878 der Beilagen zu den Stenographischen Protokollen des Nationalrates XXII. GP

 

Bericht

des Justizausschusses

über den Antrag 533/A(E) der Abgeordneten Gabriele Heinisch-Hosek, Mag. Brigid Weinzinger, Dr. Johannes Jarolim, Mag. Terezija Stoisits, Kolleginnen und Kollegen betreffend wirksame gesetzliche und andere Maßnahmen gegen Stalking

Die Abgeordneten Gabriele Heinisch-Hosek, Mag. Brigid Weinzinger, Dr. Johannes Jarolim, Mag. Terezija Stoisits, Kolleginnen und Kollegen haben den gegenständlichen Entschließungsantrag am 02. März 2005 im Nationalrat eingebracht und wie folgt begründet:

„Stalking ist in den letzten Jahren auch in Österreich zu einem öffentlich diskutierten Thema geworden. Beispielsweise hat im September 2004 der Wiener Gemeinderat mit den Stimmen aller vier Parteien einstimmig einen Beschlussantrag betreffend Maßnahmen gegen Stalking gefasst. Stalking stellt eine Form „sozialer“ Gewalt dar, gegen die Opfer und staatliche Institutionen in Österreich praktisch weitgehend wehrlos sind. Diese Hilflosigkeit steht in starkem Gegensatz zu massiven und oft langfristigen Beeinträchtigungen der Opfer.

Als „Stalking“ wird ein Verhalten bezeichnet, das darin besteht, eine andere Person zu verfolgen und ihr gegen ihren Willen Kontakte aufzuzwingen, etwa durch Telefonterror, das Zusenden von Briefen, e-mails oder SMS oder durch das Abpassen bei ihrer Wohnung oder ihrem Arbeitsplatz. Typischerweise verwenden Stalker mehrere Methoden, oft dauert ein Stalking jahrelang an. Motiviert ist Stalking entweder durch die Absicht, das Opfer zu kontrollieren und zu beherrschen, oder (beim Stalking prominenter Personen) durch das Verlangen, im Leben des Opfers eine Rolle zu spielen und dadurch an seiner Bedeutung teilzuhaben.

Stalking führt regelmäßig zu massiven Beeinträchtigungen der Opfer: Bei Stalking-Opfern dominieren starke Gefühle der Verzweiflung, der Angst und der Hilflosigkeit. Nach internationalen Studien zeigen sich bei etwa der Hälfte der Opfer post-traumatische Belastungsstörungen im klinischen Sinne. Die meisten Opfer sehen sich gezwungen, ihre Lebensumstände zu verändern. Langfristig ist eine schwerwiegende Folge von Stalking - wie im übrigen von physischer Gewalt auch - die zunehmende soziale Isolation des Opfers.

Stalking ist ein weltweites Phänomen. In den USA sind jährlich 1.000.000 Frauen und 400.000 Männer von massivem Stalking betroffen. Laut einer Umfrage von IFES (Wien, 2003) unter 1.000 Wienerinnen, hat bereits jede vierte Befragte Erfahrung mit Stalking. Nach internationalen Studien sind 80 Prozent der Stalking-Opfer Frauen, 90 Prozent aller Stalker sind Männer.

Stalking ist Gewalt. Als laufendes Aufzwingen von Kontakten ist Stalking gewissermaßen soziale Gewalt und wesentlich die Missachtung der Privatsphäre des Opfers, zu der das Recht des Opfers gehört zu bestimmen, mit wem es in Kontakt stehen (und von wem es in Ruhe gelassen werden) will.

Den Staat trifft zur Verhinderung von Gewalt eine besondere, im Verhältnis zu anderen Aufgaben sogar vorrangige Verantwortung. Und auch die Gewalt in der Privatsphäre ist eine öffentliche Angelegenheit, weshalb das Opfer ein Recht auf staatliche Schutzmaßnahmen hat. Beispiele für eine Anti-Stalking-Gesetzgebung gibt es bereits in zahlreichen Ländern. So beschloss Kalifornien bereits 1990 ein Gesetz gegen Stalking. In Europa verfügen etwa England, die Niederlande  Schweden und Belgien über eine Anti-Stalking-Regelung. In Deutschland werden Aspekte von Stalking im Gewaltschutzgesetz erfasst und Initiativen für eine strafrechtliche Verankerung von Stalking bestehen bereits.

