IV-14 der Beilagen zu den Stenographischen Protokollen des Nationalrates XXII. GP

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Beratungen des Hauptausschusses
in Angelegenheiten
der Europäischen Union

 

 

 

 

 

(Auszugsweise Darstellung)

 

Mittwoch, 15. Dezember 2004

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Beratungen des Hauptausschusses
in Angelegenheiten
der Europäischen Union

 

(Auszugsweise Darstellung)

 

 


 

XXII. Gesetzgebungsperiode                Mittwoch, 15. Dezember 2004

 

 

 

Tagesordnung

 

 

 

RAT 14949/04

Europäischer Rat am 16./17. Dezember 2004

Erläuterter Tagesordnungsentwurf

(41968/EU XXII. GP)

 

sowie

 

RAT 15938/04

Europäischer Rat am 16./17. Dezember 2004

Entwurf von Schlussfolgerungen

(43340/EU XXII. GP)

 

 

 


Zentrales Thema der Sitzung des Hauptausschusses in Angelegenheiten der Europäischen Union am 15. Dezember 2004 war die Frage der Aufnahme von Beitrittsverhandlungen mit der Türkei. Dabei konnten die Fraktionen keinen einheitlichen Standpunkt erzielen. SPÖ, FPÖ und Grüne brachten jeweils Anträge auf Stellungnahme ein, welche jedoch nicht die erforderliche Mehrheit fanden. Es stimmte jeweils nur die betreffende Fraktion für ihren eigenen Antrag.

 

Dies wurde von Bundeskanzler Wolfgang Schüssel bedauert, da er, wie er betonte, mit einem gemeinsamen Votum gestärkter in die Verhandlungen beim Europäischen Rat am 16. und 17. Dezember 2004 hätte gehen können. Die Opposition sah in der Tatsache, dass es den beiden Regierungsfraktionen nicht gelungen ist, Konsens über einen gemeinsamen Antrag von ÖVP und FPÖ zu erzielen, eine veritable Regierungskrise.

 

Einstimmig beschlossen wurde jedoch die Einsetzung eines so genannten Feuerwehrkomitees gemäß § 31e Abs. 3 Geschäftsordnung des Nationalrates unter Vorsitz von Abgeordnetem Werner Fasslabend (V), wodurch der ständige Kontakt zwischen Bundeskanzler und Parlament während der Verhandlungen im Europäischen Rat gewährleistet sein soll.

 

Seitens des Bundeskanzlers und der Außenministerin sowie der Abgeordneten der ÖVP wurde die Aufnahme von Verhandlungen mit der Türkei befürwortet. Die Reformmaßnahmen der Türkei in den letzten beiden Jahren seien enorm gewesen, dennoch gebe es in Fragen der Menschenrechte, insbesondere der Rechte der Frauen und Minderheiten, des Justizsystems sowie der Verwendung der kurdischen Sprache größere Probleme. Die Situation sei daher nicht so einfach, weshalb der Prozess ein offener sein müsse, sagte Schüssel.

 

Die Türkei müsse als ein Fall sui generis betrachtet werden, weshalb es bei den Verhandlungen einen eigenständigen Weg mit einem eigenständigen Ziel geben werde. Es sei gelungen, auch das vierte Kopenhagener Kriterium, nämlich die Aufnahmefähigkeit der EU, in den Schlussfolgerungen zu verankern, und es werde festgelegt, dass die Beitrittsverhandlungen erst nach Erstellung der finanziellen Vorschau für die Jahre ab 2014 abgeschlossen werden können. In einzelnen Bereichen, zum Beispiel beim Arbeitsmarkt, wolle man nicht nur lange Übergangsfristen, sondern permanente Schutzklauseln und Ausnahmeregelungen vorsehen. Bei schwerwiegenden Verletzungen der Grundprinzipien der EU sollen die Verhandlungen auch abgebrochen werden können.

 

Dem gegenüber sprach sich die SPÖ gegen die Aufnahme von Beitrittsverhandlungen mit der Türkei aus und trat für eine weitere Vertiefung der Beziehungen zwischen der EU und der Türkei in Form einer strategischen Partnerschaft ein, die am EWR Modell orientiert ist. Klubobmann Josef Cap (S) bezweifelte, dass die Verträge außer einem Vollbeitritt und einem Assoziierungsabkommen eine dritte Möglichkeit zuließen. Die EU müsse die jüngsten Erweiterungen und die kommende mit Rumänien und Bulgarien erst verkraften, meinen die SozialdemokratInnen.

 

Darüber hinaus würde ein Beitritt der Türkei einen Finanzkollaps der Union bewirken. Den SozialdemokratInnen ist auch die Feststellung im Kommissionsbericht zu wenig, die politischen Kriterien seien "ausreichend erfüllt". Dies könne man nicht akzeptieren, so lange es noch Menschenrechtsverletzungen, wie Diskriminierung von Frauen und Folter, gebe.

 

Auch die FPÖ sprach sich dezidiert gegen die Aufnahme von Beitrittsverhandlungen mit der Türkei aus: Stattdessen sollte man in Verhandlungen mit der Zielrichtung einer primärrechtlich verankerten verstärkten Zusammenarbeit in Form einer Partnerschaft für Europa eintreten.

 

Man wolle aber den Bundeskanzler nicht binden, sondern ihm damit den Rücken stärken. Eine Bindung in dieser Frage hielt Klubobmann Herbert Scheibner (F) auch für verfassungsrechtlich bedenklich. Die FPÖ betonte, es sei sinnvoller, ehrlich zu sagen, dass auf Grund der Veränderungen in der EU auf absehbare Zeit eine Vollmitgliedschaft der Türkei nicht möglich sei. Die Menschenrechtsstandards entsprächen nicht den Kopenhagener Kriterien, und die Unumkehrbarkeit der Rechtsreformen sei nicht gewährleistet.

 

Auch die Grünen sprachen deutlich die Probleme im Bereich der Menschenrechte an, sie traten aber dennoch für die Eröffnung von Beitrittsverhandlungen mit der Türkei ein, wobei als Ziel der Beitritt dieses Landes zu definieren sei. Offen könne nur der Ausgang der Verhandlungen sein, weil die Entwicklung der nächsten Jahre weder in der Türkei noch in Europa vorhersehbar sei. Verhandlungen mit offenem Ziel, wie sie der Bundeskanzler vorschlage, seien aber Pseudoverhandlungen. Der Türkei nach all den jahrzehntelangen Versprechungen nun keine Verhandlungen anzubieten, würde den Reformkurs massiv gefährden und könnte zu einem "backlash" führen, meinte Abgeordnete Ulrike Lunacek (G).

 

 

 

 

Am Beginn der Debatte gaben Bundeskanzler Wolfgang Schüssel und Außenministerin Ursula Plassnik einen kurzen Überblick über den Stand der Diskussion betreffend Aufnahme von Beitrittsverhandlungen mit der Türkei im Vorfeld des kommenden Europäischen Rates am 16. und 17. Dezember dieses Jahres.

 

Wie der Bundeskanzler betonte, liege es eindeutig in aller Interesse, den Reformprozess in der Türkei auch weiterhin zu ermutigen. Die Reformen der letzten beiden Jahre seien als außerordentlich positiv zu bewerten, wenn auch noch einiges zu tun sei. Schüssel nannte in diesem Zusammenhang die Probleme im Menschenrechtsbereich, insbesondere die Frauenrechte, die Minderheitenrechte, die Frage der kurdischen Sprache und das Justizsystem. Der Türkei sei im Jahr 1999 in Helsinki der Kandidatenstatus zugesagt worden, und auch der damalige Bundeskanzler Viktor Klima habe sich dem angeschlossen. Der Bericht der EU Kommission habe eine kritische Bewertung vorgenommen und festgestellt, dass die Türkei die Kriterien für die Aufnahme von Verhandlungen "ausreichend" erfülle. Vor diesem Hintergrund sei die Aufnahme von Verhandlungen mit der Türkei zu befürworten.

 

Dennoch sei die Situation nicht so einfach, betonte Schüssel, weshalb man einen offenen Prozess anstrebe, einen eigenständigen Weg mit eigenständigen Zielen. Die Türkei sei ein Fall sui generis. Es sei wichtig, ein positives Signal für dieses Land zu setzen, zugleich aber ehrlich gegenüber der eigenen Bevölkerung und der Türkei aufzutreten, um die Kohärenz der Union nicht zu gefährden. Es müsse deshalb ein eigenständiger Weg bei den Verhandlungen angestrebt werden, da beispielsweise eine Öffnung des Arbeitsmarktes die Aufnahmekapazität der Märkte der Union gefährden würde. Ihm sei es daher wichtig, in den Schlussfolgerungen die Offenheit des Weges und des Zieles sowie ausreichend Transparenz festzulegen.

