfahren kann das Organ dem Anspruch alle Einwendungen entgegensetzen, die geeignet gewesen wären, eine andere Entscheidung über das Ersatzbegehren herbeizuführen, vom Bund aber nicht vorgebracht oder nicht ordnungsgemäß ausgeführt wurden (vgl. § 5 AHG).

Im Regressverhältnis soll schließlich durch den Verweis auf die Bestimmung des § 6 Abs. 2 AHG die besondere (kurze) Verjährungsfrist auf die Rückersatzansprüche des Rechtsträgers gegen das Organ Anwendung finden. Die sechsmonatige Frist beginnt bereits nach Ablauf des Tages, an dem die Haftung des Bundes von diesem anerkannt worden ist oder er rechtskräftig zum Ersatz verurteilt wurde. Vor dem zuletzt genannten Zeitpunkt kann die Verjährung keinesfalls zu laufen beginnen; eine Feststellungsklage vor dem Beginn der Frist ist nicht zulässig (OGH SZ 52/2).

Zu § 8

Nach § 8 Abs. 1 erster Satz verjähren Ersatzansprüche nach § 1 Abs. 1 in drei Jahren nach Ablauf des Tages, an dem dem Geschädigten die seinen Anspruch begründenden Voraussetzungen bekannt geworden sind, keinesfalls aber vor einem Jahr nach Rechtskraft der Entscheidung oder Verfügung, aus der der Ersatzanspruch abgeleitet wird. Anders als nach dem AHG und auch nach § 1489 ABGB ist damit im strafrechtlichen Entschädigungsrecht für die Verjährung der Ansprüche des Geschädigten nicht die Kenntnis des Schadens, sondern die Kenntnis der anspruchsbegründenden Voraussetzungen bedeutsam. Eine derartige Sonderregel ist insbesondere auf Grund des Entschädigungsgrunds der Wiederaufnahme (§ 2 Abs. 1 Z 3) notwendig: Bei Ansprüchen wegen einer zunächst rechtskräftigen Verurteilung mit einer nachträglichen Einstellung oder gelinderen Verurteilung wäre der Geschädigte – würde man hier allein auf die Kenntnis des Schadens (und die Person des Schädigers) abstellen – wohl häufig nicht in der Lage, sein Ersatzbegehren zeitgerecht zu stellen.

Im Übrigen entspricht § 8 Abs. 1 dem § 6 Abs. 1 AHG. Auch die zehnjährige Frist nach § 6 Abs. 1 zweiter Satz AHG wird übernommen. Es wäre sachlich nicht gerechtfertigt, für die verschuldensunabhängige Haftung des Bundes im strafrechtlichen Entschädigungsrecht eine längere Verjährungsfrist als für die Verschuldenshaftung nach dem AHG vorzusehen. Die lange zehnjährige Verjährungsfrist ist dann maßgeblich, wenn dem Geschädigten die anspruchsbegründenden Voraussetzungen nicht bekannt geworden sind oder der Schaden aus einer gerichtlich strafbaren Handlung entstanden ist, die nur vorsätzlich begangen werden kann und mit mehr als einjähriger Freiheitsstrafe bedroht ist. Diese Frist beginnt mit der Festnahme oder der Anhaltung zu laufen.

Für die Hemmung und Unterbrechung der Verjährung gelten die allgemeinen zivilrechtlichen Regeln. Darüber hinaus enthält § 8 aber drei besondere Fälle der Verjährungshemmung: Zum ersten verjährt der Ersatzanspruch nach § 8 Abs. 1 erster Satz keinesfalls vor einem Jahr nach Rechtskraft der Entscheidung oder Verfügung, aus der er abgeleitet wird. Dabei handelt es sich um eine Ablaufhemmung. Zum zweiten wird die Verjährung durch die Aufforderung nach § 9 für die dort bestimmte Frist oder bis zur Zustellung der Antwort des Bundes gehemmt. Diese (Fortlauf-)Hemmung beginnt mit dem Einlangen des Aufforderungsschreibens bei der Finanzprokuratur (vgl. Schragel, AHG3 Rz 229). Zum dritten wird der Fortlauf der Verjährung auch im Fall der Wiederaufnahme eines Strafverfahrens zum Nachteil des Geschädigten (§ 11) gehemmt, führt dieser Umstand doch zur Aufschiebung des Verfahrens vor der Finanzprokuratur, zur Unterbrechung eines anhängigen gerichtlichen Verfahrens und zur Unzulässigkeit des Rechtswegs für eine noch nicht eingebrachte Klage.

