1406 der Beilagen zu den Stenographischen Protokollen des Nationalrates XXII. GP

 

Bericht

des Außenpolitischen Ausschusses

über die Regierungsvorlage (1161 der Beilagen): Übereinkommen der Vereinten Nationen über die Immunität der Staaten und ihres Vermögens von der Gerichtsbarkeit

Das Übereinkommen der Vereinten Nationen über die Immunität der Staaten und ihres Vermögens von der Gerichtsbarkeit hat gesetzändernden bzw. gesetzesergänzenden Charakter und bedarf daher gemäß Art. 50 Abs. 1 B-VG der Genehmigung durch den Nationalrat. Es enthält keine verfassungsändernden bzw. verfassungsergänzenden Bestimmungen und hat nicht politischen Charakter. Es ist der unmittelbaren Anwendbarkeit im innerstaatlichen  Rechtsbereich zugänglich, sodass die Erlassung von Gesetzen gemäß Art. 50 Abs. 2 B-VG nicht erforderlich ist. Da durch das Übereinkommen Angelegenheiten des selbständigen Wirkungsbereiches der Länder geregelt werden, bedarf es überdies der Zustimmung des Bundesrates gemäß Art. 50 Abs. 1 zweiter Satz B-VG.

Entstehungsgeschichte

Die Immunität fremder Staaten vor inländischen Gerichten, d.h. die völkerrechtliche Regel, wonach fremde Staaten inländischen Gerichten nicht unterworfen sind, hat im 20. Jahrhundert gravierende Änderungen erfahren. Die ursprüngliche Regel sah eine absolute Immunität vor, abgeleitet von der souveränen Gleichheit der Staaten und dem Prinzip „par in parem non habet imperium“ (sh. RV 870 der BlgNR, XIII. GP, 37 ff). Im Laufe des 20. Jahrhunderts wurde aber diese Regel, wonach Staaten Immunität für alle ihnen zurechenbare Akte genießen, aus unterschiedlichen Gründen immer mehr eingeschränkt: Zum einen wurden die Staaten immer mehr im privatwirtschaftlichen Bereich tätig, zum anderen konnten sie etwa keinen Zugang zu Bankkrediten mehr erhalten, sofern diese nicht gerichtlich einklagbar waren, und schließlich kam ihnen kraft ihrer Immunität eine von den privaten Wirtschaftstreibenden unterschiedliche Stellung im Wirtschaftsleben zu, so dass die Wettbewerbsgleichheit gestört wurde.

Schon vor dem Zweiten Weltkrieg verweigerten einige nationale Gerichte (z.B. in Belgien und Italien) aus diesen Gründen Staaten eine umfassende, absolute Immunität und unterwarfen sie der innerstaatlichen Gerichtsbarkeit, soweit sie privatwirtschaftlich tätig geworden waren. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde insbesondere die Entscheidung des österreichischen OGH vom 10. Februar 1962, JBL 1962, 43 ff, in diesem Sinne richtungweisend. Doch war dieser Ansatz, wonach den Staaten Immunität lediglich für acta iure imperii, also hoheitliche Tätigkeiten, nicht jedoch für acta iure gestionis, also privatwirtschaftliche Tätigkeiten, zukommen sollte, noch nicht im universellen Rahmen akzeptiert. Selbst soweit die Theorie der relativen Immunität akzeptiert war, bestand noch keine Einigkeit über die Abgrenzung zwischen den hoheitlichen und den privatwirtschaftlichen Akten. Vor allem zwei Kriterien wurden zur Abgrenzung herangezogen: das Kriterium der Natur des Aktes, wonach der Staat keine Immunität genießen sollte, soweit er Akte wie Private setzte; andererseits das Kriterium des Zwecks, wonach es sich dann um einen hoheitlichen Akt handelte, wenn dieser in Verfolgung eines hoheitlichen Zwecks gesetzt wurde.

Es bestanden zwar immer wieder Versuche einer rechtlichen Regelung dieser Materie durch einen völkerrechtlichen Vertrag, doch blieb dies erst auf Tätigkeiten privater Organisationen beschränkt - so z.B. durch das Institut de Droit International seit 1891 (Jahrbuch des Instituts für Internationales Recht, Bd 45 (II) (1954), 293 ff), die Harvard Universität (American Journal of International Law 26 (1932) Suppl., 43 ff) wie auch die International Law Association (Report on the 45th Conference 1952, VI ff). Lediglich in einem speziellen Bereich gelang eine vertragliche Regelung durch das Brüsseler Internationale Übereinkommen zur einheitlichen Regelung über die Immunitäten der Staatsschiffe vom 10. April 1926 (samt Zusatzprotokoll vom 24. Mai 1934).

