VORBLATT

Problem:

In Resolution 1470 (2003) des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen werden alle Staaten zur umfassenden Zusammenarbeit mit dem Sondergericht für Sierra Leone aufgefordert. Das Bundesgesetz über die Zusammenarbeit mit den internationalen Gerichten, BGBl. Nr. 263/1996 regelt ausschließlich die Zusammenarbeit mit dem Internationalen Gericht für das ehemalige Jugoslawien und dem Internationalen Gericht für Ruanda und erfasst das Sondergericht für Sierra Leone nicht. Für die Zusammenarbeit mit diesem Gericht bedarf es daher einer gesonderten Rechtsgrundlage.

Ziel:

Durch das vorliegende Abkommen wird die Rechtsgrundlage für die Übernahme der Vollstreckung von vom Sondergericht verhängten Freiheitsstrafen geschaffen.

Inhalt:

Das vorliegende Abkommen regelt die Übernahme des Strafvollzugs durch Österreich und dessen Modalitäten.

Der Kanzler des Sondergerichts kann an Österreich das Ersuchen richten, in einem bestimmten Fall den Strafvollzug zu übernehmen, wobei Österreich jeden Fall einzeln prüft. Sofern die verurteilte Person kein österreichischer Staatsangehöriger ist, kann die Vollstreckung abgelehnt werden, wenn sie unvertretbare Nachteile für die Sicherheit und die öffentliche Ordnung der Republik Österreich nach sich ziehen würde.

Alternativen:

Keine.

Auswirkungen auf die Beschäftigung und den Wirtschaftsstandort Österreich:

Keine.

Finanzielle Auswirkungen:

Die Anwendung der Bestimmungen des Abkommens (Übernahme zur Strafvollstreckung) wird zu sehr begrenzten Mehrausgaben des Bundes führen. Wenngleich nicht absehbar ist, wie viele vom Sondergericht verurteilte Personen ihre Strafe in Österreich verbüßen werden, so kann davon ausgegangen werden, dass jährlich Kosten für höchstens zwei Strafgefangene in der Höhe von € 51.100 anfallen werden.

Verhältnis zu Rechtsvorschriften der Europäischen Union:

Durch das Abkommen wird EU Recht nicht berührt.

Besonderheiten des Normerzeugungsverfahrens:

Keine.


ERLÄUTERUNGEN

Allgemeiner Teil

Das Abkommen zwischen der Republik Österreich und dem Sondergericht für Sierra Leone über die Vollstreckung von Strafen des Sondergerichts für Sierra Leone hat gesetzändernden bzw. gesetzesergänzenden Charakter und bedarf daher gemäß Art. 50 Abs. 1 B-VG der Genehmigung durch den Nationalrat. Es enthält keine verfassungsändernden und verfassungsergänzenden Bestimmungen und hat nicht politischen Charakter. Es ist der unmittelbaren Anwendbarkeit im innerstaatlichen Rechtsbereich zugänglich, sodass die Erlassung von Gesetzen gemäß Art. 50 Abs. 2 B-VG nicht erforderlich ist. Da durch dieses Abkommen keine Angelegenheiten des selbständigen Wirkungsbereichs der Länder geregelt werden, bedarf es nicht der Zustimmung des Bundesrates gemäß Art. 50 Abs. 1 zweiter Satz B-VG.

Zur Untersuchung und Verfolgung der im Zuge des elfjährigen Bürgerkriegs in Sierra Leone begangenen schwerwiegenden Verstöße gegen das humanitäre Völkerrecht und das Recht von Sierra Leone wurde am 16. Jänner 2002  durch  einen völkerrechtlichen Vertrag zwischen den Vereinten Nationen und der Regierung Sierra Leones das Sondergericht für Sierra Leone als gemischtes Gericht, das sich aus internationalen und nationalen Richtern und Anklägern zusammensetzt und seinen Sitz in Freetown hat, eingerichtet. Die rechtliche Grundlage für die Tätigkeit des Gerichts findet sich in dem dem Abkommen über die Errichtung des Sondergerichts beigeschlossenen Statut.

In Resolution 1470 (2003) des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen werden alle Staaten zur umfassenden Zusammenarbeit mit dem Sondergericht aufgefordert. Art. 22 des Statuts des Sondergerichts sieht vor, dass die Freiheitsstrafen von Personen, die vom Sondergericht verurteilt wurden, in Sierra Leone zu verbüßen sind oder, wenn dies die Umstände erfordern, in einem Staat, der mit dem Internationalen Gericht für Ruanda oder dem Internationalen Gericht für das frühere Jugoslawien ein Abkommen über die Vollstreckung von Strafen abgeschlossen hat und der dem Sondergericht seine Bereitschaft zur Übernahme verurteilter Personen bekundet hat, oder in einem Staat, mit dem das Sondergericht ähnliche Abkommen geschlossen hat. Gemäß Art. 11 des Vertrages zwischen den Vereinten Nationen und der Regierung Sierra Leones über die Einrichtung des Sondergerichtes für Sierra Leone kann das Sondergericht zur Erfüllung seiner Aufgaben Abkommen mit Staaten abschließen. Dementsprechend hat das Sondergericht bereits mit anderen Staaten (u.a. Schweden) Strafvollstreckungsabkommen abgeschlossen.

