IV-10 der Beilagen zu den
Stenographischen Protokollen des Nationalrates XXII. GP
Beratungen
des Hauptausschusses
in Angelegenheiten
der Europäischen Union
(Auszugsweise Darstellung)
Dienstag,
15. Juni 2004
Beratungen
des Hauptausschusses
in Angelegenheiten
der Europäischen Union
(Auszugsweise Darstellung)
XXII.
Gesetzgebungsperiode Dienstag,
15. Juni 2004
Tagesordnung
RAT 9974/04
Europäischer Rat
am 17./18. Juni 2004 - Erläuterter Tagesordnungsentwurf
(30977/EU
XXII.GP)
Parallel zum Europäischen Rat am 17. und
18. Juni 2004 wird wieder ein so genanntes "Feuerwehrkomitee"
gemäß § 31e des Geschäftsordnungsgesetzes des Nationalrats eingesetzt, um
die Verhandlungen auch seitens des österreichischen Parlaments zu begleiten.
Dies wurde im Hauptausschuss des Nationalrats in Angelegenheiten der
Europäischen Union unter Vorsitzführung von Präsident Andreas Khol beschlossen.
Vorsitzender des Komitees ist Abgeordneter Werner Fasslabend (V), überdies
machten die vier Fraktionen die Abgeordneten Michael Spindelegger (V), Caspar
Einem (S), Reinhard Eugen Bösch (F) und Evelin Lichtenberger (G) namhaft.
Schwerpunktmäßig wird es beim Europäischen
Rat um die neue europäische Verfassung sowie um die Weichenstellungen der
künftigen Zusammensetzung der Kommission gehen. Auf der Tagesordnung werden
auch wieder aktuelle Fragen der Außenpolitik stehen.
Von Abgeordnetem Josef Cap (S) auf
das Personalpaket angesprochen, meinte Bundeskanzler Wolfgang Schüssel,
dass er zum derzeitigen Zeitpunkt nicht mehr wisse, als in den Zeitungen stehe.
Es liege nun bei der Irischen Präsidentschaft, nach Konsultationen einen
Vorschlag zu präsentieren. Fest stehe nur, dass Kommissar Fischler für eine
dritte Amtszeit nicht zur Verfügung stehen werde. Cap hatte auch vorgeschlagen,
der neue österreichische Kommissar sollte sich einem Hearing im Hauptausschuss
stellen.
Herbe Kritik äußerte die Opposition an der
Vorgangsweise der Regierungen, den Konventsentwurf in wesentlichen Bereichen
abzuändern, ohne darüber einen Dialog mit Konventsmitgliedern zu führen. Auch
sei die Zeit für nationale Parlamente zu knapp, die Änderungen substantiell zu
diskutieren. In vielen Bereichen habe es Verschlechterungen gegeben, so SPÖ und
Grüne.
Die Regierungsfraktionen zeigten sich dem
gegenüber zufrieden mit dem vorliegenden Paket und wiesen auf Verbesserungen
hin, die es beispielsweise im Hinblick auf die Daseinsvorsorge als kommunale
Kompetenz, auf den Minderheitenschutz und auf die Verankerung der gemeinsamen
Erklärung zwischen Deutschland und Österreich zur Aufnahme einer
EURATOM-Vertragskonferenz gibt.
Die Opposition brachte zwei
Anträge auf Stellungnahme ein, die jedoch von der ÖVP-FPÖ-Mehrheit im
Ausschuss abgelehnt wurden.
In einem gemeinsamen Antrag der
SozialdemokratInnen und der Grünen werden der Bundeskanzler und die
Außenministerin ersucht, bei der Tagung des Europäischen Rats am 17. und 18.
Juni mit allem Nachdruck die Frage der EURATOM-Revisionskonferenz zu
thematisieren und die Festlegung eines Termins für diese Konferenz zu
betreiben. Die beiden Regierungsmitglieder werden weiters ersucht, sich für die
Streichung der in Artikel III-157 vorgesehenen Formulierung, der zufolge ein
Mitgliedstaat das Recht hat, die Bedingungen für die Nutzung seiner
Energieressourcen zu bestimmen, einzusetzen. Die UnterzeichnerInnen des Antrags
befürchten nämlich, dass damit die Festlegung gemeinsamer europäischer
Sicherheitsstandards im Bereich der Nuklearenergie verhindert würde. Zudem
würden Wettbewerbsverzerrungen im europäischen Strommarkt auf Dauer aufrecht
erhalten bleiben.
