Abweichende persönliche Stellungnahme

gemäß § 42 Abs.5 GOG

des Abgeordneten Dipl.-Ing. Wolfgang Pirklhuber

zum Bericht des Gesundheitsausschusses über ein Bundesgesetz, mit dem das Gentechnikgesetz und das Lebensmittelgesetz geändert werden

Mit dem Fall des de-facto-Moratoriums für das Inverkehrbringen von gentechnisch veränderten Organismen (GVO) in der EU und den laufenden Zulassungen von GVO als Saatgut, Lebens- oder Futtermittel hat der Einsatz der Agro-Gentechnik in der EU begonnen. Im September 2004 hat die EU-Kommission mit der Eintragung von 17 Genmais-Sorten in das EU-Sortenregister erstmals den Anbau von Genmais in allen EU-Staaten erlaubt und es droht eine Welle von neuen Zulassungen. Derzeit liegen 23 weitere Anträge vor, davon 11 nur für Einfuhr und Verarbeitung, die übrigen auch zum Anbau. Dabei geht es um Mais, Raps, Zuckerrüben, Sojabohnen, Reis und Baumwolle.

Für die Anwendungspraxis der Gentechnik in der Landwirtschaft – insbesondere das Nebeneinander von gentechnikfreien und Gentech-Betrieben („Koexistenz“) sowie die Haftung für Schäden – gibt es keine EU-weit verbindlichen Regelungen. Daher besteht in diesen Bereichen der dringende Bedarf nach Ausgestaltung durch nationales Recht.

Die von der Bundesregierung vorgelegte Novelle zum Gentechnikgesetz kommt sehr spät und ist nicht geeignet, die Existenz der gentechnikfreien österreichischen Landwirtschaft sicherzustellen. Weder die Koexistenz- noch die Haftungsfrage werden in ausreichendem Umfang gelöst. Darin liegt jedoch in der Zukunft das größte Konfliktpotential. Zu befürchten ist, dass die sogenannte „Koexistenz“ mittelfristig auf eine schleichende gentechnische Kontamination sowohl der ökologischen als auch der konventionellen Landwirtschaft hinausläuft. Denn Wind und Bienen werden sich nicht an diverse Sicherheitsabstände halten und Pollen von gentechnisch veränderten Pflanzen werden sich nicht von gentechnikfreien Kulturen und Wildpflanzen fernhalten lassen.

Die relativ kleine Struktur der österreichischen Landwirtschaft, der große Anteil an ökologisch sensiblen Gebieten sowie die bundesweite Streuung der Biobetriebe (rund 12 % der erfassten Betriebe und 14 % der landwirtschaftlichen Nutzfläche) lassen eine Freisetzung von gentechnisch veränderten Kulturen nicht zu, ohne die gentechnikfreien Betriebe in ihrer Existenz massiv zu gefährden. Das von der EU-Kommission und der Gentechnik-Industrie viel beschworene friedliche Nebeneinander („Koexistenz“) von Betrieben, die die Gentechnik anwenden und solchen, die darauf verzichten,  ist nicht möglich. Die Geschädigten müssen nämlich im Falle einer gentechnischen Kontamination ihrer Ernten nicht allein mit wirtschaftlichen Einbußen oder gar einer Kündigung ihrer Verträge durch ihre Abnehmer rechnen, sondern sich außerdem noch mit ihren Nachbarn, die Gentech-Pflanzen angebaut haben, vor Gericht auseinandersetzen. Für biologisch wirtschaftende Betriebe kann eine Kontamination ihrer Felder existenzvernichtend sein.