Mit der Erlassung des Gewaltschutzgesetzes, das am 1. Mai 1997 in Kraft getreten ist, hat sich der Bundesgesetzgeber klar zum Schutz vor Gewalt in der Privatsphäre bekannt. Aus verschiedenen Gründen greift das Gewaltschutzgesetz jedoch gegenüber Stalking zu kurz: Was den polizeirechtlichen Teil anlangt, so schützt dieser vor Gewalt in Wohnungen und vor solchen Gewaltformen, die strafgesetzwidrig sind, was jedoch für typische Methoden des Stalking nicht zutrifft. In beiden Hinsichten gehen die dem Familiengericht eingeräumten Möglichkeiten weiter: Die mit dem Gewaltschutzgesetz geschaffene einstweilige Verfügung in der Verantwortung des Familiengerichts ist nicht strikt an Gewalt im Sinne des Strafgesetzbuches beschränkt und umfasst zudem schon jetzt die Möglichkeit, einem Gewalttäter/einer Gewalttäterin zu untersagen, mit dem Opfer auf welche Weise immer in Kontakt zu treten. Jedoch ist diese einstweilige Verfügung auf Gewalt in der Familie beschränkt und setzt deshalb zwischen dem Täter/der Täterin und dem Opfer zumindest eine vormalige familienähnliche Beziehung voraus, etwa eine frühere Lebensgemeinschaft (eine Einschränkung, die wiederum der polizeirechtliche Teil nicht kennt).

Wegen Lücken im System des Gewaltschutzgesetzes hat die Sicherheitsexekutive gegen Stalker gegenwärtig keine wirksame Handhabe und die Opfer finden sich allein gelassen. Es ist deshalb dringend notwendig, in einem nächsten Schritt die bezeichneten Lücken zu schließen.

    Dazu bedarf es der Schaffung eines gerichtlichen Straftatbestandes, mit dem die fortgesetzte grobe Belästigung des Opfers, insbesondere durch wiederholtes Anrufen, Zusenden von Botschaften oder Sachen, Abpassen oder Nachstellen und Verfolgen unter Strafe gestellt wird.

Die gegenwärtig auf die Familiengerichte beschränkte Befugnis, dem Gefährder das Kontaktieren des Opfers sowie den Aufenthalt an Orten zu untersagen, an denen mit einem Zusammentreffen zu rechnen ist, ist auf die Exekutive zu erstrecken.

Es ist eine angemessene, insbesondere den Bedürfnissen des Opfers nach einer wirksamen Beendigung des Stalking entsprechende strafrechtliche Reaktionsform zu suchen.

Die wirksame Umsetzung dieser gesetzlichen Neuerungen ist durch organisatorische Maßnahmen im Bereich der Sicherheitsexekutive, der Staatsanwaltschaften sowie der Gerichte sicherzustellen. Dazu zählen als begleitende Maßnahmen insbesondere Schulungsmaßnahmen im Bereich der Exekutive, der Familiengerichte und der Strafjustiz. Diese Schulungsinitiativen müssen inhaltlich aufeinander abgestimmt werden.

Weiter ist dabei die Schaffung von Kompetenz- und Servicezentren im Bereich der Sicherheitsexekutive erforderlich, um dem prozesshaften Charakter von Stalking, dem Erfassen der verschiedenen Delikte, auch über Ortsgrenzen hinweg, eine angemessene organisatorische Maßnahme entgegenzusetzen.“

 

Der Justizausschuss hat den gegenständlichen Entschließungsantrag in seiner Sitzung am 19. April 2005 in Verhandlung genommen. An der Debatte beteiligten sich außer der Berichterstatterin die Abgeordneten Dr. Helene Partik-Pablé, Dr. Gertrude Brinek, Mag. Terezija Stoisits, Bettina Stadlbauer und Dr. Dieter Böhmdorfer sowie die Bundesministerin für Justiz Mag. Karin Miklautsch

Im Zuge der Debatte brachten die Abgeordneten Mag. Dr. Maria Theresia Fekter, Gabriele Heinisch-Hosek, Dr. Helene Partik-Pablé und Mag. Terezija Stoisits einen gesamtändernden Abänderungsantrag ein, der wie folgt begründet war:

 

„Unter „Stalking“ wird ein Verhalten verstanden, das darin besteht, einer Person gegen ihren Willen Kontakte aufzuzwingen. Dies geschieht etwa durch unerwünschte Briefe, teilweise anonyme Telefonanrufe, dauerndes Beobachten und Verfolgen des Opfers, demonstratives Warten und „Belagerung“ des Hauses oder des Arbeitsplatzes, Ausfragen der Freunde des Opfers, Stehlen und Lesen der Post des Opfers, Zusenden von Gegenständen mit obszönem oder bedrohlichem Charakter sowie das Zusenden von „Geschenken“, die implizite Drohungen enthalten, explizite verbale Beschimpfungen und Gewaltandrohungen gegen das Opfer oder gegen dessen Angehörige, tatsächliche körperliche oder sexuelle Übergriffe, Verletzen oder Töten eines Haustieres, Zerstören, Beschädigen und Beschmutzen von Gegenständen aus dem Besitz des Opfers, (z.B. das Übergießen des Autos mit Farbe oder Öl, das Zerstechen der Autoreifen).

