Vorblatt
Problem
Die Ersatzpflicht
des Bundes für die durch eine gesetzwidrige oder ungerechtfertigte
strafgerichtliche Anhaltung oder eine strafgerichtliche Verurteilung erlittenen
vermögensrechtlichen Nachteile ist derzeit im Strafrechtlichen
Entschädigungsgesetz aus dem Jahre
1969 (StEG 1969) geregelt. Die Bestimmungen dieses Bundesgesetzes widersprechen
nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR)
aber teilweise der Europäischen Menschenrechtskonvention (MRK). Österreich ist
an die Urteile dieses Gerichtshofs gebunden und verpflichtet, sie –
gegebenenfalls auch durch eine Anpassung der Rechtsordnung – zu befolgen.
Ziele und
Inhalt
Die Mängel des
geltenden Rechts sollen zum Anlass genommen werden, das strafrechtliche
Entschädigungsrecht neu zu gestalten. Der Ersatzanspruch aufgrund einer
strafgerichtlichen Anhaltung wird konventionskonform ausgestaltet. Zudem hat
die geschädigte Person künftig Anspruch auf Ersatz des ideellen Schadens, also
auf ein „Schmerzengeld“ für den Verlust der persönlichen Freiheit. Weiter wird
das Verfahren drastisch vereinfacht: Die geschädigte Person soll unmittelbar
die Zivilgerichte anrufen können, ohne dass sie zuvor eine positive
Entscheidung der Strafgerichte herbeiführen muss.
Alternativen
Dem Reformbedarf
könnte auch durch eine bloße Novelle des StEG 1969 entsprochen werden. Im
Hinblick auf die notwendigen umfangreichen Eingriffe in das geltende Gesetz,
den geplanten Entfall des strafgerichtlichen Feststellungsverfahrens und die
vorgesehene Umstellung der strafrechtlichen Entschädigung in eine
zivilrechtliche Eingriffshaftung empfiehlt es sich aber, diesen Rechtsbereich
durch die Erlassung eines besonderen, modernen zivilrechtlichen Standards
genügenden Haftungsgesetzes neu zu gestalten.
Auswirkungen
auf die Beschäftigung und den Wirtschaftsstandort Österreich
Das neue Recht
wird keine Auswirkungen auf die Beschäftigung und den Wirtschaftsstandort
Österreich haben.
Finanzielle
Auswirkungen
Die mit der Reform
des strafrechtlichen Entschädigungsrechts für die öffentlichen Haushalte
verbundenen Belastungen sollen möglichst gering gehalten werden. Eine sichere
Voraussage über die mit dem Vorhaben verbundenen finanziellen Auswirkungen kann
freilich nicht getroffen werden.
Aufgrund der
geplanten Neuregelung (auch) der Anspruchsvoraussetzungen lässt sich die Anzahl
der für eine Ersatzleistung wegen einer strafgerichtlichen Anhaltung oder
Verurteilung künftig in Betracht kommenden Fälle nur schwer abschätzen. Aller
Voraussicht nach werden aber wie schon nach geltendem Recht diejenigen Fälle,
in denen eine Person nach einer gesetzmäßig angeordneten Verwahrung oder
Untersuchungshaft nachträglich freigesprochen oder außer Verfolgung gesetzt
wird, den weitaus überwiegenden Teil der Ersatzansprüche ausmachen.
Im Jahr 2003
wurden insgesamt 116 Anträge nach § 2 Abs. 1 lit. b und c StEG 1969 gestellt,
von denen 86 ganz oder teilweise positiv erledigt wurden. Dabei wurde ein
Betrag von insgesamt 295.189,39 Euro anerkannt. Für den einzelnen Entschädigungsfall
ergibt das einen Entschädigungsbetrag von rund 3.400 Euro. Im Jahr 2002 wurden
insgesamt 91 Anträge gemäß § 2 Abs. 1 lit. b und c StEG 1969 gestellt, von
denen 72 (zumindest teilweise) positiv erledigt wurden. Dabei wurde ein Betrag
von insgesamt 345.263,89 Euro anerkannt. Für den einzelnen Entschädigungsfall
ergibt das einen Entschädigungsbetrag von durchschnittlich rund 4.800 Euro. Im
Jahr 2001 wurden 50 Anträge nach dem StEG 1969 gestellt, von denen 36 positiv
erledigt wurden. Dabei wurde ein Gesamtbetrag von 219.506,96 Euro (3,020.481,59
S) anerkannt, was einem Betrag von durchschnittlich rund 6.100 Euro pro
Entschädigungsfall entspricht. Im Jahr 2000 wurde ein Betrag von 84.982,65 Euro
(1,169.386,75 S) auf Grund des StEG 1969 anerkannt, wobei bei 25 positiv
erledigten Anträgen auf den einzelnen Entschädigungsfall durchschnittlich ein
Betrag von etwa 3.400 Euro entfiel. Bereits diese Divergenzen zeigen, dass
nähere Prognosen anhand des vorhandenen Zahlenmaterials für die Zukunft nur
schwer getroffen werden können. Zu sehr hängt das Ausmaß der Ersatzleistung von
den nicht vorhersehbaren Umständen des Einzelfalls ab. Der Entwurf geht aber
davon aus, dass die jährliche Belastung des Bundes trotz der Verbesserungen der
Anspruchsvoraussetzungen den Gesamtbetrag von jährlich 500.000 bis 600.000 Euro
nicht übersteigen wird.
Die Auswirkungen
der Neuregelung auf den Personalbedarf lassen sich ebenfalls nur schwer
vorhersagen. Eine gewisse Entlastung wird der Wegfall des strafgerichtlichen
Feststellungsverfahrens nach sich ziehen. Gleichzeitig könnte aber der Anfall
bei den Landesgerichten insbesondere unmittelbar nach dem In-Kraft-Treten des
neuen Gesetzes steigen, wobei auch hier freilich keine drastischen
Mehrbelastungen zu erwarten sind. Diese Mehrbelastung der Zivilgerichte kann
kaum durch die Entlastungen der Strafjustiz kompensiert werden. Daher ist mit
einem geringfügigen personellen Mehrbedarf im Bereich der Zivilgerichte zu
rechnen.
Gewisse
Einsparungen werden daraus resultieren, dass künftig die aufwändige Vertretung
der Republik in den Verfahren vor dem EGMR wegfallen wird.
Ein Mehranfall
wird sich bei der Finanzprokuratur ergeben, die zur „Clearingstelle“ ausgebaut
werden soll. Dort ist eine zusätzliche Planstelle notwendig. Gleiches gilt für
das Bundesministerium für Justiz, in dem über die Anerkennung oder Ablehnung
des Anspruchs im administrativen Vorverfahren entschieden wird.
Verhältnis
zu Rechtsvorschriften der Europäischen Union
Vorschriften der
Europäischen Union werden nicht berührt, die strafrechtliche Entschädigung wird
im Gemeinschaftsrecht selbst nicht geregelt. Das Vorhaben dient aber der
Anpassung der Rechtsordnung an die Vorgaben der MRK und deren Auslegung durch
den EGMR.
Besonderheiten
des Normsetzungsverfahrens
Es bestehen keine
Besonderheiten des Normsetzungsverfahrens.
Erläuterungen
Allgemeiner
Teil
Ausgangslage
Das Bundesgesetz
über die Entschädigung für strafgerichtliche Anhaltung und Verurteilung
(Strafrechtliches Entschädigungsgesetz – StEG), BGBl. Nr. 270/1969 (im
Folgenden StEG 1969), zuletzt geändert durch das Bundesgesetz BGBl. I Nr.
91/1999, steht seit einiger Zeit in der rechtspolitischen Diskussion. Anlass
dafür waren in erster Linie die durch Art. 6 MRK normierten Verfahrensgarantien
und deren Auslegung durch den EGMR. Die gesetzliche Regelung solcher
Entschädigungsfälle muss besonderen Anforderungen genügen. Das zeigt nicht
zuletzt der Werdegang des StEG 1969: In den Sechzigerjahren war der Fall Rebitzer
gegen Österreich, eine Menschenrechtsbeschwerde wegen Verletzung der
Unschuldsvermutung nach Art. 6 Abs. 2 MRK, unmittelbarer Anlass für die
Neuregelung dieses Rechtsbereichs (Moos, Reformbedürftigkeit des
Strafrechtlichen Entschädigungsgesetzes? RZ 1997, 122, unter Hinweis auf Okresek,
Die EMRK und ihre Auswirkungen auf das österreichische Strafverfahrensrecht,
EuGRZ 1987, 497 [499]). Obwohl der Gesetzgeber seinerzeit im Hinblick auf die
damalige Judikatur des Gerichtshofs bemüht war, sowohl den Anforderungen der
MRK als auch des Bundes-Verfassungsgesetzes gerecht zu werden, bereiten aus
heutiger Sicht einige der damaligen Wertungen Probleme. Das gilt etwa für die
Entscheidung, die Fälle der „ungerechtfertigten“ Verurteilung einerseits und
der „ungerechtfertigten“ Verwahrungs- oder Untersuchungshaft andererseits
unterschiedlich zu behandeln. Letztere seien – so die Erläutenden Bemerkungen
der RV 1197 BlgNR 11. GP. 7 – ein weniger schwerer Eingriff in die Rechtssphäre
des Rechtsunterworfenen als die rechtskräftige Verurteilung und daher eher zu
akzeptieren. Diese Einschätzung schlug sich in unterschiedlich strengen
Anspruchsvoraussetzungen nieder. Von dem in den beiden früheren
Entschädigungsgesetzen (RGBl. Nr. 318/1918 und BGBl. Nr. 242/1932) enthaltenen
Erfordernis der Verdachtsentkräftung ging das StEG 1969 nur für Ersatzansprüche
wegen einer rechtskräftigen Verurteilung ab. Für die Ansprüche wegen
vorläufiger Verwahrung- oder Untersuchungshaft oder wegen einer auf Ersuchen
eines inländischen Gerichtes verhängten Auslieferungshaft wurde dagegen die
„Entkräftung des Verdachtes“ als Voraussetzung des Anspruchs beibehalten.