Zu § 9

Wie bereits mehrfach erwähnt, soll die Änderung der materiell-rechtlichen Anspruchsvoraussetzungen der strafrechtlichen Entschädigung mit einer verfahrensrechtlichen Neugestaltung einhergehen. Die bisher für das weitere Verfahren bindende Entscheidung des Strafgerichts über den Grund des Ersatzanspruchs soll zur Gänze entfallen. Die Konzentration der Anspruchstellung auf die Zivilgerichte und die damit verbundene Beschleunigung des Verfahrens sollen ua. auch die Rechtsposition des Geschädigten verbessern und das Verfahren beschleunigen. An die Stelle des Feststellungsverfahrens vor den Strafgerichten soll funktionell die Vorprüfung der Ersatzansprüche in einem administrativen Aufforderungsverfahren bei der Finanzpokuratur treten. Das liegt im Interesse des Geschädigten, weil die Ablehnung eines Anspruchs in dieser Vorprüfung – anders als die Entscheidung des Strafgerichts (§ 6 Abs. 7 StEG 1969) – für das weitere Verfahren nicht bindend ist. Es steht ihm vielmehr frei, in einem solchen Fall Klage zu erheben und bei den Zivilgerichten zu seinem Recht zu gelangen. Dieses System hat sich im Amtshaftungsrecht überaus bewährt, es trägt dazu bei, dass die strittigen von den klaren Fällen rasch voneinander getrennt werden können und letztere ohne weitere gerichtlich Prüfung anerkannt und entschädigt werden können.

Mit diesem Wechsel der Verfahrensart wird auch den Vorgaben des Art. 6 Abs. 1 MRK Rechnung getragen. Für den Fall, dass ein innerstaatliches, ziviles Recht auf Entschädigung besteht, bedarf es nach der Rechtsprechung des EGMR zur Sicherstellung eines fairen Verfahrens sowohl der Durchführung einer öffentlichen Gerichtsverhandlung als auch der Vornahme einer öffentlichen Urteilsverkündung. Der vorgesehene Wechsel der Verfahrensart ist nur dann sinnvoll und zweckmäßig, wenn der Zivilprozess seinerseits im Einklang mit dem Öffentlichkeits- und Mündlichkeitsgebot der MRK steht. Dies ist zu bejahen: Dem Mündlichkeitsgebot für Zivilrechtsstreitigkeiten wird durch die in erster Instanz zwingend vorgesehene mündliche Verhandlung sowie durch die Möglichkeit, eine mündliche Berufungsverhandlung abzuhalten, entsprochen. Was die an sich auch für Zivilrechtsstreitigkeiten erforderliche mündliche Urteilsverkündung angeht, so hat der EGMR dieser ausdrücklich auch die (anonymisierte) Entscheidungsveröffentlichung im Volltext oder in Leitsätzen gleich gestellt (vgl. EGMR 22.4.1984, BNr. 8209/78, Fall Sutter gegen die Schweiz, und 8.12.1983, BNr. 7984/77, Fall Pretto ua. gegen Italien). Die Veröffentlichung der anonymisierten Volltext- sowie Leitsatzentscheidungen des OGH und der Rechtsmittelgerichte in Zivilsachen im Rechtsinformationssystem des Bundes sowie in Entscheidungssammlungen samt der Möglichkeit zur Akteneinsicht bei Nachweis des rechtlichen Interesses genügt den Anforderungen des Art. 6 Abs. 1 MRK.

Im Hinblick darauf, dass die Geschädigten künftig unmittelbar die Zivilgerichte auch zum Grund des Anspruchs anrufen können, empfiehlt sich eine möglichst enge verfahrensrechtliche Anlehnung an das bewährte Vorbild des AHG. Daher sieht § 9 vor, dass der Geschädigte den Bund, vertreten durch die Finanzprokuratur, zunächst schriftlich auffordern soll, ihm binnen drei Monaten eine Erklärung zukommen zu lassen, ob der Bund den Ersatzanspruch ganz oder zum Teil ablehnt. Damit soll ebenso wie im Amtshaftungsrecht eine erste Sichtung der strittigen Fälle ermöglicht werden. Für dieses – nicht obligatorische – Aufforderungsverfahren besteht keine absolute oder relative Anwaltspflicht. Obwohl die Anforderungen an ein Aufforderungsschreiben nicht allzu streng sind, wird der Geschädigte doch den seiner Meinung nach haftungsbegründenden Sachverhalt möglichst genau schildern müssen. Dies kann dem Rechtsunkundigen im Einzelfall Probleme bereiten. Um hier den Zugang zum Recht ausreichend sicherzustellen, sieht § 9 Abs. 1 zweiter Satz vor, dass das zur Entscheidung über den Ersatzanspruch berufene Gericht dem Ersatzwerber schon für dieses Aufforderungsverfahren nach den §§ 63 ff. ZPO einen Rechtsanwalt beigeben kann.