 

Ergänzend hielt Bundesministerin Plassnik fest, dass es gelungen sei, das vierte Kopenhagener Kriterium, nämlich die Aufnahmefähigkeit der EU, im Text zu verankern. Es erfolge auch eine Klarstellung, dass die Beitrittsverhandlungen erst nach Erstellung der finanziellen Vorschau für die Jahre ab 2014 abgeschlossen werden können. Die Analyse der Auswirkungen eines etwaigen Türkei Beitritts sei erst zum Teil erfolgt. Die Auswirkungen in den Bereichen Migration, Agrarpolitik und Strukturpolitik seien jedoch weit reichend. Deshalb werde man für einzelne Belange nicht nur Übergangsfristen, sondern permanente Schutzklauseln und Ausnahmeregelungen vorsehen. Bei schwerwiegenden Verletzungen der Prinzipien der Union werde auch auf Antrag eines Drittels der Mitgliedstaaten und nach einem Beschluss im Rat der EU mit qualifizierter Mehrheit die "Stopptaste" gedrückt werden können. Jeweils zu Beginn und nach Abschluss der Verhandlungen einzelner Kapitel würden Benchmarks eingeführt. Zur Beobachtung der Entwicklung der Menschenrechte und Grundfreiheiten sei ein genaues Monitoring geplant. Die Kommission werde regelmäßig Fortschrittsberichte erstellen.

 

Ausständig seien noch gesetzliche Regelungen zur Strafprozessordnung, zur Schaffung einer Kriminalpolizei und zum Strafvollzug. Das Vereinsgesetz, das Strafgesetzbuch sowie das Gesetz hinsichtlich zwischeninstanzlicher Berufungsgerichte müssten noch in Kraft treten. Wichtig sei auch noch ein Stiftungsgesetz.

 

Die Diskussion wurde von den Klubobleuten von ÖVP, SPÖ und FPÖ sowie von der außenpolitischen Sprecherin der Grünen eingeleitet.

 

Die Türkei, so der ÖVP Klubobmann Wilhelm Molterer, sei für Europa von höchstem Interesse. Mit diesem Land müsse man die bestmöglichen Beziehungen anstreben. Der Reformprozess sei mit einer europäischen Perspektive untrennbar verbunden. Die Frage der Türkei und ihrer Beziehungen zur EU sei nicht neu, sagte Molterer, und er erinnerte an den Europäischen Rat von Helsinki 1999, wo der damalige Bundeskanzler Klima sowie Außenminister Schüssel den Beschluss, der Türkei den Kandidatenstatus zuzuerkennen, mitgetragen haben. Auf Grund österreichischer Initiative sei eine "impact-study" initiiert worden, da alle vier Kopenhagener Kriterien gleich wichtig seien. Der Kommissionsbericht sei ein erster Schritt zu dieser Studie, und die Empfehlungen der Kommission seien differenziert. Molterer räumte ebenfalls Probleme in ökonomischer, politischer und menschenrechtlicher Sicht ein, fügte aber hinzu, dass in der Zwischenzeit einiges erreicht worden sei.

 

Verhandlungen sollten beginnen, sie sollten aber offen und mit mehreren Optionen geführt werden. Der Beginn der Verhandlungen könne keine Automatik nach sich ziehen. Es werde daher unmissverständlich klar gestellt, dass alle vier Kopenhagener Kriterien, also auch die Aufnahmefähigkeit der EU, gleich wichtig seien. Die Mitgliedstaaten sollen weiter Herren der Verfahren in essentiellen Fragen sein, darüber hinaus sei es notwendig, dauerhafte Ausnahmen festzulegen. Molterer unterstrich nochmals, dass ein Abschluss der Verhandlungen vor 2014 nicht möglich sei und die Verhandlungen auch gestoppt werden können. Aus heutiger Sicht sei es jedenfalls falsch, nur einen Vollbeitritt oder keinen Beitritt anzubieten. 

 

Als "Selbstverständlichkeiten" bezeichnete der Geschäftsführende Klubobmann der SPÖ Josef Cap die aufgezählten Punkte seines Vorredners. Selbstverständlich sei auch die Aufnahmefähigkeit der EU zu berücksichtigen, und selbstverständlich zögen die Verhandlungen keine Automatik nach sich. Es gebe jedoch den praktischen Erfahrungswert, dass einmal aufgenommene Verhandlungen als Beitritt enden. Cap erwähnte einen in den Medien genannten Brief aus dem Jahr 1999, wonach der Türkei geheime Garantien zugestanden worden seien. Cap wehrte sich gegen den Eindruck, es gebe so etwas wie ein "Tertium" als Verhandlungsergebnis neben Beitritt und Assoziierungsabkommen.

 

Er verstehe auch nicht die Erweiterungshektik, ohne vorher die Inkraftsetzung der EU Verfassung abzuwarten. Außerdem würde nach heutiger Sicht ein Beitritt der Türkei einen Finanzkollaps der EU bewirken. Sollten die Kohäsionsländer nicht auf ihre zusätzlichen Mittel und England nicht auf seinen Rabatt verzichten, würden sich die Beiträge der Nettozahler verdreifachen, rechnete Cap vor.

 

Für völlig unverständlich hält er die Aufnahme von Beitrittsverhandlungen vor dem Hintergrund der Feststellung im Kommissionsbericht, die Türkei erfülle die politischen Kriterien "in ausreichendem Maß". Cap nannte in diesem Zusammenhang die vom Menschenrechtsgerichtshof gefällten 132 Urteile wegen Verstöße der Türkei gegen die EMRK, er wies auf die großen Mängel in Bezug auf die Meinungsfreiheit hin, auf die Gewalt gegen Frauen, auf das Problem der Ehrenmorde und die nicht zufrieden stellenden Regelungen bezüglich der Jungfräulichkeitstests. Außerdem werde in Österreich Asylanträgen aus der Türkei noch immer stattgegeben. Der Kommissionsbericht sage daher im Endeffekt, die politischen Kriterien sind nicht erfüllt. Er wundere sich daher auch über die Forderung der Grünen, die Beitrittsverhandlungen aufzunehmen. Der Antrag auf Stellungnahme der FPÖ, welcher keine Bindung des Bundeskanzlers vorsehe, sei völlig zahnlos, so Cap.

 

Die SPÖ sei auf Grund der derzeitigen Situation in der Türkei und in der EU gegen die Aufnahme von Beitrittsverhandlungen, vielmehr solle man sich für eine weitere Vertiefung der Beziehungen zwischen der EU und der Türkei in Form einer strategischen Partnerschaft, die am EWR Modell orientiert ist, einsetzen.  Cap wies abschließend auch auf die lange, kritische Außengrenze der Türkei hin.

 

Klubobmann Herbert Scheibner (F) nannte die Türkei als ein wichtiges Land, wo sich die Situation seit 1999 wesentlich verbessert habe. Dennoch reichten die Fortschritte nicht aus, und seit dem Antrag der Türkei habe sich auch die EU von einer Wirtschaftsgemeinschaft in Richtung einer politischen Union weiterentwickelt. Eine Vollmitgliedschaft der Türkei halte er für nicht verkraftbar, weshalb es seiner Auffassung nach wesentlich sinnvoller und ehrlicher wäre, festzustellen, eine Mitgliedschaft sei auf absehbare Zeit nicht möglich. Was nun geplant sei, seien lediglich weitere Beruhigungspillen für die Türkei. Scheibner unterstrich in diesem Zusammenhang die Haltung seiner Fraktion, keine Beitrittsverhandlungen aufzunehmen, entsprechende Schlussfolgerungen abzulehnen und statt dessen für Verhandlungen mit der Zielrichtung einer primärrechtlich verankerten, verstärkten Zusammenarbeit in Form einer Partnerschaft für Europa einzutreten.