Bis zum Jahre 1969
hatte sich der EGMR mit der Reichweite der Unschuldsvermutung des Art. 6 Abs. 2
MRK bei der Entscheidung über eine Entschädigung für die durch eine
strafrechtliche Verfolgung verursachten Nachteile nicht befasst. Soweit
ersichtlich, setzte sich der Gerichtshof damit erst in den Jahren 1982 und 1983
näher auseinander (Pilnacek, Strafrechtliches Entschädigungsgesetz im
Spannungsverhältnis zu Art 6 MRK, ÖJZ 2001, 546, 554). Der EGMR betonte zwar,
dass der Konvention kein Recht auf Entschädigung nach der Einstellung eines
Strafverfahrens oder dessen Beendigung durch einen Freispruch zu entnehmen sei.
Für den Fall der Einräumung solcher Ansprüche seien aber die Anforderungen der
Unschuldsvermutung nach Art. 6 Abs. 2 MRK besonders zu beachten. Diese
Auffassung präzisierte der EGMR in der Entscheidung im Fall Sekanina
gegen Österreich (ÖJZ 1993, 816): Demnach sei der Ausspruch von
Verdächtigungen, die die Unschuld eines Angeklagten beträfen, zwar denkbar,
solange ein Strafverfahren nicht mit einer Entscheidung über die Begründetheit
der Anklage geendet habe. Sobald aber ein Freispruch rechtskräftig geworden
sei, sei es nicht mehr zulässig, sich auf solche Verdächtigungen zu berufen. Einen
der (vorläufigen) Schlusspunkte dieser Rechtsprechung bildet die Entscheidung
des EGMR im Fall Rushiti gegen Österreich (ÖJZ 2001, 55): Hier betonte
der Gerichtshof erneut, dass es bei einem freisprechenden Erkenntnis mit der
Unschuldsvermutung nach Art. 6 Abs. 2 MRK nicht vereinbar sei, wenn im
Anschluss an ein solches Erkenntnis der Fortbestand der Verdachtsgründe geprüft
oder darüber durch staatliche Organe entschieden werde. Sobald ein Freispruch,
und zwar auch ein Freispruch in dubio, rechtskräftig geworden sei,
widersprächen jegliche Schuldverdächtigungen einschließlich solcher, die in der
Begründung des Freispruchs zum Ausdruck kämen, der Unschuldsvermutung.
Kritisch
beurteilte der EGMR ferner die Verfahrensbestimmungen des § 6 StEG 1969 und
besonders die dort vorgesehene Entscheidung des Strafgerichts über die
Anspruchsvoraussetzungen des § 2 und die Ausschlussgründe des § 3: Das Fehlen
einer Verpflichtung zur Durchführung einer öffentlichen Verhandlung und zur
öffentlichen Verkündung der strafgerichtlichen Entscheidung widerspreche dem
Art. 6 Abs. 1 MRK. Soweit ein innerstaatliches, ziviles Recht auf Entschädigung
bestehe, bedürfe er zur Sicherstellung eines fairen Verfahrens sowohl der
Durchführung einer öffentlichen Gerichtsverhandlung als auch einer öffentlichen
Entscheidungsverkündung (vgl. etwa EGMR 24.11.1997, 138/1996/757/956, Fall Werner
gegen Österreich).
Die
österreichischen Strafgerichte tragen dieser Rechtsprechung des EGMR durch eine
verfassungs- und grundrechtskonforme Auslegung des geltenden Gesetzes Rechnung
(vgl. etwa zur Berücksichtigung der Unschuldsvermutung OGH EvBl 2004/24, zur
Öffentlichkeit des Verfahrens und zur mündlichen Entscheidungsverkündung OGH
EvBl 2002/55; RZ 2002/6; EvBl 2001/36 ua; vgl. dazu näher Schwab, StEG –
Evolution durch Interpretation, RZ 2001, 162). Dennoch bedarf auch das geltende
Gesetz einer Änderung, um jegliche Zweifel an der Konformität des
österreichischen Rechts mit der MRK zu zerstreuen. Die Bundesregierung hat
daher im Ministerrat vom 1.2.2002 beschlossen, eine grundrechtskonforme
Neugestaltung dieses Rechtsbereichs unter Bedachtnahme auf moderne
zivilrechtliche Grundsätze in die Wege zu leiten.
Hauptgesichtspunkte
des Entwurfs
Der Reformbedarf
wird zum Anlass genommen, das strafrechtliche Entschädigungsrecht insgesamt neu
zu gestalten. Dem Geschädigten soll es in Hinkunft – nach Durchführung eines
außergerichtlichen Aufforderungsverfahrens – frei stehen, sich sogleich an das
Zivilgericht zu wenden und seine Ansprüche einzuklagen. Dabei kann er auch Verfahrenshilfe
beantragen und erhalten. Das bisher einem Zivilprozess vorgeschaltete
strafrechtliche Verfahren über die Anspruchsvoraussetzungen und die
Ausschließungsgründe (§ 6 StEG 1969) soll dagegen – trotz mancher im
Begutachtungsverfahren gegen diesen Vorschlag geäußerten Bedenken (vgl. dazu
auch Lukasch/Schwab, [Zuviel?] Neues zum StEG, RZ 2003, 147) – beseitigt
werden. Mit der damit verbundenen Konzentration der Anspruchstellung auf die
Zivilgerichte soll das Verfahren im Interesse aller Beteiligten beschleunigt
werden. Gleichzeitig wird damit auch der Judikatur des EGMR zu den
Verfahrensgarantien des Art. 6 Abs. 1 MRK Rechnung getragen. Letztlich ist es
zweckmäßig, zur Entscheidung über den im Kern zivilrechtlichen
Entschädigungsanspruch einen anderen Zweig der Gerichtsbarkeit als die
Strafgerichte zu berufen.
Darüber hinaus
soll die Rechtsposition des Geschädigten hinsichtlich der
Anspruchsvoraussetzungen und der Ausschlussgründe verbessert werden. Vor allem
ist hier die Anspruchsvoraussetzung der Verdachtsentkräftung nach einem
freisprechenden Erkenntnis zu erwähnen. Die derzeit geltende Regelung
widerspricht nicht nur in Teilen der MRK, sondern hat den Betroffenen aufgrund
der damit verbundenen Beweislastverteilung in der Praxis häufig große Probleme
bereitet und die Durchsetzung ihrer Ansprüche verhindert. Das Erfordernis der
vollständigen Verdachtsentkräftung nach einem Freispruch soll daher entfallen.
Es wäre aber nicht sachgerecht, eine Entschädigung in allen anderen Fällen der
Einstellung des Verfahrens quasi automatisch ohne nähere Würdigung der
konkreten Umstände des Einzelfalls zu gewähren. Vielmehr bedarf es eines
Instrumentariums, mit dem unangemessenen und unbilligen Ergebnissen begegnet
werden kann. Zu denken ist hier an Fälle, in denen die uneingeschränkte
Zuerkennung einer Ersatzleistung etwa im Hinblick auf eine zunächst „drückende“
Beweislage oder bei Vorliegen schwerwiegender Haftgründe unverständlich wäre.
Derartigen unangemessenen Entschädigungsansprüchen soll mit einer – bisher im
Gesetz nicht vorgesehenen – „differenzierten Ermessensklausel“ begegnet werden.
Eine solche Ermessensregelung sollte auch im Licht der MRK keine Probleme
bereiten (vgl. Matscher, Nachholbedarf im österreichischen
Strafverfahrensrecht? ÖJZ 2002, 741, 742 [FN 10]), zumal die Konvention nach
der Rechtsprechung des EGMR die Mitgliedstaaten der Konvention nicht dazu
verhält, für die fraglichen Fälle überhaupt eine Entschädigung zu gewähren.
Die dargestellten
Maßnahmen erforderten im geltenden StEG 1969 umfangreiche Änderungen.
Angesichts dessen und im Hinblick auf die grundlegende Neuorientierung dieses
Rechtsbereichs ist es sinnvoll, das geltende Recht nicht durch eine bloße
Novelle zu ändern, sondern ein neues (Eingriffs-)Haftungsgesetz zu erlassen.
