Abweichende persönliche Stellungnahme

gemäß § 42 Abs.5 GOG

des Abgeordneten Dipl.-Ing. Wolfgang Pirklhuber

zum Bericht 823 der Beilagen des Gesundheitsausschusses über das Bundesgesetz über Sicherheitsanforderungen und weitere Anforderungen an Lebensmittel, Gebrauchsgegenstände und kosmetische Mittel zum Schutz der Verbraucherinnen und Verbraucher (Lebensmittelsicherheits- und Verbraucherschutzgesetz)

Mit dem vorliegenden Gesetzesentwurf soll den neuen gemeinschaftsrechtlichen Anforderungen im Lebensmittelbereich Rechnung getragen werden. Dementsprechend wird die gesamte Lebensmittelkette einschließlich der Primärproduktion berücksichtigt. Das europäische Lebensmittelrecht schreibt wichtige Grundsätze wie das Vorsorgeprinzip, die Haftung der HerstellerInnen für die Lebensmittelsicherheit, den Schutz der KonsumentInnen vor allen Gesundheitsgefahren (einschließlich des Futtermittelsektors), die Rückverfolgbarkeit von Lebensmitteln und Futter, Bestimmungen für Risikobeurteilung und Risikomanagement und die Information der Öffentlichkeit über alle durch Lebensmittel drohenden Gesundheitsrisiken fest.

Das österreichische Lebensmittelgesetz 1975, das auf das Lebensmittelgesetz 1951 zurückgeht, ist seit Jahren schon nicht mehr auf die heutigen wirtschaftspolitischen Verhältnisse abgestimmt und daher höchst reformbedürftig. Auch wurde laufend auf die Vollzugsdefizite im Lebensmittelrecht hingewiesen, so auch von den ExpertInnen der Enquete-Kommission “Die Reaktion auf strafbares Verhalten in Österreich, ihre Angemessenheit, ihre Effizienz, ihre Ausgewogenheit“ von Oktober 2000 bis Juni 2002. Es wurde von mangelnder Effizienz und der häufigen Einstellung von Verfahren gesprochen. Dies führe nicht nur zu Risiken für Leib und Leben, sondern auch zu Marktverzerrungen zu Ungunsten der rechtstreuen UnternehmerInnen. Außerdem wurde darauf hingewiesen, dass lebensmittelrechtliche Verstöße insbesondere, wenn sie von Seiten der Großindustrie erfolgen, nicht ausreichend geahndet werden. Insgesamt ging die Enquete-Kommission davon aus, dass in erster Linie eine Optimierung der Kontrollmöglichkeiten erforderlich sei, denn entscheidend für die Prävention sei, dass der Staat auf Verstöße überhaupt reagiere, d.h. dass kontrolliert und der Strafrahmen angewendet bzw. im Bedarfsfall auch ausgeschöpft werde. Unter anderem wurde in der Enquete-Kommission angeregt, dass Verwaltungsstrafdrohungen auch im Futtermittelgesetz verankert werden sollten.

Die Regierungsvorlage über ein Lebensmittelsicherheits- und Verbraucherschutzgesetz enthält zahlreiche Verordnungsermächtigungen, wobei wesentliche Bestimmungen nicht gesetzlich verankert werden, so z.B. nähere Bestimmungen zur Kennzeichnung von Produkten.

Die Einbeziehung der gesamten Primärproduktion (entsprechend den EU-Bestimmungen) ist zwar positiv und sinnvoll, die Unabhängigkeit der Kontrolle jedoch nicht umfassend gewährleistet, da mögliche Interessenkonflikte nicht beseitigt bzw. ausgeschlossen werden. So ist z.B. bei den Verordnungen §§ 11, 13 Abs 2, 14, 15 und 30 Einvernehmen mit dem Landwirtschaftsministerium herzustellen. Problematisch ist dies insbesondere bei der Überwachung der Bestimmungen betreffend Tiere und Pflanzen zur Produktion von Lebensmitteln und bei der Erstellung eines mehrjährigen integrierten Kontrollplans.

