637 der Beilagen zu den Stenographischen Protokollen des Nationalrates XXII. GP
Bericht
des
Justizausschusses
über den Antrag
65/A(E) der Abgeordneten Mag. Johann Maier, Kolleginnen und Kollegen betreffend
Novellierung des Strafrechtlichen Entschädigungsgesetzes (StEG)
Die Abgeordneten
Mag. Johann Maier, Kolleginnen und Kollegen haben den gegenständlichen Entschließungsantrag
am 6. März 2003 im Nationalrat eingebracht und wie folgt begründet:
„Bereits in der
Antwort zur parlamentarischen Anfrage (1404/AB, XX. GP) hielt es bereits der
damalige Bundesminister Dr. Michalek an sich für wünschenswert, allen in
Untersuchungshaft angehaltenen Personen eine Haftentschädigung zuzuerkennen,
wenn sie nicht verurteilt werden oder die Voraussetzungen an dem Umfang der
Gewährung der Haftentschädigung gegenüber der geltenden Rechtslage sonst wesentlich
zu erweitem oder zu verändern. Auch Bundesminister Dr. Böhmdorfer ließ in der
Öffentlichkeit mehrfach Bereitschaft für eine Reform erkennen. („Ich habe
bereits vor den in der Anfrage erwähnten gerichtlichen Entscheidungen mehrfach
öffentlich bekundet, dass ich eine Reform des Strafrechtlichen
Entschädigungsgesetzes für erforderlich halte, um eine weitere
Auseinandersetzung mit Verdachtsgründen nach rechtskräftigen Freisprüchen zu
vermeiden und eine möglichst weitgehende Gleichbehandlung der Fälle zu
erreichen, in denen nach Untersuchungshaft keine Verurteilung des Betroffenen
erfolgte. In diesem Sinn sehe ich gerichtliche Entscheidungen, die von der
strikten Entkräftung des Tatverdachts als Voraussetzung für die Zuerkennung
einer Haftentschädigung abgeben, als argumentative Unterstützung des
Reformvorhabens.").
In der 2.
Jahreshälfte 2002 ging ein Entwurf eines Bundesgesetzes über den Ersatz von
Schaden aufgrund strafgerichtlicher Anhaltung und Verurteilung (StEG 2004) in Begutachtung. Das Regierungsprogramm für die XXII.
GP enthält aber keinen Hinweis, dass weiterhin an eine Novellierung des StEG
gedacht ist.
Dieser ehemalige
Entwurf eines Bundesgesetzes über den Ersatz von Schäden aufgrund
strafgerichtlicher Anhaltung und Verurteilung (Strafrechtliches
Entschädigungsgesetz 2004 - StEG 2004) war grundsätzlich zu begrüßen, in
einzelnen Details jedoch fragwürdig. Diese Reform war seit Jahren bereits
überfällig, da die österreichische Rechtslage eindeutig der Unschuldsvermutung
des Artikel 6 Abs. 2 MRK widerspricht. Dies wurde auch in mehreren
Entscheidungen des EGMR festgestellt.
So hat der
Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) mehrfach festgestellt, dass
die rechtmäßig erlittene Untersuchungshaft immer dann zu entschädigen ist, wenn
der Verhaftete freigesprochen worden ist. Man sollte - so die
Diskussionsvorschläge in Österreich - daher den Intentionen des EGMR folgen und
für alle Freisprüche eine Entschädigung gesetzlich vorschreiben und zwar ohne
auf die Entkräftung des Verdachtes abzustellen.
Eine
Gesetzesänderung müsste daher dahingehend erfolgen, dass in Österreich nach der
rechtmäßig (unschuldig) erlittenen Untersuchungshaft ebenso wie bei der
Wiederaufnahme dann Entschädigung zu gewähren ist, wenn das Verfahren mit einem
Freispruch endet, da zwischen „glatten Freisprächen" und „in - dubio -
Freisprüchen" nicht zu unterscheiden ist. Freispruch ist Freispruch!
Gerechterweise
müsste dasselbe auch für jede Art der Verfahrenseinstellung - z.B. im Rahmen
einer Voruntersuchung - gelten.
Die
Differenzierung nach der vollständigen Verdachtsentkräftung bei einem Freispruch im § 2 Abs 1 lit b StEG ist somit
falsch, es steht die jetzige Fassung des § 2 Abs 1 lit. b in einem
„Spannungsverhältnis" zum EGMR.