Die Bundesregierung hat es über Jahre verabsäumt, zum Schutz einer gentechnikfreien Landwirtschaft entsprechende Vorsorge-Maßnahmen zu treffen. Eine - von den jeweiligen ÖVP-Landwirtschaftsministern stets abgelehnte - Möglichkeit bestünde zum Beispiel im Rahmen des Österreichischen Programms für eine umweltgerechte Landwirtschaft (ÖPUL). Mit einem Verzicht auf gentechnisch verändertes Saatgut als Voraussetzung für die Teilnahme an diesem Programm, das 88 Prozent der Fläche und 75 Prozent der Betriebe erfasst, könnte ein Großteil der österreichischen Landwirtschaft gentechnikfrei gehalten werden. Die Nichtgenehmigung von GVO in ökologisch sensiblen Gebieten (Nationalparks, Natura 2000, Schutzgebiete laut Alpenkonvention, Naturschutzgebiete) könnte die GVO-freie Fläche weiter erhöhen. Zur Aufrechterhaltung einer gentechnikfreien Produktion  müssten neben der Schaffung von gentechnikfreien Regionen auch gentechnikfreie Saatgut-Anbauflächen geschaffen werden.

Für jene landwirtschaftlichen Flächen, die durch obige Maßnahmen nicht geschützt sind, müsste ein strenges Gentechnikgesetz mit wirksamen Haftungsbestimmungen zur Geltung kommen. Die vorliegende Gentechnikgesetznovelle ist jedoch dazu nicht geeignet.

Grüne Kritik am Gesetzesentwurf:

-       Die Sicherstellung der Existenz einer gentechnikfreien Landwirtschaft ist nicht in den Zielbestimmungen § 1 des Gesetzes enthalten; hingegen ist die Förderung der Gentechnik in den Zielbestimmungen festgeschrieben.

-       Die Haftungsbestimmungen sind nicht ausreichend. Es gibt keine Deckungsvorsorge für Schadensfälle wie z.B. eine Haftpflichtversicherung für GVO-Anwender.

-       Es besteht keine volle Beweislastumkehr, sondern bestenfalls eine Beweislasterleichterung: der/die Geschädigte hat glaubhaft darzutun, dass ein bestimmtes Verhalten seines Nachbarn geeignet war, die Beeinträchtigung herbeizuführen. Dem Nachbarn steht es frei, diese Vermutung zu widerlegen. Dann ist die Beweislast wieder beim beeinträchtigten Grundstückseigentümer (§79k Abs.4).

-       Der Geschädigte muss vor Einbringung der Klage eine Schlichtungsstelle befassen und eine Klage ist nur dann zulässig, wenn nicht innerhalb von drei Monaten eine gütliche Einigung erzielt worden ist (§ 79m). Die vorgesehenen  Schlichtungsstellen zur aussergerichtlichen Streitbeilegung  werden in vielen Fällen nicht ausreichen, um das zu erwartende Konfliktpotential zu entschärfen.

-       Unterlassungsanspruch § 79k Abs.1: Zwar wird dem Geschädigten ein Unterlassungsanspruch eingeräumt, dieser besteht allerdings nur dann, wenn „die Einwirkung das nach den örtlichen Verhältnissen gewöhnliche Maß wesentlich überschreitet“.

-       Die Möglichkeit eines bundesgesetzlichen Rahmens zur Schaffung von gentechnikfreie Zonen wird nicht wahrgenommen. Entgegen dem ursprünglichen Ministerialentwurf werden gentechnikfreie Bewirtschaftungsgebiete nicht einmal erwähnt.

-       Es gibt auch keine Festlegung von besonderen Kriterien zum Schutz ökologisch sensibler Gebiete beim Inverkehrbringen von GVO. Damit wird per Gesetz kundgetan, dass Österreich auf seine wertvollen Ökosysteme keine besondere Rücksicht nehmen will.

-       Es fehlen Details über die Maßnahmen zum Schutz der gentechnikfreien Produktion (z.B. Mindestabstände zwischen den Feldern, die Errichtung von Pollenbarrieren, Fristen, Informationspflichten gegenüber den Nachbarn etc.).

-       Es fehlt eine gesetzliche Konkretisierung der Sicherheitsbewertung. Alle im Rahmen der Risikobewertung zu erhebenden Parameter sowie die Festlegung der Erhebungsmethoden werden im Rahmen einer Verordnung (Freisetzungsverordnung §38) geregelt. Da die Freisetzungsverordnung die wesentlichen Vorschriften über  Inhalt, Umfang und Form von Anträgen sowie die Sicherheitsbewertung und den Überwachungsplan festlegt, sollte sie zumindest gleichzeitig mit dem Gesetz vorgelegt werden.