 

Laut Scheibner entsprechen die Menschenrechtsstandards der Türkei nicht den Kopenhagener Kriterien, und die Unumkehrbarkeit der Rechtsreformen sowie der Weg des Landes in Richtung Islamismus seien nicht ausgeschlossen. Als wesentliches Indiz für die unbefriedigende Situation wertete er die Tatsache, dass türkischen StaatsbürgerInnen noch immer Asyl zuerkannt wird. Auch von der Verinnerlichung der Grundrechte, insbesondere der Frauenrechte, sei man in ländlichen Regionen weit entfernt. Es sei auch inakzeptabel, dass ein Beitrittskandidat ein Mitgliedsland der Union, nämlich Zypern, nicht anerkenne. Die Kopenhagener Kriterien seien zu erfüllen, und darum könne man sich nicht herumschwindeln.     

 

Die FPÖ unterstütze die kritische Linie des Bundeskanzlers, sie meine aber, es wäre ehrlicher, zuzugeben, dass ein Beitritt nicht möglich ist. Mit dem Antrag auf Stellungnahme wolle man dem Bundeskanzler in seiner kritischen Haltung den Rücken stärken. In diesem Bereich sei aber eine Bindung des Kanzlers nicht möglich. Den Antrag der SPÖ halte er daher für verfassungsrechtlich bedenklich.

 

Abschließend kritisierte Scheibner die Haltung der SPÖ als inkonsequent, da es Bundeskanzler Klima gewesen sei, der dem Kandidatenstatus der Türkei zugestimmt habe.

 

Im Gegensatz dazu meinte Abgeordnete Ulrike Lunacek (G), für diesen Prozess sei eine Bindung sehr wohl möglich. In diesem Sinne verstehe sie auch den Antrag der Grünen, in dem sich diese für den Beginn von Verhandlungen mit dem Ziel eines Beitritts aussprechen. Dies auch deshalb, weil man die Bemühungen der Türkei in den letzten Jahren anerkennen müsse. Auch wenn man sich das Ziel eines Beitritts setze, müsse der Ausgang offen bleiben, denn die zukünftigen Entwicklungen der Türkei und Europas seien nicht vorhersehbar. Definiere man aber von vornherein das Ziel als offen, so wolle man lediglich Pseudoverhandlungen führen.

 

Nach all den jahrzehntelangen Versprechungen gegenüber der Türkei und den Reformbestrebungen dieses Landes würde eine Absage an Verhandlungen eine Gefährdung der Fortschritte und womöglich einen "backlash" bedeuten. Die Grünen sprächen sich auch gegen permanente Schutzklauseln aus, da diese gegen das EU Grundrecht verstoßen würden. Notwendig sei vielmehr ein politischer und kultureller Dialog mit VertreterInnen der Zivilgesellschaft. Die Grünen sähen durchaus die Probleme in Menschenrechtsfragen sowie auf anderen Gebieten, dennoch sei für sie "das Glas halb voll". Der Kommissionsbericht lege deutlich die Unumkehrbarkeit des Reformprozesses fest und dies werde auch überprüft.

 

Kritik übte Lunacek an der Haltung der SPÖ, da man so den Reformprozess nicht werde unterstützen können. Sie wies auch darauf hin, dass zum ersten Mal im Hauptausschuss kein gemeinsamer Antrag der Koalitionsparteien ÖVP und FPÖ vorliege, was auf eine Regierungskrise schließen lasse.

 

In einer weiteren Runde der vier Parteien ergriff zunächst Abgeordneter Werner Fasslabend (V) das Wort. Auch er betonte, die Türkei stelle ein Problem sui generis dar, und in der derzeitigen Phase habe man die Für und Wider nüchtern abzuwägen. Diese Abwägung habe er im Diskussionsbeitrag des Abgeordneten Cap vermisst, der eher Vorurteile vorgebracht habe. Er erinnerte nochmals an die Zustimmung Klimas zum Beitrittsstatus der Türkei im Jahr 1999, wies auf die starken sozialdemokratischen Befürworter eines Türkei Beitritts, Blair und Schröder, hin und erwähnte, dass auch Bürgermeister Häupl sich für den Beginn von Beitrittsverhandlungen ausgesprochen habe. Die Linie der SPÖ sei daher nicht erkennbar, und er habe den Eindruck, hier werde nicht nur Linkspopulismus, sondern reiner Opportunismus betrieben.   

 

Es sei keine Frage, dass es Probleme gebe, und der Bundeskanzler sei daher ernsthaft bemüht, Lösungen zu finden. Das vierte Kopenhagener Kriterium sei in den letzten Jahren zu sehr vernachlässigt worden, weshalb man es nun hervorheben müsse. Selbstverständlich sei es notwendig, über permanente Ausnahmeregelungen zu sprechen, und selbstverständlich könnten die Verhandlungen nicht vor der Finanzperspektive abgeschlossen werden. Keinesfalls dürfe man der Türkei eine europäische Perspektive verwehren, gleichzeitig müsse man aber die Probleme ehrlich ansprechen, und das heiße, einen dritten Weg offen halten.

 

Abgeordneter Caspar Einem (S) zeigte sich erstaunt darüber, dass sich die Grünen für Beitrittsverhandlungen aussprechen, obwohl gerade sie sich immer für die Einhaltung der Menschenrechte stark gemacht hätten. Die FPÖ bezeichnete er als einsichtsfähig, aber nicht handlungsfähig.

 

Nüchtern betrachtet, seien sich die vier Fraktionen in der Bewertung sehr nahe, sagte Einem. Es sei daher zu fragen, wie man dazu beitragen könne, den Reformprozess in der Türkei voranzutreiben. Dabei halte er es für wesentlich, mit Ehrlichkeit vorzugehen. So lange es Folter gebe und so lange die Gleichbehandlung von Frauen nicht durchgesetzt sei, sei das politische Kriterium nicht erfüllt. Darüber hinaus müsse man auch die Leistungsfähigkeit der Union in Betracht ziehen und sich fragen, was man in der Union wolle. Einem ging davon aus, dass man eine stärkere Integration anstrebe. Nach der Aufnahme zehn neuer Mitgliedsländer sowie von Rumänien und Bulgarien sei eine Konsolidierung nur möglich, wenn es keine zusätzliche Erweiterung mehr gebe. Man habe auch eine Verantwortung für Südosteuropa, und diese sei hinsichtlich der regionalen  und sicherheitspolitischen Situation primär.

 

Daher sollte man ehrlich feststellen, dass man eine möglichst enge Verbindung mit der Türkei anstrebe, man aber einen Beitritt nicht anbieten könne. Im Jahr 1966 sei Europa eine Wirtschaftsgemeinschaft gewesen, und seither habe sich vieles geändert. Die Entscheidung des Jahres 1999 sei nicht ausreichend diskutiert worden.

 

Auch Abgeordneter Reinhard Eugen Bösch (F) warf den Grünen vor, an der Menschenrechtssituation in der Türkei augenzwinkernd vorbei zu gehen. Der Antrag der SPÖ sei phasenweise gut argumentiert, aber verfassungsrechtlich bedenklich, sagte er. Deshalb sehe der freiheitliche Antrag keine Bindung vor.

 

Zur Beitrittsfrage selbst meinte Bösch, dass die bisherigen Beziehungen nicht unbedingt zu einem Beitritt führen müssen. Die EU sieht er derzeit in einem Unsicherheitsprozess, und das könne man daran erkennen, dass sich die niederländische Präsidentschaft gezwungen gesehen habe, Bedingungen zu stellen. Bösch unterstrich aus seiner Sicht die Notwendigkeit, eine Partnerschaft für Europa zu verhandeln, und fragte den Kanzler, wie es mit einer europäischen Volksabstimmung aussehe.

 

Eine emotionale Unsicherheit in der Debatte registrierte Abgeordneter Wolfgang Pirklhuber (G). Die Grünen seien insbesondere bemüht, einen Dialog im Bereich der Zivilgesellschaft zu initiieren. Die Grünen hätten in ihrem Antrag deshalb nicht auf die Menschenrechtssituation Bezug genommen, weil man den Kommissionsbericht nicht habe abschreiben, sondern nur die wichtigsten Punkte nennen wollen. Selbstverständlich könne es keinen Beitritt ohne Wenn und Aber geben, sondern es müssten Bedingungen erfüllt werden. Voraussetzung für einen Türkei-Beitritt sei auch eine Diskussion darüber, wie weit der Integrationsprozess gehen solle und wo die Grenzen der EU liegen. Permanente Schutzklauseln unterminierten die Grundfreiheiten, sagte Pirklhuber. Auf keinen Fall könne man Verhandlungen beginnen, ohne den Beitritt als Ziel zu nennen. Es müsse aber nicht zu einem Beitritt kommen, denn das hänge vom Verhandlungsergebnis ab.

