IV-2 der Beilagen zu den Stenographischen Protokollen des Nationalrates XXII. GP

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Beratungen

des Hauptausschusses
in Angelegenheiten
der Europäischen Union

 

 

 

(Auszugsweise Darstellung)

 

 

Montag, 16. Juni 2003

 

 

 

 

 

 

 

 


Beratungen
 des Hauptausschusses

in Angelegenheiten
der Europäischen Union

(Auszugsweise Darstellung)

 

 

 

 

XXII. Gesetzgebungsperiode                           Montag, 16. Juni 2003

 

 

 

 

Tagesordnung

 

Vorbereitung des EU-Gipfels Thessaloniki
 RAT 9998/03
 Europäischer Rat am 19./20. Juni 2003
 Erläuterter Tagesordnungsentwurf

 (10810/EU XXII.GP)

 

 

 

 

 


 

 

Der Hauptausschuss des Nationalrates unter Leitung von Präsident Andreas Khol diskutierte heute ausführlich die Tagesordnung des kommenden Rates von Thessaloniki am 20. und 21. Juni. Im Mittelpunkt stand dabei die Arbeit des Konvents, der für die zukünftige EU-Verfassung einen umfangreichen und in weiten Teilen akkordierten Entwurf vorgelegt hat. Von allen TeilnehmerInnen des Ausschusses wurde der Tätigkeit der Konventsmitglieder, insbesondere auch der österreichischen Mitglieder, besondere Anerkennung gezollt.

 

Der Verfassungsentwurf sieht vier Teile vor: Der erste Teil ist der Struktur der Verfassung gewidmet; der zweite Teil hat die Charta der Grundrechte zum Inhalt, womit diese in die Verfassung voll integriert werden soll; im dritten Teil finden sich die Politikbereiche des EGV und EUV wieder und der vierte Teil enthält Schlussbestimmungen. Über den dritten Teil liegt jedoch nur ein Entwurf des Präsidiums vor, der vom Plenum nicht ausreichend beraten wurde, wie Bundeskanzler Wolfgang Schüssel berichtete. Somit sei man weit davon entfernt, sämtliche Texte zur Verfügung zu haben. Die Konventsmitglieder sollen jedoch die Möglichkeit haben, im Plenum darüber ausführlich zu diskutieren, um technische Adaptierungen und Anpassungen bis Mitte Juli vornehmen zu können. Keinesfalls aber soll es zu einer Verlängerung des Mandats für den Konvent kommen, das sei mit allen Mitgliedsstaaten abgesprochen, so der Kanzler.

 

Bundeskanzler Wolfgang Schüssel, der am Beginn der Sitzung einen kurzen Überblick über die Tagesordnung des kommenden Europäischen Rates gab, zeigte sich trotz der beachtlichen Leistung der Konventsmitglieder, wie er sagte, etwas enttäuscht, dass der Konvent ausdrücklich vom Mandat abgewichen sei und ein vom Konventspräsidium beschlossenes Papier ohne Optionen vorgelegt habe. Damit erwecke man den "Scheineindruck", es herrsche auch bei den kontroversiellen Themen eine breitest mögliche Übereinstimmung.

 

Dennoch stelle dieses Abschlussdokument eine gute Ausgangsbasis für die Arbeit der Regierungschefs bei der Regierungskonferenz dar, die Ende Oktober, Anfang November beginnen und vor den Wahlen zum Europäischen Parlament beendet werden soll. Der Bundeskanzler betonte, dass ganz wesentliche Punkte außer Streit stünden,  zum Beispiel die Rechtspersönlichkeit der EU, wodurch vielleicht einmal ein Vertreter oder eine Vertreterin der EU im UNO-Sicherheitsrat oder bei anderen internationalen Organisationen ganz Europa werde repräsentieren können. Weitere positive Aspekte seien die verbindliche Verankerung der Grundrechte, die einheitliche Vertretung der Außenpolitik, das Klagerecht beider Parlamentskammern in Fragen der Subsidiarität, die Stärkung der regionalen Komponente, die Erleichterung von Individualklagen vor dem EuGH.