Für die
Entkräftung des Tatverdachtes
wird nach der
geltenden Rechtslage durch die Gerichte der Nachweis der Unschuld verlangt. Bei
Verfahrenseinstellung sollte nicht weniger Entschädigung für die
Untersuchungshaft zu leisten sein als bei Freisprüchen, denn in beiden Fällen
gilt der Betroffene gem. Art. 6 Abs 2 MRK in gleicherweise als unschuldig. Der
Verdacht ist bei Einstellungen sogar noch geringer, es kommt gar nicht zu einer
Verhandlung mit Freispruch durch das Gericht. Aber nur wenige
Untersuchungsgefangene können nachweisen, dass sie unschuldig sind
(insbesondere bei Inanspruchnahme der Verfahrenshilfe). Dass Verdächtige
monatelang in Haft sitzen und danach keine Entschädigung erhalten, weil eine
Verfahrenseinstellung erfolgte bzw. der Tatverdacht nicht vollständig
entkräftigt werden kann - aber dann auch noch die angefallenen Verteidigungskosten
zu zahlen haben -, ist ein geradezu unglaublicher rechtspolitischer Missstand.
Daher sollte auch jeder Untersuchungsgefangene, der außer Verfolgung gesetzt
wird sowie jeder Freigesprochene - unabhängig von der Verdachtsentkräftigung -
Anspruch auf eine Entschädigung haben.
Eine Entschädigung
wird grundsätzlich auch nur unter Maßgabe des § 2 StEG gewährt. Nach geltenden
Recht haben Personen, die zu Unrecht verurteilt, und Untersuchungsgefangene,
die außer Verfolgung gesetzt werden, nur Anspruch auf Ersatz der
vermögensrechtlichen Nachteile und Ersatz des ziffernmäßig nachweisbaren
Vermögensschadens (z.B. Verdienstentgang, Anwaltskosten). Angestrebt werden
muss aber auch eine ideelle Entschädigung, die bestehende Rechtssituation ist
nämlich unzureichend: Wer zu Unrecht eine Freiheitsstrafe verbüßen müsste oder
wer als Untersuchungsgefangener längere Zeit (z.B. mehr als 3 Monate oder mehr
als 6 Monate) in einem Gefängnis verbringen müsste, sollte dafür auch eine Art
Schmerzensgeld erhalten.
Aus der Analyse
von parlamentarischen Anfragebeantwortungen und weiterer parlamentarischer
Materialien zum Strafrechtlichen Entschädigungsgesetz (StEG) für die Jahre
1999, 2000 und 2001 (siehe Anhang) ergeben sich schockierende Zahlen.
Schockierend ist
bei diesen Jahresvergleichen die Zunahme der Untersuchungshaftzahlen
(Steigerung von 9.181 auf 9.745). Diese ist fast ausschließlich darauf
zurückzuführen, dass mehr über 18-jährige in Untersuchungshaft genommen werden.
Die Gründe dafür liegen einerseits in der jüngsten Verschärfungen
strafrechtlicher Bestimmungen sowie andererseits im Absenken der
Strafmündigkeit auf 18 Jahren. Notwendig wäre daher- internationalen Beispielen
folgend - eine weitere Konkretisierung des Strafrechts für junge Erwachsene
(Heranwachsenden-Strafrecht). Nach Presseberichten sind die Haftzahlen 2002
weiter gestiegen (SN 4.2.02), dies entgegen der europäischen Entwicklung.
Die
Schlussfolgerungen lassen sich grob wie folgt zusammenfassen:
• 2001 gab es im Vergleich zu 2000
weniger Anzeigen (Sicherheitsbericht 2001)
• 2001 gab es weniger Aufklärung
(Sicherheitsbericht 2001).
• 2001 wurden jedoch mehr Personen
in Untersuchungshaft genommen. Gegenüber 2000 waren dies um 564 Personen mehr.
• Es wurden dabei mehr
(jugendliche) Ausländer in Untersuchungshaft genommen.
• Die Steigerung in den einzelnen
Gerichtssprengeln bzw. Justizanstalten ist nicht nachvollziehbar.
• Gegenüber 2000 (188) mussten 2001
bei 204 Untersuchungshäftlingen die Verfahren eingestellt werden. Dies
entsprach einer Steigerung von 8 %.