Der Antrag der Grünen bezieht sich auf die
Regierungskonferenz zu einer europäischen Verfassung und hält unter anderem
folgende Forderungen fest: Dem Grundsatz der Gewaltenteilung solle Rechnung
getragen und die Öffentlichkeit der Gesetzgebung im Rat gesichert werden. Die
Grünen stellen sich gegen weitere Einschränkungen jener Politikbereiche, über
die mit qualifizierter Mehrheit entschieden werden soll, und treten für das
Zustimmungsrecht des Europäischen Parlaments hinsichtlich einer Revisionsklausel
ein. Die Grünen unterstützen auch die doppelte Mehrheit als Grundlage für die
Entscheidungsfindung und wollen die vollständige Unabhängigkeit der Kommission
sicherstellen. Im Hinblick auf die GASP wollen sie die NATO als letzte Instanz
für die Verwirklichung der gegenseitigen Verteidigung verhindern. Die bereits
vereinbarten Lösungen in den Bereichen der justiziellen Zusammenarbeit und der
Sozialversicherung dürften nach Ansicht der Grünen nicht auf die lange Bank
geschoben werden. Schließlich fordern sie, die Vollbeschäftigung auch in Teil
III der Verfassung zu verankern und die Maßnahmen gegen das Steuerdumping
aufrecht zu erhalten und nicht zu streichen.
Wie Bundeskanzler Wolfgang Schüssel
berichtete, haben die Außenminister bei ihrer Tagung am 14. Juni eine
"Closed List" über 49 Änderungsvorschläge zum Konventsvorschlag
beschlossen, über die Konsens bestehe und die durchaus die Handschrift
Österreichs trügen. Darin sei auch eine gemeinsame Erklärung von Deutschland
und Österreich zur Aufnahme einer EURATOM-Revisionskonferenz enthalten.
Schüssel nannte in diesem Zusammenhang
insbesondere die Aufnahme des Minderheitenschutzes, des Grundsatzes der
Gleichheit von Frauen und Männern und die Nichtdiskriminierung als Werte der
Union. In den Zielartikel sei auch die Preisstabilität sowie die Gleichheit der
Mitgliedstaaten aufgenommen worden. Darüber hinaus werde eine
Teampräsidentschaft mit drei Mitgliedstaaten für die Dauer von 18 Monaten
eingeführt, wobei ein Staat in halbjährlicher Rotation alle Fachräte leiten
werde. Auch der Grundsatz der partizipativen Demokratie werde in der künftigen
Verfassung festgehalten.
Der Bundeskanzler zeigte sich zufrieden
darüber, dass hinsichtlich der Daseinsvorsorge der österreichische Vorschlag
angenommen wurde. Es werde eine horizontale Sozialklausel und einen sozialen
Dialog geben, sagte Schüssel. Auf Wunsch Österreichs sei auch der
Tierschutzartikel verbessert worden. Wert legte der Bundeskanzler auf die
Feststellung, dass im Rahmen der Solidaritätsklausel verankert sei, dass jeder
Mitgliedstaat selbst wählen könne, welche Mittel er einsetze. Im Rahmen des
Haushaltsverfahrens werde der Kommission eine stärkere Rolle im
Vermittlungsverfahren zugestanden, das Letztentscheidungsrecht des Europäischen
Parlaments bleibe jedoch gewahrt.
Beim Übergang von Einstimmigkeit auf
qualifizierte Mehrheit in den Politikbereichen des Teils III werde, so
Schüssel, ein Vetorecht für nationale Parlamente eingefügt. Die diesbezüglichen
umstrittenen Bereiche wie Steuern, soziale Sicherheit, justizielle
Zusammenarbeit und Finanzvorschau sowie Eigenmittel seien noch offen. Bei der
gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik werde man zum Konventstext
zurückkehren.