 

Schüssel sprach sich vehement dagegen aus, die Vorlage des Konvents vollinhaltlich zu übernehmen, auch wenn 95% der Vorschläge hervorragend seien. 5% halte er aber für absolut verbesserungswürdig, manches stelle sogar eine Verschlechterung dar, weshalb eine Regierungskonferenz notwendig sei. In den strittigen institutionellen Fragen habe es zwar Fortschritte gegenüber dem ersten Entwurf gegeben, so sei, wie Schüssel sagte, das "Doppelmonster mit gewähltem Ratspräsidenten mit eigener Bürokratie" weg. Dennoch halte er es für unlogisch, die rotierende Präsidentschaft auf der Ebene der Fachministerräte zu belassen und dort, wo man koordinieren solle, nämlich im Europäischen Rat, finde diese Koordination nicht statt. Ihm sei auch nicht klar, wie ein "Chairman" oder "Grüß-Onkel" die EU und den Rat stärken solle. Viel problematischer sieht Schüssel aber die Teilung der Kommission in stimmberechtigte und nichtstimmberechtigte Mitglieder. Dahinter könne nicht die Frage der Entscheidungsfähigkeit stehen, argwöhnte er, zumal es in der Kommission kein Einstimmigkeitsprinzip gebe. Schüssel beharrte darauf, dass jedes Land mit Sitz und Stimme in der Kommission vertreten sein müsse. Wenn man die Fragen der Institutionen abrunden könne, so sei es auch möglich, dass ein starkes Dreieck mit starkem Parlament, mit einer starken Kommission und mit Rat funktioniere. Der Rat müsse vor allem bereit sein, den Ballast von Gewohnheitsrechten abzuwerfen und sich auf das Wesentliche  konzentrieren.

 

Bei der Regierungskonferenz sollen auch die Beitrittsländer mit Sitz und Stimme teilnehmen, Rumänien und Bulgarien würden als Beobachter eingeladen, die Frage der Türkei sei noch offen, berichtete der Kanzler. Abschließend meinte er, dass der Verfassungsvertrag nur in Kraft treten könne, wenn er einstimmig im Rat angenommen und von allen Staaten ratifiziert worden ist. 

 

Kritik an den vorliegenden Vorschlägen für die Institutionen sowie für die Außen-, Sicherheits- und Verteidigungspolitik übte auch Vizekanzler Herbert Haupt. Ihm ist es wichtig, dass das Gleichgewicht der Mitgliedsstaaten gewahrt wird und Europa nicht zum Direktorium der sechs größten Länder verkommt. Deshalb sprach sich Haupt auch für eine gleichberechtigte Rotation im Rat aus und fügte hinzu, dass das Gleichgewicht auch bei der Zusammensetzung der Kommission berücksichtigt werden müsse. Als erfreulich bezeichnete er die Wahl des Kommissionspräsidenten durch das Europäische Parlament. Haupt unterstrich aus seiner Sicht auch die Notwendigkeit der Stärkung des institutionellen Gleichgewichts zwischen Europäischem Parlament, Kommission und Rat.

 

Seiner Meinung nach könne auf die intergouvernementale Zusammenarbeit nicht verzichtet werden, weshalb in Kernbereichen der nationalen Souveränität das Einstimmigkeitsprinzip erhalten werden müsse. Die Zusammenführung der EU-Außenpolitik mit der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik betrachtet er als zielführend und sprach sich für eine qualifizierte Mehrheit in der GASP mit Ausnahme militärischer Einsätze aus. Auch im Justizbereich soll es seiner Meinung nach das Einstimmigkeitsprinzip für verbindliche Rechtsakte geben. Grundsätzliche Bedenken äußerte er gegen eine Europäische Staatsanwaltschaft und kann sich allenfalls eine Weiterentwicklung von EUROJUST im Hinblick auf schwere internationale Kriminalität vorstellen. Er beharrte auf Beibehaltung jener Passagen, wonach ein freiwilliger Austritt aus der Union nach innerstaatlichem Beschluss möglich und vertragswidrige, willkürliche Sanktionen gegen Mitgliedsstaaten nicht mehr möglich sind.

 

Haupt verlieh seiner Zufriedenheit über die Mechanismen der geplanten Subsidiaritätskontrolle Ausdruck und unterstrich, dass für die Prüfung der Klagen der EuGH zuständig sein müsse und der Ausschuss der Regionen die Möglichkeit des Klagerechts erhalten solle, und zwar bei Rechtsakten, zu denen er konsultiert worden ist.