• 2001 stellten bereits 49 Personen
einen Antrag auf Entschädigung nach Untersuchungshaft (2000 waren dies 30
Personen). Dies entsprach einer Steigerung um über 63 %.
• 2001 mussten die Gerichte in 36
Fällen dem Entschädigungsbegehren
entsprechen (2000
waren dies 22/23). Die Steigerungsrate betrug daher 64 %.
Man kann
daher einen einfachen Schluss für Österreich ziehen: Je öfter die
Untersuchungshaft verhängt wird umso mehr wird eingestellt oder freigesprochen und desto mehr muss später auch an Entschädigungszahlungen geleistet werden.
In der
Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte vom 10.07.2001
über die Beschwerde Nr. 28.923/95 im Fall Lamanna gegen Österreich wurde die
Unzulässigkeit jeglicher Schuldvermutung nach einem rechtskräftigen Freispruch
im Urteil bekräftigt.
Entscheidend war
in diesem Verfahren, dass sowohl das Landesgericht Salzburg als auch das OLG
Linz im Entschädigungsverfahren nach dem rechtskräftigen Freispruch des
Beschwerdeführers Feststellungen getroffen haben, in denen die Ansicht geäußert
wurde, es bestehe ein andauernder Verdacht gegen den Beschwerdeführer, dass sie
auf diese Weise seine Unschuld angezweifelt haben. Demgemäss habe eine
Verletzung des Artikels 6 Abs. 2 MRK stattgefunden.
Etwas anders
wiederum die Entscheidung E 11.10.2001,15 Os 136/01: Im Falle einer Einstellung
gilt der Verdacht (weiterhin) erst dann als entkräftet, wenn die ursprünglichen
Verdachtsgründe, die zur Einleitung der Voruntersuchung geführt haben, durch
deren Ergebnisse aufgehört haben, Argumente für die Schuld des Verdächtigen zu
bilden. Für den Nachweis der Unschuld im Sinn des § 2 Abs. 1 It. lit.bSTEG
dürfen aber keine strengeren Regeln gelten als für den für den Schuldspruch
erforderlichen Schuldnachweis; wie für diesen muss auch für die
Verdachtsentkräftung ein (bloßer) Indizienbeweis (§ 258 Abs. 2 StPO)
ausreichen.
In der
Anfragebeantwortung vom 13.09.2001 (2755/AB) hat BM Dr. Dieter Böhmdorfer
mitgeteilt, dass von den Beamten Ihres Ressorts ein entsprechender
Ministerialentwurf vorbereitet wird, wobei im Sinne der Judikatur des EGMR,
wonach es sich bei der Entschädigung wegen erlittener Haft um ein "ziviles
Recht" im Sinne des Art. 6 EMRK handle, überlegt wird, auf das
strafgerichtliche Feststellungsverfahren gänzlich zu verzichten und die Haftung
des Bundes auch auf den Ersatz immaterieller Schäden zu erstrecken.
Dessen ungeachtete
haben nach Presseberichten in jüngster Zeit das Landesgericht und das
Oberlandesgericht Innsbruck sowie nun auch das OLG Linz "MRK -
Konform" entschieden. Das heißt, dass Haftentschädigungen bei einem
Freispruch - auch bei Bestehen einer Verdachtslage - zugesprochen wurden. Dies
soll als Vorgriff auf eine zukünftige nationale Rechtslage verstanden werden.
Grundsätzlich
begrüßt werden musste in dem Entwurf eines Strafrechtlichen Entschädigungsgesetzes insbesondere:
• die Neugestaltung der
Anspruchsvoraussetzungen,
• die Konzentration der
Anspruchstellung auf die Zivilgerichte,
• die Inanspruchnahme von
Verfahrenshilfe
• eine angemessene
Entschädigungsregelung für die durch die Festnahme oder die Anhaltung erlittene
Beeinträchtigung (immaterieller Schadenersatz) und
• dass es zu keiner Deckelung oder
Pauschalierung der Ersatzbeträge gekommen ist.
Der vorliegende
Entwurf verbessert somit einerseits die verfahrensrechtlichen Möglichkeiten
sowie andererseits die Anspruchsvoraussetzungen für den Geschädigten.