 

Für Pirklhuber haben die Balkanländer Priorität. Er betonte, dass die EU die außenpolitische und globale Verantwortung wahrnehmen müsse, und neben der sozialen Dimension der Globalisierung sei auch die ökologische Dimension in Betracht zu ziehen.

 

In einer Reaktion auf die Diskussion bedauerte Bundeskanzler Schüssel, dass es nicht möglich gewesen sei, eine gemeinsame Linie zu finden, obwohl die Meinungen nicht weit auseinander lägen. Ein gemeinsames Vorgehen hätte ihn in Brüssel gestärkt. Er habe diesbezüglich mit den Parteivorsitzenden Gespräche geführt.

 

Er stehe zu seinen Aussagen aus den Jahren 1999 und 2002, sagte Schüssel, und seit dieser Zeit hätte sich auch die Situation in der Türkei gebessert. Er verstehe daher die Haltung der SPÖ nicht. Was man nämlich brauche, sei eine Konsistenz und Kohärenz der eigenen Linie. Schüssel räumte abermals ein, dass es noch viele Probleme zu bewältigen gebe, und das Prinzip Ehrlichkeit gelte für alle. Man müsse daher auch über das verhandeln, was die Türkei wolle, und das sei eben der Beitritt. Es müsse aber auch möglich sein, über Sonderregelungen zu verhandeln, die es ja heute schon gebe. Schutzklauseln nicht ins Auge fassen zu wollen, sei naiv und würde die Union überfordern. Er wolle daher die offenen Fragen ansprechen, und man müsse der Türkei auch klar machen, dass die Verhandlungen mit einem offenen Ausgang geführt würden.

 

Den Brief des ehemaligen Kommissars Fischler hielt der Bundeskanzler für ein wichtiges und richtiges Dokument, und die ausdrückliche Verankerung der Aufnahmefähigkeit der Union in den Schlussfolgerungen des Gipfels sei keine Selbstverständlichkeit. Sogar Bundeskanzler Schröder spreche nun von einem ergebnisoffenen Prozess. Das Monitoring parallel zu den Verhandlungen und die Möglichkeit, diese Verhandlungen abbrechen zu können, stellten ein völlig neues Verfahren dar. Die Schutzmaßnahmen für den Arbeitsmarkt seien notwendig, und der Beginn und der Abschluss der Kapitel unterlägen der Einstimmigkeit. Im Übrigen habe Kommissar Fischler dem Kommissionsbericht zugestimmt.

 

Die europäische Volksabstimmung habe er beim Europäischen Rat im November angesprochen, von den anderen Ländern sei aber keine Reaktion gekommen, sagte Schüssel zu Abgeordnetem Bösch. Zu dem von Abgeordnetem Cap angesprochenen vermuteten geheimen Brief meinte Schüssel, darin stünde eine wörtliche Wiederholung dessen, was Inhalt der Schlussfolgerungen sei.   

 

Auch Bundesministerin Plassnik bezeichnete die Verhandlungen mit eigenem Weg und eigenständigem Ziel als eine besondere Herausforderung. Das Bemühen sei, auf die spezifische Lage der Türkei eingehen zu können und den Reformprozess in seiner Nachhaltigkeit und Unumkehrbarkeit zu unterstützen. Plassnik erwähnte abermals das begleitende Monitoring durch die Kommission und nannte als wesentliche Punkte den Minderheitenschutz, die Frauenrechte, den Zugang der Mädchen und Frauen zur Bildung, die Jungfräulichkeitstests, die Religionsfreiheit und die Folter. Sie gehe davon aus, dass sich mit Beginn der Verhandlungen ein Normalisierungsprozess in der Zypern-Frage entwickle.

 

In einer weiteren Diskussionsrunde meinte Abgeordneter Michael Spindelegger (V), dass die Wahrheit zwischen voller Befürwortung und totaler Verhinderung in einem differenzierten Standpunkt liege. Die SPÖ stehe mit ihrer Auffassung in der Sozialistischen Internationale allein. Selbstverständlich verdienten die Problemfelder Beachtung, er wolle aber darauf hinweisen, dass der Europarat unter der Präsidentschaft des Abgeordneten Schieder im Juni entschieden habe, das permanente Monitoring in Bezug auf die Türkei aufzuheben. Mit den neuen Verfahren in den Beitrittsverhandlungen werde ein neues Kapitel aufgeschlagen. Sie zeigten auch, dass die EU an einem Wendepunkt stehe.

 

Auch Klubobmann Wilhelm Molterer (V) stellte fest, dass die SPÖ ihre Linie grundlegend geändert habe. Selbstverständlich könne es dauerhafte Ausnahmeregelungen geben, weil ein Beitrittsvertrag ein Primärvertrag sei.

 

Abgeordneter Josef Cap (S) stellte aus seiner Sicht nochmals fest, dass es aufgrund der rechtlichen Situation zwischen Beitritt und Assoziierungsabkommen nicht Drittes gebe. Seit 1999 habe sich sehr wohl einiges geändert, nämlich die Erweiterung um 10 neue Mitgliedsländer und die baldige Erweiterung um Rumänien und Bulgarien. Nun gehe es um die Frage der politischen Kriterien, die nicht verwässert werden dürften. Das könne man im Interesse der Menschenrechte nicht akzeptieren. Ihm sei auch nicht bekannt, dass ein dauerhafter Ausschluss von einer der vier Freiheiten möglich sei. Außerdem, so Cap, fände sich das Kriterium der Aufnahmefähigkeit der Union nur im allgemeinen Teil der Schlussfolgerungen. Die Tatsache, dass die beiden Koalitionsfraktionen keinen gemeinsamen Antrag vorgelegt haben, ist seiner Meinung nach Ausdruck einer Regierungskrise.

 

Die mangelnde Realisierung der Menschenrechte in der Türkei wurde auch von Abgeordneter Bettina Stadlbauer (S) thematisiert. Man verhandle mit einem Staat, wo jede zweite Frau in Ostanatolien Analphabetin sei, wo 50 % der Mädchen nicht zur Bildung zugelassen würden, wo es in Gefängnissen sexuelle Übergriffe an Frauen gebe, wo es Zwangsehen, Ehrenmorde etc. gebe. Hinsichtlich der Jungfräulichkeitstests habe man nur etwas zur Beruhigung der Union geändert. Der Bundeskanzler und die Außenministerin agierten nicht ehrlich, sondern strebten nur Scheinverhandlungen an.

 

Abgeordneter Hannes Bauer (S) hielt fest, dass Europa nach dem Erweiterungsprozess nun eine Atempause zur Vertiefung brauche. Er halte nichts von einem Europa, wo dauernd verschiedene Kreise der Zusammenarbeit entstünden. Die Verhandlungsposition der ÖVP erachtete er als nicht sinnvoll, offensichtlich hoffe man, dass ein Beitritt nicht stattfindet. Ein Abbruch der Verhandlungen wäre für die Türkei ein schlimmes Signal, das werde sich aber niemand trauen. Bauer erläuterte nochmals den Vorschlag der SPÖ und meinte, dass eine Partnerschaft nach dem Modell "EWR-plus" auch ein Modell für andere Aufnahmeverfahren sein könnte.

 

Sein Klubkollege Abgeordneter Stefan Prähauser wies auf die negativen Reaktionen in der Bevölkerung zu einem Türkeibeitritt hin. Man müsse auch die Nettozahler-Position beachten, sagte er, bei einem EU-Beitritt würden die Nettozahler in der Minderheit sein und man könnte nicht mehr mitgestalten. Prähauser ging auch auf das Probleme Zypern ein und meinte, dass beim derzeitigen Stand der gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik der EU die Union auf eine Mitgliedschaft der Türkei nicht vorbereitet sei.

 

Abgeordneter Maximilian Hofmann (F) hielt die Position der SPÖ für nicht nachvollziehbar, da die Erweiterung der Union bereits 1999 bekannt gewesen ist. Wenn sich die SPÖ für eine Art EWR-Status der Türkei ausspreche, so müsse man darauf hinweisen, dass auch im EWR-Raum die vier Freiheiten gelten. Wie Klubobmann Herbert Scheibner (F) unterstrich er nochmals, dass es sinnvoll sei, der Türkei den Ausbau der Partnerschaft anzubieten, indem man Vorteile nütze, aber die Nachteile ausschalte.