-       Aus dem Gesetzestext geht auch nicht klar hervor, wie das bestehende Gentechnikregister mit den Anbauregistern in den Bundesländern korrespondieren soll bzw. ob es Anbauregister in den Bundesländern geben wird.

-       Die Strafbestimmungen wurden den potentiellen Risiken und Schäden nicht angepasst.

-       Die Transparenz und Öffentlichkeitsbeteiligung ist nicht ausreichend. § 40 Absatz 5 beschreibt nicht, welche Informationen der Öffentlichkeit über die Genehmigung von Freisetzungen wann vorliegen sollen.

-       Zur Vermeidung von Verunreinigungen mit GVO wird in § 62c Abs. 1 zwar eine Sorgfaltspflicht eingeführt, diese aber nicht unter Strafe gestellt.

-       Die Schwellenwertregelung für unbeabsichtigte Verunreinigungen mit nicht zugelassenen GVO (§ 62 c Abs 3) ist unzureichend (vorgeschlagene  Schwellenwerte: bei Saatgut 0,1%, bei Lebens- und Futtermitteln 0,5%, für Verarbeitungsprodukte 0,9%). Nicht zugelassene GVO müssten eigentlich verboten werden, zumindest müsste die technische Nachweisgrenze (dzt. 0,1 %) gelten.

-       Die Schutzklausel für nationale Verbots-Beschränkungsmaßnahmen ist nur als Kann-Bestimmung enthalten (§ 60).

-       Es ist kein Verbot von Freisetzungsversuchen vorgesehen.

Forderungen der Grünen „Gentechnikschutzpaket“:

-       Sicherstellung der dauerhaften Existenz einer gentechnikfreien Landwirtschaft in den Zielbestimmungen des Gesetzes, denn nur dann ist „Koexistenz“ und „Wahlfreiheit“ überhaupt möglich

-       Streichung       der Förderung der Gentechnik aus den Zielbestimmungen des Gesetzes, um Zielkonflikte mit dem Vorsorgeprinzip zu vermeiden

-       Verankerung einer verursacherbezogenen Haftung (volle Beweislastumkehr, gesamtschuldnerisch und verschuldensunabhängig), damit Betriebe, die die Gentechnik anwenden, auch für die von ihnen verursachten Schäden aufkommen; Vorschreibung einer wirksamen Deckungsvorsorge (z.B. Haftpflichtversicherung) für alle Betriebe, die GVO anwenden; Schaffung aller notwendigen Voraussetzungen, damit Geschädigte ihre Ansprüche auf Nutzungsbeeinträchtigungen vor Gericht geltend machen können

-       Vollständige und rechtzeitige Information der Öffentlichkeit bzw. der betroffenen Anrainer über den Umfang von Genehmigungen, die Standorte von genehmigten Freisetzungen, Risikobewertung, Ergebnisse des Monitorings

-       Schaffung eines rechtlichen Rahmens zur Errichtung gentechnikfreier Gebiete in Österreich

-       Schaffung von geschlossenen gentechnikfreien Gebieten zum Anbau von Saatgut

-       keine Zulassung von GVO in ökologisch sensiblen Gebieten vor dem Hintergrund der Verpflichtungen aus der Konvention zur Biodiversität und dem Vorsorgeprinzip

-       Erhöhung des Strafrahmens entsprechend den potentiellen Risiken

-       Verbot experimenteller Freisetzungen von GVO in Österreich

1,2 Millionen Menschen haben im Jahr 1997 des Gentechnikvolksbegehren unterzeichnet und damit ihren Wunsch nach einer gentechnikfreien Landwirtschaft und gentechnikfreie Lebensmitteln zum Ausdruck gebracht. Diese Gesetzesnovelle ist nicht geeignet, diesen Wünschen der österreichischen Bevölkerung nachzukommen. Sie wird daher aus den oben angeführten Erwägungen von der Grünen Fraktion abgelehnt.