Vorblatt
Problem
In der
medizinischen und rechtlichen Praxis werden häufig Patientenverfügungen
errichtet. Obwohl das Recht des Patienten, seinen Willen zu bestimmten
Behandlungen vorweg zu deklarieren, unbestritten ist, werfen solche Verfügungen
im Detail doch zahlreiche Rechtsfragen auf. Es ist beispielsweise ungewiss,
unter welchen Voraussetzungen diese Erklärungen des Patienten für den Arzt und
andere Beteiligte verbindlich sind. Zudem ist nicht geregelt, wie weit
derartige Verfügungen gehen können und welche Formerfordernisse dabei
eingehalten werden müssen. Auch können Patientenverfügungen, die vielfach die
Behandlung im letzten Lebensstadium ansprechen, schwierige rechtliche und
ethische Probleme hervorrufen. Diese und andere Umstände führen zu
Unsicherheiten: Der Patient kann sich nicht sicher sein, dass seine Erklärung
auch wirklich beachtet werden wird. Der behandelnde Arzt hat demgegenüber kein
sicheres rechtliches Fundament, auf dem er seine medizinische Entscheidung
treffen kann.
Ziel des Vorhabens
Mit dem
vorliegenden Gesetzentwurf soll dieses Rechtsgebiet eindeutig und transparent
geregelt werden. Es soll klargestellt werden, in welcher Form und mit welchem
Inhalt eine verbindliche Patientenverfügung errichtet werden kann und welche
Rechtswirkungen ihr und anderen Erklärungen des Patienten zukommen. Die
vorgeschlagenen Regelungen sollen einerseits dem Patienten zugute kommen und
ihm eindeutige Vorgaben für derartige Erklärungen bieten. Andererseits soll
auch für den behandelnden Arzt und andere an der Behandlung Beteiligte klar und
leicht erkennbar sein, welche Folgen eine Patientenverfügung für sie hat.
Der Entwurf
berührt nicht die strafrechtlichen Verbote der Mitwirkung am Selbstmord und der
Tötung auf Verlangen. Die so genannte „aktive Sterbehilfe“ bleibt weiterhin
verboten. Ein in Form einer Patientenverfügung geäußerter Wunsch nach „aktiver
Sterbehilfe“ ist auch künftig nicht beachtlich.
Inhalt
Das vorgeschlagene
Patientenverfügungsgesetz regelt folgende Belange:
- allgemeine
Gültigkeitserfordernisse für eine Patientenverfügung;
- besondere
Voraussetzungen einer verbindlichen Patientenverfügung;
- Gültigkeitsdauer
einer solchen verbindlichen Patientenverfügung;
- Beachtlichkeit
anderer Patientenverfügungen bei der Ermittlung des Willens des Patienten;
- Schutz vor dem
Missbrauch solcher Instrumente.
Alternative
Beibehaltung der
bisherigen, in der Praxis aber unbefriedigenden Rechtslage.
Finanzielle Auswirkungen
Der Entwurf wird
sich auf die öffentlichen Haushalte nicht nachteilig auswirken.
Auswirkungen auf die Beschäftigung und den
Wirtschaftsstandort
Auch auf die
Beschäftigung und den Wirtschaftsstandort wird sich das Vorhaben nicht
nachteilig auswirken.
Aspekte der Deregulierung
Der Entwurf
verbrieft bestehende Rechte der Patienten und trägt damit zur Stärkung ihrer
Autonomie bei. Anliegen der Deregulierung stehen dem Vorhaben daher nicht
entgegen.
EU-Konformität
Der Gesetzentwurf
regelt einen Bereich, der nicht in die Zuständigkeit der Europäischen Union
fällt. Auch sonst widerspricht er den Vorgaben des Gemeinschaftsrechts nicht.
Erläuterungen
Allgemeiner
Teil
Problem
Nach dem geltenden
Recht ist es einem einsichts- und urteilsfähigen Patienten überlassen, in
medizinische Maßnahmen einzuwilligen oder solche abzulehnen. Das aus § 16
des allgemeinen bürgerlichen Gesetzbuchs (ABGB) und aus § 110 des
Strafgesetzbuchs (StGB), aber auch aus zahlreichen anderen Regelungen
abgeleitete Patientenrecht auf Selbstbestimmung verpflichtet den Arzt dazu, den
Patienten vor einer Behandlung aufzuklären und seine „informierte Einwilligung“
einzuholen. Die Entscheidung des Patienten, mit der er eine Behandlung ablehnt,
ist im Allgemeinen rechtlich verbindlich. Der Arzt muss diese Entscheidung
befolgen, auch wenn er persönlich anderer Meinung ist. Das gilt selbst dann,
wenn eine Behandlung medizinisch indiziert ist und der Patient ohne diese
voraussichtlich sterben wird. Die Patientenautonomie begrenzt damit die
ärztliche Behandlungspflicht.
Ein Patient, der
sich nicht mehr rechtswirksam äußern kann, kann jedoch nicht selbst
entscheiden. Reicht die Zeit nicht aus, um einen gerichtlichen Sachwalter zu
bestellen, so muss der Arzt eine notwendige Behandlung durchführen (s.
§ 8 Abs. 3 des Kranken- und Kuranstaltengesetzes [KAKuG]). Dabei
wird sich der Arzt notgedrungen am objektiv verstandenen Interesse des
Patienten orientieren, nicht aber am Willen des Patienten, den er im modernen
Klinikalltag in aller Regel nicht ermitteln kann. Solchen von ihm unter
Umständen nicht gewollten Situationen kann der Patient dadurch vorbeugen, dass
er in einer Patientenverfügung vorweg den eigenen Willen artikuliert.
Die Patientenverfügung
ist von der Rechtsordnung bereits anerkannt: Sie wird in
§ 10 Abs. 1 Z 7 KAKuG und in den auf dieser
Grundsatzbestimmung beruhenden landesrechtlichen Ausführungsvorschriften
erwähnt. Demnach sind in der Krankengeschichte Verfügungen des „Pfleglings“ zu
dokumentieren, in denen er „erst für den Fall des Verlustes seiner
Handlungsfähigkeit das Unterbleiben bestimmter Behandlungsmethoden wünscht ...“.
Auch nehmen die zwischen dem Bund und den meisten Ländern abgeschlossenen
„Vereinbarung(en) zur Sicherstellung der Patientenrechte (Patientencharta)“ auf
solche Verfügungen in Art. 18 Bedacht. Patientinnen und Patienten haben
demnach das Recht, „im vorhinein Willensäußerungen abzugeben, durch die sie
sich für den Fall des Verlustes ihrer Handlungsfähigkeit das Unterbleiben einer
Behandlung oder bestimmter Behandlungsmethoden wünschen, damit bei künftigen
medizinischen Eingriffen soweit wie möglich darauf Bedacht genommen werden
kann“. Auf völkerrechtlicher Ebene ist hier das – von Österreich allerdings
nicht ratifizierte – Übereinkommen des Europarates zum Schutz der
Menschenrechte und der Menschenwürde im Hinblick auf die Anwendung von Biologie
und Medizin zu nennen. Nach Art. 9 dieses Übereinkommens sind bei einem im
Zeitpunkt der Behandlung nicht äußerungsfähigen Patienten Wünsche zu
berücksichtigen, die er früher im Hinblick auf eine solche Intervention
geäußert hat.