 

Als Sozialminister ist ihm, Haupt, besonders die verstärkte soziale Dimension ein Anliegen. Die EU sei in erster Linie eine Wirtschaftsgemeinschaft, sagte Haupt, wodurch immer stärker die Interessen der BürgerInnen berührt würden. Ein Kompetenztransfer sei aufgrund der stark unterschiedlichen sozialen Systeme nicht zweckmäßig, aber der Vertragsentwurf bringe nicht nur durch die Aufnahme der Grundrechtscharta in die Verfassung eine Verbesserung, sondern in Teil drei sei explizit die Bekämpfung von sozialer Ausgrenzung und Diskriminierung die Rede, weiters werde die Förderung der Gleichstellung von Frauen und Männern sowie die Förderung der Solidarität zwischen den Generationen festgeschrieben und darüber hinaus habe der Schutz der Rechte von Kindern Eingang in den Verfassungsvertrag gefunden.

 

Abgeordneter Caspar Einem (S) stellte gegenüber Bundeskanzler Schüssel fest, dass sich eine breite Mehrheit im Konvent gegen Optionen ausgesprochen habe. Er verteidigte die Vorgangsweise, keine Optionen vorgelegt zu haben, da sonst die gleiche Diskussion über bestimmte Probleme abermals hätte geführt werden müssen. Er plädierte dafür, das Konventsergebnis nicht aufzumachen. Hinsichtlich der Revisionsklausel meinte er, dass für alle großen Verfassungsrevisionen jedenfalls das klassische Vertragsanpassungsverfahren beibehalten werden müsse, für kleinere Adaptionen hält er aber ein einfacheres Verfahren für überlegenswert.

 

Ein besonderes Anliegen ist ihm die Problematik des EURATOM-Vertrags, wobei für ihn das Konventsergebnis unbefriedigend ist, zumal alles beim Alten bleibt. Man brauche endlich die Beendigung der Periode mit der einseitigen Förderung von Atomstrom, sagte Einem und gab seiner Hoffnung Ausdruck, dass hier noch etwas auf Regierungsebene möglich sei. Vielleicht könne man anlässlich einer Vertragskonferenz zum 50-jährigen Bestehen des Vertrages im Jahr 2007 ein Auslaufen erreichen.

 

Seine Klubkollegin Barbara Prammer (S) drängte im Hinblick auf die Aussagen des Bundeskanzlers darauf, mit dem Ergebnis des Konvents sorgfältig umzugehen und unterstrich, dass im Vertrag nun auch die Frauenförderung festgeschrieben sei, wodurch auch spezielle Maßnahmen zur Frauenförderung explizit erlaubt seien. Abgeordnete Christine Lapp (S) thematisierte die Lage der behinderten Menschen und vermisste eine deutliche Verankerung der Anti-Diskriminierung in Artikel 26 des zweiten Teils. Behinderte hätten nicht nur das Recht am gesellschaftlichen Leben teilzunehmen, sondern sie müssten das auch gleichberechtigt tun können, so Lapp.

 

Abgeordneter Erwin Niederwieser (S) konnte nicht nachvollziehen, warum Bundeskanzler Schüssel die Frage der stimmberechtigten und nicht stimmberechtigten Mitglieder der Kommission so "hoch spiele", meinte er und wies in diesem Zusammenhang auf die vorgesehene Rotation der Kommissare hin. In Richtung Vizekanzler Haupt hielt Niederwieser fest, man solle den europäischen Gedanken sehen und, um Entscheidungsprozesse nicht zu verkomplizieren, Wünsche der Länder und Gemeinden zurückstellen.

 

Abgeordnete Evelin Lichtenberger (G) sieht in dem vorliegenden Papier einen gelungenen tragfähigen Kompromiss, auch wenn der Vorschlag hinsichtlich der stimmberechtigten und nichtstimmberechtigten Kommissare nicht befriedigend sei. Vielleicht finde sich nach der ersten Arbeitsphase der Kommission im Jahr 2009 eine Lösung. In der Frage des EURATOM-Vertrages schloss sie sich ihrem Vorredner an und bedauerte, dass die gemeinsame österreichische Initiative bei den anderen auf Granit beiße. Dennoch ersuchte sie den Bundeskanzler, bei jeder sich bietenden Gelegenheit Ziele und Praxis des EURATOM-Vertrages zur Diskussion zu stellen.

