1241 der Beilagen zu den Stenographischen Protokollen des Nationalrates XXII. GP
Bericht
des Justizausschusses
über den Antrag
583/A der Abgeordneten Mag. Terezija Stoisits, Dr. Johannes Jarolim,
Kolleginnen und Kollegen betreffend ein Bundesgesetz über eine Amnestie aus
Anlass der sechzigsten Wiederkehr des Tages, an dem die Unabhängigkeit
Österreichs wiederhergestellt wurde, der fünfzigsten Wiederkehr des Tages, an
dem der österreichische Staatsvertrag unterzeichnet wurde, und der zehnten
Wiederkehr des Tages, an dem Österreich der Europäischen Union beigetreten ist
(Amnestie 2005)
Die Abgeordneten
Mag. Terezija Stoisits, Dr. Johannes Jarolim, Kolleginnen und Kollegen haben den
gegenständlichen Initiativantrag am 6. April 2005 im Nationalrat
eingebracht und wie folgt begründet:
„I.
Im April 2005
jährt sich zum sechzigsten Mal der Tag, an dem die im März 1938
verlorengegangene staatliche Unabhängigkeit Österreichs wiederhergestellt
worden ist, und im Mai 2005 zum fünfzigsten Mal der Tag, an dem der
Staatsvertrag betreffend die Wiederherstellung eines unabhängigen und demokratischen
Österreich der Republik die volle Souveränität wiedergegeben hat. Auch jährt
sich 2005 zum zehnten Mal der Tag, an dem Österreich Mitglied der Europäischen
Union geworden ist. Diese Umstände sind für die Republik Österreich in
staatsrechtlicher und staatspolitischer Hinsicht von herausragende Bedeutung.
Diesen besonderen historischen Anlässen entspricht es, Personen, die
straffällig geworden sind, durch einen Akt der Gesetzgebung Gnade zu gewähren.
Der Gesetzgeber hat bereits früher und auch aus vergleichbaren Anlässen
Amnestien erlassen; so wurden seit dem Zweiten Weltkrieg insgesamt zwölf
Amnestiegesetze beschlossen, und zwar:
- das Gesetz vom
3. Juli 1945 über die Aufhebung von Strafurteilen und die Einstellung von
Strafverfahren (Aufhebungs- und Einstellungsgesetz), StGB Nr. 48/1945;
- das
Bundesgesetz vom 21. Dezember 1945, betreffend die Einstellung von
Strafverfahren und die Nachsicht von Strafen für Kämpfer gegen
Nationalsozialismus und Faschismus, BGBl. Nr. 14/1946;
- das
Bundesgesetz vom 6. März 1946 über die Einstellung von Strafverfahren, die
Nachsicht von Strafen und die Tilgung von Verurteilungen aus Anlass der
Befreiung Österreichs (Befreiungsamnestie), BGBl. Nr. 79/1946;
- das
Bundesgesetz vom 12. Juli 1950 über die Einstellung von Strafverfahren, die
Nachsicht von Strafen und die Tilgung von Verurteilungen aus Anlass der fünften
Wiederkehr des Tages der Befreiung Österreichs (Amnestie 1950), BGBl. Nr.
161/1950;
- das
Bundesgesetz vom 31. März 1955 über eine Amnestie aus Anlass der zehnten
Wiederkehr des Tages, an dem die Unabhängigkeit Österreichs wiederhergestellt
wurde (Amnestie 1955), BGBl. Nr. 57/1955;
- das
Bundesverfassungsgesetz vom 14. März 1957, womit Bestimmungen des
Nationalsozialistengesetzes, BGBl. Nr. 25/1947, abgeändert oder aufgehoben
werden (NS-Amnestie 1957), BGBl. Nr. 82/1957; das Bundesgesetz vom 14. März
1957 über eine Amnestie für politische Straftaten (Amnestie 1957), BGBl, Nr.
83/1957;
- das
Bundesgesetz vom 31. März 1965 über eine Amnestie aus Anlass der zwanzigsten
Wiederkehr des Tages, an dem die Unabhängigkeit Österreichs wiederhergestellt
wurde und der zehnten Wiederkehr des Tages, an dem der österreichische
Staatsvertrag unterzeichnet wurde (Amnestie 1965), BGBl. Nr. 78/1965;
- das
Bundesgesetz vom 30. Oktober 1968 über eine Amnestie aus Anlass des
fünfzigjährigen Bestandes der Republik Österreich (Amnestie 1968), BGBl. Nr.