 

Eine umfassende, jedoch regional beschränkte Regelung gelang durch das Europäische Übereinkommen  über Staatenimmunität vom 16. Mai 1972, das im Rahmen des Europarates ausgearbeitet worden war (sh. RV 870 der BlgNR, XIII. GP, 33 f). Für Österreich, das die Initiative zu diesem Übereinkommen gesetzt hatte, trat es, nachdem es von Österreich und zwei anderen europäischen Staaten (Belgien und Zypern) ratifiziert worden war, am 11. November 1976 in Kraft (BGBl. Nr. 432/1976). Allerdings blieb der Geltungsbereich beschränkt, da es lediglich von insgesamt acht Staaten ratifiziert worden war.

Auf universeller Ebene nahm sich die International Law Commission (ILC), ein Hilfsorgan der Vereinten Nationen und dessen hauptsächliches Kodifikationsorgan, dieser Materie an. Bereits 1949 erachtete sie das Thema der Staatenimmunität als kodifikationswürdig, doch ersuchte die Generalversammlung erst 1977 die ILC, die Kodifikation in die Wege zu leiten. Zum Berichterstatter wurde Sompong Sucharitkul bestellt, der aufgrund von acht Berichten Artikelentwürfe ausarbeitete, die von der ILC in der ersten Lesung angenommen und im Jahre 1986 der Generalversammlung der Vereinten Nationen zur Stellungnahme vorgelegt wurden. Für die darauf folgende zweite Lesung bestellte die ILC Motoo Ogiso zum Berichterstatter, der aufgrund von drei Berichten die bestehenden Artikelentwürfe im Lichte der Kommentare der Staaten und der weiteren Diskussion der ILC überarbeitete. Im Jahre 1991 nahm die ILC die Artikelentwürfe über die gerichtliche Immunität der Staaten und ihres Eigentums an und legte sie der Generalversammlung zusammen mit einer Empfehlung vor, eine Konferenz zur Finalisierung des Übereinkommens einzuberufen. Die Generalversammlung setzte jedoch erst eine Arbeitsgruppe unter dem Vorsitz von Calero Rodiguez ein, um wesentliche Probleme, die durch die Artikelentwürfe aufgeworfen waren, einer Lösung zuzuführen, bevor eine Konferenz einberufen würde. Diese Konsultationen, die jeweils in den Jahren 1992 – 1994 im Rahmen der 6. Kommission der Generalversammlung durchgeführt wurden, konnten zwar die Hauptprobleme identifizieren, jedoch keine Lösung herbeiführen. In diesen Erörterungen kristallisierten sich folgende fünf Bereiche als Hauptprobleme heraus: die Definition des Staates, das Kriterium zur Abgrenzung der acta iure gestionis von den acta iure imperii, die staatlichen Unternehmen, Arbeitsverträge sowie die Vollstreckung. In der weiteren Folge suspendierte die Generalversammlung die Diskussionen und ersuchte die Staaten um weitere Stellungnahmen und Informationen über die Praxis. Im Jahre 1997 beschloss sie, eine neue Arbeitsgruppe zum Zweck der Ausarbeitung eines allgemein akzeptablen Textes einzusetzen, in deren Arbeit Anregungen der ILC zu den fünf Hauptproblemen sowie Kommentare der Staaten über neue Praxis einfließen sollten. Die ILC bildete im Jahre 1998 eine Arbeitsgruppe unter der Leitung des österreichischen ILC-Mitglieds Univ. Prof. Dr. Gerhard Hafner, den Botschafter Chusei Yamada als Berichterstatter unterstützte. Diese Arbeitsgruppe arbeitete Anregungen in Form von Alternativvorschlägen zu den fünf Hauptproblemen aus. Im folgenden Jahr bildete die Generalversammlung eine Arbeitsgruppe der 6. Kommission wieder unter der Leitung von Prof. Hafner. Angesichts der Schwierigkeiten, zu einem akzeptablen Vertragstext zu gelangen, ging die Arbeitsgruppe ursprünglich davon aus, lediglich ein „Model Law“ oder überhaupt nur Prinzipien auszuarbeiten, die jedoch den allgemeinen Konsens über die relative Immunität reflektieren hätten sollen. Diese Verhandlungen wurden in den folgenden Jahren weitergeführt, zuerst in der Arbeitsgruppe, später in einem Ad-Hoc Komitee der Generalversammlung mit gleich bleibendem Vorsitz. Gleichzeitig wurde auch innerhalb der EU versucht, bei den genannten Problemen eine Einigung zumindest innerhalb der EU zu erwirken, da selbst unter diesen Staaten unterschiedliche Positionen hiezu bestanden hatten. Im Jahre 2003 gelang es, die Widerstände gegen ein Übereinkommen unter der Bedingung zu überwinden, dass einigen Artikeln eigene Interpretationen („Understandings“) hinzugefügt wurden. Im Jahre 2004 gelang eine Einigung über die Verbindung dieser Interpretationen mit dem Übereinkommenstext, wurden die Schlussartikel formuliert und der Text im Ad hoc Komitee angenommen, so dass er im Oktober 2004 dem 6. Komitee zur Annahme vorgelegt werden konnte. Das 6. Komitee nahm ohne Abstimmung diesen Text als Annex zu einer Resolution an, in der vorgeschlagen wurde, dieses Übereinkommen ab 17. Jänner 2005 für einen Zeitraum von zwei Jahren am Sitz der Vereinten Nationen in New York zur Unterzeichnung aufzulegen. Die Resolution wurde Anfang Dezember 2004 vom Plenum der Generalversammlung als Resolution A/RES/59/38 ohne Abstimmung angenommen. Am ersten Tag der Unterzeichnungsfrist unterzeichneten Marokko und Österreich dieses Übereinkommen.