Dabei soll auch auf den Ersatz immaterieller Schäden Bedacht genommen werden:
Für die durch den Entzug der persönlichen Freiheit erlittene Beeinträchtigung,
also für das „Haftübel“ im engeren Sinn, soll dem Betroffenen eine angemessene
Entschädigung zustehen. Die Entwicklung im Schadenersatzrecht tendiert
allgemein dahin, den Schädiger auch zum Ersatz bloß ideeller Nachteile zu
verhalten. Vor diesem Hintergrund wäre es nicht sachgerecht, in den Fällen der
strafrechtlichen Entschädigung weiterhin nur materielle Schäden auszugleichen
und für das „Haftübel“ selbst, also für den Eingriff in das fundamentale Recht
auf persönliche Freiheit, Schadenersatz zu verweigern. Die tatsächlichen
Verhältnisse lassen sich nicht mit dem Polizeibefugnis-Entschädigungsgesetz
(nach dem kein immaterieller Schadenersatz geleistet wird) vergleichen, weil
dort nicht Entschädigungen für Eingriffe in die persönliche Freiheit geleistet
werden, sondern für „Sonderopfer“, die unbeteiligte Dritte durch Maßnahmen der
Exekutive erleiden.
Was den Umfang des
Ersatzes angeht, so sieht der Entwurf von einer „Deckelung“ oder Pauschalierung
der Beträge ab. Nur so kann letztlich den konkreten Umständen des Einzelfalls
verlässlich Rechnung getragen werden. Das zeigt nicht zuletzt auch die
Rechtsprechung zu § 1329 ABGB, Art. 5 Abs. 5 MRK und § 1 AHG.
Finanzielle
Auswirkungen
Auf die
Ausführungen im Vorblatt wird verwiesen.
Kompetenzgrundlage
Die Kompetenz des
Bundes zur Erlassung des vorgeschlagenen Bundesgesetzes gründet sich auf Art.
10 Abs. 1 Z 6 B-VG (Zivil- und Strafrechtswesen).
Besonderheiten
des Normerzeugungsverfahrens
Es bestehen keine
besonderen Beschlusserfordernisse im Nationalrat und im Bundesrat. Das Vorhaben
unterliegt nicht dem Konsultationsmechanismus, weil es zivilrechtliche
Regelungen vorsieht, durch die die anderen Gebietskörperschaften nicht belastet
werden. Auch muss es nicht nach dem Notifikationsgesetz 1999 notifiziert
werden.
Aspekte der
Deregulierung
Das Vorhaben
widerspricht nicht den Zielen des Deregulierungsgesetzes.
Besonderer
Teil
Zu § 1
§ 1 Abs. 1
umschreibt den Anwendungsbereich des Gesetzes. Es geht um die Haftung des
Bundes für Schäden, die eine natürliche Person wegen des Entzugs der
persönlichen Freiheit im Dienst der Strafjustiz oder wegen einer Verurteilung
durch ein inländisches Strafgerichts erleidet. Dabei werden praktisch
vornehmlich Ansprüche wegen einer Freiheitsentziehung in Betracht kommen.
Andere Schadenersatzansprüche aufgrund der Verurteilung durch ein inländisches
Strafgericht sind aber (so wie nach geltendem Recht – vgl. § 1 StEG 1969)
ebenfalls erfasst, sofern die weiteren Voraussetzungen der §§ 2 ff. vorliegen.
Die schädigende
Maßnahme muss – wie sich aus dem Zusammenhang mit § 2 ergibt – von einem inländischen Organ der
Strafrechtspflege im Rahmen eines gerichtlichen Strafverfahrens ausgegangen,
aber nicht unbedingt im Inland vollzogen worden sein. Im Besonderen unterliegt
der Fall einer Festnahme und Anhaltung im Ausland aufgrund eines inländischen
Haftbefehls oder Auslieferungsersuchens weiterhin dem strafrechtlichen
Entschädigungsrecht. Als strafgerichtliche Verurteilung ist ferner auch ein
Urteil anzusehen, mit dem eine Anhaltung nach § 21 Abs. 1 StGB angeordnet wurde
(OGH SSt 56/8 = EvBl 1985/135). Dagegen soll die Verhängung einer Beugehaft
nach wie vor keine Ersatzansprüche nach diesem Bundesgesetz begründen (OGH RZ
1996/28).
Neben der durch
ein Strafgericht angeordneten Haft oder einer strafgerichtlichen Verurteilung
kann auch eine vorläufige Verwahrung durch eine inländische Verwaltungsbehörde
oder durch eines ihrer Organe die Ersatzpflicht des Bundes auslösen, sofern die
Festnahme zum Zweck der gerichtlichen Strafrechtspflege, also im Dienste der
Strafjustiz (vgl. § 2 Abs. 3 StEG 1969), vorgenommen wurde. Zu denken ist hier
an die vorläufige Verwahrung nach § 177 StPO und auch nach § 180 Abs. 3 StVG.
Anders als nach bisherigem Recht (§ 2 Abs. 3 StEG 1969) gilt dies freilich
nicht nur in denjenigen Fällen, in denen die sicherheitsbehördliche Verwahrung
einer gerichtlichen Verwahrungs- oder Untersuchungshaft voranging oder, sofern
es nicht zu einer gerichtlichen Haft kam, die 48-Stunden-Frist (§ 177 Abs. 2
StPO) überschritten wurde. Die Haftung des Bundes besteht vielmehr für jede
sicherheitsbehördliche „Verwahrung“, die dem Zweck der gerichtlichen Strafrechtspflege
diente. Nach geltendem Recht besteht etwa dann, wenn mangels Gefahr im Verzug
ein gerichtlicher Haftbefehl hätte eingeholt werden können und in der Folge
keine gerichtliche Haft verhängt wurde, kein Ersatzanspruch. Diese
Differenzierung erscheint nicht nur aus der Sicht des Geschädigten
problematisch und wird daher nicht übernommen.
Nach § 1 Abs. 2
wird – so wie nach geltendem Recht (§ 11 Abs. 1 StEG 1969) – durch das vorgesehene Bundesgesetz eine
nach dem Amtshaftungsgesetz bestehende Haftung des Bundes weder ausgeschlossen
noch eingeschränkt. Die Bestimmungen des Amtshaftungsgesetzes, die für die
Haftpflicht des Bundes ein rechtswidriges und schuldhaftes Verhalten eines
Organs voraussetzen, bleiben vielmehr unberührt.
Nach § 1 Abs. 2
des Begutachtungsentwurfs sollten auch andere Bestimmungen, die eine Haftung
des Bundes vorsehen, unberührt bleiben. Insoweit wird der Begutachtungsentwurf
freilich nicht übernommen. Die damit angesprochenen Bestimmungen, nämlich Art.
5 Abs. 5 MRK sowie Art. 7 des Bundesverfassungsgesetzes zum Schutz der
persönlichen Freiheit, sind bisher nicht ausdrücklich „einfach-gesetzlich“
ausgeführt worden. Das hat immer wieder zu Problemen in der Praxis geführt
(vgl. dazu Felnhofer-Luksch, Bemerkungen zum Entwurf für ein
Strafrechtliches Entschädigungsgesetz 2004, ÖJZ 2003, 410 [413 f.]). Das
Strafrechtliche Entschädigungsgesetz 2005 ist deshalb als Ausführungsgesetz
dieser grund- und verfassungsrechtlichen Bestimmungen für den Bereich der
Strafrechtspflege konzipiert. Ansprüche nach Art. 5 Abs. 5 MRK und nach Art. 7
des erwähnten Bundesverfassungsgesetzes, die aus Freiheitsentziehungen im
Dienste der Strafrechtspflege abgeleitet werden, sind künftig unter dem
Entschädigungsgrund des § 2 Abs. 1 Z 1 (gesetzwidrige Haft) geltend zu machen.
Die mit den grund- und verfassungsrechtlichen Vorgaben nicht kompatiblen
Ausschluss- und Einschränkungsgründe der §§ 3 und 4 sind bei Verletzung der
genannten grund- und verfassungsrechtlichen Bestimmungen nicht anzuwenden (vgl.
§ 3 Abs. 3 und die Erläuterungen dazu).
Zu § 2
Ein Ersatzanspruch
nach § 1 Abs. 1 besteht nur dann, wenn einer der in § 2 Abs. 1 Z 1 bis 3
angeführten Entschädigungsgründe vorliegt. Zudem setzt die Ersatzpflicht des
Bundes allgemein voraus, dass die persönliche Freiheit von einem inländischen
Strafgericht oder einer inländischen Verwaltungsbehörde (bzw. deren Organen)
zum Zweck der gerichtlichen Strafrechtspflege entzogen wurde oder die
Entscheidung, aus der ein Anspruch abgeleitet wird, von einem inländischen
Strafgericht stammt. Im Fall einer im Inland aufgrund des Ersuchens einer
ausländischen Stelle verhängten Haft haftet der Bund nur dann, wenn die
Festnahme oder Anhaltung den österreichischen Gesetzen widerspricht. Auch hat
der Bund unter dieser Prämisse nur für den Zeitraum der Anhaltung in Österreich
einzustehen. Weitere Nachteile können in einem solchen Fall dagegen nicht dem
Bund, sondern nur dem ausländischen Staat zugerechnet werden.
Nach § 2 Abs. 1 Z
1 hat der Geschädigte Anspruch auf Entschädigung, wenn er – in einem
gerichtlichen Strafverfahren oder zum Zweck der Strafrechtspflege –
gesetzwidrig festgenommen oder in Haft gehalten wurde. Diesen
Entschädigungsgrund nennt der Entwurf im Folgenden „gesetzwidrige Haft“.