Stalking stellt regelmäßig en eine Form physischer oder psychischer Gewalt dar, die nicht akzeptabel ist und ist in den letzten Jahren auch in Österreich zu einem öffentlich diskutierten Thema geworden. Beispielsweise hat im September 2004 der Wiener Gemeinderat mit den Stimmen aller vier Parteien einstimmig einen Beschlussantrag betreffend Maßnahmen gegen Stalking gefasst. Im Bundesministerium für Justiz werden bereits seit einiger Zeit Überlegungen zu  diesem Thema angestellt. Im Zuge dessen wurde vor wenigen Monaten eine aus Experten und Expertinnen des Justiz- und des Innenministeriums, der Polizei und des Frauennotrufes der Stadt Wien bestehende Arbeitsgruppe eingesetzt, um die bereits vorhandenen rechtlichen Handhaben aufzuzeigen und weitere Lösungen im Kampf gegen Stalking vorzuschlagen. Die Arbeitsgruppe ist bislang zu dem Zwischenergebnis gelangt, dass es in der österreichischen Rechtsordnung bereits zahlreiche Möglichkeiten gibt, dem Phänomen „Stalking“ je nach Erscheinungsform straf-, zivil- und/oder sicherheitspolizeirechtlich wirksam zu begegnen:

Hinsichtlich der Reaktionsmöglichkeiten, die das Strafrecht derzeit bietet, sei etwa auf die §§ 83ff StGB verwiesen, wonach die Zufügung von seelischen Leiden als Körperverletzung zu ahnden ist, soweit mit einer rein psychischen Einwirkung ein Zustand mit Krankheitswert im medizinischen Sinn herbeigeführt wird. Im Fall einer glaubwürdigen Drohung in der Absicht, die bedrohte Person in begründete Furcht zu versetzen, greift die Bestimmung des § 107 StGB und ist ein sofortiges und rasches Einschreiten der Polizei möglich. § 107 StGB verlangt nicht, dass die Drohung ausdrücklich ausgesprochen wird. Es reicht, wenn sie sich implizit aus dem Verhalten der drohenden Person ergeben kann. Im Fall von Psychoterror in der Form, dass Gegenstände des oder der Betroffenen beschädigt oder zerstört werden, greift § 125 StGB, der Sachbeschädigung unter Strafe stellt. Durch zahlreiche weitere Verhaltensweisen, mit denen häufig unter dem Begriff „Psychoterror“ zusammengefasste Beeinträchtigungen des Lebensbereiches des Opfers bzw. seiner Lebensqualität verbunden sind, kann überdies der Tatbestand von Delikten gegen die Ehre, die Freiheit, die Privatsphäre oder das Vermögen erfüllt sein, ohne dass es bereits zu Angriffen gegen Leib oder Leben gekommen sein muss (§§ 99, 105 f, 109, 111, 115, 118, 118a, 119, 119a, 120, 152 StGB). Dazu kommen nicht zuletzt auch die Sexualdelikte, wobei abgesehen von den massiven Gewaltdelikten, insbesondere das neue Delikt der sexuellen Belästigung zu nennen wäre.