 

Wie die SPÖ bezweifelte auch Abgeordnete Ulrike Lunacek (G) die Möglichkeit einer dauerhaften Derogation in Bezug auf die Grundfreiheiten. Gemeinsam mit ihrem Klubkollegen Peter Pilz thematisierte sie die Tatsache, dass ÖVP und FPÖ keinen gemeinsamen Antrag zustande gebracht haben und sah darin das Anzeichen einer beginnenden Regierungsunfähigkeit und Regierungskrise. Peter Pilz unterstrich nochmals die Notwendigkeit, den Beitritt als Ziel anzugeben, ob dieses dann auch erreicht werde, ergäben die Verhandlungen. Aber nur so sei die Unterstützung des Reformprozesses möglich.

 

Bundeskanzler Schüssel widersprach der Opposition und meinte, dass selbstverständlich ein neuer Weg rechtlich möglich sei, denn Beitrittsverträge seien Primärrecht. Er lege größten Wert auf die Feststellung, dass die Verhandlungen ergebnisoffen seien.

 

 

 

 

Beim kommenden EU-Gipfel werden, wie Bundeskanzler Wolfgang Schüssel berichtete, auch der Abschluss der Verhandlungen mit Rumänien und Bulgarien diskutiert. Weitere Themen beträfen den Fortschritt im Kampf gegen den Terrorismus, die Grundsätze und Leitlinien der finanziellen Vorschau 2007 bis 2013, die europäische Drogenstrategie bis 2012, die Integrationspolitik, die Situation in der Ukraine, den Friedensprozess im Nahen Osten, die Probleme des Iran mit der IAEO, die Situation in Afghanistan, die strategische Situation im Mittelmeerraum, die Beziehungen zu den Westbalkanländern, die europäische Nachbarschaftspolitik, den Bericht der Präsidentschaft zur europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik und die Vorbereitungen für den Ausbau des europäischen ausländischen Dienstes.

 

Bundesministerin Ursula Plassnik ergänzte, dass die Verhandlungen mit Bulgarien im Juni abgeschlossen worden seien und mit Rumänien hätten technisch abgeschlossen werden können. Für beide Länder werde es hinsichtlich der vollständigen Umsetzung der Reformen ein spezielles Monitoring-System geben. Kroatien werde ein Datum für den Beginn von Beitrittsverhandlungen in Aussicht gestellt.

 

In Bezug auf die europäische Nachbarschaftspolitik hätten die Außenminister grünes Licht zum Aktionsplan mit Israel, Jordanien, Marokko, Moldau, Palästinensische Autonomiebehörde, Tunesien und Ukraine gegeben. In der Ukraine habe die EU umsichtig gehandelt und für die Wahlen am 26. Dezember sei durch die OSZE eine Wahlbeobachtung sicher gestellt. Österreich habe die Zahl seiner WahlbeobachterInnen verdoppelt.

 

Die Entwicklung hinsichtlich Rumänien und Bulgarien sowie die Aussicht auf Beitrittsverhandlungen mit Kroatien wurden von den Abgeordneten Wilhelm Molterer, Werner Fasslabend (beide V) und Ulrike Lunacek (G) begrüßt. Ulrike Lunacek meinte jedoch, dass es für die südosteuropäischen Staaten nun eine weitere Heranführungsstrategie geben müsse. Das Vorgehen der EU in der Ukraine bezeichnete sie als positiv. Auch Abgeordneter Fasslabend (V) unterstrich das vitale Interesse Österreichs an der Stabilisierung auf dem Balkan. Im Gegensatz dazu sah Abgeordneter Caspar Einem (S) keine Notwendigkeit, Kroatien ein Datum für den Verhandlungsbeginn in Aussicht zu stellen, da man die Frage der Zusammenarbeit mit dem Kriegsverbrechertribunal nicht abschwächen dürfe.

 

Bundesministerin Plassnik führte dazu aus, dass die südosteuropäischen Länder prioritär seien und man für den Westbalkan ein spezifisches Heranführungsmodell entwickelt habe. Dabei werde man mit dem Koordinator für den Stabilitätspakt eng zusammenarbeiten.

 

Die Frage des Abgeordneten Caspar Einem (S) zum auswärtigen Dienst beantwortete Bundesministerin Plassnik mit dem Ziel der EU, eine verbesserte Zusammenarbeit im Konsulardienst anzustreben, die schließlich zu einem europäischen Bürgerservice führen soll. Die Menschenrechtsagentur werde ihren Sitz in Wien haben, sagte sie zu Abgeordnetem Wolfgang Pirklhuber (G).

 

 

 

 

 

 

                                              

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Folgernder Antrag auf Stellungnahme der SPÖ erhielt nur die Stimmen der SP-Abgeordneten und wurde somit abgelehnt:

 

 

 

ANTRAG AUF STELLUNGNAHME

 

gemäß Art. 23e Abs. 2 B-VG

 

 

der Abgeordneten Dr. Cap

und GenossInnen

 

betreffend die Tagung des Europäischen Rates am 16./17. Dezember 2004 und die Entscheidung über die Aufnahme von Beitrittsverhandlungen mit der Türkei

 

 

 

 

Die Staats- und Regierungschefs der Europäischen Union werden beim Europäischen Rat im Dezember d.J. entscheiden, ob mit der Türkei Beitrittsverhandlungen aufgenommen werden oder nicht. Es ist dies eine Entscheidung, die für die weitere Zukunft der Europäischen Union von grundlegender Bedeutung ist.

 

Die Europäische Union ist erst im Mai dieses Jahres von fünfzehn auf fünfundzwanzig Mitgliedstaaten angewachsen. Eine der vordringlichsten Aufgaben der nächsten Jahre ist es daher, diese große Erweiterung um zehn neue Mitgliedstaaten in wirtschaftlicher, politischer und sozialer Hinsicht erfolgreich zu bewältigen. Dieser Prozess wird Zeit und beträchtliche Anstrengungen – auch in finanzieller Hinsicht – in Anspruch nehmen.

 

Die Staats- und Regierungschefs müssen sich bei ihrer Entscheidung bewusst sein, dass es nun vordringlich darum geht, den Prozess der europäischen Integration zu konsolidieren und  zu festigen. Die von der EU selbst gesteckten Ziele im Bereich Wachstum und Beschäftigung müssen erfüllt und das Ziel, die EU zu einer Politischen Union weiter zu entwickeln, darf nicht aufgegeben werden. Dies entspricht auch den Wünschen der BürgerInnen der EU nach konkreten Ergebnissen –  etwa einer gemeinsamen Wirtschaftspolitik, die mit der europäischen Währungspolitik für wirtschaftliche Prosperität und Beschäftigung sorgt und einer gemeinsamen friedensorientierte Außen- und Sicherheitspolitik. Ein erster, unabdingbarer, Schritt dazu ist die Ratifizierung des Vertrags über eine Verfassung für Europa in allen Mitgliedstaaten der EU.

 

Eine Aufnahme der Türkei als Mitglied der Europäischen Union würde die Kapazitäten der EU in wirtschaftlicher und politischer Hinsicht überfordern. In diesem Zusammenhang ist es von Bedeutung, auf das vierte der so genannten „Kopenhagener Kriterien“ hinzuweisen: „Die Fähigkeit der Union, neue Mitglieder aufzunehmen, dabei jedoch die Stoßkraft der europäischen Integration zu erhalten, stellt ebenfalls einen sowohl für die Union als auch für die Beitrittskandidaten wichtigen Gesichtspunkt dar“. Der Europäische Rat von Helsinki vom 10. und 11. Dezember 1999 hat im Zusammenhang mit der Erweiterung eindeutig festgehalten, dass die Erfüllung sämtlicher Kriterien von Kopenhagen die Grundlage für einen Beitritt zur Union ist.

 

Der Fortschrittsbericht 2004 der Europäischen Kommission zeigt, dass die Türkei Reformfortschritte gemacht hat, in vielen Bereichen aber dennoch nicht reif für einen EU-Beitritt ist. So heißt es im Bericht der Kommission, dass die Umsetzung der politischen Reformen „weiter verfestigt und ausgedehnt“ werden muss. Dies gelte insbesondere für die Null-Toleranz-Politik bei der Bekämpfung von Folter und Misshandlungen.