Das Bundesgesetz über die Zusammenarbeit mit den internationalen Gerichten, BGBl. Nr. 263/1996 regelt ausschließlich die Zusammenarbeit mit dem Internationalen Gericht für das ehemalige Jugoslawien und dem Internationalen Gericht für Ruanda und erfasst das Sondergericht für Sierra Leone nicht. Für die Zusammenarbeit mit diesem Gericht bedarf es daher einer gesonderten Rechtsgrundlage.

Das vorliegende Abkommen regelt die Modalitäten eines allfälligen Strafvollzugs von Personen, die vom Sondergericht verurteilt wurden, in Österreich und orientiert sich inhaltlich an den §§ 19 bis 25 des oben erwähnten Bundesgesetzes und am Abkommen zwischen den VN und der Österreichischen Bundesregierung über die Vollstreckung von Strafen des Internationalen Gerichts für das ehemalige Jugoslawien, BGBl. III Nr. 158/1999.

Gemäß dem Abkommen kann der Kanzler des Sondergerichts an Österreich das Ersuchen richten, in einem bestimmten Fall den Strafvollzug zu übernehmen (Art. 2 Abs. 1), wobei die zuständigen österreichischen Behörden jeden Fall einzeln prüfen. Sofern die verurteilte Person kein österreichischer Staatsangehöriger ist, kann die Vollstreckung abgelehnt werden, wenn sie unvertretbare Nachteile für die Sicherheit und die öffentliche Ordnung der Republik Österreich nach sich ziehen würde. Der Vollzug der Freiheitsstrafen richtet sich nach den österreichischen Rechtsvorschriften, das heißt den einschlägigen Bestimmungen des Strafvollzugsgesetzes (StVG), BGBl. Nr. 144/1969 idgF (Art. 3 Abs. 2 und 3).

Um die Bedingungen des Strafvollzugs nachvollziehen zu können, wird dem Sondergericht in Art. 6 das Recht eingeräumt, Personen, die gemäß dem Abkommen Freiheitsstrafen in Österreich verbüßen, im Einklang mit den österreichischen Rechtsvorschriften zu besuchen.

Jegliche Entscheidung über eine vorzeitige Entlassung, Begnadigung oder Abänderung der Strafe eines Strafgefangenen ist gemäß Art. 8 Abs. 3 dem Präsidenten des Sondergerichts vorbehalten. Zu diesem Zweck sind dem Kanzler alle Umstände, die für derartige Maßnahmen sprechen, mitzuteilen. Bei Ende des Strafvollzugs bleibt jedoch gemäß Art. 9 Abs. 4 das Recht Österreichs unberührt, die betreffende Person im Einklang mit den österreichischen fremdenrechtlichen Vorschriften abzuschieben.

Besonderer Teil

Zur Präambel:

Das Sondergericht für Sierra Leone wurde durch einen völkerrechtlichen Vertrag zwischen den Vereinten Nationen und der Regierung Sierra Leones als gemischtes Gericht, das sich aus internationalen und nationalen Richtern und Anklägern zusammensetzt und seinen Sitz in Freetown hat, eingerichtet. Zur Fundstelle dieses Abkommens vgl. http://www.specialcourt.org/documents/Agreement.htm.

Die rechtliche Grundlage für die Tätigkeit des Gerichts findet sich in dem dem Abkommen über die Errichtung des Sondergerichts beigeschlossenen Statut, vgl. http://www.specialcourt.org/documents/Statute.html.

Die Präambel bezieht sich weiter auf die Resolution des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen 1479 (2003), zur Fundstelle dieser Resolution vgl. http://www.un.org/Docs/sc/unsc_resolutions03.html

Die Präambel verweist schließlich auf die für die Behandlung von Gefangenen geltenden einschlägigen UN-Resolutionen.

Zu Artikel 1:

Vom Geltungsbereich des Abkommens sind nach diesem Art. alle Angelegenheiten erfasst, die sich auf die vom Sondergericht an Österreich gerichteten Ersuchen um Übernahme der Strafvollstreckung beziehen sowie alle damit im Zusammenhang stehenden Fragen.

Zu Artikel 2:

Ersuchen um Übernahme des Strafvollzugs werden vom Kanzler des Sondergerichts gestellt (Abs. 1). Die zuständigen Behörden haben darüber im Einklang mit innerstaatlichen Rechtsvorschriften zu entscheiden (Abs. 2).