Die vorgesehenen Bestimmungen zur
gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik im Verfassungsentwurf
bezeichnete der Bundeskanzler als einen wichtigen Schritt, um die
außenpolitische Handlungsfähigkeit der Union zu stärken und ihr eine größere
Operationalität zu verleihen. Österreich unterstütze die Möglichkeit einer
gemeinsamen Verteidigung und die wechselseitige Beistandsgarantie aller
EU-Mitgliedstaaten, zumal eine Formulierung gefunden werden konnte, die
einerseits dem Solidaritätsprinzip in der EU Rechnung trage und andererseits
auch auf den besonderen Charakter der Bündnisfreien und Neutralen Rücksicht
nehme. Es bleibe den betreffenden Staaten im Einzelfall vorbehalten, über
allfällige Beistandsleistungen dem Grunde nach beziehungsweise über Art und
Umfang selbst zu entscheiden. Österreich begrüße auch die Möglichkeit einer
Gruppe von Mitgliedstaaten im Rahmen der Union, eine permanente, strukturierte
Zusammenarbeit einzugehen, wobei man sich stets für maximale Inklusivität,
Offenheit und Transparenz ausgesprochen habe.
In Bezug auf die Grundrechts-Charta werde
derzeit von der irischen Präsidentschaft ein Kompromissvorschlag ausgearbeitet,
Österreich wolle aber keinesfalls eine Aufweichung der Grundrechts-Charta,
bekräftigte Schüssel. Er sei auch dagegen, die Kompetenzen der Kommission beim
Stabilitäts- und Wachstumspakt zu schwächen.
Zum Institutionenpaket lägen noch keine
Vorschläge vor, so der Kanzler, und er wies auf den Vorschlag Solanas hin, eine
"European Intelligence Agency" zu schaffen.
Der Bericht des Bundeskanzlers wurde von Bundesministerin
Benita Ferrero-Waldner um die außenpolitischen Aspekte ergänzt. Mit
Bulgarien und Rumänien gebe es Verhandlungsfortschritte, und ein Abschluss der
Beitrittsverhandlungen im Jahr 2004 sei durchaus realistisch. Man habe sogar
die Zustimmung Bulgariens in einem verpflichtenden Protokoll erreichen können,
die Blöcke 3 und 4 des AKW Kozloduje zu schließen.
In der Frage eines möglichen Beitritts der
Türkei habe sie im Außenministerrat auf den Reformbedarf des Landes hingewiesen
und sich für eine Studie über die finanziellen und strukturellen Auswirkungen
des Beitritts ausgesprochen. Die Beitrittsverhandlungen mit Kroatien sollen
aller Voraussicht nach 2005 beginnen.
Die Außenministerin begrüßte explizit die
Resolution des UNO-Sicherheitsrats zum Irak und meinte, dass die EU eine
mittelfristige Strategie für die Zusammenarbeit mit dem Irak ausarbeiten müsse.
Dabei werde vieles an der Sicherheitssituation des Landes liegen.
Die EU sei prinzipiell auch mit dem
israelischen Grundsatzbeschluss zum Rückzug aus dem Gazastreifen zufrieden,
dennoch bleibe eine Zweistaatenlösung und eine Übereinstimmung mit der Road-Map
Bedingung. Wünschenswert sei ein unabhängiges internationales Monitoring, sagte
Ferrero-Waldner.
In der anschließenden Diskussion begrüßte Abgeordneter
Michael Spindelegger (V) die vom Bundeskanzler genannten Änderungen des
Verfassungsentwurfes als Fortschritt. In Richtung Opposition meinte er, dass es
doch Sinn gemacht habe, Vorschläge einzubringen, die zu substanziellen
Verbesserungen geführt hätten.
Als positive Punkte nannte der
außenpolitische Sprecher der ÖVP die vorliegenden Bestimmungen zu den Diensten
von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse sowie zum Minderheitenschutz und
zeigte sich erfreut über die allgemeine Akzeptanz der österreichisch-deutschen
Initiative zu Revision des EURATOM-Vertrags. Die Formulierungen in der
Sicherheits- und Verteidigungspolitik entsprächen den österreichischen
Verfassungsbestimmungen, stellte Spindelegger fest. Hinsichtlich des
Stabilitäts- und Wachstumspaktes meinte er, dass Österreich bei seiner Meinung
bleiben sollte. Weiters unterstrich er, dass jedes Land in jeder Institution
auch künftighin vertreten sein sollte.
Die EP-Abgeordnete Ursula Stenzel (V)
wies auf die notwendige Balance zwischen den Institutionen - Europäisches
Parlament, Rat und Kommission - hin und zeigte sich diesbezüglich mit dem
vorliegenden Entwurf zufrieden. Als wichtig erachtet sie es, dass es akzeptiert
worden sei, die Daseinsvorsorge in der Verantwortung der Kommunen zu belassen, und
sie sprach die Erwartung aus, dass der Stabilitäts- und Wachstumspakt nicht
ausgehöhlt wird. Erfolgreich könne man nur sein, wenn man realistische
Forderungen stelle, meinte sie in Richtung Opposition.