Auch bleibt die Vollzugs- und Kontrollkompetenz für alle lebensmittelrelevanten Bereiche im agrarischen Betriebsmittelrecht in der Zuständigkeit des Landwirtschaftsministers. Laut EU-VO 178/2002 sollten im Sinne des Kontrollprinzips „vom Stall bis zum Teller“ auch die futtermittelrechtlichen Bestimmungen, die vom vorliegenden Gesetz nicht erfasst werden, dem Lebensmittelrecht angepasst werden. Um eine unabhängige Kontrolle in allen lebensmittelrelevanten Bereichen im Agrarrecht sicherzustellen, sollten die diesbezüglichen Kontrollkompetenzen dringend dem BMGF übertragen werden. Die Notwendigkeit dieser Maßnahme bestätigen auch die Unterschiede bei den Strafdrohungen im Lebensmittel- und Futtermittelrecht. Für dieselben oder ähnliche Tatbestände weichen die Strafen doch erheblich voneinander ab (z.B. sind sie im Futtermittelgesetz mit dzt. lediglich bis zu 7.270 Euro viel zu gering angesetzt). Ähnlich verhält es sich im gesamten lebensmittelrelevanten agrarischen Betriebsmittelrecht, wo der Strafrahmen ebenfalls angepasst werden müsste. Auch auf Landesebene sollten die Kompetenzen für Futtermittel- und Veterinärkontrollen nicht im Agrar-, sondern im Gesundheitsressort angesiedelt sein.

Der Strafrahmen wurde zwar erhöht, jedoch werden die gerichtlich strafbaren Tatbestände gem §§ 81 und 82 nur auf das Inverkehrbringen gesundheitsschädlicher LM, Gebrauchsgegenstände oder kosmetischer Mittel und von Fleisch und Fleischzubereitungen beschränkt. Für den Verkauf von verdorbenen oder falsch bezeichneten Produkten oder Produkten, die Höchstwerte überschreiten, sind nur Verwaltungsstrafen vorgesehen. Bei den Verwaltungsstrafen ist eine Erhöhung des Strafrahmens bis zu 20.000 bzw. im Wiederholungsfall bis zu 40.000 Euro vorgesehen, aber keine Mindeststrafen. Diese wären deshalb geboten gewesen, da die angedrohten Strafen in der Regel nicht verhängt werden. Sanktionen bei Verstößen gegen EU-Recht wurden lediglich bei den Verwaltungsstrafen berücksichtigt.

Es ist keine verpflichtende Vorlage eines jährlichen Berichtes über den Kontroll-, Revisions- und Probenplan sowie über die Ergebnisse der Kontrollen an den Nationalrat vorgesehen.

Die gesetzliche Vorschreibung einer transparenten, lesbaren Kennzeichnung wurde verabsäumt. Auch hinsichtlich der tierischen Produkte ist keine Kennzeichnung vorgeschrieben, aus der sich die Haltung der Tiere ablesen lässt. Es wird auch kein Zusammenhang zu § 18 Abs. 6 Bundestierschutzgesetz hergestellt, wo zur Erhöhung der Rechtssicherheit von Tierhaltern und zur Erleichterung des Vollzugs die Etablierung eines verpflichtenden behördlichen Zertifizierungsverfahrens für neuartige serienmäßig hergestellte Aufstallungssysteme und neuartige technische Ausrüstungen für Tierhaltungen vorzusehen ist. Danach ist die Bundesministerin für Gesundheit und Frauen, in Bezug auf landwirtschaftliche Nutztiere im Einvernehmen mit dem Bundesministerium für Land- und Forstwirtschaft, Umwelt und Wasserwirtschaft, ermächtigt, eine Kennzeichnung serienmäßig hergestellter Haltungssysteme und Stalleinrichtungen sowie Heimtierunterkünfte und Heimtierzubehör, die den Anforderungen dieses Bundesgesetzes entsprechen, durch Verordnung zu regeln. Diese Verordnung hätte zugleich mit dem Bundestierschutzgesetz am 1. Jänner 2005 in Kraft treten sollen, liegt jedoch bis dato nicht vor. Die Etablierung eines verpflichtenden behördlichen Zertifizierungsverfahrens auf nationaler Ebene würde auch die Möglichkeit einer Kennzeichnung diesbezüglicher Produkte bieten.