Darunter fällt jegliche rechtswidrige Festnahme oder Anhaltung wegen des
Verdachts einer mit gerichtlicher Strafe bedrohten Handlung, im Besonderen auch
Verstöße gegen Art. 5 MRK oder gegen das Bundesverfassungsgesetz zum Schutz der
persönlichen Freiheit, aber auch Verstöße gegen „einfache“ Gesetze wie etwa die
StPO. Ferner sind auch die Verwahrungshaft durch eine Verwaltungsbehörde
(Sicherheitsbehörde oder Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes, Finanzstrafbehörden
im gerichtlichen Finanzstrafverfahren, militärische Organe) zum Zweck der
gerichtlichen Strafrechtspflege, die Auslieferungshaft aufgrund eines
gesetzwidrigen inländischen Auslieferungsersuchens sowie die gesetzwidrige
Festnahme und Anhaltung im Inland aufgrund eines ausländischen Ersuchens
umfasst. Der Entschädigungsgrund deckt aber auch gesetzwidrige
Freiheitsentziehungen im Vollzug eines strafgerichtlichen Urteils ab, etwa die
Aufrechterhaltung einer Strafhaft über den im Urteil festgelegten Zeitraum
hinaus.
Der
Entschädigungsgrund entspricht dem Anspruch auf Entschädigung wegen
gesetzwidriger Haft nach § 2 Abs. 1 lit. a StEG 1969. Bei der Auslegung
des Begriffs „gesetzwidrig“ kann also ua. auf die zur geltenden Rechtslage
ergangene Rechtsprechung zurückgegriffen werden. Auch weiterhin wird damit –
soweit insbesondere der erforderliche Rechtswidrigkeitszusammenhang gegeben ist
– grundsätzlich jede Verletzung des materiellen und formellen Haftrechts (wie
etwa die Überschreitung der in § 179 Abs. 1 StPO normierten 48-Stunden-Frist
zur Vernehmung des Beschuldigten und Entscheidung über die Untersuchungshaft)
zur Geltendmachung eines Ersatzanspruchs wegen gesetzwidriger Haft berechtigen
(vgl. Pilnacek, ÖJZ 2001, 546 [549]).
§ 2 Abs. 1 Z 2
betrifft den Fall, in dem eine festgenommene oder in Haft gehaltene Person
später freigesprochen oder außer Verfolgung gesetzt wurde. Der Entwurf nennt
diesen Entschädigungsgrund den Fall der „ungerechtfertigten Haft“. Die
Bestimmung umfasst insbesondere eine vor der rechtskräftigen Beendigung des
Strafverfahrens erlittene sicherheitsbehördliche oder gerichtliche
Verwahrungshaft, die Untersuchungshaft und die aufgrund eines inländischen
Auslieferungsersuchens im Ausland verhängte Auslieferungshaft. Im Gegensatz zu
§ 2 Abs. 1 lit. b StEG 1969 sieht der Entwurf keine weitere Einschränkung des
Anspruchs vor. Die Gründe, die zu einer Einschränkung oder einem Ausschluss des
Ersatzanspruchs führen können, werden zur besseren Verständlichkeit des
Gesetzes künftig in eigenen Bestimmungen, nämlich in den §§ 3 und 4,
zusammengefasst.
§ 2 Abs. 1 Z 3
entspricht im Wesentlichen dem § 2 Abs. 1 lit. c StEG 1969, die Bestimmung
behandelt den Entschädigungsgrund der „Wiederaufnahme“. Ein Anspruch nach der Z
3 setzt die Aufhebung einer rechtskräftigen, von einem inländischen Gericht
ausgesprochenen Verurteilung und die nachträgliche Einstellung des Verfahrens,
den Freispruch des Verurteilten oder die Verhängung einer milderen Strafe oder
Maßnahme voraus. Auch wenn der rechtskräftigen Verurteilung oder dem
wiederaufgenommenen Verfahren eine Verwahrungs-, Untersuchungs- oder
Auslieferungshaft vorangegangen war, soll der daraus abgeleitete Ersatzanspruch
unter die Z 3 fallen. § 2 Abs. 1 lit. c zweiter Halbsatz StEG 1969, wonach für
diese Fälle nach Maßgabe der in § 2 Abs. 1 lit. a und b enthaltenen
Bestimmungen Ersatz zu leisten ist, wird nicht übernommen.
Ähnlich wie im
Amtshaftungsrecht (vgl. § 1 Abs. 1 AHG) soll das Organ, das die Festnahme oder
Anhaltung anordnete, eine derartige Maßnahme vornahm oder das verurteilende
Erkenntnis des inländischen Strafgerichts fällte, dem Geschädigten nicht haften
(§ 2 Abs. 2). Eine gänzliche Befreiung dieses Organs von jedweder Verantwortung
für den eingetretenen Schaden ist damit aber nicht verbunden. Vielmehr ist das
Organ nach dem § 7 dem Bund zum
Rückersatz des Schadens verpflichtet, wenn es den Schaden vorsätzlich oder grob
fahrlässig verschuldete.
Zu § 3
Die §§ 3 und 4
fassen jene Umstände zusammen, bei deren Vorliegen ein Ersatzanspruch kraft
Gesetzes zur Gänze ausgeschlossen ist (§ 3 Abs. 1) oder durch den Richter
ausgeschlossen oder eingeschränkt werden kann (§ 3 Abs. 2 und § 4).
§ 3 Abs. 1 Z 1
entspricht dem § 3 lit. b StEG 1969. Die Haftung des Bundes ist in den Fällen
der gesetzwidrigen Haft, der ungerechtfertigten Haft und der Wiederaufnahme mit
einer nachträglichen milderen Sanktion (§ 2 Abs. 1 Z 1, 2 und 3 zweiter Fall)
insoweit ausgeschlossen, als die Zeit der Anhaltung auf die verhängte Strafe
angerechnet wurde (§ 38 StGB; § 400 StPO). Dieser Ausschlussgrund gilt nicht
nur etwa für die Fälle der Anrechnung auf eine unmittelbar zu vollziehende
(unbedingte) Strafe. Vielmehr schließt auch die Anrechnung auf eine ganz oder
zum Teil bedingt nachgesehene Strafe den Ersatzanspruch in diesem Umfang aus.
Es ist auch gleichgültig, ob die Anrechnung auf eine Freiheits- oder auf eine
Geldstrafe erfolgte (vgl. OGH EvBl 1993/203).
§ 3 Abs. 1 Z 2
entspricht inhaltlich im Wesentlichen dem letzten Halbsatz des § 2 Abs. 1 lit.
b StEG 1969: Der Bund haftet im Fall der ungerechtfertigten Haft (§ 2 Abs. 1 Z
2) nicht, wenn die Verfolgung des Geschädigten lediglich deshalb ausgeschlossen
war, weil die Ermächtigung zur oder der Antrag auf Strafverfolgung
zurückgenommen wurde oder die Strafbarkeit der Tat aus anderen erst im
Nachhinein eingetretenen Gründen entfiel. Nach wie vor macht es dabei keinen
Unterschied, ob die weitere Verfolgung aus Gründen des materiellen oder des
formellen Strafrechts ausgeschlossen war. Auch kommt es weiterhin nicht darauf
an, ob diese Umstände dem Gericht bekannt waren (siehe die Erläuternden
Bemerkungen der RV 1197 BlgNR 11. GP. 10). Gründe, die den Entfall der
Strafbarkeit der Tat nach der Festnahme oder Anhaltung bewirken, sind außer der
Zurücknahme der Ermächtigung zur oder des Antrags auf Strafverfolgung alle
materiellen Strafaufhebungs- und Strafausschließungsgründe sowie prozessualen
Verfolgungshindernisse.
§ 3 Abs. 1 Z 3
übernimmt den in § 3 lit. c StEG 1969 enthaltenen Ausschlussgrund. Der Bund
haftet im Fall der ungerechtfertigten Haft (§ 2 Abs. 1 Z 2) nicht, wenn die
Verfolgung lediglich deshalb ausgeschlossen war, weil der Geschädigte die Tat
im Zustand der Zurechnungsunfähigkeit begangen hatte. Für den Fall der
Wiederaufnahme des Verfahrens (§ 2 Abs. 1 Z 3) soll dieser Ausschlussgrund aber
nicht übernommen werden, zumal dies dem Art. 3 des 7. Zusatzprotokolls zur MRK
widersprechen könnte.
§ 3 Abs. 1 Z 4
entspricht schließlich dem § 3 lit. d StEG 1969. Ein Ersatzanspruch ist nach
der Wiederaufnahme des Verfahrens (§ 2 Abs. 1 Z 3) ausgeschlossen, wenn die
nachträglich günstigere Entscheidung allein auf eine zwischenzeitige Änderung
des Gesetzes zurückzuführen ist. Hier besteht kein Widerspruch zu dem eben
erwähnten Art. 3 des 7. Zusatzprotokolls zur MRK, zumal es bei diesem Ausschlussgrund
nicht um eine neue oder neu bekannte Tatsache, sondern um eine Änderung der
Rechtslage geht.