Abgeordneter Caspar Einem (S) übte Kritik an der Vorgangsweise, wie nun die Änderungen am
Konventsentwurf vorgenommen werden. Nicht ohne Grund habe der Europäische Rat
von Laeken einen Konvent eingesetzt, bemerkte er. Nun sei das österreichische
Parlament nicht mehr in der Lage, die kurzfristig vorgelegten Dokumente
substanziell zu behandeln. Man müsse sich daher überlegen, wie man in derart
wesentlichen Fragen die nationalen Parlamente künftighin einbindet.
Inhaltlich merkte Einem an, dass man mit
etlichen Punkten, die der Bundeskanzler vorgetragen hatte, einverstanden sei.
Nicht zufrieden zeigte er sich, wie die Öffentlichkeit bei der Gesetzgebung im
Rat geregelt sein soll, und bezeichnete dies als "absurd". Einem wies
aus seiner Sicht abermals auf die Vorteile eines Legislativrats hin. Auch die
Bestimmungen zur Harmonisierung in den Artikeln 62 und 63 erachtet er als
unzureichend und stellte dezidiert fest, dass ein Eingriff in den Text der
Grundsrechts-Charta für ihn nicht in Frage komme.
Ins gleiche Horn stieß sein Klubkollege Hannes
Bauer, zumal die Regierungen die Änderungen des Konventsentwurfs ohne
Diskussion mit den Parlamenten eigenständig vornähmen. Auch er monierte eine
Steuerharmonisierung auf europäischer Ebene, um gleiche Wettbewerbsbedingungen sicherzustellen.
In Bezug auf die EURATOM-Revisionskonferenz zeigte er sich weniger
zuversichtlich, da es in Europa starke Gegenströmungen gebe und eine Strategie
nicht vorliege. Er bedauerte auch, dass sich die NATO-Staaten dem Atlantischen
Verteidigungsbündnis stärker verpflichtet fühlen als der gemeinsamen
europäischen Verteidigungspolitik.
Abgeordneter Reinhard Eugen Bösch (F) fasste die aus seiner Sicht wichtigen Punkte zusammen und nannte in
diesem Zusammenhang eine akzeptable Regelung der Präsidentschaft, die
Vertretung eines jeden Landes in jeder Institution, die Beibehaltung der
Einstimmigkeit in wichtigen Bereichen und die Beachtung des Gewichts kleinerer
Länder bei der Stimmengewichtung im Rat. Grundsätzlich hielt er die Position
der Regierung für brauchbar und äußerte seine Zufriedenheit mit den Vorschlägen
zur Sicherheits- und Verteidigungspolitik. Seiner Ansicht nach ist auch die
Subsidiaritätskontrolle in befriedigender Weise geregelt. Bösch meinte aber,
dass man die Frage einer Volksabstimmung über den Verfassungsvertrag
diskutieren müsse.
Was die Erweiterung betrifft, so sollte es
laut Bösch nun einen Erweiterungsstopp geben, was bedeute, dass man in Richtung
Türkei klare Worte finden müsse. Bösch sprach auch die
Menschenrechtsverletzungen im Irak an. Abgeordneter Anton Wattaul (F)
thematisierte nochmals EURATOM.
Massive Kritik an der Vorgangsweise der
Regierungskonferenz äußerte der EP-Abgeordnete Johannes Voggenhuber und
bezichtigte die Regierungen der "Arroganz". Das vorläufige Scheitern
der Regierungskonferenz liege, so Voggenhuber, am Methodenwechsel, nämlich von
der Methode des Konvents weg und zur Methode der Regierungskonferenz
überzugehen. Es sei jedoch ausschließlich Aufgabe der Parlamente und nicht der
Regierungen, Verfassungen zu erarbeiten. Außerdem verhandle die
Regierungskonferenz im Gegensatz zum Konvent nicht öffentlich, was
demokratiepolitisch und in der Frage der Legitimation höchst bedenklich sei.