Ebenso fehlt in der Regierungsvorlage die Absicht einer verstärkten Information und Aufklärung der KonsumentInnen. Auch fehlt eine Bestimmung, dass mehrfach beanstandete Unternehmen und Produkte öffentlich gemacht werden müssen. Weiters fehlt die Melde-Verpflichtung von privaten Labors bei Verdacht auf Gesundheitsgefährdung und das Vorhaben verstärkter Schwerpunktkontrollen im Auftrag des BMGF.

Wesentlich für die Prävention im Lebensmittelbereich ist, dass effizient kontrolliert wird und die angedrohten Strafen auch verhängt werden. Derzeit sind die erforderlichen finanziellen und personellen Ressourcen für die Kontrolltätigkeiten viel zu knapp. Der Personalstand der Lebensmittelaufsicht in Österreich einschließlich der vom Landeshauptmann bestellten ÄrztInnen und TierärztInnen belief sich im Jahr 2003 auf insgesamt 368 Personen.[1]

In den letzten Jahren wurde die Lebensmittelkontrolle in Österreich auch im Zusammenhang mit der Ausgliederung und Zusammenlegung verschiedenster Institutionen unter dem Dach der Agentur für Gesundheit und Ernährungssicherheit (AGES) regelrecht ausgehungert. Die Forderung der Grünen nach Sicherstellung der erforderlichen budgetären Mittel für die AGES bleibt daher aufrecht. Der Rechnungshof bestätigte ebenfalls die Bedenken der Grünen anlässlich der Gründung der AGES. Vor allem wird die Konzeption zweier Eigentümer kritisiert, denn sie widerspricht der GmbH-Form, die als Organisationsform ein einheitliches Unternehmen darstellen soll. Der Rechnungshof empfiehlt die Ansiedlung und Übertragung der Agenden der AGES entsprechend der EU-Ebene an das Gesundheitsressort. Darüber hinaus rügt der Rechnungshof: „Die finanziellen Rahmenbedingungen auf Grundlage des Unternehmenskonzepts verengten den finanziellen und wirtschaftlichen Spielraum der AGES drastisch.“ Aufgrund der geringen Dotierung der Basisfinanzierung und verbunden mit der Forcierung privatwirtschaftlicher Einnahmen und der Rechtsform der GmbH sowie der Dominanz (bundes-)haushaltspolitischer Zielsetzungen und betriebswirtschaftlicher Effizienzkriterien erfolge eine Beeinträchtigung des gesundheitspolitischen Versorgungsauftrags.

Kritik im Einzelnen :

Bei der Definition der Gesundheitsschädlichkeit sollten auch die Mittel- und Langzeitrisiken berücksichtigt werden. In Artikel 14 Abs. 4 der VO 178/2002(EG) werden auch die kurz-oder langfristigen Auswirkungen sowie die wahrscheinlichen kumulativen toxischen Auswirkungen und die besondere Empfindlichkeit bestimmter Verbrauchergruppen berücksichtigt. § 5 Abs. 5 sollte daher lauten: „Lebensmittel sind gesundheitsschädlich, wenn sie unter Beachtung des Vorsorgeprinzips geeignet sind, die Gesundheit zu gefährden oder zu schädigen“.

In § 6 fehlen nähere gesetzliche Bestimmungen über die Art und Weise der Abgabe von Lebensmitteln im Handel. So sollten z.B. GVO-Lebensmittel sowie ökologische LM jeweils von konventionellen LM getrennt angeboten werden.