 

Zum Teil drei des Vertrages merkte Lichtenberger an, dass die darin enthaltenen Politikbereiche den Zielbestimmungen und Werten, über die es ein Grundverständnis gebe, angeglichen werden müssten. Sie unterstütze daher die Forderung nach einer Verlängerung des Mandats und warnte davor, das Ergebnis des Konvents wieder aufzuschnüren und die einzelnen Punkte gänzlich neu zu diskutieren. Sie sieht die große Gefahr, dass andere Mitgliedstaaten, die im letzten Augenblick "an Bord geholt werden konnten", wieder "von diesem Bord springen" und unter Umständen Dinge aufmachen wollten, die für Österreich sehr wichtig seien.

 

Kritisch äußerte sie sich zur Außen- und Sicherheitspolitik, wo noch immer eine Haltung dominiere, die in der EU in erster Linie einen Erfüllungsgehilfen für Aufgaben betrachte, die die USA nicht übernehmen wollen. Sie könne auch nicht die Ablehnung einer Europäischen Staatsanwaltschaft durch den Vizekanzler nachvollziehen, da dieser insbesondere im Zusammenhang mit Vergehen gegen die finanziellen Interessen der Union sinnvoll wäre.

 

Abgeordnete Ulrike Lunacek (G) teilte ihre Meinung bezüglich der GASP und urgierte eine Schwerpunktsetzung im Bereich der Außenpolitik gegenüber der Sicherheits- und Verteidigungspolitik. Insbesondere fehlt ihr der Hinweis auf neutrale und bündnisfreie Staaten, die in der EU-Verfassung einen Stellenwert haben sollten. Sie merkte weiters an, dass man sich auch mehr gewünscht habe, hob aber aus ihrer Sicht hervor, dass im Grundrechtsteil der Charta auch das Verbot der sexuellen Diskriminierung enthalten sei, was Einfluss auf die nationale Gesetzgebung haben werde.

 

Abgeordneter Michael Spindelegger (V) schloss sich der Meinung des Bundeskanzlers an, wonach die Vorlage von Optionen und die Abstimmung darüber mehr gebracht hätten. Auch er unterstrich die Errungenschaften und Fortschritte des vorliegenden Konventspapiers und stellte fest, dass die Regierungskonferenz die Aufgabe habe, inhaltlich nachzuschärfen und zu diskutieren, ohne jedoch das Grundkonstrukt infrage zu stellen. Auch er hält den Vorschlag in Bezug auf die Kommissare für nicht akzeptabel und bezeichnete die Frage des Präsidenten des Europäischen Rates sowie EURATOM für unbefriedigend.

 

Abgeordneter Werner Fasslabend (V) ergänzte, dass durch die respektable Arbeit des Konvents Europa erstmals das Gefüge einer Einheit erhalte. Wie sein Vorredner beurteilte er aber den Vorschlag zur Neugestaltung der Kommission negativ, da man keine Europäer zweiter Klasse wolle. In einem Ratspräsidenten mit der Funktion eines Chairmans sieht er ebenfalls keinen Sinn. Fasslabend plädierte dafür, den Dualismus in Europa abzubauen und zu einer Struktur zu kommen, die die Effizienz in der EU gewährleistet.

 

Auch Abgeordnete Karin Hackl (V) stellte fest, dass "hie und dort" noch an der Kohärenz des Vertrags gearbeitet werden müsse. "Wir brauchen keine Kommissare, die weder Rechte noch Aufgaben haben", wandte sich die Abgeordnete etwa gegen das Modell stimm- und nicht stimmberechtigter Kommissare.