Die Vorschläge der Regierungen stellen
Voggenhuber zufolge ausschließlich Rückschritte gegenüber dem Konventsentwurf
dar. So degeneriere beispielsweise die Frage der doppelten Mehrheiten zur Frage
nationaler Interessen, und die EZB werde nicht zu einem Organ der Union
gemacht, sondern bleibe ein frei schwebendes Organ. Voggenhuber warnte auch
davor, an der Grundrechts-Charta zu rühren und zeigte sich mit den sozialen
Bestimmungen äußerst unzufrieden. Heftig wandte sich der grüne
Europaparlamentarier gegen die strukturierte Zusammenarbeit und hielt es für
unverständlich, dass die NATO oberste Instanz bei der Verteidigung ihrer
Mitglieder bleibe, und das ohne Widerspruch Österreichs. Österreich habe auch
keinen Einwand dagegen erhoben, die Ausstiegsoption aus dem EURATOM-Vertrag
wieder rückgängig zu machen.
Auf das Problem des Steuerdumpings ging Abgeordnete
Evelin Lichtenberger (G) näher ein, da sie die vollständige Streichung von
Grenzen als erschreckend empfindet. Dies sei nämlich eine der zentralen Fragen
für Österreich, sagte sie. Ein weiteres Steuerdumping seiner Nachbarländer
könnte auch Handlungsbedarf in Österreich hervorrufen und den sozialen Frieden
gefährden. Lichtenberger sprach in weiterer Folge die qualifizierte Mehrheit im
Rat, die Öffentlichkeit der Ratsentscheidungen, den Europäischen Staatsanwalt,
die strukturierte Zusammenarbeit und die Energieklauseln an.
Befürchtungen hinsichtlich der
Vereinheitlichung des Grenzschutzes äußerte Abgeordnete Ulrike Lunacek (G),
die auf die Absicht hinwies, eine "European Borders Agency" zu
errichten. Dadurch könnte die Schutzgarantie für Flüchtlinge abgebaut werden,
bemerkte sie.
Lunacek fragte schließlich nach der Absicht
Bulgariens, ein neues AKW zu bauen. Sie regte auch Überlegungen an, einen
eigenen Kommissar zur Heranführungsstrategie für Südosteuropa zu installieren.
Kroatien in die Europäische Union aufzunehmen, genüge allein nicht, hier gehe
es um den gesamten südosteuropäischen Raum.
Die Grün-Abgeordnete thematisierte auch die
Probleme und Menschenrechtsverletzungen im Sudan und ersuchte die
Außenministerin anzuregen, in den Schlussfolgerungen die Forderung zu
verankern, Hilfsorganisationen den Zugang zu gewähren und die Milizen zu
entwaffnen.
Bundeskanzler Wolfgang Schüssel zeigte für die Kritik an der Vorgangsweise in der
Regierungskonferenz kein Verständnis, zumal alle Informationen und Texte den
ParlamentarierInnen zugegangen seien. Der Konventsentwurf sei eine gute
Grundlage gewesen, hätte jedoch verbessert werden müssen. Der Bundeskanzler
nannte als Beispiele für notwendige und gelungene Fortschritte die Bestimmungen
zur Daseinsvorsorge, zum Minderheitenschutz oder zur Gleichheit zwischen Mann
und Frau. Er sprach sich gegen ein Ausspielen zwischen Parlamenten und
Regierungen aus und meinte, dass es schwerwiegende Folgen hätte, würde man
wegen einzelner Punkte den Vertrag platzen lassen. Man agiere in einer
Gemeinschaft, und es gehe nicht an zu glauben, nur der eigene Weg sei der
richtige und den müsse man den anderen aufzwingen. So werde Europa nicht
funktionieren, sagte der Bundeskanzler und bemerkte, dass es auch dem Konvent
nicht gelungen sei, den EURATOM-Vertrag zu ändern. Man habe nun aber erreicht,
dass drei Kernkraftwerke zugesperrt und weitere fünf verbessert werden, und
erstmals gebe es auch Ansätze, Sicherheitsstandards festzulegen.
Ausstiegsmöglichkeiten aus den EURATOM-Vertrag hielt er für nicht zielführend,
da dann nur jene Mitglieder übrig blieben, die sich für die Forcierung der
Kernenergie einsetzen und eine Änderung der Strategie dann überhaupt nicht mehr
möglich wäre.