So klar die Rechtslage damit auf den ersten Blick erscheint, so groß sind
die mit Patientenverfügungen verbundenen Unsicherheiten: Nach geltendem Recht
gibt es keine Anhaltspunkte dafür, wie weit eine Patientenverfügung gehen kann.
So ist beispielsweise offen, welche Folgen es hat, wenn sich der Patient vorab
eine bestimmte Behandlung wünscht. Es ist auch unklar, welchen formellen und
inhaltlichen Standards die Patientenverfügung genügen muss. Nicht konkret
geregelt ist weiter das Verhältnis zwischen einer Patientenverfügung und
anderen rechtlichen Rahmenbedingungen für die ärztliche Behandlung. Das gilt im
Besonderen für die Schranken, die die strafrechtlichen Bestimmungen über das
Verbot der Mitwirkung am Selbstmord und der Tötung auf Verlangen (§§ 77
und 78 StGB) setzen. Das geltende Recht sagt ferner nichts dazu, wie lange eine
Patientenverfügung wirkt und was gelten soll, wenn sich der Stand der
medizinischen Wissenschaft geändert hat. Darüber hinaus ist es ungewiss, welche
Bedeutung die Patientenverfügung im Einzelfall hat, ob es sich um eine für den
Arzt und andere Beteiligte (Angehörige, Pflegepersonen, Richter,
Krankenanstaltenträger) absolut verbindliche Entscheidung handelt oder ob trotz
einer Verfügung für die Behandlung ein gewisser Spielraum verbleibt. Daneben
kann die Patientenverfügung auch schwierige ethische Fragen aufwerfen, die je nach
dem religiösen oder weltanschaulichen Standpunkt durchaus verschieden
beantwortet werden. Letztlich eröffnet sie ein Missbrauchspotenzial, vor allem
dann, wenn sich das (vermeintliche) Interesse des Patienten mit Interessen
anderer Personen überschneidet.
Das Meinungsspektrum im österreichischen Schrifttum ist breit: Teilweise
wird vertreten, dass eine solche Verfügung rechtlich verbindlich ist (so Lachmann,
Zur Bindungswirkung des "Patiententestaments", AnwBl 1997, 7 ff. und
– allerdings unter Hinweis auf die Schwierigkeit, die
Verbindlichkeitsvoraussetzungen im Beurteilungszeitpunkt nachzuvollziehen – Kopetzki,
Verfassungs- und verwaltungsrechtliche Aspekte antizipierter
Patientenverfügungen, in Kopetzki [Hrsg.], Antizipierte
Patientenverfügungen [2000] 38, insbesondere 43 – 45, sowie Kneihs, Zur
Verbindlichkeit von Patientenverfügungen, in Kopetzki [Hrsg.],
Antizipierte Patientenverfügungen 61 [61 - 64]); teilweise wird ihr bloß
Indizwirkung für den mutmaßlichen Patientenwillen zuerkannt (Kerschner,
Arzthaftung bei Patientenverfügungen, RdM 1998, 131 ff [„ein
Entscheidungselement, ein Kriterium neben anderen“]); andere Lehrmeinungen
differenzieren wieder nach den Umständen des Einzelfalls (so u. a. Bernat,
Behandlungsabbruch und [mutmaßlicher] Patientenwille, RdM 1995, 51, [55 f.]; Memmer,
Das Patiententestament, RdM 1996, 99 ff.; wohl auch Barta/Kaltschmid, Die
Patientenverfügung in Europa, in Barta/Kaltschmid [Hrsg.], Die
Patientenverfügung – Zwischen Selbstbestimmung und Paternalismus [2005] 13
[37]). Entscheidungen österreichischer Gerichte gibt es – soweit ersichtlich –
zu den mit einer Patientenverfügung zusammenhängenden allgemeinen Fragen nicht
(zum so genannten „psychiatrischen Testament“ s. OGH EvBl 1999/21).
Der geltende Rechtszustand wird zum größten Teil aus allgemeinen
Bestimmungen abgeleitet. Exakte Handlungsanweisungen an den behandelnden Arzt
und an andere Beteiligte enthalten diese Bestimmungen und auch die schon
erwähnten krankenanstaltenrechtlichen Regelungen aber nicht. Das trägt zur Verunsicherung
der Patienten bei, die sich nicht darauf verlassen können, dass ihre
Anordnungen im Fall des Falles auch befolgt werden. Das erschwert aber auch die
Aufgabe des Arztes, der komplexe Fragen letztendlich in ärztlicher
Verantwortung entscheiden muss. Betroffen sind jedoch auch die Angehörigen von
Patienten und die mit der Pflege betrauten Personen, die in ohnehin schon
schwierigen Situationen mit für sie nicht lösbaren Problemen konfrontiert
werden. Das kann letztlich auch die Gerichte treffen, die im Verfahren zur
Bestellung eines Sachwalters mit Problemen befasst werden, die kaum justiziabel
sind.
Vorgeschichte des Entwurfs
Der Nationalrat
hielt am 29. 5. 2001 eine parlamentarische Enquete zu dem Thema „Solidarität
mit unseren Sterbenden – Aspekte einer humanen Sterbebegleitung in Österreich“
ab (III-106 BlgNR XXI. GP). Der Gesundheitsausschuss nahm die
Ergebnisse dieser Veranstaltung in seinen Sitzungen am 8. 11. 2001 und am 6.
12. 2001 in Verhandlung. Auf der Grundlage dieser Beratungen verabschiedete der
Nationalrat eine Entschließung, nach der praxisorientierte Lösungsmöglichkeiten
für Patientenverfügungen auf der Basis des geltenden Rechtes erarbeitet werden
sollten. Auch möge ein allfälliger legislativer Handlungsbedarf ermittelt
werden (933 BlgNR XXI. GP).
Der – damals
zuständige – Bundesminister für soziale Sicherheit und Generationen richtete
aufgrund dieser Entschließung im Jahre 2001 eine Arbeitsgruppe ein, die sich
bis zum Sommer 2003 in mehreren Sitzungen mit dem Thema beschäftigte. Ziel
dieser Arbeiten war es, auf der Grundlage des geltenden Rechts einen nicht
verbindlichen Leitfaden zu erstellen, der Ärzten und anderen am
Behandlungsgeschehen Beteiligten als Unterstützung und Richtschnur dienen
sollte. Dazu kam es letztlich trotz inhaltlich recht weitgehender
Übereinstimmung aufgrund des Widerstandes von Teilen der Gruppe jedoch nicht.