Der in § 3 Abs. 1
Z 5 des Begutachtungsentwurfs enthaltene und dem § 2 Abs. 2 AHG (Unterlassung der Einbringung eines
Rechtsmittels) nachgebildete Ausschlussgrund wird nicht übernommen. Im
Begutachtungsverfahren haben mehrere Stellungnahmen darauf hingewiesen, dass
eine solche Regelung zur Einbringung von Rechtsmitteln aus reiner Vorsicht
animieren und damit zu einer letztlich unnötigen Belastung der Rechtsmittelgerichte
führen könnte. Weiter kommt derartigen Rechtsmitteln im Strafverfahren im
Allgemeinen keine aufschiebende Wirkung zu, sodass der Nutzen des
Ausschlussgrundes für den haftpflichtigen Bund durchaus fraglich ist. Die
Unterlassung der Einbringung eines Rechtsmittels soll daher nicht zum
Ausschluss der Haftung des Bundes führen. Sie kann aber im Einzelfall ein
Mitverschulden des Geschädigten begründen (§ 4).
Auch § 3 Abs. 2
des Begutachtungsentwurfs über den Ausschluss der Haftung aufgrund eines Erkenntnisses
eines Höchstgerichts wird nicht übernommen. Der Verfassungsgerichtshof und der
Verwaltungsgerichtshof sind kaum bzw. nicht als „inländische Strafgerichte“ im
Verständnis des § 1 Abs. 1 tätig. Insoweit geht die im Begutachtungsentwurf
enthaltene Regelung also ins Leere. Auch aus Erkenntnissen des Obersten
Gerichtshofs, die in Strafsachen gefällt werden, wird im Allgemeinen kein
Ersatzanspruch nach § 1 Abs. 1 ableitbar sein. Wenn dies aber ausnahmsweise
doch einmal der Fall sein sollte (hier ist vor allem an den Fall der
Wiederaufnahme im Verständnis des § 3 Abs. 1 Z 3 zu denken), sollte der Bund
dafür einstehen.
Wie schon im
Allgemeinen Teil der Erläuterungen dargelegt, ist das Erfordernis der
Verdachtsentkräftung nach § 2 Abs. 1 lit. b StEG 1969 einer der wesentlichen
Kritikpunkte des EGMR am geltenden Entschädigungsrecht. Die Übernahme dieser
Anspruchsvoraussetzung in das neue Gesetz wäre im Licht des Art. 6 Abs. 2 MRK
überaus problematisch, auch wenn die Prüfung der Verdachtslage künftig nicht mehr
im Strafverfahren, sondern in einem vom Betroffenen eingeleiteten Zivilprozess
erfolgt. Den Erkenntnissen des EGMR lässt sich aber auch entnehmen, dass dem
Geschädigten der gegen ihn bestandene Tatverdacht ohne Verletzung der
Unschuldsvermutung entgegengehalten werden kann, wenn das Verfahren auf andere
Weise als durch einen Freispruch endete. Diese Differenzierung ist – wie auch
das Begutachtungsverfahren gezeigt hat – zwar nicht unbestritten (vgl. etwa Moos,
RZ 1997, 123), doch hat der Gerichtshof seine Interpretation des Konvention in
einer Reihe von Erkenntnissen beibehalten und ausgebaut. In seinem Urteil vom
28.10.2003 im Fall Baars gegen die Niederlande, BNr. 44320/98, hat der
EGMR zuletzt neuerlich betont, dass weder Art. 6 Abs. 2 MRK noch eine andere
Vorschrift der Konvention einem Angeklagten das Recht auf eine Entschädigung
gewährt, wenn ein gegen ihn eingeleitetes Verfahren eingestellt worden ist. Die
Verweigerung einer Entschädigung für die im Verfahren angefallenen Auslagen und
Kosten stellt für sich allein noch keine Verletzung der Unschuldsvermutung dar.
Die Entscheidung über eine solche Entschädigung nach der Beendigung des
Verfahrens kann durch ihre Begründung zu einer Verletzung der
Unschuldsvermutung führen, wenn zuvor der gesetzliche Schuldbeweis nicht
erbracht wurde und der Angeklagte seine Verteidigungsrechte nicht ausüben
konnte. Allerdings führt dabei die Bezugnahme auf einen im vorherigen Verfahren
verbliebenen Tatverdacht allein noch nicht zu einer Verletzung des Art. 6 Abs.
MRK, selbst wenn die Äußerungen missverstanden werden könnten.
Es wäre verfehlt,
wenn jede einem Freispruch oder einer Verfahrenseinstellung vorangegangene
Festnahme oder Anhaltung „automatisch“ zu einer Haftung des Bundes führte (vgl.
auch Aufner, Strafrechtliche Entschädigung und ihre mögliche
zivilrechtliche Neuordnung – Der Entwurf eines Strafrechtlichen
Entschädigungsgesetzes 2004, in BMJ (Hrsg), Haftung für staatliches Handeln
[2003] 377, 384 f). Eine solche Automatik kann nämlich im Einzelfall zu durchaus
unangemessenen Ergebnissen führen. Eine Entschädigung kann etwa – vorbehaltlich
der Umstände des Einzelfalls – dann unangemessen sein, wenn ein Freispruch
darauf zurückzuführen ist, dass der Verwertung einer Aussage ein nachträgliches
„Beweisverwertungsverbot“ entgegensteht (wenn beispielsweise die geschlagene
und verletzte Frau im Strafverfahren gegen ihren Partner wegen des Verdachts
der Körperverletzung ihre Aussage „zurückzieht“, um den „Familienfrieden“ zu
retten), wenn ursprünglich vorhandene Beweismittel verloren gehen oder wenn ein
Freispruch oder eine Verfahrenseinstellung allein aus formalen Gründen erfolgt.
Ebenso wäre eine (volle) Haftung des Bundes in denjenigen Fällen fragwürdig, in
denen der Freiheitsentzug zur Verhinderung weiterer Schäden notwendig ist, etwa
wenn eine Haft wegen gefährlicher Drohung aufgrund der drohenden Tatausführung
verhängt werden muss und der Bund andernfalls Amtshaftungsansprüche der später
geschädigten Dritten ersetzen muss (vgl OGH SZ 62/73). Für solche und andere Fälle soll dem
Richter die Befugnis eingeräumt werden, den Entschädigungsanspruch zu mindern
oder auszuschließen. Auch lässt es die vorgeschlagene Ermessensklausel zu, den
Ersatzanspruch der geschädigten Person auf bestimmte Nachteile zu beschränken
und etwa den Anspruch auf Ersatz des immateriellen Schadens für das erlittene
„Haftübel“ auszuschließen.
Bei der
Ermessensentscheidung darf das Gericht freilich nach einem Freispruch gemäß §
259 Z 3 StPO nicht auf den gegen Beschuldigten oder Angeklagten bestandenen
oder auch noch bestehenden Tatverdacht eingehen. Es kann aber auch in einem
solchen Fall die Haftgründe und die Gründe für den Freispruch oder die
Verfahrenseinstellung werten und bei Einschätzung dieser Umstände die
Haftpflicht des Bundes mindern oder ganz ausschließen. Nach einer sonstigen
Verfahrenseinstellung kann überdies auch der bestandene und noch vorhandene
Tatverdacht berücksichtigt werden.
Nach § 3 Abs. 3
sind die Ausschluss- und Minderungsgründe der Abs. 1 und 2 nicht anzuwenden,
wenn der Entschädigungsanspruch wegen einer gesetzwidrigen Haft auf einer
Verletzung des Art. 5 MRK oder des Bundesverfassungsgesetzes zum Schutz der
persönlichen Freiheit beruht (siehe auch die Erläuterungen zu § 1 Abs. 2).
Darunter ist auch ein Verstoß gegen die innerstaatlichen und
„einfach-gesetzlichen“ Vorschriften zu verstehen, die diesen grund- und
verfassungsrechtlichen Vorgaben entsprechen. Bei Verletzung dieser Vorschriften
wird die Handlung (oder Unterlassung) auch zum konventions- bzw.
verfassungswidrigen Entzug der persönlichen Freiheit des Betroffenen (vgl. OGH
SZ 54/108). Die Entschädigungsgrundlagen des Art. 5 Abs. 5 MRK und des Art. 7
des genannten Bundesverfassungsgesetzes lassen aber eine Einschränkung oder
einen Ausschluss der Haftung aus den in den §§ 3 und 4 angeführten Gründen
nicht zu.
Zu § 4
§ 3 regelt den
Ausschluss und die Einschränkung des Ersatzanspruchs aus Gründen, die
spezifisch das strafrechtliche Entschädigungsrecht betreffen. § 4 übernimmt
dagegen ein Instrument des allgemeinen Schadenersatzrechts in diesen
Rechtsbereich, nämlich die Mitverantwortung des Geschädigten. Auch diese
Änderung ist eine Folge der Neugestaltung der strafrechtlichen Entschädigung
als zivilrechtliche Eingriffshaftung. Wenn sich der Geschädigte selbst sorglos
verhalten hat, soll ihm nicht der volle Ersatz zustehen. Vielmehr soll er dann
einen Teil oder in besonders schwerwiegenden Fällen auch den gesamten Schaden
selbst tragen. Zu beachten ist auch, dass das Mitverschulden nach
zivilrechtlichen Grundsätzen kein echtes Verschulden, sondern eine bloße
Obliegenheitsverletzung ist, weil das Verschulden Rechtswidrigkeit voraussetzt,
der sorglose Umgang mit eigenen Gütern aber nicht verboten ist (Koziol/Welser,
Bürgerliches Recht II12, 308). Auch im Bereich der strafrechtlichen
Entschädigung soll eine solche Obliegenheitsverletzung aber Auswirkungen auf
den Umfang des Ersatzes haben.
