Bericht an den Nationalrat
A. Vorbemerkungen
Von 3. bis 19. Juni 2003 fand in Genf die 91. Tagung der Internationalen
Arbeitskonferenz statt, an der wie alljährlich auch Österreich mit einer
vollständigen, aus Vertretern der Regierung sowie der Organisationen der
Arbeitgeber/innen- und Arbeitnehmer/innen zusammengesetzten Delegation
teilgenommen hat. Auf dieser Tagung wurde das
Übereinkommen (Nr.185) über Ausweise für Seeleute (Neufassung), 2003, angenommen.
Der amtliche deutsche Wortlaut des Übereinkommens ist in der Anlage
beigeschlossen.
Das Übereinkommen wurde sowohl von der Gruppe der Arbeitnehmer als auch der Gruppe der Arbeitgeber zur Annahme empfohlen und schließlich am 19. Juni 2003 von der Internationalen Arbeitskonferenz ohne Gegenstimme und wenigen Stimmenthaltungen (darunter 7 Regierungen) angenommen.
Von der dreigliedrig zusammengesetzten österreichischen Delegation
stimmten sowohl beide Regierungsdelegierte auch die Delegierte der
Arbeitnehmer/innen und der Delegierte der Arbeitgeber/innen für das
Zustandekommen des Übereinkommens.
Jedes Mitglied der Internationalen Arbeitsorganisation ist nach Artikel
19 der Verfassung der Internationalen Arbeitsorganisation, BGBl. Nr. 223/1949
i.d.g.F., verpflichtet, die von der Internationalen Arbeitskonferenz
angenommenen Übereinkommen den zuständigen Stellen im Hinblick auf ihre
Verwirklichung durch die Gesetzgebung oder durch andere Maßnahmen innerhalb
eines bestimmten Zeitraumes nach Abschluss der Tagung der Internationalen
Arbeitskonferenz vorzulegen und den Generaldirektor des Internationalen
Arbeitsamtes über die getroffenen Maßnahmen in Kenntnis zu setzen. Ist eine
Ratifikation aus innerstaatlichen Gründen nicht möglich, ist im Sinne dieser
Vorlagepflicht dem Nationalrat ein Bericht zur Kenntnis zu bringen, in dem die
gegenwärtige Rechtslage - allenfalls auch ihre künftige Gestaltung - auf dem
im Übereinkommen geregelten Gebiet mit Beziehung auf die im Übereinkommen
enthaltenen Bestimmungen dargestellt wird.
B. Das Übereinkommen Nr. 185
Das Übereinkommen (Nr. 185) ist die
Neufassung des Übereinkommens (Nr. 108) über staatliche Personalausweise aus
dem Jahr 1958, welches von 62 Mitgliedstaaten - darunter folgende EU-Mitgliedstaaten (Dänemark, Finnland,
Frankreich, Griechenland, Irland, Italien, Portugal, Spanien, Schweden,
Vereinigtes Königreich; Tschechische Republik, Estland, Lettland, Litauen,
Malta, Polen, Slowenien) ratifiziert wurde.
Hintergrund: Die Neufassung war auf Ersuchen der Internationalen Seeschifffahrtsorganisation (IMO) zu Beginn des Jahres 2002 auf die Tagesordnung Internationalen Arbeitskonferenz gesetzt worden. Hintergrund war die insbesondere seitens der USA erhöhten Sicherheitsanforderungen an Reisedokumente infolge des 11. September 2001.
Ziel des Übereinkommens ist, angesichts der immer kürzeren Aufenthalte in den Häfen, einem "bona fide" Seemann durch einen Ausweis für Seeleute, dem alle Länder vertrauen können, einen raschen unbürokratischen Landgang zu ermöglichen und Reiserleichterungen zu gewähren.