Bei Nahrungsergänzungsmitteln wurde das bisherige Meldeverfahren nicht aufrecht erhalten und den Unternehmen auch keine Aufklärungspflichten über eine wissenschaftliche Belegbarkeit des Gesundheitsarguments auferlegt. Ebenso fehlt die Verpflichtung zur Führung eines öffentliches Registers für Nahrungsergänzungsmittel und gesundheitsbezogene Angaben. In diesem Zusammenhang hat sich die Grüne Fraktion der Ausschussfeststellung angeschlossen, die eine abschließende Bewertung und Diskussion von Lösungsansätzen für Abgrenzungsfragen zwischen Nahrungsergänzungsmitteln, Arzneimitteln und Medizinprodukten sowie zur Kontrolle der Vertriebswege bis Herbst 2005 vorsieht.

Laut § 15 ist über Umfang und Art der Kontrolle Einvernehmen mit dem Landwirtschaftsminister herzustellen, was einem klassischen Interessenkonflikt (Unabhängigkeit der Kontrolle gegenüber Beratung und Produktion) gleichkommt. Außerdem würde das Prinzip „from stable to table“ auch die Futtermittel mit einschließen. Daher sollte das für Lebensmittelsicherheit zuständige Ministerium auch für die Kontrolle im Futtermittelbereich federführend zuständig sein.

Nach § 27 kann der Landeshauptmann für die Schlachttieruntersuchung im Herkunftsbetrieb auch Tierärzte, die nicht amtliche Tierärzte sind, zur Feststellung der Tiergesundheit und zur Probeentnahme auf Rückstände mit Bescheid zulassen. Es gelten zwar die Bestimmungen über die Befangenheit gem. Beamten-Dienstrechtsgesetz unter „Berücksichtigung der Interessenkonflikte mit sonstigen beruflichen Tätigkeiten“. Diese Formulierung ist jedoch zu allgemein. Es sollte ausgeschlossen werden, dass ein „privater“ Tierarzt in die Situation kommt, seine eigenen Kunden kontrollieren zu müssen.

Der in § 30 vorgesehene Integrierte Kontrollplan und Jahresbericht des BMGF über die Durchführung des Kontrollplans sollte auch dem Nationalrat übermittelt und der Öffentlichkeit bekannt gegeben werden.

Der Revisions- und Probenplan (§ 31) sowie die Ergebnisse der Kontrollen sind insbesondere auch hinsichtlich der Zahlungen von Direktbeihilfen im Rahmen der Gemeinsamen Agrarpolitik von Bedeutung, da laut VO 1782/2003 die Zahlung von Direktbeihilfen an die Einhaltung von Vorschriften in Bezug auf die landwirtschaftliche Erzeugung und Tätigkeit gebunden ist, und zwar an die Erhaltung eines guten ökologischen Zustands der Flächen und an die Gewährleistung von Tiergesundheit und Tierschutz. Sicherzustellen gem. Abs. 4 wäre auch, dass der Landeshauptmann die Kontrollberichte der AMA übermittelt und die AMA dem Landeshauptmann die entsprechenden Daten zur Verfügung stellt.

Laut § 35 (7) können Aufsichtsorgane bei der Wahrnehmung von Verstößen gegen lebensmittelrechtliche Vorschriften eine Organstrafverfügung gem. § 50 VStG erlassen oder gemäß § 21 VStG (Absehen von der Strafe) vorgehen. Damit besteht keine Pflicht zur Anzeige bei Verstößen und die Entscheidung wird den Aufsichtspersonen überlassen. In diesem Zusammenhang ist zu befürchten, dass die Verhängung von Strafen noch eingeschränkter erfolgt als bisher und z.B. Kennzeichnungsmängel, die für die KonsumentInnen gravierende Auswirkungen haben können, als Kavaliersdelikt behandelt werden.

Proben im Rahmen von Monitoringaktionen (§ 37) haben keine amtlichen Maßnahmen (§ 39) und Beschlagnahmen (§ 41) zur Folge. Das heißt, dass die Ware trotz bei Monitoring festgestellter Gesundheitsgefährdung weiterverkauft werden darf, denn Maßnahmen dürfen nicht gesetzt und ev. erst nach weiterer Gegenprobe getroffen werden. Bis dahin können jedoch KonsumentInnen gesundheitlich gefährdet werden.

Zu den Pflichten der Unternehmer § 38 sollte auch die innerbetriebliche Information gehören (z.B. über die Einhaltung der Kühlkette). Die Auskunftspflicht sollte sich auch auf die Wahrheitsgemäßheit von behaupteten Angaben beziehen.