Zur Resolution A/RES/59/38 ist anzumerken, dass sie im Sinne von Art. 31 des Wiener Übereinkommens über das Recht der Verträge (WVK), BGBl. Nr. 40/1980, als Bestandteil des für die Auslegung des Übereinkommens relevanten Zusammenhangs anzusehen ist. Sie enthält Klarlegungen über den Anwendungsbereich des Übereinkommens sowie einen Verweis auf die Erklärung des Vorsitzenden des Ad Hoc Komitees, welche weitere erläuternde Aussagen zum Anwendungsbereich enthält. Diese Erklärung (A/C.6/59/SR.13) zählt ebenfalls zu dem für die Auslegung relevanten Zusammenhang gemäß Art. 31 WVK, da die Resolution in ihrer Präambel ausdrücklich auf diese Erklärung verweist („Taking into account the statement of the Chairman of the Ad Hoc Committee introducing the report of the Ad Hoc Committee“). Somit ist der Annahmeakt unmittelbar mit dieser Erklärung verbunden.

Das Übereinkommen besteht aus sechs Teilen (Teil I: Einleitung, Teil II: Allgemeine Grundsätze, Teil III: Verfahren, in denen Berufung auf Staatenimmunität nicht möglich ist, Teil IV: Staatenimmunität von Zwangsmaßnahmen im Zusammenhang mit gerichtlichen Verfahren, Teil V: Verschiedene Bestimmungen, Teil VI: Schlussbestimmungen) sowie einer Anlage, die einen integrierenden Teil des Übereinkommens bildet.

Die Übersetzung des Übereinkommens in die deutsche Sprache wurde auf der Basis eines von Deutschland übermittelten Übersetzungsentwurfs von Vertretern Österreichs, Deutschlands und der Schweiz in Wien fertig gestellt. Bis auf wenige Ausnahmen konnte eine gemeinsame Übersetzung erarbeitet werden.

 

Hinsichtlich der Kundmachung des Staatsvertrages hat die Bundesregierung dem Nationalrat vorgeschlagen, gemäß Art. 49 Abs. 2 B-VG zu beschließen, dass dessen arabische, chinesische, russische und spanische Sprachfassungen dadurch kundzumachen sind, dass sie zur öffentlichen Einsichtnahme im Bundesministerium für auswärtige Angelegenheiten aufliegen.

 

Der Außenpolitische Ausschuss hat den gegenständlichen Staatsvertrag in seiner Sitzung am 06. April 2006 in Verhandlung genommen.

Bei der Abstimmung wurde einstimmig beschlossen, dem Hohen Haus die Genehmigung des Abschlusses dieses Staatsvertrages zu empfehlen.

 

Der Außenpolitische Ausschuss vertritt weiters einstimmig die Auffassung, dass die Bestimmungen des Staatsvertrages zur unmittelbaren Anwendung im innerstaatlichen Bereich ausreichend determiniert sind, sodass sich eine Beschlussfassung des Nationalrates gemäß Art. 50 Abs. 2 B-VG zur Erfüllung des Staatsvertrages erübrigt.

 

Ebenso wurde einstimmig beschlossen, dass die arabische, chinesische, russische und spanische Sprachfassungen dadurch kundgemacht werden sollen, dass sie zur öffentlichen Einsichtnahme beim Bundesministerium für auswärtige Angelegenheiten aufliegen.

Als Ergebnis seiner Beratungen stellt der Außenpolitische Ausschuss somit den Antrag, der Nationalrat wolle beschließen:

1.      Der Abschluss des Staatsvertrages: Übereinkommen der Vereinten Nationen über die Immunität der Staaten und ihres Vermögens von der Gerichtsbarkeit (1161 der Beilagen) wird genehmigt.

2.      Gemäß Art. 49 Abs. 2 B-VG sind die arabische, chinesische, russische und spanische Sprachfassungen dadurch kundzumachen, dass sie zur öffentlichen Einsichtnahme im Bundesministerium für auswärtige Angelegenheiten aufliegen.

Wien, 2006 04 06

Walter Murauer Dr. h.c. Peter Schieder

       Berichterstatter                  Obmann