Angesichts der Bedeutung der Seeschifffahrt, über die 90 % des Welthandels abgewickelt werden, besteht bei den Reedereien und den Seeleuten weltweit großes Interesse an der Einführung eines solchen Ausweises für Seeleute.
Das Übereinkommen wurde bisher von Frankreich, Jordanien und Nigeria ratifiziert. Datum des Inkrafttretens ist der 9. Februar 2005.
Wesentlicher Inhalt des
Übereinkommens:
Artikel 1: Geltungsbereich:
Der Begriff Seeleute im Sinne dieses
Übereinkommens umfasst alle Personen, die an Bord eines in der Seeschifffahrt
eingesetzten Schiffes (mit Ausnahme von Kriegsschiffen) beschäftigt sind. Das
Übereinkommen kann auch auf die gewerbliche Seefischerei angewendet werden.
Artikel 2: Ausstellung von Ausweisen
für Seeleute
Jeder Mitgliedstaat, der dieses
Übereinkommen ratifiziert hat, hat jedem Staatsangehörigen, der Seemann ist,
auf dessen Antrag einen Ausweis für Seeleute auszustellen. Auch Seemännern
mit Daueraufenthaltsberechtigung
darf dieser Ausweis ausgestellt werden.
Artikel 3: Inhalt und Form
Dieser ist kein Reisepass
sondern ein eigenständiges Dokument und ist entsprechend den in Anhang I
dieses Übereinkommens detailliert geregelten Kriterien zu gestalten, um den
Anforderungen eines international einheitlichen und für Einwanderungsbehörden
leicht erkennbaren eigenständigen Ausweises Rechnung zu tragen. Der Ausweis für
Seeleute hat neben den üblichen persönlichkeitsbezogenen Angaben über die
folgende biometrische Darstellung des Inhabers (identifizierbares
körperliches Merkmal, das elektronisch festgehalten wird) zu verfügen:
Fingerabdruck in Form eines zweidimensionalen Strichkodes. Das Lichtbild kann
auch digital im Ausweis gespeichert sein.
Alle den Seemann betreffende Angaben
müssen sichtbar sein. Zusätzlich müssen die Seeleute einfachen Zugang zu Maschinen
haben, mit denen sie die nicht augenlesbaren Angaben, die sie betreffen,
kontrollieren können.
Anhang I sieht vor, dass die Norm zu
Erstellung der "Biometrie-Datenschablone auf der Grundlage eines
Fingerabdrucks, gedruckt als Ziffern in einem Strichkode" erst entwickelt
werden muss. Der Verwaltungsrat beschloss im März 2004 eine detaillierte Norm
zur Anwendung der "minutiae based method", eine Methode, die charakteristische Punkte des Fingerabdrucks
speichert (Weiteres dazu siehe unten).
Artikel 4: Innerstaatliche
elektronische Datenbank
Alle ausgestellten, vorübergehend
außer Kraft gesetzten oder entzogenen Ausweise für Seeleute sind in einer
innerstaatlichen elektronischen Datenbank zu speichern, wobei der Datenschutz
und das Recht auf Privatsphäre des Seemanns gewährleistet sein müssen. Auch
hier muss für den Seemann eine Kontrollmöglichkeit der gespeicherten Daten, die
ihn betreffen, bestehen.
In Anhang II sind die Angaben, die
in der Datenbank gespeichert werden dürfen festgelegt.
Artikel 5: Qualitätskontrolle und
Evaluierungen
Anhang III regelt ausgehend von den
Grundsätzen des Artikel 5 detailliert die Mindestanforderungen und Verfahren,
einschließlich Qualitätskontrollverfahren, für die Ausstellung von Ausweisen
für Seeleute. Artikel 5 verlangt sichere Vorgänge und Verfahren bezüglich
Weiters ist eine periodische
Evaluierung in 5-Jahres-Abständen der Verwaltung des Systems für die
Ausstellung der Ausweise durch den ratifizierenden Staat vorgeschrieben. Diese
Evaluierungsberichte werden im Wege des Internationalen Arbeitsamtes allen
Mitgliedern des Übereinkommens zur Verfügung gestellt.