Laut § 39 (Maßnahmen bei Verstößen) soll der Maßnahmenbescheid bei Feststellung von Mängeln die bisherige Beschlagnahme ablösen, außer bei Gesundheitsschädlichkeit (§ 41). Das bedeutet, dass es keine obligatorischen Beschlagnahmungen mehr bei unsicheren Lebensmitteln (verdorbenen LM, Grenzwertüberschreitungen, Arzneimittelrückständen) gibt. Laut § 41 ist Beschlagnahme nur dann zulässig, wenn dem Bescheid nicht Folge geleistet wurde oder Gesundheitsschädlichkeit vorliegt. Eine vorläufige Beschlagnahme sollte jedoch auch bereits bei begründetem Verdacht einer Gesundheitsschädlichkeit möglich sein.

Bei den Informationspflichten gemäß § 42 wäre zu ergänzen, dass die Melde-Verpflichtung bei Verdacht auf Gefährdung auch auf private Labors ausgedehnt wird (vgl. Nitrofen-Skandal in Deutschland: dort wurde wegen fehlender Meldepflicht privater Labors das verbotene Pestizid Nitrofen ein halbes Jahr lang den KonsumentInnen zugemutet).

Bei begründetem Verdacht, dass Waren gesundheitsschädlich und dadurch größere Bevölkerungsgruppen gefährdet sind, hat das BMGF laut § 43 die Öffentlichkeit über das Schnellwarnsystem (Bezeichnung der Ware, Erzeuger, Begründung, getroffene oder beabsichtigte Maßnahmen) zu informieren. Warnpflicht sollte auch bei wiederholten schweren Verstößen von Unternehmen gegen das Lebens- und Futtermittelrecht sowie bei mehrfacher Verletzung der Kennzeichnungspflichten oder bei schweren Verstößen im Zusammenhang mit besonders sensiblen Produkten wie gentechnisch veränderten Lebensmitteln eingeführt werden.

In § 72 wird bei den Untersuchungsanstalten der Länder als Kriterium für die Aufgabenerfüllung die AGES als Maßstab herangezogen. Es ist zu befürchten, dass sich dadurch die nicht zufriedenstellende Ressourcensituation in der Agentur auch auf die Untersuchungsanstalten der Länder niederschlägt.

Es sollten der Codexkommission (§ 77) auch Vertreter der Aufsichtsbehörden sowie zumindest 3 Mitglieder mit einschlägig ernährungswissenschaftlichen Kenntnissen angehören.

Die Möglichkeit der Nicht-Einziehung von Gegenständen in § 83 trotz vorangegangener Strafen gemäß §§ 81 und 82, wo sie als gesundheitsschädlich bewertet wurden, ist bedenklich.

Mit der Ergänzung zur Untersagung der Gewerbeausübung in § 84 wonach einem Täter, der schon zweimal nach den §§ 81 und 82 verurteilt wurde, statt einer Untersagung Bedingungen für die Ausübung des Gewerbes oder der Tätigkeiten vorzuschreiben sind, wenn dadurch der Zweck der Untersagung erreicht werden kann, wird das Instrument der Untersagung der Gewerbeausübung wesentlich abgeschwächt.

Bei den Strafbestimmungen wurde der Strafrahmen zwar erhöht, es besteht aber laut § 35 Abs. 7 auch die Möglichkeit eines Absehens von einer Anzeige. Bei Zuwiderhandeln gegen EU-Rechtsvorschriften ist lediglich eine Verwaltungsstrafe vorgesehen. Das entspricht bei manchen Vergehen nicht den im Gemeinschaftsrecht bestehenden Anforderungen „wirksam, abschreckend und verhältnismäßig“. Es werden Verstöße mit sehr unterschiedlichem Unrechtsgehalt den selben Strafdrohungen unterstellt.