Das
Bundesministerium für Gesundheit und Frauen hat daraufhin auf der Grundlage der
Ergebnisse dieser Arbeitsgruppe einen Entwurf für ein Patientenverfügungsgesetz
verfasst und zur allgemeinen Begutachtung versendet. Diesen Entwurf haben das
Gesundheitsressort und das Bundesministerium für Justiz in weiterer Folge unter
Einbeziehung der Ergebnisse der Begutachtung umgestaltet. In diese Arbeiten
sind auch die Diskussionen auf der Richterwoche 2005 eingeflossen, die sich
unter dem Generalthema „Recht und Würde im Alter“ u. a. mit der
Patientenverfügung beschäftigt hat. Das Vorhaben ist darüber hinaus in weiteren
Sitzungen mit Experten der unterschiedlichsten Disziplinen erörtert und auch in
der so genannten „Bioethik-Kommission“ beraten worden.
Hauptgesichtspunkte des Entwurfs
Verfügt jemand,
dass im Fall einer in der Zukunft liegenden Krankheitssituation eine bestimmte
medizinische Behandlung unterbleiben soll, so entscheidet er nicht über eine
konkrete und gegenwärtige (unmittelbar bevorstehende) Heilbehandlung. Vielmehr
gibt er damit vorweg seinen Willen für künftige (mögliche oder wahrscheinliche)
Situationen bekannt, die sich häufig nicht konkret abschätzen lassen und für
die auch die Aufklärung im Vorhinein zumeist reichlich abstrakt bleiben muss.
Mit Recht wird von manchen darauf hingewiesen, dass in solchen Fällen vor allem
auch die dynamische Entwicklung der menschlichen Persönlichkeit unter dem
Einfluss eines progredienten oder terminalen Krankheitsverlaufes und von
Grenzerfahrungen nicht – auch nicht vom Betroffenen selbst – prognostizierbar
ist. Dies setzt der Verbindlichkeit eines pro futuro geäußerten
Patientenwillens Grenzen. Er kann daher einer in einer konkret abschätzbaren
Situation gegenwärtig geäußerten Ablehnung einer bestimmten Heilbehandlung
nicht ohne weiteres gleich gehalten werden.
Der Entwurf nimmt
diese Bedenken auf und legt zunächst fest, was unter einer Patientenverfügung
zu verstehen ist, nämlich eine Willenserklärung, mit der ein Patient bestimmte
Behandlungen vorweg für den Fall ablehnt, dass er nicht mehr einsichts- und
urteilsfähig ist oder sich nicht mehr äußern kann. Für solche Erklärungen
werden allgemeine Wirksamkeitsvoraussetzungen vorgesehen, etwa dass sie nur vom
Patienten selbst (und nicht von einem Vertreter) abgegeben werden können und
dass sie den allgemeinen Anforderungen an zivilrechtliche Erklärungen
entsprechen müssen. Was die Wirksamkeit und die Auswirkungen einer Patientenverfügung
angeht, so soll aufgrund der erwähnten Besonderheit der vorab erklärten
Ablehnung eine Behandlung künftig differenziert werden: Sie soll „verbindlich“
sein, wenn sie strenge formelle und inhaltliche Voraussetzungen erfüllt und auf
einer umfassenden ärztlichen Aufklärung beruht. Durch die inhaltlichen Vorgaben
soll einerseits verhindert werden, dass die Behandlung bestimmter Krankheiten
unreflektiert abgelehnt werden kann. Die besonderen Errichtungsvorschriften
sollen andererseits dem Umstand Rechnung tragen, dass das Vorliegen der
inhaltlichen Voraussetzungen schwieriger zu beurteilen ist als bei aktuellen
Willenserklärungen. Nur eine diesen Anforderungen genügende Verfügung soll den
Arzt, aber auch andere Beteiligte, wie etwa Pflegepersonen, Angehörige oder das
von wem auch immer angerufene Gericht, unmittelbar binden. Eine
Patientenverfügung, die die besonderen formellen und inhaltlichen
Voraussetzungen nicht erfüllt, soll zwar nicht verbindlich, aber immerhin doch
beachtlich für die Ermittlung des Patientenwillens sein.
Durch diese
Differenzierung soll einerseits die Patientenautonomie gefördert werden.
Andererseits soll sicher gestellt sein, dass die Patientenverfügung auch
tatsächlich Ausfluss einer selbstbestimmten und überlegten Entscheidung des
Patienten ist und klare und eindeutige Handlungsanweisungen für die Ärzte
enthält.
Der Wunsch nach
aktiver direkter Sterbehilfe kann nicht Teil einer Patientenverfügung sein. Die
bestehenden strafrechtlichen Grenzen werden nicht angetastet. Der Arzt soll
auch nicht über den Umweg einer Patientenverfügung zur Mitwirkung am Selbstmord
verhalten werden können. Gleiches gilt für die strafrechtlich verpönte Tötung
auf Verlangen.
Finanzielle Auswirkungen
Durch dieses
Bundesgesetz entstehen dem Bund, den Ländern, den Städten und den Gemeinden
keine zusätzlichen Kosten.
Kompetenzgrundlage
Der vorliegende
Entwurf stützt sich auf die Kompetenztatbestände „Zivilrecht“ und
„Gesundheitswesen“ des Art. 10 Abs. 1 Z 6 und Z 12
B-VG.
Auswirkungen auf die Beschäftigung und den
Wirtschaftsstandort
Das vorgesehene
Patientenverfügungsgesetz wird sich auf die Beschäftigung und den
Wirtschaftsstandort nicht negativ auswirken.
Aspekte der Deregulierung
Mit dem
vorgeschlagenen Entwurf soll die Patientenautonomie gestärkt werden. Aspekte
der Deregulierung, wie sie in Art. 1 § 1 des
Deregulierungsgesetzes angesprochen werden, stehen dem Vorhaben daher nicht
entgegen.
EU-Konformität
Der Bereich der
Patientenverfügungen wird im Gemeinschaftsrecht nicht geregelt. Der Entwurf entspricht
auch sonst in allen Belangen dem europäischen Recht.