Gemäß Abs. 4 kann der Bundesminister für Justiz in ganz besonderen Einzelfällen die Übernahme der Vollstreckung aus Gründen der Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung ablehnen, sofern die verurteilte Person kein österreichischer Staatsangehöriger ist. Hierüber wird Einvernehmen mit dem Bundesminister für auswärtige Angelegenheiten und dem Bundesminister für Inneres herzustellen sein. Gegen Entscheidungen des Bundesministers für Justiz im Verfahren zur Übernahme der Strafvollstreckung ist ein Rechtsmittel nicht zulässig.

Zu Artikel 3:

Die österreichischen Behörden sind bei der Vollstreckung der vom Sondergericht verhängten Freiheitsstrafen an das Strafausmaß gebunden (Abs. 1). Die Freiheitsstrafen werden für das Sondergericht unmittelbar vollzogen. Eine besondere Umsetzung der Strafe in das österreichische Rechtssystem ist daher nicht erforderlich. Für den Vollzug der Strafe selbst, insbesondere die Haftbedingungen, ist österreichisches Recht maßgeblich, d.h., die einschlägigen Bestimmungen des Strafvollzugsgesetzes (StVG), BGBl. Nr. 144/1969 idgF (Abs. 2 und 3). Für die Fragen der vorzeitigen Entlassung, Begnadigung und Abänderung der Strafe enthält Art. 8 besondere Bestimmungen.

Zu Artikel 4:

Die praktische Durchführung der Überstellung einer verurteilten Person nach Österreich zum Zweck der Vollstreckung der Strafe obliegt dem Kanzler des Sondergerichts. Dieses trägt grundsätzlich auch die Kosten der Überstellung (vgl. Art. 11).

Zu Artikel 5:

Wird die Vollstreckung einer vom Sondergericht verhängten Strafe durch Österreich übernommen, so findet der Vollzug dieser Freiheitsstrafe in Österreich unter dem Vorbehalt der Spezialität statt. Das bedeutet, dass die verurteilte Person grundsätzlich nicht wegen Handlungen verfolgt oder bestraft oder in ihrer persönlichen Freiheit beschränkt werden darf, die sie vor ihrer Übergabe an die österreichischen Behörden begangen hat.

Zu Artikel 6:

Die Vollstreckung der Freiheitsstrafe findet unter Aufsicht des Sondergerichts statt. Zu diesem Zweck sind dem Sondergericht oder dem von ihm Beauftragten Besuche zu gestatten. Berichte über diese Besuche sind Österreich zur Kenntnis zu bringen. Für die Haftbedingungen ist österreichisches Recht maßgeblich (vgl. Art. 3 Abs. 2 und 3). Eine allfällige vom Sondergericht oder dem von ihm Beauftragten vorgeschlagene Änderung der Haftbedingungen (Abs. 2) muss sich daher im Rahmen der einschlägigen österreichischen Rechtsvorschriften halten.

Zu Artikel 7:

Dieser Art. normiert eine umgehende Informationspflicht für die dort angeführten Fälle. Flieht eine Person aus der Haft in Österreich (Abs. 1 lit. b), so ist gegen sie ein Haftbefehl zu erlassen.

Zu Artikel 8:

Jegliche Entscheidung über eine vorzeitige Entlassung, Begnadigung oder Abänderung der Strafe ist gemäß Art. 8 Abs. 3 dem Präsidenten des Sondergerichts vorbehalten. Zu diesem Zweck sind dem Kanzler alle Umstände, die für derartige Maßnahmen sprechen, mitzuteilen.

Zu Artikel 9:

Abs. 1 zählt die Gründe für die Beendigung des Strafvollzugs taxativ auf.  Gemäss Abs. 2 kann das Sondergericht entscheiden, den von Österreich übernommenen  Strafvollzug zu beenden und den Häftling an das Sondergericht oder einen Drittstaat zu überstellen. Die Kosten der Überstellung trägt gemäss Art. 11 grundsätzlich das Sondergericht. Nach der Beendigung des Strafvollzugs sind bei ausländischen Strafgefangenen häufig fremdenpolizeiliche Maßnahmen zu vollziehen. Abs. 4 stellt daher klar, dass der Strafgefangene nach Verbüßung der Haft abgeschoben werden kann.

Zu Artikel 10:

Alle Umstände, die den weiteren Vollzug der Strafe unmöglich machen, sind dem Kanzler des Sondergerichts unverzüglich mitzuteilen, der die (Rück-)Überstellung des Häftlings binnen einer Frist von 60 Tagen veranlasst.

Zu Artikel 11:

Art. 11 enthält eine grundsätzliche Regel für die Kostentragung. Demnach trägt das Sondergericht die Kosten der Überstellung und damit verbundene Kosten. Österreich trägt alle durch die Vollstreckung der Strafe entstehenden Kosten.

Zu Artikel 12 und 13:

Diese Art. enthalten die für internationale Abkommen üblichen Schlussbestimmungen (In-Kraft-Tretensregelung - Art. 12, Kündigung - Art. 13 Abs. 1, Anwendbarkeit – Art. 13 Abs. 2 und 3).