In Stellungnahmen zum Begutachtungsentwurf wurde als weitere Maßnahme zur Effektuierung des verwaltungsrechtlichen Lebensmittelstrafrechts auch vorgeschlagen, in bestimmten Fällen auch die Abschöpfung des durch das rechtswidrige Verhalten erlangten Gewinns vorzusehen. Dies wäre insbesondere angesichts der zunehmenden Konzentration im Lebensmittelhandel eine adäquate Maßnahme gewesen, das Lebensmittelstrafrecht effizienter zu machen.

Defizite bei der Umsetzung von EU-Bestimmungen in Österreich

Zahlreiche EU-Verordnungen oder EU-Richtlinien, die neben dem Lebensmittelrecht auch das agrarische Betriebsmittelrecht und Veterinärrecht betreffen, wurden in Österreich nicht umgesetzt (vgl. parlamentarische Anfragebeantwortung 159/AB XXII. GP, aus der hervorgeht, dass 12 EU-Richtlinien, die den Lebensmittelbereich betreffen, nicht umgesetzt wurden).

Bisher nicht umgesetzt wurde z.B. auch die Allergiekennzeichnungs-Richtlinie 2003/89/EG. Diese Richtlinie ist für Allergiker von besonderer Bedeutung und hätte bis 25. November 2004 in österreichisches Recht umgesetzt werden müssen, da bestimmte Zutaten oder andere Stoffe bei KonsumentInnen Allergien oder Unverträglichkeiten auslösen und somit eine Gefahr für die Gesundheit darstellen. Auslöser von Lebensmittelallergien sind in loser Ware, in verpackten Produkten und in einer Vielzahl von Fertignahrungsmitteln vorhanden, ohne gekennzeichnet werden zu müssen.

Entwicklungen auf EU-Ebene

Unter dem Eindruck der BSE-Krise und des sich abzeichnenden dramatischen Vertrauensverlustes der KonsumentInnen wurden im Weißbuch zur Lebensmittelsicherheit wesentliche Prinzipien wie z.B. das Vorsorgeprinzip und das Rückverfolgbarkeitsprinzip niedergelegt und zum Teil auch schon umgesetzt. Die Grünen bewerten den Vorstoß auf EU-Ebene zur Prozesskontrolle der gesamten Lebensmittelkette positiv. Entsprechende Anpassungen sind auch im Futtermittelrecht vorzunehmen. Die Grünen fordern härtere Sanktionen und intensivere Kontrollen für die Futtermittelindustrie, die für fast alle Lebensmittelskandale des letzten Jahrzehnts (Dioxin, BSE, Antibiotika etc.) verantwortlich ist. Eine Prozesskontrolle, wie sie seit Jahren in der biologischen Landwirtschaft praktiziert wird, sollte daher im gesamten Lebensmittel-Produktionssystem eingeführt werden.

Die Grünen sind gegen die intensive technische Verarbeitung von Lebensmitteln durch Zusatz-, Konservierungs-, Aroma- und Süßstoffe sowie Bestrahlung. Der Anteil industriell verarbeiteter Lebensmittel in unserer täglichen Ernährung nimmt ständig zu. Die täglich im Durchschnitt aufgenommene Menge dieser Zusatzstoffe ist schwierig zu schätzen und dürfte, insbesondere bei Kindern, weit höher liegen als erwartet. Auch ist die synergetische Wirkung von Zusatzstoffen wissenschaftlich nicht umfassend beurteilt worden.

EU-Vorschriften zur Lebensmittelhygiene sind häufig einseitig an die industrielle Lebensmittelproduktion angepasst, während inadäquate und unflexible Vorschriften lokale und traditionelle LebensmittelherstellerInnen zum Aufgeben zwingen. Dadurch wurden in der Vergangenheit Hunderte kleiner Schlachthöfe, Molkereien und Käseproduzenten zur Aufgabe gezwungen. Durch einen differenzierten Ansatz sollte die schwierige Balance zwischen der Notwendigkeit einer strengen Hygiene und der erforderlichen Flexibilität zur Erhaltung traditioneller und lokaler Erzeugung geschafft werden.