§ 9 Abs. 2 des Begutachtungsentwurf wird nicht übernommen. Auch im Bereich der strafrechtlichen Entschädigung sollen die näheren Anforderungen an das nicht obligatorische Aufforderungsschreiben mit Verordnung geregelt werden (siehe dazu auch die Verordnung der Bundesregierung vom 1.2.1949 betreffend die Geltendmachung von Ersatzansprüchen gegen den Bund auf Grund des Amtshaftungsgesetzes, BGBl. Nr. 45/1949).

§ 9 Abs. 2 regelt die Rechtsfolge einer unterbliebenen oder nicht hinreichend deutlichen Aufforderung oder einer Klagsführung vor Ablauf der Dreimonatsfrist des Abs. 1. Ebenso wie nach § 8 Abs. 2 AHG soll dem Bund, soweit er den Ersatzanspruch anerkennt oder erfüllt, für die Dauer von drei Monaten ab Geltendmachung, längstens jedoch bis zum Schluss der mündlichen Streitverhandlung, Kostenersatz nach § 45 ZPO zustehen.

Als Nachteil der vorgeschlagenen Beseitigung des strafgerichtlichen Feststellungsverfahrens könnte in vielen Fällen ein höherer Verfahrensaufwand drohen. Zur Gewinnung der Entscheidungsgrundlagen wird es für die Zivilgerichte zumeist notwendig werden, bestimmte Verfahrensschritte vor den Strafgerichten nochmals zu „rekonstruieren“. Eine solche „Rückabwicklung“ des Strafprozesses wird sich vielfach wohl nicht vermeiden lassen. Ähnliche Probleme könnten auch im weitgehend formlosen Aufforderungsverfahren vor der Finanzprokuratur entstehen, in dem im Allgemeinen keine Beweise aufgenommen werden können. Um aber dennoch auch in diesem reinen Aktenverfahren die für eine verlässliche Beurteilung des Sachverhalts erforderlichen Grundlagen zu schaffen, sollen die (Straf-)Gerichte und Staatsanwaltschaften in die Vorbereitung der Entscheidungsgrundlagen eingebunden werden. Die näheren Anforderungen an die Berichte der Strafjustiz sollen ebenfalls durch eine Verordnung des Justizministers geregelt werden. Für die Strafgerichte und die Staatsanwaltschaften wird diese Berichtspflicht aller Voraussicht nach keine übermäßigen Mehrbelastungen nach sich ziehen, werden sie doch gleichzeitig durch den Entfall des strafgerichtlichen Feststellungsverfahrens entlastet. Für die Finanzprokuratur, das Bundesministerium für Justiz (als entscheidungsbefugtes Ressort) und die Zivilgerichte wird aber die Rekonstruktion des Sachverhalts an Hand aussagekräftiger Berichte der Strafgerichte und der Staatsanwaltschaften und des darauf aufbauenden Prozessstandpunkts des Bundes wesentlich erleichtert. Das zeigen nicht zuletzt die Erfahrungen in Amtshaftungsverfahren, die in die Zuständigkeit des Bundesministers für Justiz fallen. Die vorgesehene Berichtspflicht trägt damit ebenfalls zur Vereinfachung und Beschleunigung der Verfahren bei.

Zu § 10

Wie schon mehrfach erwähnt, soll das strafverfahrensrechtliche Feststellungsverfahren nach § 6 StEG 1969 ersatzlos entfallen. Dem Betroffenen steht es statt dessen frei, sich unmittelbar an die Finanzprokuratur oder an die Zivilgerichte zu wenden. Der Wegfall des strafgerichtlichen Feststellungsverfahrens beruht auf verfahrensökonomischen Erwägungen. Aus eben diesen Gründen soll aber auch eine rechtskräftige gerichtliche Entscheidung, mit der die Rechtswidrigkeit einer Festnahme oder Anhaltung ausgesprochen wird, für das weitere Verfahren bindend sein. Gedacht ist hier beispielsweise an Entscheidungen nach dem Grundrechtsbeschwerdegesetz oder an Entscheidungen im Haftverfahren nach der StPO, aber auch an Entscheidungen des Verfassungsgerichtshofs oder eines unabhängigen Verwaltungssenats über die Rechtswidrigkeit verwaltungsbehördlicher Anhaltungen oder Festnahmen im Dienste der Strafjustiz. Der Ausdruck „inländischen Gerichts“ in § 10 ist also in dieser Bestimmung (und nur in dieser) weiter zu verstehen. In einem solchen Fall ist die Frage der Rechtswidrigkeit einer Festnahme oder Anhaltung von den Zivilgerichten nicht mehr näher zu prüfen, sondern dem weiteren Verfahren zugrunde zu legen. Gleiches muss auch für Entscheidungen des EGMR gelten, in denen eine Verletzung des Grundrechts auf die persönliche Freiheit (Art. 5 MRK) ausgesprochen wird. Die vorgesehene Bindungswirkung erstreckt sich allerdings nur auf Entscheidungen, mit denen die Rechtswidrigkeit einer Anhaltung oder Festnahme rechtskräftig ausgesprochen wird. Entscheidungen, in denen eine solche Rechtsverletzung verneint wird, binden das Zivilgericht nicht.