 

Wörtlich heißt es, die Türkei müsse nach wie vor ihre Anstrengungen zur Bekämpfung der Folter und anderer Formen von Misshandlungen durch Rechtsvollzugsbeamte nachdrücklich fortsetzen (COM(2004)656final S 35). Die „Null-Toleranz-Politik“ der Regierung und ihre ernsthaften Bemühungen um die Umsetzung der Rechtsreformen hätten dazu geführt, dass Folterfälle „seltener“ auftreten. Im ersten Halbjahr 2004 seien bei der Türkischen Menschenrechtsvereinigung 692 Klagen im Zusammenhang mit Folter eingegangen, was gegenüber demselben Vorjahreszeitraum einer Abnahme von 29% entspreche. Allerdings habe die Anzahl der Klagen wegen Folter außerhalb der förmlichen Haft im Vergleich zu 2003 erheblich zugenommen (COM(2004)656final S 35).

 

An anderer Stelle heißt es, beim parlamentarischen Untersuchungsausschuss für Menschenrechte seien zwischen Oktober 2003 und Juni 2004 791 Klagen über Menschenrechtsverletzungen eingegangen (COM (2004)656 final, S 33). Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte habe seit Oktober 2003 161 Urteile zur Türkei gesprochen. In 132 Fällen habe der Gerichtshof einen Verstoß der Türkei gegen die EMRK festgestellt (COM (2004)656 final, S 31).

 

Die Lage in Bezug auf die freie Meinungsäußerung habe sich erheblich verbessert, dennoch blieben „mehrere Probleme bestehen“. Das neue Strafgesetzbuch stelle im Hinblick auf die Meinungsfreiheit nur einen „beschränkten Fortschritt“ dar (COM(2004)656 final, S 55).

 

Der Grundsatz der Unabhängigkeit der Justiz sei in der türkischen Verfassung verankert, werde jedoch „in gewissem Maße durch mehrere Verfassungsbestimmungen ausgehöhlt“ (COM(2004)656 final, S 28).

 

Was die wirtschaftlichen und sozialen Freiheiten anbelange, sei der Grundsatz der Gleichberechtigung von Mann und Frau gestärkt worden. Nach dem neuen Strafgesetzbuch seien Personen, die „Ehrenmorde“ verüben, zu lebenslangen Gefängnisstrafen zu verurteilen, wären „Jungfräulichkeitstests“ ohne förmliche gerichtliche oder staatsanwaltschaftliche Genehmigung untersagt und werde sexuelle Gewalt in der Ehe zum Straftatbestand. „Vor Ort jedoch“, so der Kommissionsbericht wörtlich, „stellt Gewalt gegen Frauen weiterhin ein ernstes Problem dar“ (COM (2004)656 final, S 19). An anderer Stelle heißt es, die Lage der Frauen sei „immer noch unbefriedigend“, Diskriminierungen und Gewalt gegen Frauen und auch „Ehrenmorde“ blieben ein großes Problem (COM (2004)656 final, S 56).

 

Was die Rechte des Kindes betreffe sei Kinderarbeit trotz des Beitritts zum ILO-Übereinkommen über die Beseitigung der schlimmsten Formen der Kinderarbeit und einer entsprechenden Änderung der Rechtsvorschriften nach wie vor ein „großes Problem“. Das Recht der Kinder und insbesondere der Mädchen auf Bildung werde „nicht beachtet“ und das Problem der Straßenkinder in einigen Regionen sei nach wie vor „akut“ (COM(2004)656 final, S 47-48).

 

Darüber hinaus werden im Fortschrittsbericht 2004 der Kommission Probleme im Zusammenhang mit der Religionsfreiheit, den Minderheiten- und den Gewerkschaftsrechten aufgezeigt. So heißt es etwa, die Gewerkschaftsrechte stünden nach wie vor nicht in Einklang mit den ILO-Normen (COM(2004)656 final, S 56).

 

In Bezug auf den Schutz der kulturellen Rechte von Minderheiten hält die Kommission fest, dass auf Grund der Verfassungsänderung, mit der das Verbot des Gebrauchs anderer Sprachen als Türkisch aufgehoben wurde, sich die Behörden gegenüber dem Gebrauch des Kurdischen toleranter zeigten. Trotz der erzielten Fortschritte sei die Ausübung kultureller Rechte aber immer noch stark eingeschränkt (COM(2004)656 final, S 50).

 

Im Zusammenhang mit dem Erweiterungsprozess bekräftigte der Europäische Rat von Helsinki vom 10. und 11. Dezember 1999, dass die Erfüllung der vom Europäischen Rat (Kopenhagen) festgelegten politischen Kriterien eine Voraussetzung für die Aufnahme von Beitrittsverhandlungen ist. Es ist angesichts der von der Europäischen Kommission vorgenommenen Beurteilung in ihrem Fortschrittsbericht 2004 nicht ersichtlich, dass die Türkei diese Kriterien jetzt schon erfüllen würde. Sachlich ist daher nicht nachvollziehbar,  weshalb die Kommission in ihren Empfehlungen zur Türkei zur Schlussfolgerung kommt, dass die Türkei die politischen Kriterien „in ausreichendem Maß“ erfüllt und die Eröffnung von Beitrittsverhandlungen empfiehlt.

 

Die Türkei ist ein wichtiger Partner der Europäischen Union. Die EU soll daher die Beziehungen mit der Türkei auf Basis des bestehenden Assoziationsabkommens weiter vertiefen und den Reformprozess in der Türkei mit Nachdruck unterstützen. Vorbild dafür könnte das EWR-Modell sein, das durch eine intensivierte Zusammenarbeit, etwa im Bereich der Außen- und Sicherheitspolitik, ergänzt werden könnte. Sensible Bereiche wie die Landwirtschaft sollten von der Zusammenarbeit ausgenommen sein, die Freizügigkeit der Arbeitnehmer sollte restriktiv und unter Bedachtnahme auf die Gegebenheiten der Arbeitsmärkte der EU-Mitgliedstaaten geregelt werden. Die Modalitäten dieser neuen Partnerschaft, die auch für andere Partnerländer der EU beispielgebend sein könnte, sollen in Verhandlungen, die unverzüglich beginnen sollen, festgelegt werden.

 

Die unterfertigten Abgeordneten stellen daher folgenden

 

 

Antrag auf Stellungnahme

gemäß Art. 23e Abs. 2 B-VG

 

 

Der Hauptausschuss wolle beschließen:

 

Die Bundesregierung wird ersucht, beim Europäischen Rat am 16. und 17. Dezember 2004 der Aufnahme von Beitrittsverhandlungen mit der Türkei nicht zuzustimmen und sich stattdessen für eine weitere Vertiefung der Beziehungen zwischen der EU und der Türkei in Form einer Strategischen Partnerschaft, die am EWR-Modell orientiert ist, einzusetzen. Die Verhandlungen dazu sollen unverzüglich aufgenommen werden.

 

 

 

 

 

Das gegenständliche Vorhaben ist durch Bundesgesetz oder Bundesverfassungsgesetz umzusetzen oder auf die Erlassung eines unmittelbar anwendbaren Rechtsaktes gerichtet, der Angelegenheiten betrifft, die durch Bundesgesetz oder Bundesverfassungsgesetz umzusetzen wären.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Folgender Antrag auf Stellungnahme der FPÖ erhielt nur die Stimmen der FP-Abgeordneten und wurde somit abgelehnt:

 

 

ANTRAG AUF STELLUNGNAHME

 

gemäß Art. 23e Abs. 1 B-VG

i. Vm § 31 d GOG-NR

 

 

 

der Abgeordneten Scheibner, Dr. Bösch

und Kollegen

 

betreffend die Ablehnung der Aufnahme von EU-Beitrittsverhandlungen mit der Türkei

 

 

 

„Die Türkei hat eine europäische Perspektive auch als EU-Mitglied,“ waren die unmissverständlichen Worte des damaligen SPÖ-Bundeskanzlers Viktor Klima im Jahr 1998, mit welchen er den von Widersprüchen geprägten Türkei Zick-Zack-Kurs der SPÖ einleitete. Stimmte die SPÖ mit Bundeskanzler Klima im Jahr 1999 noch für die Zuerkennung des Beitrittskandidatenstatus der Türkei beim Europäischen Rat in Helsinki, konterkarierte der geschäftsführende Klubobmann der SPÖ Josef Cap am 29.09.2004 die Parteilinie mit den Worten „Es ist einfach unehrlich, der Türkei eine Verhandlungsperspektive mit dem Ziel eines Vollbeitritts zu geben.“  

Praktisch zeitgleich „korrigierte“ der Wiener Bürgermeister Häupl mit einem klaren Bekenntnis für die Aufnahme von Beitrittsverhandlungen diese Linie, um kurz darauf von Parteivorsitzendem Gusenbauer unter Hinweis auf einen Beschluss des Parteivorstandes, nämlich keine Beitrittsverhandlungen mit der Türkei aufzunehmen, eines Besseren belehrt zu werden. 