Damit ein hochqualitatives Produkt oder eine regionale Spezialität ihren Anteil am Lebensmittelmarkt zu einem konkurrenzfähigen Preis erobern kann, müssen sie die KonsumentInnen von ihren besonderen Qualitäten überzeugen. Dazu bedarf es entweder eines direkten Kontakts zwischen ProduzentInnenen und KonsumentInnen oder klarer und geschützter Kennzeichnungsvorschriften, die über den Ursprung oder die spezielle Herstellungsweise, die das Qualitätslebensmittel von der Massenware unterscheidet, informieren. Die Grünen setzen sich ein für eine zwingende Ursprungskennzeichnung, damit die KonsumentInnen regionale Produkte wählen können und dadurch unnötige Transporte reduziert werden.

Einer großen Anzahl der KonsumentInnen ist die artgerechte Haltung von Tieren ein wichtiges Anliegen. Sie können sich nur dann für Tiergerechtheit entscheiden, wenn tierische Produkte einer bestimmten Haltungsform zugeordnet werden können. Bisher gibt es auf EU-Ebene nur für Geflügelfleisch und Eier definierte Haltungsformen und nur die Eier müssen EU-weit obligatorisch hinsichtlich des Haltungssystems (Käfig-, Boden-, oder Freilandhaltung) gekennzeichnet werden. Die Grünen setzen sich für eine EU-weite Einführung solcher Vermarktungsnormen für alle lebensmittelrelevanten Tierarten ein. Die Kennzeichnung der Haltungsform muss für die KonsumentInnen einfach erkennbar und anschaulich hinsichtlich des Maßes der Tiergerechtheit sein.

Die VO 1830/2003 formuliert Pflichten zur Gewährleistung der Rückverfolgbarkeit von Lebens- und Futtermitteln, die aus gentechnisch veränderten Organismen (GVO) bestehen, GVO enthalten oder daraus hergestellt sind. Danach muss auf jeder Stufe des Inverkehrbringens nachgewiesen werden können, von wem gentechnisch hergestellte Produkte bezogen und an wen sie weitergegeben wurden. Damit wurde erstmals eine gesetzliche Mitteilungspflicht des Lieferanten gegenüber dem Abnehmer geschaffen. Allerdings gibt es bei der EU-Kennzeichnungsverordnung eine wesentliche Lücke: Milch, Fleisch und Eier von Tieren, die mit gentechnisch verändertem Futter ernährt werden, müssen nicht gekennzeichnet werden.

Für GVO-Verunreinigungen von Saatgut, das am Anfang der Produktionskette steht, gibt es EU-weit noch keine Kennzeichnungsregelung, wobei – je nach Kulturart – Schwellenwerte von 0,3 bis 0,7 Prozent in Diskussion sind. In Österreich gilt derzeit das Reinheitsgebot für Saatgut. Bei in Österreich verkauftem Saatgut dürfen Erstuntersuchungen im Rahmen der Saatgutzulassung keine gentechnischen Verunreinigung nachweisen, bei Kontrolluntersuchungen darf der Wert von 0,1% nicht überschritten werden. Österreich hat damit die weltweit strengsten Vorschriften betreffend gentechnische Verunreinigung von Saatgut. Die strenge österreichische Saatgut-Gentechnik-Verordnung wurde 2001 von den Umweltorganisationen und durch die massive Unterstützung der Grünen schwer erkämpft und durchgesetzt. Dieses Reinheitsgebot für Saatgut muss zur EU-weit gültigen Norm erklärt werden.

Der vorliegende Gesetzesentwurf stellt eine EU-Anpassung dar, beseitigt aber die Defizite und Fehlentwicklungen in der österreichischen Lebensmittelpolitik nicht zur Gänze. Die Inkonsistenzen zwischen agrarischem Betriebsmittelrecht und Lebensmittelrecht bestehen weiterhin. Eine unabhängige staatliche Kontrolle wird nicht in ausreichendem Maße sichergestellt. Die Grünen lehnen daher den vorliegenden Gesetzesentwurf ab.



[1] Sh. dazu Beantwortung der parlamentarischen Anfrage Pirklhuber 2333 AB, XXII. GP vom 24.1.2005