§ 4 nennt
demonstrativ einige Beispiele eines solchen Mitverschuldens. Der erste Fall
(Herbeiführung des Verdachts) ist dem § 3 lit. a StEG 1969 nachgebildet. Die
Herbeiführung des Verdachts wird – aber anders als nach bisherigem Recht –
nicht in jedem Fall zum Ausschluss der Haftung führen, sondern nur dann, wenn
das Verhalten des Geschädigten die dem Bund zurechenbaren Haftungsgründe seinem
Gewicht nach bei weitem überwiegt. Als Mitverschulden kann dem Geschädigten
selbst die Herbeiführung eines Verdachts aber nicht zur Last gelegt werden,
wenn er sich unter unangemessenem Druck der Strafverfolgungsbehörden falsch
oder im Widerspruch zu späteren Aussagen verantwortete. Ein weiteres Beispiel
für ein Mitverschulden bilden die Fälle, in denen es deshalb zu einer Festnahme
oder Anhaltung kommt, weil der Geschädigte einer gerichtlichen Ladung nicht
Folge leistete oder gegen die ihm auferlegten Auflagen (§ 180 Abs. 5 StPO)
verstieß. Ferner kann es ein Mitverschulden begründen, wenn der Geschädigte
gegen die Festnahme oder Anhaltung kein Rechtsmittel einbrachte.
Zu den Gründen für
die Regelung des § 4 Abs. 2 sei auf die Erläuterungen zu § 3 Abs. 3 verwiesen.
Zu § 5
Nach § 5 Abs. 1
richten sich der Gegenstand und der Umfang des Ersatzes des Bundes nach den
allgemeinen Bestimmungen des ABGB. Das Gesetz verzichtet damit zugunsten eines
generellen Verweises auf eine Aufzählung der Teile des Ersatzanspruchs.
Praktisch wird vornehmlich der Ersatz eines allfälligen Verdienstentgangs in
Betracht kommen. Zudem ist hier an die Kosten eines Rechtsbeistandes zu denken,
die für zweckentsprechende und notwendige Maßnahmen zur Wiedererlangung der
persönlichen Freiheit entstanden sind.
Anders als nach
geltendem Recht (vgl. § 1 StEG 1969) beschränkt sich der Ersatzanspruch aber
nicht auf rein vermögensrechtliche Belange. Nach § 5 Abs. 2 ist vielmehr wegen
des Entzugs der persönlichen Freiheit auch eine angemessene Entschädigung für
die durch die Festnahme oder die Anhaltung erlittene Beeinträchtigung zu
leisten. Dabei kommt es nicht auf das Verschulden eines Organs an. Ein Ersatz
für das erlittene „Haftübel“ (im engeren Sinn) soll ohne Rücksicht auf die
allfällige Vorwerfbarkeit eines Organverhaltens gewährt werden. Bei der
Beurteilung der Angemessenheit werden insbesondere die Dauer der Anhaltung
sowie die persönlichen Verhältnisse des Geschädigten und deren Veränderung
durch die Anhaltung zu berücksichtigen sein.
Allerdings soll
als immaterieller Schaden nur die durch das unmittelbare „Haftübel“ erlittene
Beeinträchtigung abgegolten werden. Ein Ersatz anderer immaterieller Schäden
kommt nur in Betracht, wenn das allgemeine Schadenersatzrecht einen solchen
vorsieht (§ 5 Abs. 1). Für Beeinträchtigungen des Rufes, die noch nicht zu
konkreten Vermögensnachteilen in Form einer Kreditschädigung geführt haben,
wird keine Ersatzpflicht des Bundes vorgesehen. Das entspricht dem allgemeinen
Schadenersatzrecht (§ 1330 ABGB), von dem abzuweichen hier kein Anlass besteht
.
Ein Ersatz nach §
1 Abs. 1 kann generell nur in Geld geleistet werden (vgl. auch § 1 Abs. 1
letzter Satz AHG).
Zu § 6
§ 6 übernimmt die
bisher in § 4 Abs. 1 StEG 1969 geregelten Exekutions- und
Verfügungsbeschränkungen. Ersatzansprüche nach § 1 Abs. 1 sind demnach
weiterhin – außer zugunsten einer Forderung auf Leistung des gesetzlichen
Unterhalts oder auf Ersatz von Aufwendungen, die der Geschädigte nach dem
Gesetz selbst hätte machen müssen (§ 1042 ABGB) – unpfändbar. Ferner sind in
diesem Umfang auch Verfügungs- und Verpflichtungsgeschäfte über den
Ersatzanspruch unwirksam. Dem Geschädigten soll der Ersatz auch künftig
weitestgehend ungeschmälert zur Verfügung stehen.
Zu § 7
Nach § 2 Abs. 2
haftet das Organ selbst dem Geschädigten nicht. Das soll aber nicht bedeuten,
dass das Organ von jeder Haftung für den eingetretenen Schaden befreit ist.
Ebenso wie im Amtshaftungsrecht soll es zum Rückersatz des vom Bund aufgrund
dieses Bundesgesetzes geleisteten Schadens dann verpflichtet sein, wenn es den
Schaden vorsätzlich oder grob fahrlässig verursacht hat. Diese Verpflichtung
besteht freilich nur, wenn der Bund den Rückersatz begehrt und dem Geschädigten
den Schaden bereits ersetzt hat (vgl. Schragel, AHG3 Rz 198).
Eine Klage gegen das Organ kann also erst dann erhoben werden, wenn der Bund
den Geschädigten befriedigt, ihm also Zahlung geleistet hat.
Ein Rückersatz
soll nur in denjenigen Fällen stattfinden, in denen das Organ ein grobes
Verschulden trifft. Damit wird die bewährte Regelung des § 3 Abs. 1 AHG in das
strafrechtliche Entschädigungsrecht übernommen. Das erscheint schon im Hinblick
darauf angezeigt, dass aufgrund der vorgesehenen Ausweitung des Ersatzanspruchs
künftig auch Ansprüche geltend gemacht werden könnten, die zwar auf ein
rechtswidriges und schuldhaftes Organverhalten zurückgehen, aber der
Einfachheit halber im strafrechtlichen Entschädigungsverfahren geltend gemacht
werden.
Zur Auslegung des Begriffs der groben Fahrlässigkeit
wird auf die allgemeinen schadenersatzrechtlichen Grundsätze und insbesondere
auf die Judikatur zu § 3 AHG verwiesen. Grobe Fahrlässigkeit wird danach
vorliegen, wenn das Organ die erforderlicher Sorgfalt in ungewöhnlicher und
darum auffallender Weise vernachlässigt hat. Es muss sich um ein Versehen
handeln, das mit Rücksicht auf die Schwere und die Häufigkeit nur bei besonders
nachlässigen und leichtsinnigen Menschen vorkommt und den Eintritt des Schadens
als wahrscheinlich und nicht nur als möglich vorhersehbar macht (Dittrich/Tades,
ABGB36 § 1324 E. 9 ff.).
Nach dem zweiten
Satz des § 7 sind auf den Rückersatzanspruch die §§ 3, 4 und 5 sowie § 6 Abs. 2
AHG sinngemäß anzuwenden. Das bedeutet zunächst, dass das Gericht bei grober
Fahrlässigkeit den Rückersatz mäßigen kann, wobei insbesondere auf die in § 2
Abs. 2 DHG angeführten Umstände Bedacht zu nehmen ist (§ 3 Abs. 2 AHG). Diese
Verweisung hat – wie auch schon die Aufzählung in § 2 Abs. 2 DHG – demonstrativen
Charakter, sodass auf ähnliche berücksichtigungswürdige Umstände Bedacht zu
nehmen ist (Mader in Schwimann, ABGB2 VIII Rz 7 zu § 3 AHG).
Hat ein Organ auf Weisung gehandelt (was nur im Rahmen der vorläufigen
Verwahrung durch eine inländische Verwaltungsbehörde oder durch eines ihrer
Organe praktisch sein wird), so wird es nur ersatzpflichtig, wenn die Weisung
strafgesetzwidrig war oder von einem offenbar unzuständigen Vorgesetzten
stammte (§ 4 AHG). Bei Schädigungen durch Entscheidungen und Verfügungen eines
Kollegialorgans haften dem Bund nur die Mitglieder, die für diese gestimmt
haben (vgl. § 3 Abs. 3 AHG).
Im
Rückersatzverfahren kann das Organ dem Anspruch alle Einwendungen
entgegensetzen, die geeignet gewesen wären, eine andere Entscheidung über das
Ersatzbegehren herbeizuführen, vom Bund aber nicht vorgebracht oder nicht
ordnungsgemäß ausgeführt wurden (vgl. § 5 AHG).