 

Für Abgeordnete Mares Rossmann (F) bleibt der EURATOM-Vertrag ebenfalls ein wunder Punkt. Wie Vizekanzler Haupt unterstrich sie die Forderung nach der Gleichberechtigung aller Mitgliedsstaaten und bezeichnete die Aufweichung des Einstimmigkeitsprinzips als Wermutstropfen. Positiv sei jedoch, dass Raumordnung, Wasser, Bodennutzung, Steuern sowie Außen- und Sicherheitspolitik weiterhin unter das Einstimmigkeitsprinzip fallen. Vehement sprach sie sich gegen die Zweiteilung der Kommissare in stimmberechtigte und nichtstimmberechtigte aus. Ihr Klubkollege Maximilian Hofmann schloss sich dem vollinhaltlich an und stellte die Frage, wie man ein nichtstimmberechtigter Kommissar werde. Jedenfalls würde das Ungleichgewicht auch zu einer Behinderung bei der Arbeit führen, meinte er.

 

In seiner Antwort unterstrich Bundeskanzler Schüssel nochmals die gute Arbeit der österreichischen Konventsmitglieder und vertrat die Auffassung, dass auch in Zukunft jeder Kommissar feste Kompetenzen haben müsste. Es gebe durchaus Aufgaben, die nicht zu den klassischen Kompetenzen gehörten und auch temporär sein könnten. Schüssel dachte dabei konkret an Verknüpfung mit Regionen und nationalen Parlamenten. Für ihn stellten sich die gleichen Fragen wie für Abgeordneten Hofmann. Er schloss sich Abgeordneter Lichtenberger an, eventuell die Erfahrungen der neuen Kommission im Jahr 2009 zu analysieren und dann zu entscheiden. Dafür könne er sich ein flexibles Verfahren bei der Vertragsrevision vorstellen, grundsätzlich sei er aber dagegen, die Revisionsklausel zu ändern. Wichtige Vertragsänderungen müssten auch in Zukunft einstimmig und von allen Ländern ratifiziert werden. Was EURATOM betreffe, werde auch er sich weiter positionieren, sagte Schüssel.

 

Zur Kritik der Abgeordneten Lunacek in Bezug auf bündnisfreie und neutrale Staaten merkte Schüssel an, dass Österreich innerhalb der EU nicht neutral sei. Die Frage des Schutzes des Luftraumes sei eine Frage der Souveränität, die umso mehr für Neutrale, die in keinem Bündnis seien, Bedeutung hätte.

 

Neben der Arbeit des Konvents zu einer EU-Verfassung wurden auch andere Themen des Rats diskutiert. Zentrale Fragen bildeten dabei Migration, Asylpolitik und Grenzschutz.

 

Bundeskanzler Wolfgang Schüssel betonte, dass diese Themen im besonderen österreichischen Interesse liege und dabei Fortschritte erzielt werden konnten. Die Kommission habe für die Jahre 2004 bis 2006 ca. 80 Mill. € für Maßnahmen der Grenzüberwachung zur Verfügung gestellt, wobei durchaus eine Aufstockung möglich wäre. Zentralistische Ansätze seien nun vom Tisch, sagte der Kanzler, und man denke an einen dezentralen Einsatz, um nationale Kompetenzen zu nützen. Schüssel unterstützte in diesem Zusammenhang den Vorschlag des britischen Premierministers Blair, Flüchtlingslager in den betreffenden Regionen einzurichten und wies gleichzeitig vehement den gemachten Vorwurf von "Konzentrationslagern" zurück. Man werde hier Pilotversuche starten, sagte Schüssel, und beim Schutz der Außengrenzen Drittländer mit einbeziehen. Jedenfalls müsse die Definition von sicheren Drittstaaten europäisch erfolgen.

 

Dieser Beurteilung widersprach Abgeordneter Caspar Einem (S) und meinte, vielmehr müsse man sicherstellen, dass jene Staaten, die an den Außengrenzen die Hauptlast zu tragen hätten, von den anderen Staaten optimal unterstützt werden. Er erachte es daher für sinnvoll, gemischte Grenzschutzeinheiten aufzustellen, wodurch man das gegenseitige Vertrauen erhöhen könne. Andernfalls befürchtet er die Tendenz, jeden illegalen Flüchtling dem anderen Land zuzuschieben.