Mit der Aussage „die Empfehlung für die Eröffnung von Beitrittsverhandlungen mit der Türkei sei couragiert und politisch richtig,“ vervollständigte der EU-Parlamentarier Hannes Swoboda das uneinheitliche Bild der SPÖ in dieser Frage.

Insbesondere ist darauf hinzuweisen, dass sich im EU-Wahlkampf dieses Jahres noch alle Parteien gegen einen EU-Beitritt der Türkei ausgesprochen, mittlerweile aber ihre Positionen, mit Ausnahme der FPÖ, relativiert bzw. geändert haben.

Im Gegensatz dazu hat die FPÖ als einzige Partei Österreichs in dieser Frage die Linie beibehalten und ist stets gegen die Aufnahme von Beitrittsverhandlungen bzw. einen EU-Beitritt der Türkei eingetreten.

 

Chronologie der Beziehung E(W)G / EU und Türkei

Die Versuche der Türkei um Integration in der E(W)G bzw. EU gehen weit zurück. Bereits im Jahr 1963 wurde ein erster Schritt in diese Richtung mit dem Abschluss des Assoziierungsvertrages gesetzt. Nach mehreren Jahrzehnten der Stagnation in den Beziehungen zwischen der Türkei und der Europäischen Gemeinschaft wurde überraschend im Jahr 1999 anlässlich des Europäischen Rates von Helsinki der Türkei Beitrittskandidatenstatus zuerkannt.

Nach einer Vielzahl von Europäischen Räten mit Aufforderungen an die Türkei insbesondere in den Bereichen Menschenrechte, Stärkung der Unabhängigkeit und der Arbeitsweise der Justiz Anstrengungen zu unternehmen sowie die bestehenden makroökonomischen Ungleichgewichte und strukturellen Schwächen zu überwinden, steht die Europäische Union nunmehr vor der weitreichenden Entscheidung über die Aufnahme von Beitrittsverhandlungen mit der Türkei.

 

Eine wesentliche Voraussetzung für die Aufnahme von Beitrittsverhandlungen, die beim Europäischen Rat in Helsinki 1999 beschlossen wurde, ist neben politisch stabilen Verhältnissen vor allem auch zu seinen Nachbarn (keine Grenzkonflikte), die Erfüllung der politischen Kriterien von Kopenhagen. Diese sehen vor, dass „institutionelle Stabilität als Garantie für demokratische und rechtsstaatliche Ordnung, für die Wahrung der Menschenrechte sowie die Achtung und den Schutz von Minderheiten verwirklicht sein muss.“

Diese Formulierung fußt auf Art 6 des EU-Vertrages, der unmissverständlich festschreibt, dass „die Union auf den Grundsätzen der Freiheit, der Demokratie, der Achtung der Menschenrechte und Grundfreiheiten sowie der Rechtsstaatlichkeit beruht und diese Grundsätze allen Mitgliedstaaten gemeinsam sind.“

Im Juni 2004 wies der Europäische Rat in Brüssel auf die Notwendigkeit weiterer Anstrengungen der Türkei insbesondere in nachstehenden Bereichen hin:

·           Stärkung der Unabhängigkeit und die Arbeitsweise der Justiz

·           Rahmenbedingungen für die Ausübung der Grundrechte

·           die kulturellen Rechte

·           die weitere Angleichung der Beziehungen zwischen der zivilen und der militärischen Ebene an die europäische Praxis und die Situation im Südosten des Landes.

 

Türkei von Erfüllung der politischen Kriterien von Kopenhagen meilenweit entfernt

Zugleich brachte der Europäische Rat in diesem Zusammenhang einmal mehr klar zum Ausdruck, dass Beitrittsverhandlungen mit der Türkei umgehend eröffnet werden, falls der Europäische Rat im Dezember 2004 auf der Grundlage eines Berichts und einer Empfehlung der Kommission entscheidet, dass die Türkei die politischen Kriterien von Kopenhagen erfüllt.

 

Wie weit die Türkei davon entfernt ist, die politischen Kriterien von Kopenhagen entsprechend zu erfüllen, zeigt ein Blick auf die politische Realität des Landes:

 

Grundsätzlich ist die gesellschaftliche Akzeptanz für notwendige Reformen in der Türkei nicht gegeben, zumal ein Grossteil der türkischen Bevölkerung außerhalb europäischer Wertvorstellungen lebt. Unter diesen Rahmenbedingungen sind bereits durchgeführte bzw. künftige Reformen nicht unumkehrbar. Eine Entwicklung der Türkei hin zu einem islamistischen Staat  ist daher nicht auszuschließen. Im Falle einer EU-Mitgliedschaft der Türkei  hätte eine solche Entwicklung fatale Folgen für die Europäische Union, wie aktuelle Beispiele in Frankreich oder den Niederlanden zeigen.

 

Türkei missachtet Minderheitenrechte

Aufgrund des türkischen Wahlrechts auf gesamtstaatlicher Ebene mit einer Hürde von 10 % sind nach wie vor große Teile der Bevölkerung im Parlament nicht repräsentiert. Dies führt dazu, dass die kurdische DEHAP trotz eines Stimmenanteils von 6 % bei den letzten Wahlen 2002 nicht im Parlament vertreten ist. Mit einem Stimmenanteil von 34,2 % konnte die Siegerpartei der letzten Parlamentswahlen (AKP) 66 % der Sitze im Parlament vereinigen.

Nach wie vor lässt die türkische Verfassung eine Norm vermissen, die dem Völkerrecht gegenüber dem innerstaatlichen Recht den Vorrang geben würde.

Auch im Bereich der rechtsstaatlichen Ordnung, insbesondere der Unabhängigkeit der Justiz sind erhebliche Defizite zu verzeichnen. Trotz Verankerung der Unabhängigkeit der Justiz in der Verfassung ist eine effektive Selbstverwaltung der Justiz aufgrund ihrer vollständigen verwaltungsmäßigen Abhängigkeit vom Justizministerium nicht gewährleistet.

 

Erhebliche Defizite im Bereich der Menschenrechte und Grundrechte

Verstöße gegen Menschenrechte und Grundrechte sind auf der Tagesordnung. Allein seit Oktober 2003 ergingen 162 Urteile durch den Europäischen Gerichtshof, wovon in 132 Urteilen Verstöße gegen die Europäische Menschenrechtskonvention festgestellt wurden. 

Folter und Misshandlungen erfolgen laut Bericht der Kommission zwar nicht mehr systematisch „sie geht aber weiter, in allen Enden und Ecken der Türkei“, so ein Vertreter der Human Rights Foundation. 

Die Defizite im Bereich der Menschenrechte und Grundfreiheiten zeigen sich auch bei Betrachtung der Zahl türkischer Asylwerber. In Österreich belief sich die Zahl türkischer Asylanträge im Jahr 2003 auf 2854. Bei der Mehrzahl der Antragsteller handelte es sich um Kurden aus dem Südosten der Türkei.

Dies ist nicht zuletzt darauf zurückzuführen, dass den rund 15 bis 20 Millionen in der Türkei lebenden Kurden nach wie vor die Anerkennung als Minderheit verwehrt wird.  Im Zeitraum zwischen 1984 und 1999 wurden 2,4 Millionen Kurden aus ihren Dörfern vertrieben, eine Rückkehr dorthin verhindern sogenannte Dorfschützer. Die prokurdische demokratische Volkspartei (HADEP) wurde verboten, gegen die Demokratische Volkspartei (DEHAP) lauft derzeit ein Verbotsverfahren vor dem Verfassungsgericht.

 

Angesichts dieser Fakten ist es im höchsten Maße unverständlich, dass die Europäische Kommission zu dem Schluss kommt, die Türkei erfülle die politischen Kriterien von Kopenhagen, zumal der Fortschrittsbericht der Europäischen Kommission – wie bereits dargestellt - selbst eine Fülle von Umsetzungsdefiziten im Bereich der politischen Kriterien aufzeigt.