385/1968;
- das
Bundesgesetz vom 19. März 1975 über eine Amnestie aus Anlass der dreißigsten
Wiederkehr des Tages, an dem die Unabhängigkeit Österreichs wiederhergestellt
wurde, und der zwanzigsten Wiederkehr des Tages, an dem der Österreichische
Staatsvertrag unterzeichnet wurde (Amnestie 1975), BGBl. Nr. 200/1975
- das
Bundesgesetz vom 9. Mai 1985 über eine Amnestie aus Anlass der vierzigsten
Wiederkehr des Tages, an dem die Unabhängigkeit Österreichs wiederhergestellt
wurde, und der dreißigsten Wiederkehr des Tages, an dem der österreichische
Staatsvertrag unterzeichnet wurde (Amnestie 1985), BGBl. Nr. 204/1985.
- Bundesgesetz
vom 19. Mai 1995 über eine Amnestie aus Anlass der fünfzigsten Wiederkehr des
Tages, an dem die Unabhängigkeit Österreichs wiederhergestellt wurde, und der
vierzigsten Wiederkehr des Tages, an dem der österreichische Staatsvertrag
unterzeichnet wurde sowie aus Anlass des Beitritts zur Europäischen Union
(Amnestie 1995)
Art und Umfang der
generellen Gnadenmaßnahmen waren freilich in den Amnestiegesetzen, die seit
Wiederherstellung der Republik Österreich im Jahr 1945 erlassen worden sind,
sehr unterschiedlich. So war etwa der Umfang der knapp nach Beendigung des
Zweiten Weltkrieges erlassenen Amnestien größer als jener der nachfolgenden
Amnestien, weil auch Härten beseitigt werden sollten, die sich aus den
vergangenen außergewöhnlichen politischen oder wirtschaftlichen Verhältnissen
ergeben haben. Dem wurde unter anderem auch durch eine generelle Einstellung
von Strafverfahren wegen strafbarer Handlungen, die vorwiegend als Folge dieser
außergewöhnlichen Verhältnisse begangen worden sind, Rechnung getragen.
Andererseits war aber auch die Amnestie 1985 als
"Einstellungsamnestie" ausgestaltet, ohne freilich in
außergewöhnlichen Verhältnissen oben beschriebener Art begründet gewesen zu
sein.
II.
Da im Jahr 2005
ein dreifacher Anlass (60-Jahr-Jubiläum der Unabhängigkeit Österreichs,
50-Jahr-Jubiläum der Staatsvertragsunterzeichnung und 10-Jahr- Jubiläum des
Beitrittes zur Europäischen Union) gegeben ist, möchte der vorliegende Antrag
an die Tradition des Amnestiegesetzes 1995 anknüpfen und schlägt daher eine
Einstellung von Strafverfahren wegen Straftaten, die schon vor langer Zeit
begangen worden sind sowie eine unbedingte Strafnachsicht bei Strafen vor, die
schon vor langer Zeit verhängt, bis heute aber noch nicht vollstreckt (bzw.
nicht als vollstreckt registriert) worden sind. Dabei wird - gestaffelt nach
der Schwere der Strafdrohung bzw. der Strafe und dem "Alter" der
Straftat bzw. des Straferkenntnisses - den Bedürfnissen der
Strafregisterbereinigung ebenso Rechnung getragen wie dem Umstand, dass im
Verlauf längerer Zeiträume das Strafbedürfnis bzw. das Bedürfnis nach
Vollstreckung einer Strafe entscheidend abnimmt. Weiters schlägt der Entwurf -
so wie in der Amnestie 1995 – eine Begünstigung bei der bedingten Nachsicht
eines Teiles der Strafe vor. Dabei ist die Hälfte der Strafzeit, höchstens aber
sechs Monate, für eine Probezeit von (nur) einem Jahr bedingt nachzusehen. Der
Entwurf sieht - so wie schon die Amnestie 1995 - keine über das geltende
Tilgungsgesetz hinausgehende Beschränkung der Auskunft aus dem Strafregister
für Verurteilungen vor, weil seit dem Strafrechtsänderungsgesetz 1987, BGBl.