Der Verwaltungsrat verabschiedet
eine Liste jener Staaten, die die Mindestanforderungen der Verfahren erfüllen.
Von der Einhaltung der Mindestanforderungen ist nämlich die Anerkennung der
Ausweise, die von einem Staat ausgestellt worden sind, abhängig. (Das Verfahren
zur Führung der Liste plant der Verwaltungsrat im März 2005 zu beschließen.)
Artikel 6: Erleichterung des
Landgangs, der Durchreise und des Schiffswechsels von Seeleuten
Jedem Besitzer eines gültigen
Ausweises für Seeleute ist in kürzestmöglicher Zeit:
zu gestatten.
Die Überprüfung der Einreise darf weder für Reeder noch für Seeleute mit Kosten verbunden sein. Für Zwecke des befristeten Landgangs während der Liegezeit des Schiffes darf kein Visum verlangt werden. Bei der Durchreise zwecks An-, Um- oder Abmusterung ist zusätzlich zum Ausweis für Seeleute ein Reisedokument und gegebenenfalls ein Visum erforderlich.
Artikel 7: Ständiger Besitz und Entziehung
Der Ausweis hat im ständigen Besitz des Seemannes zu verbleiben, außer der Kapitän verwahrt ihn bei schriftlicher Zustimmung. Der ausstellende Staat hat den Ausweis unverzüglich zu entziehen, wenn festgestellt wird, dass der Seemann die Voraussetzungen nicht mehr erfüllt.
Die ICAO hat das Gesichtsbild als das wichtigste interoperable biometrische Merkmal und den Fingerabdruck und/oder die Iris-Erkennung als fakultative biometrische Identifikatoren für Bürger jener Länder, die diese Informationen für Datenbank-Nachforschungen verlangen, gewählt. In der Europäischen Union wurde in Entsprechung der ICAO Empfehlung eine Verordnung über Biometrie in Reisepässen angenommen, wo zwingend ein kontaktloser Chip im Reisepass integriert ist, in dem das Bild des Passinhabers in digitalisierter Form sowie die Fingerabdrücke gespeichert sind. (Verordnung (EG) Nr. 2252/2004 des Rates vom 13. Dezember 2004 über Normen für Sicherheitsmerkmale und biometrische Daten in von den Mitgliedstaaten ausgestellten Pässen und Reisedokumenten).
Bei den Visa und Aufenthaltstiteln für Drittstaatsangehörigen ist die Entscheidung hinsichtlich der Implementierung biometrischer Daten noch offen. Biometrische Daten werden allerdings auf jeden Fall im zukünftigen Visa-Informationssystem (VIS) aufgenommen werden.
D. Zur Frage der
Ratifikation
Dazu wurden jene Dienststellen des Bundes, die vom Thema berührt sind, sowie die maßgebenden Organisationen der Arbeitgeber/innen und Arbeitnehmer/innen um Stellungnahme ersucht, wobei sich alle Interessenvertretungen verschwiegen.
Die Bedeutung der Seeschifffahrt für Österreich ist gering: Österreich wird von Seeschiffen nicht angelaufen. Nur ein österreichisches Unternehmen, nämlich die "Österreichischer Lloyd Ship Management GmbH", führt eine Flotte von rund 40 Seeschiffen, wovon lediglich 8 unter österreichischer Flagge fahren. Der Registerhafen (Eintragung im Handelsregister) dieser Schiffe ist Wien.
Von Nutzen wäre die Ratifikation des Übereinkommens durch Österreich für jene österreichischen Seeleute, die auf Seeschiffen, egal welche Flagge diese führen, tätig sind. Sie hätten dann nämlich Anspruch auf die Ausstellung dieses Ausweises. Sonst haben sie nur die Möglichkeit einen solchen Ausweis zu erhalten, wenn sie in einem Staat eine Daueraufenthaltsberechtigung haben, der einerseits dieses Übereinkommen ratifiziert hat und andererseits sich bereit erklärt, auch Daueraufenthaltsberechtigten diesen Ausweis auszustellen.