Im Bereich des Zivilrechtes können Stalking-Handlungen derzeit schon auf Basis des geltenden Rechts im Wege von Unterlassungsklagen gegen den Täter abgewehrt werden. Eine Anspruchsgrundlage dafür bietet insbesondere § 16 ABGB, aus dem das Persönlichkeitsrecht jedes Menschen auf Achtung seines Privatbereichs und seiner Geheimsphäre abgeleitet wird. Wie Beispiele aus der oberstgerichtlichen Rechtsprechung zeigen, können dem Täter auf diese Weise zum Beispiel unerwünschte oder gehäufte anonyme Telefonanrufe untersagt werden. Um schon vor der Erlassung eines Unterlassungsurteils in der gebotenen Eile den nötigen Schutz vor weiteren Eingriffen des Täter zu erlangen, besteht für die Opfer zudem die Möglichkeit, die Erlassung einer einstweiligen Verfügung zu beantragen. Eine Grundlage dafür bieten die allgemeinen Bestimmungen der Exekutionsordnung über einstweilige Verfügungen in § 381 Z 2 EO. Die Möglichkeit einer auf § 16 ABGB gestützten Unterlassungsklage und der Sicherung des Unterlassungsanspruchs im Wege einer einstweiligen Verfügung ist nicht auf einen bestimmten Personenkreis eingeschränkt. Insbesondere ist keine familiäre Nahebeziehung vorausgesetzt, um diese Rechtsschutzmöglichkeiten nutzen zu können. Sie stehen allen Stalking-Opfern zur Verfügung. Hat das Stalking-Opfer mit dem Täter in einer familiären oder familienähnlichen Gemeinschaft gelebt, bieten daneben auch die Bestimmungen der §§ 382b ff EO über Schutz vor Gewalt in der Familie besonderen Schutz: Wenn der Täter durch einen körperlichen Angriff, eine Drohung mit einem solchen oder ein die psychische Gesundheit erheblich beeinträchtigendes Verhalten das weitere Zusammentreffen unzumutbar macht, wird ihm auf Antrag des Opfers aufgetragen, das Zusammentreffen sowie die Kontaktaufnahme zu vermeiden. Ferner kommt in diesem Zusammenhang der mit 1. Jänner 2004 in Kraft getretenen Bestimmung des § 1328a ABGB über den schadenersatzrechtlichen Schutz der Privatsphäre Bedeutung zu. Seit der Einführung dieser Regelung kann das Opfer eines Eingriffs in die Privat- und Intimsphäre unter anderem auch Schmerzengeld verlangen. Schließlich sei auf § 38a SPG verwiesen, demzufolge die Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes unter bestimmten, gesetzlich normierten Voraussetzungen ermächtigt sind, einen Menschen, von dem eine Gefahr ausgeht, aus einer Wohnung, in der ein Gefährdeter wohnt, und deren unmittelbarer Umgebung wegzuweisen.

Ungeachtet dieser bereits bestehenden Möglichkeiten erscheint es angezeigt, weitere Verbesserungen der Rechtslage in die Wege zu leiten und Rechtsschutzdefizite auszuräumen, wo dies im Interesse der Opfer liegt. Einen ersten diesbezüglichen Schritt stellt der demnächst zur Begutachtung versendete Entwurf eines Strafrechtsänderungsgesetzes dar, mit dem § 107 Abs. 4 StGB, der die gefährliche Drohung unter bestimmten nahen Angehörigen als Ermächtigungsdelikt ausgestaltet, ersatzlos gestrichen wird. Damit ist sichergestellt, dass auch gegen nahe Angehörige gerichtete gefährliche Drohungen nicht bloß über Verlangen des Verletzten, sondern als Offizialdelikt jedenfalls von der jeweils zuständigen Anklagebehörde verfolgt werden. Es liegt somit nicht mehr am Opfer, die Verfolgung einer gegen seine Person gerichteten gefährlichen Drohung zu veranlassen; die Sicherheits- und Anklagebehörden müssen vielmehr von sich aus tätig werden. Auf diese Weise dürfte es gelingen, Druck von den häufig mit dem Täter in einer Nahebeziehung lebenden Opfern zu nehmen.

Nach dem voraussichtlichen Abschluss der Arbeiten der Arbeitsgruppe sollen dem Parlament weitere sachgerechte Vorschläge für konkrete Umsetzungsschritte präsentiert werden. Angedacht werden dabei neben der Schaffung eines gerichtlichen Straftatbestandes und Änderungen im Bereich des Sicherheitspolizeigesetzes auch der Ausbau der Möglichkeiten der Heranziehung von Sicherheitsbehörden zur Durchsetzung zivilrechtlicher Entscheidungen.“

Bei der Abstimmung wurde der Entschließungsantrag unter Berücksichtigung des oben erwähnten Abänderungsantrages der Abgeordneten Mag. Dr. Maria Theresia Fekter, Gabriele Heinisch-Hosek, Dr. Helene Partik-Pablé und Mag. Terezija Stoisits einstimmig angenommen.

Als Ergebnis seiner Beratungen stellt der Justizausschuss somit den Antrag, der Nationalrat wolle die angeschlossene Entschließung annehmen.

Wien, 2005-04-19

                Gabriele Heinisch-Hosek Mag. Dr. Maria Theresia Fekter

    Berichterstatterin                     Obfrau