Besonderer Teil
1. Abschnitt (Allgemeine Bestimmungen)
Zu § 1 (Anwendungsbereich)
Die Bestimmung
regelt den Anwendungsbereich des vorgeschlagenen Gesetzes: Es geht um die
inhaltlichen und die formellen Voraussetzungen für Patientenverfügungen, aber
auch um die rechtliche Wirksamkeit solcher Erklärungen. Dabei soll zum besseren
Überblick des Rechtsanwenders gleich einleitend auf die unterschiedlichen Arten
von Patientenverfügungen hingewiesen werden, nämlich die verbindliche
Patientenverfügung (die im 2. Abschnitt in den §§ 4 – 7 geregelt wird) und
die für die Ermittlung des Patientenwillens beachtliche Verfügung (für die im
3. Abschnitt die §§ 8 und 9 nähere Bestimmungen enthalten).
Zu § 2 (Begriffe)
Unter einer
Patientenverfügung versteht der Entwurf eine Willenserklärung, mit der eine
einsichts-, urteils- und äußerungsfähige Person im Voraus eine bestimmte
medizinische Behandlung für den Fall ablehnt, dass sie nicht mehr einsichts-,
urteils- oder äußerungsfähig ist. Der Verfasser dieser Verfügung (der Entwurf
bezeichnet ihn in § 2 Abs. 2 der Einfachheit halber als Patient,
auch wenn er im Zeitpunkt der Abgabe der Erklärung noch nicht erkrankt sein
muss) sorgt damit für den Fall vor, dass er später – beispielsweise infolge
einer Erkrankung, eines Unfalls, einer körperlichen oder geistigen Schwäche
oder einer Medikation – nicht mehr zu einer aktuellen Entscheidung oder
Äußerung seines Willens fähig sein sollte. Die Patientenverfügung kann zum
einen dann bedeutsam sein, wenn der Patient seinen Willen nicht mehr äußern
kann, also wenn er sich nicht mehr mündlich, durch Zeichen oder durch
technische Hilfsmittel mit seiner Umwelt klar verständigen kann. Die
Patientenverfügung kann aber zum anderen auch nach dem Verlust der Einsichts-
und Urteilsfähigkeit des Patienten zum Tragen kommen. Wenn der Patient zum
Zeitpunkt der medizinischen Behandlung noch eine autonome Entscheidung treffen
und diese auch artikulieren kann, gilt seine aktuelle Entscheidung. Sie geht
einer in Form einer Patientenverfügung gekleideten Willenserklärung vor.
Gegenstand einer
Patientenverfügung kann nur die Ablehnung einer bestimmten medizinischen
Behandlung sein; Maßnahmen im Bereich der Pflege unterliegen nicht dem Anwendungsbereich
dieses Gesetzes. Deshalb kann der Patient nicht vorweg seine Grundversorgung
mit Nahrung und Flüssigkeit, die Teil der Pflege ist, ausschließen. Auch kann
er den Arzt in seiner Verfügung nicht dazu verhalten, eine bestimmte Behandlung
vorzunehmen. Anspruch auf eine medizinisch nicht indizierte Behandlung hat der
Patient nicht, hier stößt sein Selbstbestimmungsrecht an rechtliche Grenzen. Im
Einklang mit den bisher in diesem Bereich geltenden Bestimmungen
(§ 10 Abs. 1 Z 7 KAKuG, Art. 18 der Patientencharta)
kann in einer Patientenverfügung daher nur eine bestimmte Behandlung abgelehnt
werden.
Zu § 3 (Höchstpersönliches Recht, Fähigkeit der
Person)
Nach § 3 des
Entwurfs muss der Patient bei der Errichtung seiner Verfügung bestimmten
allgemeinen Anforderungen entsprechen: Er muss im Zeitpunkt der Verfassung
seiner Willenserklärung über die notwendige Einsichts- und Urteilsfähigkeit
verfügen. Er muss also in der Lage sein, den Grund und die Bedeutung der von
ihm abgelehnten Behandlung einzusehen. Darüber hinaus muss er aber auch über
die Fähigkeit verfügen, seinen Willen nach dieser Einsicht zu bestimmen. Er
muss also hinsichtlich der Diagnose, der Behandlungsmöglichkeiten und ihrer
Alternativen sowie ihrer Risiken und Chancen den Wert der von seiner Entscheidung
umfassten Güter und Interessen erfassen und sein Verhalten danach ausrichten
können. Dabei kommt es maßgeblich auf die Umstände des Einzelfalls an.
Die Einsichts- und
Urteilsfähigkeit muss im Zeitpunkt der Errichtung der Patientenverfügung vorliegen.
Dagegen ist es nicht erforderlich, dass der Patient auch weiterhin einsichts-
und urteilsfähig bleibt. Seine Verfügung soll ja gerade dann eingreifen, wenn
er nicht mehr selbst entscheiden kann oder wenn er seinen Willen nicht mehr
artikulieren kann (s. auch § 7 Abs. 3 des Entwurfs).
Bei der Errichtung
einer Patientenverfügung kann sich der Patient nicht vertreten lassen, er kann
nur selbst, also höchstpersönlich verfügen. Hat das Gericht einen Sachwalter
bestellt, so kann der Patient dennoch ohne dessen Zustimmung oder Genehmigung
eine wirksame Patientenverfügung errichten. Der Sachwalter kann dagegen in
einem solchen Fall nicht für den Patienten vorweg wirksam handeln.
2. Abschnitt (Verbindliche Patientenverfügungen)
Die §§ 4 – 7
des Entwurfs sehen einige inhaltliche und formelle Standards für verbindliche
Patientenverfügungen vor. Der Verfasser muss die medizinischen Behandlungen,
die er verweigert, einigermaßen konkret in seiner Erklärung umschreiben
(§ 4 des Entwurfs). Er muss darüber hinaus über das Wesen und die Folgen
seiner Verfügung für die medizinische Behandlung umfassend durch einen Arzt
aufgeklärt werden (§ 5 des Entwurfs). Zudem muss die Errichtung einer
verbindlichen Verfügung erhöhten Anforderungen genügen. Der Patient kann die Verfügung
nur vor einem Rechtsanwalt, Notar oder rechtskundigen Patientenvertreter
errichten, der ihn über die Folgen seiner Erklärung sowie über die Möglichkeit
des jederzeitigen Widerrufs zu belehren hat (§ 6 des Entwurfs). Letztlich
soll die Wirksamkeitsdauer einer Patientenverfügung zeitlich mit einer Frist
von fünf Jahren begrenzt werden (§ 7 des Entwurfs). Alle diese Kautelen
sollen die Gewähr dafür bieten, dass verbindliche Patientenverfügungen mit
ihren unter Umständen gravierenden Auswirkungen den tatsächlichen Willen des
informierten Patienten wiedergeben. Eine diesen Voraussetzungen entsprechende
Verfügung bindet Arzt und Pflegepersonal ebenso wie Angehörige; eines
Sachwalters bedarf der Patient dann insoweit – also soweit es um die Zustimmung
zur medizinischen Behandlung geht, die in der Patientenverfügung wirksam
abgelehnt wird – nicht.