Im Gegensatz zur Opposition meinte
Schüssel, dass die Öffentlichkeit des Gesetzgebungsverfahrens im Vertrag
verankert sei. Er stimmte auch hinsichtlich der Bewertung der NATO nicht mit
der vorgebrachten Kritik überein, zumal die Konventsartikel weitgehend
übernommen worden seien. Wenn man fordere, dass die bündnisfreien und neutralen
Staaten ihre Mitwirkung an der Solidarität gemäß ihrer Verfassungen selbst
bestimmen können, so müsse man auch die Verpflichtungen der NATO-Staaten
respektieren.
Schüssel sprach sich durchaus für eine
Volksabstimmung über die neue Verfassung aus, meinte aber, dass dies nur
wünschenswert wäre, wenn diese in ganz Europa stattfindet. Der Europäische
Staatsanwalt werde nicht sofort kommen, er könne aber nach einstimmigem
Beschluss des Rats eingesetzt werden, wobei dessen Aufgaben auf die Finanzinteressen
der Union fokussiert seien. Auch eine Erweiterung seiner Kompetenzen erfordere
einen einstimmigen Beschluss.
Mit der Harmonisierung der Steuern habe
Österreich keine Probleme, genauso wenig wie Österreich Probleme mit der
Harmonisierung der Löhne hätte. Den neuen Mitgliedstaaten würde dies jedoch
schaden, und daher müsse man behutsam vorgehen und genau hinhören, wo die
"red lines" der anderen lägen.
Zur Frage des Asyls stellte Schüssel fest,
dass im Vertragsentwurf der Hinweis auf die Genfer Konvention enthalten sei.
Bundesministerin Ferrero-Waldner wiederholte ihre anfangs geäußerten Bemerkungen zur Türkei und
bedauerte, dass ihre Anregung, eine Studie über die Auswirkungen eines Beitritts
dieses Landes zu erstellen, nicht auf fruchtbaren Boden gefallen sei. Die
Menschenrechtsverletzungen gegen die Gefangenen im Irak seien von der EU
verurteilt worden, sagte die Außenministerin. Hinsichtlich der Balkanstaaten
wies sie auf den Stabilitätspakt hin, der auch dazu diene, die Staaten auf eine
europäische Perspektive vorzubereiten.
Nach der ersten Diskussionsrunde äußerten
OppositionspolitikerInnen abermals ihren Unmut zur Vorgangsweise der
Regierungskonferenz.
EP-Abgeordneter Johannes Voggenhuber (G) zeigte sich mit der Antwort von Bundeskanzler Wolfgang Schüssel
unzufrieden. Für ihn ist es absurd, dass die "exekutive Macht" ihre
eigene Zähmung und Kontrolle verhandelt, und das hinter verschlossenen Türen,
ohne Einbeziehung der europäischen Bürgerinnen und Bürger. Es sei Aufgabe der
Parlamente, Verfassungen zu entwickeln, betonte Voggenhuber abermals und
prophezeite, die EU-Verfassung sei zum Scheitern verurteilt, sollte sich die
Regierung am vorliegenden Verfassungsentwurf "vergreifen" und die
parlamentarische Mehrheit des Konvents missachten. Der Verfassungsentwurf des
Konvents sei, so der Abgeordnete, ein äußerster Kompromiss gewesen, die Regierungen stellten das Gelingen
dieser Verfassung in Frage.
Abgeordneter Caspar Einem (S) erklärte, die Probleme wären heute geringer, hätten die
Beteiligten, sowohl die RegierungsvertreterInnen als auch die
ParlamentarierInnen, den Konvent etwas ernster genommen. Nunmehr würden 90
Seiten Änderungen vorliegen, manche davon seien schlichtweg "absurd".
Einem räumte allerdings ein, dass in Bezug auf die Beistandsklausel nunmehr
eine bessere Lösung als im Konventsentwurf vorliege, und hielt fest, dem
entsprechenden Passus habe er ursprünglich nur deswegen zustimmen können, weil
er gewusst habe, "danach kommt noch etwas".
Abgeordnete Evelin Lichtenberger (G) kritisierte die Haltung der Regierung zum EURATOM-Vertrag. Zu
sagen, man bleibe im Vertrag drinnen, um mitbestimmen zu können, um dann jedoch
immer mit den anderen mitzustimmen, sei keine akzeptable Haltung im Hinblick
auf den Wunsch nach einem europäischen Atomausstieg, unterstrich sie.