Rechtspolitisch
aber nicht nachvollziehbar waren die Ausschließungsgründe und die
Einschränkungen des Ersatzanspruches nach § 3 des Entwurfes. Der Hinweis in den
Erläuterungen auf die Belastungen des öffentlichen Haushalts kann gegenüber
Betroffenen wohl nicht ernst gemeint sein. Bedauerlicherweise sollte diese
Regelung auch erst ab 1.1.2004 in Kraft treten. Durch die Auflösung des
Nationalrates konnte dieser Entwurf keiner parlamentarischen Behandlung
zugeführt werden.
Mit den damals
geplanten Regelungen im § 3 würde die „Unschuldsvermutung" nach Artikel 6
der Menschenrechtskommission über die Hintertür wieder zu Fall gebracht werden.
Dies trifft insbesondere auf die Regelung des Abs. 2 zu, nach der ein absoluter
Anspruch auf Entschädigung als nicht sachgerecht bezeichnet wird („es wäre aber
nicht sachgerecht; völlig undifferenziert und ohne Würdigung der konkreten
Umstände des Einzelfalles in allen Fällen der Einstellung des Verfahrens oder
eines freisprechenden Erkenntnisses eine Entschädigung für die an sich
gesetzmäßig angeordnete Verwahrungs- oder Untersuchungshaft zu gewähren, dies
würde sowohl auch eine für die öffentlichen Haushalte nur schwer verkraftbare
Belastung mit sich bringen"). Diese Ermessensklausel behält es dem Richter
vor, bei einer zunächst „drückenden" Beweislage oder bei Vorliegen
schwerwiegender Haftgründe, einen Anspruch zu verneinen. Es ist daher aus
unserer Sicht davon auszugehen, dass diese Ermessensregelung generell bzw.
Entscheidungen im Einzelfall wieder Gegenstand vom Verfahren beim Europäischen
Gerichtshof für Menschenrechte werden.
Keine
Berücksichtigung in diesem Entwurf fanden sich gesetzlich verpflichtende
Regelungen zum Schutz und zur Information sowie Beratung dieser Geschädigten
(z.B. durch Opferhilfeeinrichtungen oder Entschädigungsanwalt), wie
beispielsweise durch ausdrückliche verpflichtende Beratung über Ersatzansprüche
nach dem StEG bzw. über Amtshaftungsansprüche. Aus Sicht der Antragsteller
erscheint allerdings zur Verstärkung des Rechtsschutzgedankens und der
Opferhilfe die Einführung eines Entschädigungsanwaltes notwendig zu sein.
Absolut ungeklärt
blieb in diesem Entwurf die Frage der Entschädigung bei Auslieferung in einen
anderen EU-Mitgliedstaat nach dem Rahmenbeschluss des Rates vom 13. Juni 2002
über den Europäischen Haftbefehl und die Übergabeverfahren zwischen den
Mitgliedsstaaten. Absolut zu klären ist aber nach welchem Recht sich ein
Entschädigungsanspruch bestimmt und welcher Staat (Auslieferstaat oder
Haftstaat) bei einem Freispruch bzw. einer Verfahrenseinstellung zu zahlen
hat.“
Der
Justizausschuss hat den gegenständlichen Entschließungsantrag in seinen
Sitzungen am 11. Dezember 2003 und 06. Oktober 2004 in Verhandlung
genommen. An der Debatte beteiligten sich im Anschluss an die Ausführungen des
Berichterstatters die Abgeordneten Mag. Johann Maier,
Mag. Heribert Donnerbauer, Dr. Gabriela Moser, Mag. Ruth Becher, Dr.
Johannes Jarolim, Dr. Christian Puswald,
Dr. Dieter Böhmdorfer, Mag. Gisela Wurm, Mag. Terezija Stoisits,
Dr. Peter Wittmann, Mag. Karin Hakl
sowie die Bundesministerin für Justiz Mag. Karin Miklautsch
und die Ausschussobfrau Abgeordnete Mag. Dr. Maria Theresia Fekter.
Bei der Abstimmung
fand der gegenständliche Entschließungsantrag keine Mehrheit.
Als Ergebnis
seiner Beratungen stellt der Justizausschuss somit den Antrag,
der Nationalrat wolle diesen Bericht zur Kenntnis nehmen.
Wien, 2004 10 06
Dipl.-Ing. Mag. Roderich Regler Mag.
Dr. Maria Theresia Fekter
Berichterstatter Obfrau