Nr. 605, eine allgemeine gesetzliche Regelung besteht, die den früher in diesem
Bereich verfolgten Gnadenzielen (Erleichterung des Fortkommens) weitgehend
entspricht. Härten, die sich im einzelnen, insbesondere mit Rücksicht auf die
nach dem Entwurf für die Begünstigung maßgeblichen Stichtage, ergeben können,
können zum Teil von den Gerichten anlässlich der Prüfung einer bedingten
Entlassung und zum Teil - wie dies auch sonst bei Härtefällen möglich ist - im
Gnadenweg behoben
werden. Die
Zuständigkeit des Bundes zur Gesetzgebung auf dem durch die Vorlage betroffenen
Rechtsgebiet gründet sich auf Art 10 Abs. 126 und Art. 93 B-VG.
III.
Es besteht eine
jahrzehntelange Tradition die Amnestiegesetze anlässlich wichtiger
staatsrechtlicher und staatspolitisch herausragenden Jubiläen als
Initiativantrag aller im Parlament vertretenen Parteien einzubringen. In der
Vergangenheit wurden die Entwürfe, so etwa für die Amnestien 1985 und 1995,
regelmäßig von den Fachleuten im Bundesministerium für Justiz vorbereitet und
in der Folge den Parlamentsklubs übermittelt, als Allparteienanträge im
Nationalrat eingebracht und mit einstimmiger Beschlussfassung im Nationalrat
und Bundesrat verabschiedet. Im Vorfeld dieses Gesetzesvorschlages hat es
sowohl zwischen den JustizsprecherInnen der Parlamentsfraktionen als auch mit
dem Bundesministerium für Justiz informelle Vorbesprechungen gegeben. Zum
derzeitigen Zeitpunkt besteht aber leider weder seitens der
Regierungsfraktionen noch der Bundesministerin für Justiz eine Bereitschaft
anlässlich des Jubiläumsjahres 2005, die jahrzehntelange Tradition in Österreich
beizubehalten. Aus Gründen der historischen Daten (27. April und 15. Mai) und
den anzupeilenden Daten für das Wirksamwerden der Amnestie 2005 drängt die
Zeit. Daher kann der Antrag nicht als Allparteieninitiative eingebracht werden,
was wir ausdrücklich bedauern. Ausdrücklich betont sei aber, dass wir nach wie
vor eine Allparteienregelung anstreben und eine solche auch im Sinne der
jahrzehntelangen österreichischen Tradition für höchst wünschenswert ansehen.
Der Entwurf ist orientiert sich an der Amnestie 1995. Wir wollen an dieser
Stelle ausdrücklich auf die Bereitschaft der EinbringerInnen zu und der
Notwendigkeit von weiteren Parteiengesprächen hinweisen. Insbesondere besteht
hinsichtlich einiger Fragen noch besonderer Diskussionsbedarf: zum Einen muss
geprüft werden, ob eine Sonderregelung für nach der gesetzlichen Regelung für
vorrübergehende Maßnahmen im Bereich des Strafaufschubes gewährten
Strafaufschub in die zu schaffende gesetzliche Regelung aufgenommen werden
soll. Zum Anderen betonen wir die Bereitschaft für Modifikationen des Umfanges
der vorgeschlagenen Regelungen, etwa Einschränkungen für bestimmte schwere
Gewalt- oder Sexualdelikte und für besonders schweren WiederholungstäterInnen
oder bei Delikten mit bestimmten Opfergruppen, zB Ausnahmen für das
Nichteinleiten von Strafverfahren bei Minderjährigkeit des Opfers zum
Tatzeitpunkt.
IV.
Zu den einzelnen
Bestimmungen ist folgendes auszuführen:
Zu § 1:
Aus den einleitend
dargelegten Gründen soll unter gewissen Voraussetzungen von der Einleitung
eines Strafverfahrens abgesehen oder ein bereits eingeleitetes Strafverfahren
eingestellt werden. Der Einstellung und dem Verzicht auf die Einleitung eines
Strafverfahrens sollen bestimmte gerichtlich strafbare Handlungen unterliegen,
die vor den im Abs. 1 Z1 bis 3 genannten Stichtagen begangen worden sind, und
zwar unabhängig davon, ob dem Beschuldigten (Angeklagten) auch noch andere,
nicht der Amnestie unterliegende strafbare Handlungen zur Last liegen. Der
Begünstigung durch Einstellung sollen grundsätzlich nur Strafverfahren wegen a
m t s w e g i g zu verfolgender gerichtlich strafbarer Handlungen
(einschließlich Antrags- und Ermächtigungsdelikte) unterliegen. Soweit auf die
Strafdrohung abgestellt ist (Z 1 bis 3), ist die Strafdrohung maßgebend, die
nunmehr anzuwenden wäre. Sie bestimmt sich wohl in der Mehrzahl der Fälle aus
einer inzwischen erfolgten Gesetzesänderung nach dem neuen Gesetz, dann aber
nach dem zur Tatzeit geltenden Gesetz, wenn dieses in seinen Gesamtauswirkungen
für den Täter günstiger war als das neue (vgl. § 61 StGB).