Lichtenberger forderte überdies eine Klarlegung der Position der
österreichischen Regierung zur Frage der doppelten Mehrheiten.
Abgeordneter Erwin Niederwieser (S) erinnerte daran, dass ParlamentarierInnen und
RegierungsvertreterInnen gemeinsam im Konvent einen Vorschlag für eine neue
EU-Verfassung ausgearbeitet hätten. Dass die Regierung nun davon abweichen
könne, liege nicht zuletzt daran, dass sich die Abgeordneten der
Regierungsparteien nicht dazu entschließen könnten, die Regierung zu einer
bestimmten Position zu verpflichten. Es liege in der Verantwortung jedes
Abgeordneten, ob er sich auf die Seite der RegierungsvertreterInnen in der EU
oder der ParlamentarierInnen begebe, meinte er. Bei Außenministerin
Ferrero-Waldner erkundigte sich Niederwieser, ob es eine Deadline für die
Verhandlungen gebe und wie der aktuelle Verhandlungsstand in Bezug auf die
geplante europäische Verteidigungsagentur sei.
Abgeordneter Walter Tancsits (V) betonte, die vorgeschlagene Sozialklausel sei ganz im Sinne
Österreichs. Unter anderem würde ein angemessener Sozialschutz und ein hohes
Beschäftigungsniveau in der Verfassung festgeschrieben. Tancsits warnte
allerdings vor Verpflichtungen Österreichs, die vorbildlichen sozialen
Leistungen "exportieren" zu müssen, das würde ihm zufolge die
Leistungsfähigkeit eines kleinen Landes übersteigen. Zum Antrag der SPÖ und der
Grünen auf Stellungnahme merkte Tancsits an, es wäre eine falsche Vorgangsweise,
den Verhandlungsspielraum der Bundesregierung einzuschränken. Vielmehr sei das
vorgeschlagene Feuerwehrkomitee der richtige Weg, um die Verhandlungen in
Brüssel von parlamentarischer Seite zu begleiten.
Abgeordnete Karin Hakl (V) meinte in Richtung Abgeordnetem Voggenhuber, sie halte es für
legitim, dass demokratisch legitimierte Regierungen Änderungen am
Konventsentwurf vornehmen. Einige dieser Änderungen seien "exzellent"
und würden deutliche Verbesserungen bringen. Für notwendig erachtet Hakl eine
entsprechende Vorbereitung des österreichischen Parlaments und der Abgeordneten
auf die neuen Aufgaben, die mit der neuen EU-Verfassung auf die nationalen
Parlamente zukommen.
Abgeordneter Günter Stummvoll (V) erklärte, in einem Teilbereich des Steuersektors wäre eine EU-weite
Harmonisierung tatsächlich sinnvoll, nämlich bei der Bemessungsgrundlage. Erst
dann wäre ein echter Vergleich der Steuersätze möglich, betonte er.
Außenministerin Benita Ferrero-Waldner führte aus, ein fixer Termin für den Abschluss der Verhandlungen
über die neue EU-Verfassung sei nicht festgesetzt worden, sie sei aber
"vorsichtig optimistisch", dass es beim kommenden Gipfel gelingen
werde, zu einer Einigung zu kommen. Nicht zuletzt, da großer politischer Druck bestehe.
Bezüglich der Stimmgewichtung ist laut
Ferrero-Waldner noch kein Paket auf dem Tisch. Österreich wolle in diesem Punkt
Flexibilität zeigen, sagte sie, allerdings sei man gegen zu große Unterschiede
zwischen Staaten- und Bevölkerungsquorum.
Im Zusammenhang mit dem Energieartikel gab
Ferrero-Waldner zu bedenken, dass dieser auf Grund von Interessen der Holländer
und der Briten als Öl fördernde Staaten beinahe "gestorben" wäre. Für
Österreich sei ein allgemeiner Energieartikel aber besonders wichtig, da er Voraussetzung
für die Förderung von Wasserkraft und Alternativenergie sei. Die Ministerin
hält es in diesem Sinn für nicht angebracht, sich nun an einem einzelnen Satz
zu stoßen, zudem bekräftigte sie, dass die Atomsicherheit nicht wegfallen
werde.
Zur europäischen Verteidigungsagentur liegt
nach Auskunft der Außenministerin ein "Non-Paper" der irischen
Präsidentschaft vor, das dem Europäischen Rat die Erteilung einer Zustimmung
ermögliche.