Zu § 4 (Inhalt)
Damit eine
Patientenverfügung verbindlich ist, muss sie bestimmte – hohe – Anforderungen
erfüllen, die typischerweise gewährleisten, dass der Patient eine wohlüberlegte,
ernsthafte Entscheidung trifft. Die Patientenverfügung ist in diesem Sinn nur
dann unmittelbar verbindlich, wenn die vorweggenommene Situation der
tatsächlich vorliegenden entspricht. Das setzt nach § 4 des Entwurfs
voraus, dass die medizinischen Maßnahmen, die abgelehnt werden, in der
Erklärung eindeutig umschrieben werden. Hiefür kann es freilich nicht auf eine
detaillierte Aufzählung aller erdenkbaren Fälle, in denen bestimmte Maßnahmen
unterbleiben sollen, ankommen. Es reicht aus, wenn aus dem Gesamtzusammenhang
der Patientenverfügung hervorgeht, welche medizinischen Behandlungen abgelehnt
werden. Allzu allgemeine Formulierungen, wie das Verbot eines
„menschenunwürdigen Daseins“, der Wunsch nach der Unterlassung einer
„risikoreichen Operation“, die Ablehnung einer „künstlichen Lebensverlängerung“
oder das Verlangen nach einem „natürlichen Sterben“, werden aber wieder zu
unbestimmt sein und als Direktiven ausscheiden. Sie können nur für die
Ermittlung des relevanten Patientenwillens eine wesentliche Hilfe sein.
Aus der
Patientenverfügung muss zudem hervorgehen, dass der Patient die Folgen der
Patientenverfügung zutreffend einschätzt. Der aufklärende Arzt hat in der
Patientenverfügung darzulegen, dass der Patient die Folgen der Patientenverfügung
zutreffend einschätzt (s. näher § 5 des Entwurfs und die Erläuterungen
hiezu). Mit dieser inhaltlichen Voraussetzung einer verbindlichen
Patientenverfügung soll verhindert werden, dass die Behandlung bestimmter
Krankheiten unreflektiert abgelehnt werden kann. Diese Einschränkung der
Patientenautonomie vermeidet es auch, dass frühzeitige und uninformierte
Entscheidungen „schlagend werden“.
Findet sich die
Bestätigung in der Urkunde, dass der Patient die Folgen seiner Verfügung im
Errichtungszeitpunkt zutreffend abschätzen konnte, so wird der behandelnde Arzt
also in erster Linie prüfen müssen, ob die in der Patientenverfügung
beschriebene Situation dem Zustand des nunmehr einsichts-, urteils- oder
äußerungsunfähigen Patienten entspricht. Nur in diesem Fall sind die
Anordnungen des Patienten unmittelbar verbindlich.
Zu § 5 (Aufklärung)
§ 5 des
Entwurfs fordert weiter als inhaltliche Voraussetzung einer Patientenverfügung,
dass der Patient über das Wesen und die Folgen einer Patientenverfügung für die
medizinische Behandlung (gesundheitliche Folgen bei Unterlassung der
Behandlung, Behandlungsalternativen usw.) ärztlich aufgeklärt wird. Auf die
ärztliche Aufklärung kann der Patient bei Errichtung einer verbindlichen
Patientenverfügung – anders als sonst – nicht verzichten.
Damit ein Patient
sein Recht auf Selbstbestimmung in Anspruch nehmen kann, muss er alle
Informationen erhalten, die Grundlage seiner Entscheidung sind. Der Arzt muss
den Patienten dabei in einer für den medizinischen Laien verständlichen Form
informieren. Dies soll nicht nur für die Entscheidung eines Patienten über die
aktuelle Vornahme einer Behandlung gelten, sondern auch für die verbindliche
Patientenverfügung, bei der die Erklärung des Patienten und die Behandlung
zeitlich auseinander fallen. Für dieses inhaltliche Erfordernis sprechen aber
auch andere, insbesondere praktische, Gründe: Informationsdefizite über die
moderne Medizin, über ihre Mittel und Möglichkeiten und über deren Einsatz,
können zu falschen Vorstellungen und missverständlichen Formulierungen führen.
Darüber hinaus wird es dem nicht medizinisch geschulten Laien oft schwer
fallen, seine Vorstellungen entsprechend zu artikulieren. Auch diesbezüglich
ist die Aufklärung eines Arztes unerlässlich, da der Patient das Risiko ungenauer
Erklärungen selbst trägt.
Der aufklärende
Arzt muss schließlich auch prüfen, ob der Patient die Rechtsfolgen der
Patientenverfügung zutreffend einschätzt (s. § 4 Satz 2 des Entwurfs).
Dies kann etwa dann der Fall sein, wenn sich die Patientenverfügung auf eine
Behandlung einer Krankheit bezieht, an der der Patient selbst oder ein naher
Angehöriger (etwa sein Ehegatte oder Lebensgefährte oder Personen, die mit ihm
oder seinem Ehegatten in gerader Linie oder bis zum vierten Grad der
Seitenlinie verwandt oder verschwägert sind, sowie Wahl- und Pflegekinder; vgl.
§ 4 Anfechtungsordnung, § 32 Konkursordnung) leidet oder gelitten
hat. Die zutreffende Einschätzung der Folgen der Patientenverfügung kann sich
aber auch aus vergleichbaren Umständen ergeben, etwa wenn der Patient selbst
über lange Zeit mit bestimmten Krankheitsbildern beruflich zu tun hatte und für
sich selbst eine solche Behandlung nicht will oder wenn er bestimmte
Behandlungsmethoden aus religiösen Gründen ablehnt.
Die Vornahme der
eingehenden Aufklärung und das Vorliegen der Einsichts- und Urteilsfähigkeit
müssen vom aufklärenden Arzt in der Verfügung selbst (falls der Arzt bei der
Errichtung nach § 6 des Entwurfs anwesend ist) oder auch in einer
gesonderten – später als Anhang der Patientenverfügung fungierenden – Urkunde
dokumentiert werden. Er hat dabei auch darzulegen, dass und aus welchen Gründen
der Patient die Folgen der Patientenverfügung zutreffend einschätzt. Wird die
Patientenverfügung in Anwesenheit des Arztes (s. § 6) errichtet, so erfüllt
dieser durch die Aufnahme einer Kopie derselben (samt den ärztlichen Vermerken
auf der Urkunde) in die Krankengeschichte gleichzeitig die ihm
krankenanstalten- oder arztrechtlich vorgegebenen Dokumentationspflichten (vgl.
§ 14 des Entwurfs).
Zu § 6 (Errichtung)
Bei
Patientenverfügungen kann sich für den behandelnden Arzt und für andere mit
solchen Erklärungen Befasste ein besonderes Dilemma ergeben: Die inhaltlichen
Voraussetzungen der Verbindlichkeit der Erklärung des Patienten sind nämlich
vielfach weitaus schwieriger festzustellen als bei aktuellen
Willenserklärungen. Nur bei solchen besteht „die Möglichkeit des Nachfragens, der Präzisierung
oder des Widerrufs“. Bei der Patientenverfügung ist man dagegen auf die
Auslegung einer „mehr oder weniger bestimmten Erklärung“ angewiesen (s. Kopetzki
in Kopetzki, Antizipierte Patientenverfügungen 38, 46 f.).