 

In die gleiche Kerbe wie ihr Vorredner schlug auch Abgeordnete Ulrike Lunacek (G). Sie kritisierte vor allem, dass die Rahmenabkommen mit den Drittländern mit Wirtschaftshilfe verknüpft seien, was hinsichtlich des Prinzips des Asylrechts kontraproduktiv sei. Entwicklungszusammenarbeit und Wirtschaftshilfe sollten die wirtschaftliche Situation in den betreffenden Ländern verbessern, das dürfe man aber nicht auf dem Rücken der Asylsuchenden austragen. In diesem Zusammenhang verlieh Lunacek auch ihrer Ablehnung gegenüber den Gesetzentwurf zur Änderung des österreichischen Asylrechts Ausdruck.

 

Im Gegensatz dazu hielt der Bundeskanzler die Pläne auf europäischer und innerstaatlicher Ebene für völlig in Ordnung. Es müsse ein Verfahren geben, so Schüssel, dass ein Land seine BürgerInnen wieder zurücknimmt, und das sei nicht gegen die Flüchtlinge gerichtet. Ein Rückübernahme-Abkommen sei daher absolut sinnvoll. Vehement verteidigte er auch die geplante Novelle zum Asylgesetz. Österreich sei vollinhaltlich den menschenrechtlichen Verpflichtungen nachgekommen und halte jedem Vergleich stand. Man müsse auch bedenken, dass außer Deutschland, Frankreich und Großbritannien kein Land mehr Asylanträge zu bearbeiten habe als Österreich.

 

Beim Europäischen Rat in Thessaloniki werden auch erstmals die Länder auf dem Westbalkan voll miteingebunden sein, berichtete Bundeskanzler Schüssel. Damit räume man ihnen die Möglichkeit von Beitrittsperspektiven ein, indem man Europa-Partnerschaften knüpfe, gemeinsame Programme, etwa im Bereich Bildung, vereinbare und die Handelsliberalisierung vorantreibe. Im Rahmen des "Wider Europe" werde man den Ländern Ukraine, Moldawien, Belarus, Russland und den Ländern des südlichen Mittelmeeres wirtschaftliche Hilfe anbieten, die an die Erfüllung von EU-Standards geknüpft seien.

 

Man habe auch vor, die Außenbeziehungen, vor allem die Sicherheits- und Verteidigungspolitik, im Bereich der "Green Diplomacy" zu intensivieren. Das bedeute eine Vernetzung von vielen Politikbereichen, was Österreich sehr freue, da es unserem globalen Ansatz von Außenpolitik entspreche, sagte Schüssel. So werden beispielsweise auch der Klimawandel, der Ressourcenschutz, die nachhaltige Produktion genauso in den Blickpunkt der diplomatischen Lösungen rücken wie Konfliktverhinderung und Menschenrechte.

 

Der Bundeskanzler informierte die Abgeordneten auch darüber, dass man eine Position zu den Massenvernichtungswaffen festlegen und einen Aktionsplan dazu verabschieden werde. Österreich begrüße die Resolution 1483 zum Irak und werde gemeinsam mit anderen EU-Ländern vor allem im humanitären Bereich tätig werden. Er hob in diesem Zusammenhang die Initiative der Außenministerin hervor, 15 schwer verwundete Kinder nach Österreich zu holen und berichtete, dass man überlege, ein Spital in Basra zu revitalisieren. Diese Initiative wurde von Abgeordneter Lunacek (G) begrüßt, indem sie unterstrich, dass Initiativen vor Ort aus ihrer Sicht sinnvoll seien. Dazu sowie auf die Kritik der Abgeordneten Barbara Prammer (S), dass unter den 15 Kindern nur Buben gewesen seien, reagierte Schüssel, dass man das Spital in Basra und die nach Wien geholten Kinder nicht gegeneinander ausspielen dürfe.

 

Abschließend wies der Bundeskanzler auf die politischen Manifestationen im Iran hin und berichtete, dass seitens der IAEO ein äußerst kritischer Bericht zum iranischen Nuklearprogramm vorliege. Abgeordnete Lunacek (G) bemerkte dazu, dass sich nun zeige, wie groß der Widerstand junger Menschen gegen die Idee einer islamischen Republik sei. Dennoch hält sie die Aussagen und Drohungen seitens der USA für nicht hilfreich, Veränderungen herbeizuführen. Der Bundeskanzler hielt aber die Sorgen hinsichtlich eines US-Angriffs auf den Iran für unbegründet und meinte, dass ein gewisser Druck im Hinblick auf eine bessere Kooperation mit der IAEO hilfreich sei.