Zu § 11

§ 11 entspricht im Wesentlichen dem § 10 StEG 1969. Die Bestimmung ist insbesondere für den Ersatzanspruch wegen ungerechtfertigter Haft (§ 2 Abs. 1 Z 2) von Bedeutung, zumal dieser Entschädigungsgrund auf den Ausgang des Strafverfahrens abstellt. Ist diese Anspruchsvoraussetzung nachträglich zweifelhaft geworden, weil die Wiederaufnahme des Strafverfahrens zum Nachteil des Geschädigten beantragt wird, so soll die Entscheidung über den Ersatzanspruch vorläufig bis zur rechtskräftigen Beendigung des wiederaufgenommenen Strafverfahrens auf sich beruhen. Wenn es noch während des Aufforderungsverfahrens vor der Finanzprokuratur dazu kommt, sind die Antwort auf die Aufforderung des Geschädigten und gegebenenfalls auch die Auszahlung eines bereits anerkannten Anspruchs aufzuschieben. Davon hat die Finanzprokuratur den Geschädigten zu verständigen. Vor rechtskräftiger Beendigung des Strafverfahrens ist ferner der Rechtsweg unzulässig. Treten dies Umstände erst während eines schon anhängigen Rechtsstreits ein, so ist das Verfahren zu unterbrechen. Eine solche Wiederaufnahme eines Strafverfahrens hemmt im Übrigen den Fortlauf der Verjährung des Ersatzanspruchs (siehe näher § 8 Abs. 2 letzter Satz).

Wird das wiederaufgenommene Strafverfahren rechtskräftig beendet, so sind – je nach Verfahrensausgang – die nach Abs. 1 aufgeschobenen Rechtshandlungen nachzuholen, ein unterbrochenes Gerichtsverfahren fortzusetzen und bereits geleistete Entschädigungen zurückzufordern. Auch steht mit diesem Zeitpunkt der Rechtsweg für eine Klage offen. Selbst bei nachträglichem Wegfall der Voraussetzungen für eine Entschädigungsleistung soll eine Rückforderung entsprechend der bisherigen Rechtslage (§ 9 Abs. 2 StEG 1969) aber nur dann stattfinden, wenn der Empfänger die gezahlten Beträge nicht gutgläubig verbraucht hat.

Abs. 3 sieht schließlich die zur Handhabung der Regelungen des Abs. 1 erforderliche gerichtliche Verständigungspflicht vor.

Zu § 12

§ 12 ordnet die sinngemäße Anwendung der §§ 9, 10, 13 und 14 AHG auf das Verfahren gegen den Bund und das Rückersatzverfahren gegen ein Organ an. Eine solche Bezugnahme auf das amtshaftungsrechtliche Verfahren ist schon deshalb sinnvoll und zweckmäßig, weil es dem Geschädigten grundsätzlich freisteht, seine Ansprüche auf das AHG oder auf das StEG zu stützen. Die konkrete Anspruchsgrundlage wird sich vielfach auch erst im Verfahren klären lassen.

Beim Rückersatzanspruch wird schon hinsichtlich der Anspruchsvoraussetzungen auf das AHG verwiesen (siehe § 7), sodass es zweckmäßig ist, auch die Verfahrenregeln an die des Amtshaftungsrechts anzugleichen.

Zu den §§ 13, 14 und 15

Das neue Gesetz tritt mit 1.1.2005 in Kraft. Die notwendigen Übergangsregelungen enthält § 14. Nach dessen Abs. 1 ist das neue Entschädigungsrecht auf „Altfälle“ dann anzuwenden, wenn bei gesetzwidriger oder ungerechtfertigter Haft (§ 2 Abs. 1 Z 1 und 2) die Anhaltung nach dem 1.1.2005 endet oder wenn im Fall der Wiederaufnahme (§ 2 Abs. 1 Z 3) die die rechtskräftige Verurteilung aufhebende Entscheidung nach diesem Zeitpunkt rechtskräftig wird. In allen anderen Fällen einer Festnahme oder Anhaltung vor dem 1.1.2005 sind darauf die bisher geltenden Rechtsvorschriften des StEG 1969 anzuwenden (§ 14 Abs.2).

§ 15 enthält die üblichen Verweisungsbestimmungen. § 16 stellt klar, dass die Vollziehung dieses Bundesgesetzes dem Bundesminister für Justiz zukommt.