§ 6 des
Entwurfs will diese für die Praxis überaus problematische Unsicherheit
eindämmen, indem für verbindliche Patientenverfügungen besondere Errichtungs-
und Formvorschriften statuiert werden. Demnach muss eine verbindliche
Patientenverfügung schriftlich
vor einem Rechtsanwalt, einem Notar oder einem rechtskundigen
Patientenvertreter (einem juristischen Mitarbeiter der „Patientenanwaltschaft“
im Sinn des § 11e KAKuG) errichtet werden. Der Ausdruck „schriftlich“ ist
dabei im Verständnis des § 886 ABGB auszulegen, die Erklärung muss vom
Patienten im Allgemeinen eigenhändig unterfertigt werden. Die strengere Form
des Notariatsakts reicht immer aus. Auch muss die Erklärung datiert werden,
zumal nur dadurch die Frage beantwortet werden kann, ob eine Verfügung im Sinn
des § 7 des Entwurfs noch verbindlich ist.
Mit dem
Erfordernis der Errichtung der Patientenverfügung vor einer rechtskundigen
Person soll insbesondere sichergestellt werden, dass die Verfügung in ihrer
Formulierung auch verständlich ist und den Anforderungen dieses
Gesetzesentwurfs entspricht.
Der Patient muss
nach § 6 Abs. 1 des Entwurfs weiter über die Folgen der
Patientenverfügung sowie die Möglichkeit ihres jederzeitigen Widerrufs belehrt
werden. Nach § 5 des Entwurfs muss der Patient u. a. über die
gesundheitlichen Folgen der Patientenverfügung und mögliche medizinische
Alternativen der abgelehnten Behandlung durch einen Arzt aufgeklärt werden. Bei
der Belehrungspflicht nach § 6 Abs. 1 des Entwurfs geht es
dagegen um die Information über die rechtlichen Auswirkungen der Erklärung des
Patienten. Der Rechtsanwalt, Notar oder Patientenvertreter muss den Patienten
über das Wesen der verbindlichen Erklärung belehren und ihn vor allem darauf
aufmerksam machen, dass seine Entscheidung vom Arzt in aller Regel befolgt
werden muss, selbst dann nämlich, wenn die Behandlung medizinisch indiziert ist
und der Patient ohne diese voraussichtlich sterben wird. Der Patient muss
ferner auch darüber informiert werden, dass der behandelnde Arzt in solchen
Situationen auch nicht Angehörige befassen oder das Verfahren zur Bestellung
eines Sachwalters einleiten kann. Die Pflicht zur rechtlichen Aufklärung über
die Auswirkungen einer verbindlichen Patientenverfügung wird schließlich auch
eine Belehrung über die Alternativen zu einem solchen Schritt, etwa die
Verfassung einer nicht verbindlichen Verfügung, enthalten.
Nach
§ 6 Abs. 2 des Entwurfs hat der Rechtsanwalt, Notar oder
Patientenvertreter die Vornahme dieser Belehrung in der Patientenverfügung
(also in der Urkunde selbst, aber auch in einem Anhang dazu) unter Angabe
seines Namens und seiner Anschrift zu bestätigen.
Der Entwurf lässt
es zu, dass ein Patient seine Erklärung in Anwesenheit eines Rechtsanwalts,
Notars oder Patientenvertreters selbst errichtet und unterschreibt. Es reicht
aber auch aus, wenn eine solche Person die Urkunde für den Patienten nach einem
vorangegangenen Gespräch aufsetzt und diese dann vom Patienten unterfertigt
wird. Die nach § 5 des Entwurfs erforderliche Aufklärung durch den Arzt
muss entweder vorher stattgefunden haben oder im Zuge der Errichtung der
Patientenverfügung erfolgen. Im ersteren Fall hat der Patient die vom Arzt verfasste
gesonderte Urkunde vorzuweisen; sie ist als Anhang der Patientenverfügung
beizufügen. Im zweiten denkbaren Fall, dass der Notar, Rechtsanwalt oder
Mitarbeiter der Patientenanwaltschaft den Patienten in der Krankenanstalt
aufsucht, können die ärztlichen Vermerke direkt auf der Patientenverfügung
vorgenommen werden.
Zu § 7 (Erneuerung)
Da die
medizinische Wissenschaft sich ständig weiter entwickelt und die Haltung des
Patienten gegenüber einer von ihm zunächst abgelehnten medizinischen Maßnahme
im Lauf der Zeit sich auch ändern kann, ist es zweckmäßig, die
Wirksamkeitsdauer einer verbindlichen Patientenverfügung zeitlich zu begrenzen.
Der Entwurf sieht dafür eine Frist von fünf Jahren vor. Für diesen Zeitraum
können die Entwicklungen in der Medizin, im Krankheitsverlauf, aber auch in den
Pflege- und Behandlungsmethoden vorweg einigermaßen abgesehen werden.
Wenn der Patient
an seiner Patientenverfügung weiterhin festhalten will, muss er sie nach einer
erneuten ärztlichen Aufklärung unter Einhaltung der Formerfordernisse des
§ 6 des Entwurfs nach Ablauf ihrer Gültigkeitsdauer (oder auch noch
rechtzeitig vorher) erneuern. Dabei soll es genügen, wenn er auf die von ihm
bereits verfasste Verfügung Bezug nimmt. Der Entwurf verlangt also nicht die
Errichtung einer neuen Verfügung.
Mit diesem
Erneuerungserfordernis wird sichergestellt, dass sich der Patient nach einer
bestimmten Zeit wieder mit seiner Verfügung auseinander setzt. Das bietet ihm
die Gelegenheit, mögliche Fortschritte in der Medizin zu berücksichtigen. Er
wird damit mittelbar aber auch dazu verhalten, seine Verfügung auch immer
wieder grundsätzlich zu überdenken. Dies kann dazu führen, dass der Patient
nachträglich Änderungen vornimmt (Abs. 2). Solche Änderungen sind – wie
ein Widerruf – jederzeit und ohne Angabe von Gründen möglich; anders als beim
Widerruf sind aber auf nachträgliche Änderungen die Bestimmungen über die
Errichtung einer Patientenverfügung entsprechend anzuwenden. Die Änderungen
können auch an einer bereits früher getroffenen Verfügung vorgenommen werden.
Sie dürfen dabei aber nicht die Klarheit und Übersichtlichkeit der
ursprünglichen Erklärung beeinträchtigen oder gar zu Widersprüchen führen. Bei
jeder nachträglichen Änderung der Patientenverfügung gemäß Abs. 2 beginnt
die in Abs. 1 vorgesehene Frist von fünf Jahren neu zu laufen.