Im
Regressverhältnis soll schließlich durch den Verweis auf die Bestimmung des § 6
Abs. 2 AHG die besondere (kurze) Verjährungsfrist auf die Rückersatzansprüche
des Rechtsträgers gegen das Organ Anwendung finden. Die sechsmonatige Frist
beginnt bereits nach Ablauf des Tages, an dem die Haftung des Bundes von diesem
anerkannt worden ist oder er rechtskräftig zum Ersatz verurteilt wurde. Vor dem
zuletzt genannten Zeitpunkt kann die Verjährung keinesfalls zu laufen beginnen;
eine Feststellungsklage vor dem Beginn der Frist ist nicht zulässig (OGH SZ
52/2).
Zu § 8
Nach § 8 Abs. 1
erster Satz verjähren Ersatzansprüche nach § 1 Abs. 1 in drei Jahren nach
Ablauf des Tages, an dem dem Geschädigten die seinen Anspruch begründenden
Voraussetzungen bekannt geworden sind, keinesfalls aber vor einem Jahr nach
Rechtskraft der Entscheidung oder Verfügung, aus der der Ersatzanspruch
abgeleitet wird. Anders als nach dem AHG und auch nach § 1489 ABGB ist damit im
strafrechtlichen Entschädigungsrecht für die Verjährung der Ansprüche des
Geschädigten nicht die Kenntnis des Schadens, sondern die Kenntnis der
anspruchsbegründenden Voraussetzungen bedeutsam. Eine derartige Sonderregel ist
insbesondere auf Grund des Entschädigungsgrunds der Wiederaufnahme (§ 2 Abs. 1
Z 3) notwendig: Bei Ansprüchen wegen einer zunächst rechtskräftigen
Verurteilung mit einer nachträglichen Einstellung oder gelinderen Verurteilung
wäre der Geschädigte – würde man hier allein auf die Kenntnis des Schadens (und
die Person des Schädigers) abstellen – wohl häufig nicht in der Lage, sein
Ersatzbegehren zeitgerecht zu stellen.
Im Übrigen
entspricht § 8 Abs. 1 dem § 6 Abs. 1 AHG. Auch die zehnjährige Frist nach § 6
Abs. 1 zweiter Satz AHG wird übernommen. Es wäre sachlich nicht gerechtfertigt,
für die verschuldensunabhängige Haftung des Bundes im strafrechtlichen
Entschädigungsrecht eine längere Verjährungsfrist als für die
Verschuldenshaftung nach dem AHG vorzusehen. Die lange zehnjährige
Verjährungsfrist ist dann maßgeblich, wenn dem Geschädigten die
anspruchsbegründenden Voraussetzungen nicht bekannt geworden sind oder der
Schaden aus einer gerichtlich strafbaren Handlung entstanden ist, die nur
vorsätzlich begangen werden kann und mit mehr als einjähriger Freiheitsstrafe
bedroht ist. Diese Frist beginnt mit der Festnahme oder der Anhaltung zu
laufen.
Für die Hemmung
und Unterbrechung der Verjährung gelten die allgemeinen zivilrechtlichen Regeln.
Darüber hinaus enthält § 8 aber drei besondere Fälle der Verjährungshemmung:
Zum ersten verjährt der Ersatzanspruch nach § 8 Abs. 1 erster Satz keinesfalls
vor einem Jahr nach Rechtskraft der Entscheidung oder Verfügung, aus der er
abgeleitet wird. Dabei handelt es sich um eine Ablaufhemmung. Zum zweiten wird
die Verjährung durch die Aufforderung nach § 9 für die dort bestimmte Frist
oder bis zur Zustellung der Antwort des Bundes gehemmt. Diese
(Fortlauf-)Hemmung beginnt mit dem Einlangen des Aufforderungsschreibens bei
der Finanzprokuratur (vgl. Schragel, AHG3 Rz 229). Zum
dritten wird der Fortlauf der Verjährung auch im Fall der Wiederaufnahme eines
Strafverfahrens zum Nachteil des Geschädigten (§ 11) gehemmt, führt dieser
Umstand doch zur Aufschiebung des Verfahrens vor der Finanzprokuratur, zur
Unterbrechung eines anhängigen gerichtlichen Verfahrens und zur Unzulässigkeit
des Rechtswegs für eine noch nicht eingebrachte Klage.
Zu § 9
Wie bereits
mehrfach erwähnt, soll die Änderung der materiell-rechtlichen
Anspruchsvoraussetzungen der strafrechtlichen Entschädigung mit einer
verfahrensrechtlichen Neugestaltung einhergehen. Die bisher für das weitere
Verfahren bindende Entscheidung des Strafgerichts über den Grund des
Ersatzanspruchs soll zur Gänze entfallen. Die Konzentration der
Anspruchstellung auf die Zivilgerichte und die damit verbundene Beschleunigung
des Verfahrens sollen ua. auch die Rechtsposition des Geschädigten verbessern
und das Verfahren beschleunigen. An die Stelle des Feststellungsverfahrens vor
den Strafgerichten soll funktionell die Vorprüfung der Ersatzansprüche in einem
administrativen Aufforderungsverfahren bei der Finanzpokuratur treten. Das
liegt im Interesse des Geschädigten, weil die Ablehnung eines Anspruchs in
dieser Vorprüfung – anders als die Entscheidung des Strafgerichts (§ 6 Abs. 7
StEG 1969) – für das weitere Verfahren nicht bindend ist. Es steht ihm vielmehr
frei, in einem solchen Fall Klage zu erheben und bei den Zivilgerichten zu
seinem Recht zu gelangen. Dieses System hat sich im Amtshaftungsrecht überaus
bewährt, es trägt dazu bei, dass die strittigen von den klaren Fällen rasch
voneinander getrennt werden können und letztere ohne weitere gerichtlich
Prüfung anerkannt und entschädigt werden können.
Mit diesem Wechsel
der Verfahrensart wird auch den Vorgaben des Art. 6 Abs. 1 MRK Rechnung
getragen. Für den Fall, dass ein innerstaatliches, ziviles Recht auf
Entschädigung besteht, bedarf es nach der Rechtsprechung des EGMR zur
Sicherstellung eines fairen Verfahrens sowohl der Durchführung einer
öffentlichen Gerichtsverhandlung als auch der Vornahme einer öffentlichen
Urteilsverkündung. Der vorgesehene Wechsel der Verfahrensart ist nur dann
sinnvoll und zweckmäßig, wenn der Zivilprozess seinerseits im Einklang mit dem
Öffentlichkeits- und Mündlichkeitsgebot der MRK steht. Dies ist zu bejahen: Dem
Mündlichkeitsgebot für Zivilrechtsstreitigkeiten wird durch die in erster
Instanz zwingend vorgesehene mündliche Verhandlung sowie durch die Möglichkeit,
eine mündliche Berufungsverhandlung abzuhalten, entsprochen. Was die an sich
auch für Zivilrechtsstreitigkeiten erforderliche mündliche Urteilsverkündung
angeht, so hat der EGMR dieser ausdrücklich auch die (anonymisierte)
Entscheidungsveröffentlichung im Volltext oder in Leitsätzen gleich gestellt
(vgl. EGMR 22.4.1984, BNr. 8209/78, Fall Sutter gegen die Schweiz, und
8.12.1983, BNr. 7984/77, Fall Pretto ua. gegen Italien). Die
Veröffentlichung der anonymisierten Volltext- sowie Leitsatzentscheidungen des
OGH und der Rechtsmittelgerichte in Zivilsachen im Rechtsinformationssystem des
Bundes sowie in Entscheidungssammlungen samt der Möglichkeit zur Akteneinsicht
bei Nachweis des rechtlichen Interesses genügt den Anforderungen des Art. 6
Abs. 1 MRK.
Im Hinblick
darauf, dass die Geschädigten künftig unmittelbar die Zivilgerichte auch zum
Grund des Anspruchs anrufen können, empfiehlt sich eine möglichst enge
verfahrensrechtliche Anlehnung an das bewährte Vorbild des AHG. Daher sieht § 9
vor, dass der Geschädigte den Bund, vertreten durch die Finanzprokuratur,
zunächst schriftlich auffordern soll, ihm binnen drei Monaten eine Erklärung
zukommen zu lassen, ob der Bund den Ersatzanspruch ganz oder zum Teil ablehnt.
Damit soll ebenso wie im Amtshaftungsrecht eine erste Sichtung der strittigen
Fälle ermöglicht werden. Für dieses – nicht obligatorische –
Aufforderungsverfahren besteht keine absolute oder relative Anwaltspflicht.
Obwohl die Anforderungen an ein Aufforderungsschreiben nicht allzu streng sind,
wird der Geschädigte doch den seiner Meinung nach haftungsbegründenden
Sachverhalt möglichst genau schildern müssen. Dies kann dem Rechtsunkundigen im
Einzelfall Probleme bereiten. Um hier den Zugang zum Recht ausreichend
sicherzustellen, sieht § 9 Abs. 1 zweiter Satz vor, dass das zur Entscheidung
über den Ersatzanspruch berufene Gericht dem Ersatzwerber schon für dieses
Aufforderungsverfahren nach den §§ 63 ff. ZPO einen Rechtsanwalt beigeben kann.
§ 9 Abs. 2 des
Begutachtungsentwurf wird nicht übernommen. Auch im Bereich der
strafrechtlichen Entschädigung sollen die näheren Anforderungen an das nicht
obligatorische Aufforderungsschreiben mit Verordnung geregelt werden (siehe
dazu auch die Verordnung der Bundesregierung vom 1.2.1949 betreffend die
Geltendmachung von Ersatzansprüchen gegen den Bund auf Grund des
Amtshaftungsgesetzes, BGBl. Nr. 45/1949).