Die genaue Zahl der in der Seeschifffahrt tätigen Seeleute mit österreichischer Staatsangehörigkeit ist allerdings nicht bekannt: Laut den Besatzungslisten für die österreichischen Handelsschiffe, die dem BMVIT regelmäßig vorgelegt werden müssen, versehen auf Handelsschiffen unter österreichischer Flagge bereits seit Jahren keine österreichischen Staatsbürger Dienst. Die Zahl österreichischer Staatsbürger, die auf fremden Schiffen verheuert sind, lässt sich anhand der vom BMVIT ausgestellten Seedienstbücher grob schätzen: Seit dem Jahre 1989 wurden 53 Seedienstbücher ausgestellt, wobei anzumerken ist, dass für österreichische Staatsbürger bei einer Verheuerung auf fremden Schiffen - im Gegensatz zur Verheuerung auf österreichischen Seeschiffen - keine Verpflichtung besteht, ein Seedienstbuch zu besitzen bzw. die Ausstellung eines solchen zu beantragen.
Für die Ratifikation des Übereinkommens besteht nach Ansicht des primär zuständigen Bundesministeriums für Inneres kein Bedürfnis, da Österreich als Binnenland kaum die Gelegenheit hat, diese Ausweise auszustellen. Die für Österreich bedeutende Donauschifffahrt gehört zur Binnenschifffahrt und auf diese findet das Übereinkommen keine Anwendung. Hier sind die Donauschifffahrtskonvention und bilaterale Verträge maßgeblich, die die gegenseitige Anerkennung von Schifferausweisen als Passersatz regeln.
Ungünstig für die Ratifikation ist zudem, dass die Biometrie im Ausweis für Seeleute von der ICAO Empfehlung und dem Weg, den die EU im Visa-Passwesen eingeschlagen hat, abweicht. Wünschenswert wäre nämlich aus Sicht des Bundesministeriums für Inneres eine biometrische einheitliche Gestaltung für alle Ausweise, die eine internationale Grenzüberschreitung ermöglichen.
Wegen Widerspruchs zu den EU-Visa-Bestimmungen kann ein EU-Mitgliedstaat dieses Übereinkommen nur ratifizieren, wenn der Rat der EU eine entsprechende Ermächtigung zur Abweichung von den EU-Vorschriften erteilt. Im Rahmen der EU wurde bereits Einigkeit zur Verabschiedung einer Entscheidung des Rates erzielt, die diese Ermächtigung vorsieht. Ein weitergehender Vorschlag der Europäischen Kommission, der alle EU-Mitgliedstaaten zur Ratifikation verpflichtet hätte (siehe Artikel 2 des Kommissionsvorschlages COM(2004) 530final vom 30.Juli 2004; 0180(CNS)), wurde verworfen. Den EU-Mitgliedstaaten steht somit die (fakultative) Ratifikation offen.
Die Bundesregierung hat in der Sitzung des Ministerrates vom 2005 beschlossen, dem Bericht über das Übereinkommen (Nr. 185) über Ausweise für Seeleute (Neufassung), 2003, zuzustimmen, die beteiligten Bundesminister einzuladen, bei künftigen Maßnahmen auf dem gegenständlichen Gebiet die Bestimmungen der vorliegenden internationalen Instrumente so weit wie möglich zu berücksichtigen, und den angeschlossenen Bericht dem Nationalrat zu übermitteln.
Die Bundesregierung schlägt daher vor, der Nationalrat möge den Bericht über das Übereinkommen (Nr. 185) über Ausweise für Seeleute (Neufassung), 2003, zur Kenntnis nehmen.