Von dem
Erneuerungserfordernis sind nach Abs. 3 aber diejenigen Fälle
ausgenommen, in denen der Patient nach Errichtung der Patientenverfügung
innerhalb der Gültigkeitsdauer die Einsichts- Urteils- oder Äußerungsfähigkeit
verliert und deshalb eine zeitgerechte Erneuerung nicht stattfinden kann. Auf
solche Situationen zielt die Patientenverfügung definitionsgemäß ab.
3. Abschnitt (Beachtliche Patientenverfügung)
Zu den §§ 8 und 9 (Voraussetzungen; Beachtung des
Patientenwillens)
Wenn eine
Patientenverfügung im Einzelfall nicht unmittelbar verbindlich ist, etwa weil
sie nicht ausreichend bestimmt ist, weil der Patient nicht ausreichend
aufgeklärt wurde, weil die Erklärung nicht nach den Vorschriften des § 6
errichtet wurde oder weil sie nicht erneuert wurde, so soll dies doch nicht zur
Folge haben, dass die Erklärung des Patienten bedeutungslos ist. Darüber hinaus
soll dem Patienten auch die Möglichkeit eingeräumt werden, Patientenverfügungen
zu errichten, die zwar nicht verbindlich sind, aber doch in die
Behandlungsentscheidung des Arztes einfließen sollen. Auch eine nicht
verbindliche Patientenverfügung soll also beachtet werden, nämlich als ein –
wesentliches – Hilfsmittel für die Ermittlung des relevanten Patientenwillens.
Dabei spielt es keine Rolle, ob der Mangel dem Patienten ungewollt unterlaufen
ist oder ob er seine Verfügung gezielt als bloße Orientierungshilfe errichtet
hat.
Schon nach
geltendem Recht kann der mutmaßliche Wille des Patienten für die weitere
ärztliche Behandlung maßgebend sein, wenn er selbst keine Entscheidung mehr
treffen kann. Abgesehen von Fällen der Gefahr im Verzug, in denen der Arzt notwendige
Behandlungen unmittelbar vorzunehmen hat (dies ergibt sich aus den derartige
Situationen abschließend regelnden Bestimmungen des § 8 Abs. 3
KAKuG und der §§ 282 sowie 146c Abs. 3 ABGB; s. Ganner,
Selbstbestimmung im Alter [2005], 286 f.), muss die Einwilligung des Patienten
durch die Zustimmung eines gerichtlich bestellten Sachwalters ersetzt werden.
Das erübrigt sich nach dem Konzept des Entwurfs, wenn die Patientenverfügung
verbindlich ist. Andernfalls muss ein Sachwalter bestellt werden. Für diesen
ist auch eine nicht verbindliche Patientenverfügung beachtlich. Er hat zwar bei
seiner Entscheidung das Wohl des Betroffenen zu wahren. Ob eine Behandlung dem
Wohl des Patienten entspricht, ist aber nicht allein nach objektiven Kriterien
zu messen. Vielmehr spielen hier auch subjektive Momente – etwa aktuell
geäußerte Wünsche – eine Rolle (vgl. § 273a Abs. 3 ABGB). Der Sachwalter hat daher
die Patientenverfügung bei seiner Entscheidung ins Kalkül zu ziehen. Das
Gleiche gilt für das Sachwaltergericht, wenn es aufgrund der Bedeutung der
Behandlung für den Patienten die Entscheidung des Sachwalters genehmigen muss. In solchen Fällen muss aufgrund einer
sorgfältigen Abwägung aller Umstände des Einzelfalls ermittelt werden, wie der
Betroffene in der gegebenen Situation entscheiden würde, wenn er seinen Willen
noch kundtun könnte. Dazu muss nach Anhaltspunkten gesucht werden, die seinen
Willen erkennen lassen. Diese Anhaltspunkte müssen bewertet und gegeneinander
abgewogen werden. Dazu gehören etwa die religiöse oder weltanschauliche
Überzeugung, persönliche Wertvorstellungen des Patienten, aber auch frühere
mündliche oder schriftliche Äußerungen. Für solche Fälle kann die
Patientenverfügung eine gewichtige und authentische Entscheidungshilfe für die
Ermittlung des mutmaßlichen Patientenwillens sein.
§ 9 des
Entwurfs stellt Kriterien zur Verfügung, nach denen sich die Beachtlichkeit
einer Patientenverfügung richtet. Auch wenn an eine beachtliche
Patientenverfügung nicht derselbe Maßstab wie an eine verbindliche angelegt
wird, ist sie doch kein „rechtliches Nichts“. Sie liefert im Gegenteil umso
größere Anhaltspunkte für den maßgeblichen Patientenwillen, je eher sie den
Voraussetzungen der §§ 4 bis 7 des Entwurfs entspricht. Eine
beachtliche Patientenverfügung ist stets bei der Ermittlung des Willens des
Patienten heranzuziehen. Je näher sie einer verbindlichen Patientenverfügung
kommt, umso größere Bedeutung wird ihr zukommen.
4. Abschnitt (Gemeinsame Bestimmungen)
Zu § 10 (Unwirksamkeit)
Eine verbindliche
und eine beachtliche Patientenverfügung müssen ganz allgemein die in § 10
des Entwurfs angeführten Wirksamkeitsvoraussetzungen erfüllen. Liegt auch nur
eine dieser Voraussetzungen nicht vor, so darf die Patientenverfügung bei der
Behandlung nicht beachtet werden. Bei diesen Kriterien handelt es sich zum
einen um Umstände, die allgemein für das Vorliegen einer zivilrechtlich
wirksamen Willenserklärung gefordert werden (vgl. etwa die §§ 869 ff.
ABGB). Sie sollen hier wiederholt werden, um dem nicht unbedingt
zivilrechtskundigen Rechtsanwender die Prüfung einer Patientenverfügung zu
erleichtern. Zum anderen sieht der Entwurf Wirksamkeitsvoraussetzungen vor, die
besonders auf die spezifische Erklärung in einer Patientenverfügung abgestimmt
sind.
Die
Patientenverfügung muss frei von Willensmängeln sein, also frei und ernstlich
erklärt und nicht durch Irrtum, List, Täuschung oder physischen oder
psychischen Zwang veranlasst worden sein
(§ 10 Abs. 1 Z 1 des Entwurfs). Die Erklärung ist
ernstlich, wenn der Patient mit dem erkennbaren Willen handelte, eine gültige
Verfügung zu treffen. Weiter entkräften konkrete Hinweise, wonach der Patient
bei Errichtung seiner Erklärung einem Irrtum (auch über die Beweggründe)
unterlag, seine Verfügung. Gleiches gilt, wenn er bei Errichtung der Verfügung
getäuscht wurde oder unter physischem oder psychischem Zwang stand. Das kann
insbesondere auch dann der Fall sein, wenn auf den Patienten ein unangemessener
finanzieller oder auch nur gesellschaftlicher Druck ausgeübt wurde, eine
bestimmte Behandlung in Zukunft abzulehnen. Ergeben sich aus der Verfügung
selbst oder aus anderen Umständen Hinweise auf solche Umstände, so ist die
Patientenverfügung unwirksam.