§ 9 Abs. 2 regelt
die Rechtsfolge einer unterbliebenen oder nicht hinreichend deutlichen
Aufforderung oder einer Klagsführung vor Ablauf der Dreimonatsfrist des Abs. 1.
Ebenso wie nach § 8 Abs. 2 AHG soll dem Bund, soweit er den Ersatzanspruch
anerkennt oder erfüllt, für die Dauer von drei Monaten ab Geltendmachung,
längstens jedoch bis zum Schluss der mündlichen Streitverhandlung, Kostenersatz
nach § 45 ZPO zustehen.
Als Nachteil der
vorgeschlagenen Beseitigung des strafgerichtlichen Feststellungsverfahrens
könnte in vielen Fällen ein höherer Verfahrensaufwand drohen. Zur Gewinnung der
Entscheidungsgrundlagen wird es für die Zivilgerichte zumeist notwendig werden,
bestimmte Verfahrensschritte vor den Strafgerichten nochmals zu
„rekonstruieren“. Eine solche „Rückabwicklung“ des Strafprozesses wird sich
vielfach wohl nicht vermeiden lassen. Ähnliche Probleme könnten auch im
weitgehend formlosen Aufforderungsverfahren vor der Finanzprokuratur entstehen,
in dem im Allgemeinen keine Beweise aufgenommen werden können. Um aber dennoch
auch in diesem reinen Aktenverfahren die für eine verlässliche Beurteilung des
Sachverhalts erforderlichen Grundlagen zu schaffen, sollen die (Straf-)Gerichte
und Staatsanwaltschaften in die Vorbereitung der Entscheidungsgrundlagen
eingebunden werden. Die näheren Anforderungen an die Berichte der Strafjustiz
sollen ebenfalls durch eine Verordnung des Justizministers geregelt werden. Für
die Strafgerichte und die Staatsanwaltschaften wird diese Berichtspflicht aller
Voraussicht nach keine übermäßigen Mehrbelastungen nach sich ziehen, werden sie
doch gleichzeitig durch den Entfall des strafgerichtlichen
Feststellungsverfahrens entlastet. Für die Finanzprokuratur, das
Bundesministerium für Justiz (als entscheidungsbefugtes Ressort) und die
Zivilgerichte wird aber die Rekonstruktion des Sachverhalts an Hand
aussagekräftiger Berichte der Strafgerichte und der Staatsanwaltschaften und
des darauf aufbauenden Prozessstandpunkts des Bundes wesentlich erleichtert.
Das zeigen nicht zuletzt die Erfahrungen in Amtshaftungsverfahren, die in die
Zuständigkeit des Bundesministers für Justiz fallen. Die vorgesehene
Berichtspflicht trägt damit ebenfalls zur Vereinfachung und Beschleunigung der
Verfahren bei.
Zu § 10
Wie schon mehrfach
erwähnt, soll das strafverfahrensrechtliche Feststellungsverfahren nach § 6
StEG 1969 ersatzlos entfallen. Dem Betroffenen steht es statt dessen frei, sich
unmittelbar an die Finanzprokuratur oder an die Zivilgerichte zu wenden. Der
Wegfall des strafgerichtlichen Feststellungsverfahrens beruht auf
verfahrensökonomischen Erwägungen. Aus eben diesen Gründen soll aber auch eine
rechtskräftige gerichtliche Entscheidung, mit der die Rechtswidrigkeit einer
Festnahme oder Anhaltung ausgesprochen wird, für das weitere Verfahren bindend
sein. Gedacht ist hier beispielsweise an Entscheidungen nach dem
Grundrechtsbeschwerdegesetz oder an Entscheidungen im Haftverfahren nach der
StPO, aber auch an Entscheidungen des Verfassungsgerichtshofs oder eines
unabhängigen Verwaltungssenats über die Rechtswidrigkeit
verwaltungsbehördlicher Anhaltungen oder Festnahmen im Dienste der Strafjustiz.
Der Ausdruck „inländischen Gerichts“ in § 10 ist also in dieser Bestimmung (und
nur in dieser) weiter zu verstehen. In einem solchen Fall ist die Frage der
Rechtswidrigkeit einer Festnahme oder Anhaltung von den Zivilgerichten nicht
mehr näher zu prüfen, sondern dem weiteren Verfahren zugrunde zu legen.
Gleiches muss auch für Entscheidungen des EGMR gelten, in denen eine Verletzung
des Grundrechts auf die persönliche Freiheit (Art. 5 MRK) ausgesprochen wird.
Die vorgesehene Bindungswirkung erstreckt sich allerdings nur auf
Entscheidungen, mit denen die Rechtswidrigkeit einer Anhaltung oder Festnahme
rechtskräftig ausgesprochen wird. Entscheidungen, in denen eine solche
Rechtsverletzung verneint wird, binden das Zivilgericht nicht.
Zu § 11
§ 11 entspricht im
Wesentlichen dem § 10 StEG 1969. Die Bestimmung ist insbesondere für den
Ersatzanspruch wegen ungerechtfertigter Haft (§ 2 Abs. 1 Z 2) von Bedeutung,
zumal dieser Entschädigungsgrund auf den Ausgang des Strafverfahrens abstellt.
Ist diese Anspruchsvoraussetzung nachträglich zweifelhaft geworden, weil die
Wiederaufnahme des Strafverfahrens zum Nachteil des Geschädigten beantragt
wird, so soll die Entscheidung über den Ersatzanspruch vorläufig bis zur
rechtskräftigen Beendigung des wiederaufgenommenen Strafverfahrens auf sich
beruhen. Wenn es noch während des Aufforderungsverfahrens vor der
Finanzprokuratur dazu kommt, sind die Antwort auf die Aufforderung des
Geschädigten und gegebenenfalls auch die Auszahlung eines bereits anerkannten
Anspruchs aufzuschieben. Davon hat die Finanzprokuratur den Geschädigten zu
verständigen. Vor rechtskräftiger Beendigung des Strafverfahrens ist ferner der
Rechtsweg unzulässig. Treten dies Umstände erst während eines schon anhängigen
Rechtsstreits ein, so ist das Verfahren zu unterbrechen. Eine solche
Wiederaufnahme eines Strafverfahrens hemmt im Übrigen den Fortlauf der Verjährung
des Ersatzanspruchs (siehe näher § 8 Abs. 2 letzter Satz).
Wird das
wiederaufgenommene Strafverfahren rechtskräftig beendet, so sind – je nach
Verfahrensausgang – die nach Abs. 1 aufgeschobenen Rechtshandlungen
nachzuholen, ein unterbrochenes Gerichtsverfahren fortzusetzen und bereits
geleistete Entschädigungen zurückzufordern. Auch steht mit diesem Zeitpunkt der
Rechtsweg für eine Klage offen. Selbst bei nachträglichem Wegfall der
Voraussetzungen für eine Entschädigungsleistung soll eine Rückforderung entsprechend
der bisherigen Rechtslage (§ 9 Abs. 2 StEG 1969) aber nur dann stattfinden,
wenn der Empfänger die gezahlten Beträge nicht gutgläubig verbraucht hat.
Abs. 3 sieht
schließlich die zur Handhabung der Regelungen des Abs. 1 erforderliche
gerichtliche Verständigungspflicht vor.
Zu § 12
§ 12 ordnet die
sinngemäße Anwendung der §§ 9, 10, 13 und 14 AHG auf das Verfahren gegen den
Bund und das Rückersatzverfahren gegen ein Organ an. Eine solche Bezugnahme auf
das amtshaftungsrechtliche Verfahren ist schon deshalb sinnvoll und zweckmäßig,
weil es dem Geschädigten grundsätzlich freisteht, seine Ansprüche auf das AHG
oder auf das StEG zu stützen. Die konkrete Anspruchsgrundlage wird sich
vielfach auch erst im Verfahren klären lassen.
Beim
Rückersatzanspruch wird schon hinsichtlich der Anspruchsvoraussetzungen auf das
AHG verwiesen (siehe § 7), sodass es zweckmäßig ist, auch die Verfahrenregeln
an die des Amtshaftungsrechts anzugleichen.
Zu den §§
13, 14 und 15
Das neue Gesetz
tritt mit 1.1.2005 in Kraft. Die notwendigen Übergangsregelungen enthält § 14.
Nach dessen Abs. 1 ist das neue Entschädigungsrecht auf „Altfälle“ dann
anzuwenden, wenn bei gesetzwidriger oder ungerechtfertigter Haft (§ 2 Abs. 1 Z
1 und 2) die Anhaltung nach dem 1.1.2005 endet oder wenn im Fall der
Wiederaufnahme (§ 2 Abs. 1 Z 3) die die rechtskräftige Verurteilung aufhebende
Entscheidung nach diesem Zeitpunkt rechtskräftig wird. In allen anderen Fällen
einer Festnahme oder Anhaltung vor dem 1.1.2005 sind darauf die bisher
geltenden Rechtsvorschriften des StEG 1969 anzuwenden (§ 14 Abs.2).
§ 15 enthält die
üblichen Verweisungsbestimmungen. § 16 stellt klar, dass die Vollziehung dieses
Bundesgesetzes dem Bundesminister für Justiz zukommt.