Zu § 2:
Unter bestimmten
Voraussetzungen soll eine vollständige Strafnachsicht dem Umstand Rechnung
tragen, dass nach dem Verstreichen einer langen Zeitspanne seit dem Urteil das
Bedürfnis nach Vollstreckung der Strafe beträchtlich abnimmt. Deshalb schlägt
die Bestimmung ein abgestuftes System vor, das auf den Zeitablauf (von einem
bis zu drei Jahrzehnten) und auf die Höhe der verhängten Strafe (von
Freiheitsstrafen oder Ersatzfreiheitsstrafen mit nicht mehr als einem Jahr bis
zu solchen mit nicht mehr als fünf Jahren) abstellt. Geldstrafen werden von
dieser Regelung nur selten betroffen sein, weil das Straferkenntnis bereits vor
langer Zeit in Rechtskraft erwachsen sein muss und nach § 409a StPO bei der
Entrichtung einer in Tagessätzen bemessenen Geldstrafe in Teilbeträgen ein
Aufschub von höchstens zwei Jahren bzw. bei einer nicht in Tagessätzen
bemessenen Geldstrafe ein Aufschub von höchstens fünf Jahren möglich ist. Es
ist aber auch darauf zu verweisen, dass durch diese Regelung nicht nur einzelne
(Gnaden-) Fälle erfasst werden, in denen sich Personen - auf welche Weise auch
immer (etwa durch Rückreise in das Heimatland) - der Strafverfolgung entzogen
haben, sondern auch solche, in denen im Strafregister aus administrativen
Gründen bisher noch kein Vollzugsdatum aufscheint (trotz Vorliegen der
Voraussetzungen der Vollstreckungsverjährung, bisweilen sogar trotz Vollzuges
der Strafe). Sollten im Einzelfall mehrere Verurteilungen die Voraussetzungen
einer solchen Straf nachsieht erfüllen, so kommt eine Zusammenrechnung der
Strafen aus Gründen der technischen Vollziehbarkeit der Regelung im
Strafregister ist er nicht in Betracht (Abs. 2).
Zu § 3:
Alle
Freiheitsstrafen, die vor dem 27. April 2005 rechtskräftig verhängt und zum
Zeitpunkt des (nur in diesem Zeitpunkt gestaffelten) Wirksamwerdens der
Amnestie noch nicht zur Gänze
vollstreckt wurden, werden von der bedingten Strafnachsicht begünstigt. Danach
ist die Hälfte der Strafzeit, höchstens aber sechs Monate, für eine Probezeit
von (nur) einem Jahr bedingt nachzusehen. Begünstigt sind alle
Freiheitsstrafen, die (für sich genommen) zehn Jahre nicht übersteigen. Für die
Wirkung der Amnestie ist es nicht maßgeblich, ob diese Freiheitsstrafe bereits
angetreten worden ist oder nicht.“
Der
Justizausschuss hat den gegenständlichen Initiativantrag in seinen Sitzungen am
1. Juni 2005 und am 29. November 2005 in Verhandlung genommen. An den Debatten
beteiligten sich außer dem Berichterstatter die Abgeordneten Mag. Terezija Stoisits,
Mag. Heribert Donnerbauer, Dr.
Christian Puswald, Dr. Helene Partik-Pable sowie die
Bundesministerin für Justiz Mag. Karin Gastinger und
die Ausschussobfrau Abgeordnete Mag. Dr. Maria Theresia Fekter.
Bei der Abstimmung
fand der gegenständliche Initiativantrag nicht die Zustimmung der
Ausschussmehrheit.
Als
Berichterstatter für das Plenum wurde Abgeordneter Mag. Walter Tancsits gewählt.
Als Ergebnis
seiner Beratungen stellt der Justizausschuss somit den Antrag,
der Nationalrat wolle diesen Bericht zur Kenntnis nehmen.
Wien, 2005 11 29
Mag. Walter Tancsits Mag.
Dr. Maria Theresia
Fekter
Berichterstatter Obfrau