Ihr Inhalt muss
weiter strafrechtlich zulässig sein (§ 10 Abs. 1 Z 2 des
Entwurfs). Patientenverfügungen gehen bisweilen inhaltlich über
Behandlungsverbote hinaus, indem der Patient aktiv auf die Behandlung Einfluss
nehmen will. Er kann jedoch nichts rechtlich Verbotenes (§ 879 ABGB) vom
Arzt verlangen. In Österreich ist die „aktive direkte Sterbehilfe“ verboten.
Das soll auch so bleiben. Deshalb ist der in einer Patientenverfügung artikulierte
Wunsch nach einer solchen aktiven direkten Sterbehilfe nicht bindend. Nach
§ 10 Abs. 1 Z 3 des Entwurfs ist eine
Patientenverfügung auch dann nicht wirksam, wenn sich seit dem Zeitpunkt der
Errichtung oder der letzten Erneuerung der Fortschritt der Medizin derart
wesentlich geändert hat, dass die ursprünglich erfolgte Aufklärung des
Patienten nicht mehr ausreichend war, um die nun zu beurteilende medizinische
Entscheidung abzudecken (clausula rebus sic stantibus).
Eine
Patientenverfügung ist letztlich dann nicht wirksam, wenn sie der Patient
selbst widerruft oder selbst zu erkennen gegeben hat oder gibt, dass er daran
nicht mehr gebunden sein will (§ 10 Abs. 2 des Entwurfs). Der
Patient kann die von ihm getroffene Verfügung jederzeit – formfrei – widerrufen.
Dabei ist es – anders als nach allgemeinen Regeln – nicht erforderlich, dass er
noch einsichts- und urteilsfähig ist. Der Widerruf kann nicht nur ausdrücklich
(schriftlich oder mündlich), sondern auch durch ein schlüssiges Verhalten (d.
h. durch Handlungen, die eindeutig als Widerruf anzusehen sind) erklärt werden.
Hier ist z. B. an die Vernichtung der Verfügung durch deren Zerreißen zu
denken.
§ 11
(Sonstige Inhalte)
§ 11 des
Entwurfs stellt klar, dass die Wirksamkeit einer Patientenverfügung durch
allfällige zusätzliche Erklärungen, wie etwa die Nennung bestimmter
Kontaktpersonen, nicht beeinträchtigt wird.
Zu § 12 (Notfälle)
Nach § 12 des
Entwurfs sollen Maßnahmen der medizinischen Notfallversorgung durch das
vorgesehene Patientenverfügungsgesetz nicht beeinträchtigt werden. Im
Besonderen sollen solche Maßnahmen, deren Aufschub das Leben oder die
Gesundheit des Patienten gefährden kann, nicht durch die Suche nach einer
Patientenverfügung hinausgezögert werden. Das gilt auch für die im Anschluss an
die unmittelbare Notversorgung folgenden Behandlungen in weiteren
Versorgungseinrichtungen. Wenn aber in einer Notfallseinrichtung oder in einer
anderen Versorgungseinrichtung eine Patientenverfügung in der Krankengeschichte
dokumentiert ist, muss diese auch in Notfällen beachtet werden.
Zu § 13 (Pflichten des Patienten)
Nach § 13 des
Entwurfs kann sich ein Patient durch eine Patientenverfügung nicht einer ihm
durch besondere Rechtsvorschriften auferlegten Verpflichtung, sich (z. B. bei
bestimmten übertragbaren Krankheiten) medizinisch behandeln zu lassen,
entziehen. Die sich aus einer solchen besonderen Bestimmung ergebende
Behandlungspflicht bleibt unabhängig von der Patientenverfügung in vollem
Umfang bestehen.
Zu § 14 (Dokumentation)
Der aufklärende Arzt
(§ 5 des Entwurfs) und der behandelnde Arzt haben vor ihnen errichtete und
ihnen zugemittelte Patientenverfügungen in die Krankengeschichte bzw. die
ärztliche Dokumentation (§ 51 Ärztegesetz 1998) aufzunehmen. Dies kann
etwa durch die Anfertigung einer Kopie erfolgen.
In der ärztlichen
Dokumentation ist nach den Vorgaben des § 51 ÄrzteG 1998 auch
festzuhalten, aus welchen Gründen im Einzelfall der Arzt die notwendige
Mitwirkung an einer Patientenverfügung ausschließt und deshalb die
Patientenverfügung nicht zustande kommen kann. Ist für den Arzt die Einsichts-
und Urteilsfähigkeit des Patienten gegeben, so muss dies auf der Urkunde nicht
weiter dokumentiert werden. Findet sich auf der Patientenverfügung kein Hinweis
auf die Einsichts- und Urteilsfähigkeit, so kann davon ausgegangen werden, dass
diese im Zeitpunkt der Errichtung gegeben war.
Zu § 15 (Verwaltungsstrafbestimmung zum Schutz
vor Missbrauch)
Die Errichtung
einer Patientenverfügung muss stets im Ermessen des Patienten liegen und darf
nicht durch äußere Zwänge beeinflusst werden. Vor allem sollen nicht
wirtschaftliche oder gesellschaftliche Zwänge den Patienten veranlassen, eine
bestimmte Behandlung abzulehnen.
Besondere
Bedeutung erhält dies beim Zugang oder Erhalt von Versorgungsleistungen. Hier darf
die Errichtung einer Patientenverfügung oder auch die Unterlassung einer
solchen Erklärung keinesfalls zur Bedingung für die Aufnahme in die Einrichtung
gemacht werden. Um dies zu gewährleisten, werden derartige Einflussnahmen mit
einer Verwaltungsstrafe sanktioniert. Der Strafrahmen soll vor allem im
Hinblick auf eventuelle wirtschaftliche Interessen vorbeugenden Charakter haben
und Druck auf den Patienten so weit wie möglich verhindern.
5. Abschnitt (Schluss- und Übergangsbestimmungen)
Zu § 18 (In-Kraft-Treten)
Das vorgeschlagene
Patientenverfügungsgesetz soll mit dem ersten Tag des Monats, der auf die
Kundmachung folgt, in Kraft treten. Vorher errichtete Patientenverfügungen
sollen hinsichtlich ihrer Auswirkungen nach den neuen Regeln beurteilt werden.
Sie werden daher im Allgemeinen wesentlich für die Ermittlung des
Patientenwillens sein.