In diesem wird unter anderem festgehalten, dass weiterhin eine Vielzahl von Folterfällen und Misshandlungen evident sind. Darüber hinaus wird auf zahlreiche sonstige Menschenrechtsverletzungen und auf Einschränkungen der Religionsfreiheit hingewiesen.

 

 

Türkei weiterhin gegen Anerkennung des EU-Mitglieds Zypern

Bezug nehmend auf die Aufnahme möglicher Beitrittsverhandlungen mit der Türkei bereits beim Europäischen Rat von Helsinki im Dezember 1999 und zuletzt beim Europäischen Rat in Brüssel vom 12.12.2003 wird festgehalten, dass die politische Lösung des Zypernproblems für die Beitrittsbestrebungen sehr förderlich wäre.

Dennoch weigert sich die Türkei nach wie vor das EU-Mitglied Zypern als Teil der internationalen Staatengemeinschaft anzuerkennen, wie dies der türkische Außenminister Abdullah Gül am 08.12.2004 unmissverständlich zum Ausdruck brachte.

Der vom Niederländischen Vorsitz jüngst vorgeschlagene Lösungsansatz in Form der Unterzeichnung eines Protokolls zur Ausdehnung des Ankaraabkommens mit den neuen Mitgliedstaaten, kann eine formelle völkerrechtliche Anerkennung Zyperns durch die Türkei nicht ersetzen.

 

 

Neben diesen formalen Aspekten, die eine Aufnahme von Beitrittsverhandlungen mit der Türkei nicht zulassen, sind die diesbezüglichen Bedenken mannigfaltig:

 

EU-Beitritt der Türkei würde enorme Migrationswelle auslösen

Insbesondere die kulturellen Unterschiede zwischen der muslimisch geprägten Türkei und der Europäischen Union bzw. die daraus resultierenden und in einzelnen Mitgliedstaaten bereits massiv bestehenden gesellschaftlichen Konflikte, würden sich im Falle eines Vollbeitritts der Türkei nur noch verschärfen. Dazu kommt, dass man, wie türkische Experten bestätigen, von einer Abwanderungsbereitschaft von 15 bis 18 Millionen Türken ausgehen kann. Die daraus abzuleitende und zu erwartende Migrationswelle im Falle eines EU-Beitritts der Türkei in Richtung Europäische Union würde sich auch auf Österreich entsprechend negativ auswirken. Die aufgrund der verfehlten Ausländerpolitik  unter sozialistischen Innenministern hohe Zahl von über 102.000 in Österreich lebenden Türken (Stand 01.11.2004), würde sich dadurch weiter empfindlich erhöhen.

Die daraus resultierenden entsprechenden gesellschaftspolitischen Probleme, Integrationsschwierigkeiten und Belastungen für den Arbeitsmarkt liegen auf der Hand, wie es bereits im Jahr 1999 der nunmehrige Klubobmann der SPÖ Dr. Josef Cap erkannte, wenn er angesichts des schlechten Wahlergebnisses der SPÖ den damaligen Bundeskanzler wie folgt kritisierte: „Vranitzky hat in den Jahren 1989/90 relativ viele Ausländer hereingelassen. Die sind in die Wiener Bezirke mit billiger Gründerzeit-Wohnsubstanz gezogen. Jetzt haben wir mit einem Ausländeranteil von 25 bis 30 Prozent Wohn- und Integrationsprobleme.“ (SN, 8.10.99)

 

Ökonomische Schlusslichtstellung der Türkei würde zu enormen EU-Beitragskosten führen

Ökonomisch betrachtet erreicht die Türkei gerade ein Zehntel des österreichischen Bruttosozialprodukts je Einwohner. Eine weitere Abwanderung insbesondere der gut bzw. besser ausgebildeten Türken könnte dazu führen, dass sich die Divergenz zwischen dem türkischen Bruttosozialprodukt und dem durchschnittlichen BSP der EU sogar noch vergrößern und die ökonomische Entwicklung im Binnengefüge verschlechtern würde. Bis zur Erreichung des durchschnittlichen BSP der EU würde die Türkei nach Aussagen von Experten mindestens fünfzig Jahre benötigen.

Ende 2003 lag die Inflation bei 18,4 %. Mit einem Wert von 10,9 % oder offiziell erfassten 2,4 Millionen Erwerbslosen liegt die Arbeitslosigkeit in der Türkei im OECD Vergleich an vierthöchster Stelle. Besonders besorgniserregend ist in diesem Zusammenhang die Jugendarbeitslosigkeit, die von 15 % im Jahr 1999 auf 20,5 % im Jahr 2003 anstieg. Entsprechend hoch ist die Armutsrisikorate mit 25 %.

Die aus den dargestellten Daten resultierenden Kosten eines Türkeibeitritts würden sich, einer Studie des Osteuropa-Instituts München zufolge, bei vollständiger politischer Integration auf 17,4 Milliarden Euro (berechnet für das Jahr 2013) belaufen, was rund einem Fünftel des derzeitigen Haushaltes der Europäischen Union entspricht.

Angesichts dieser Fakten kann ein Vollbeitritt der Türkei zur Europäischen Union nicht das Ziel entsprechender Verhandlungen sein und ist auch nicht im Interesse Österreichs gelegen, zumal sich Umfragen zufolge 66 Prozent der Österreicher für ein Veto Österreichs gegen Beitrittsverhandlungen aussprechen. Auch für die Entwicklung der Türkei ist ein solcher Schritt politisch wie ökonomisch nachhaltig negativ und könnte zu einer Erosion des labilen Staatsgefüges führen, weshalb auch viele Türken eine Entscheidung für Beitrittsverhandlungen ablehnen bzw. einer solchen sehr skeptisch gegenüberstehen.

 

 

 

 

„Partnerschaft für Europa“

Im Vordergrund europäischer Politik sollte vielmehr die Konzentration auf die mit 1. Mai dieses Jahres erfolgte Osterweiterung und damit die noch lange nicht abge-schlossene Integration von zehn neuen Mitgliedsstaaten stehen. Das Projekt eines geeinten Europas der Bürgerinnen und Bürger darf weder durch weitere  Integrationen noch durch zu weit gehende Vertiefungsschritte gefährdet werden. Daher sollten bei künftigen Integrationsbestrebungen grundsätzlich anstelle von EU-Vollmitgliedschaften primärrechtlich verankerte Formen einer Zusammenarbeit mit den betreffenden Ländern gefunden werden.

 

Die Bedeutung der Türkei als Mitglied der NATO und als ein wichtiges Partnerland der Europäischen Union für ganz Europa ist evident.

Jedoch muss man der türkischen Regierung rechtzeitig signalisieren, dass es im beiderseitigen Interesse andere Wege gibt, diese Partnerschaft zu pflegen und zu entwickeln, als durch eine EU-Vollmitgliedschaft.  Einer primärrechtlich verankerten verstärkten Zusammenarbeit mit der Türkei ist gegenüber einer EU-Vollmitgliedschaft schon aus dem Grund der Vorzug zu geben, da ein möglicherweise bis zu zwanzig Jahre andauernder Verhandlungsprozess zu enormen Rechtsunsicherheiten auf beiden Seiten führen würde. So würden ein Inkrafttreten der Verfassung für Europa bzw. andere sich während der langen Dauer der Verhandlungen ergebende EU-rechtliche Änderungen die Rahmenbedingungen derart verändern, dass die Notwendigkeit der Eröffnung weiterer Verhandlungskapitel während des allfälligen Verhandlungsprozesses impliziert wären.

Daher muss eine verstärkte Zusammenarbeit in Form einer Partnerschaft für Europa als Alternative zu einer EU-Vollmitgliedschaft gerade jetzt im Interesse der Türkei selbst gelegen sein.

 

 

Die unterfertigten Abgeordneten stellen daher folgenden

 

 

Antrag auf Stellungnahme

gemäß Art. 23e Abs. 1 B-VG

i. Vm § 31 d GOG-NR

 

 

 

Der Hauptausschuss wolle beschließen:

 

„Der Bundeskanzler wird ersucht, sich beim Europäischen Rat am 16. und 17. Dezember 2004 in Brüssel gegen die Aufnahme von Beitrittsverhandlungen mit der Türkei auszusprechen, entsprechende Schlussfolgerungen abzulehnen und stattdessen für Verhandlungen mit der Zielrichtung einer primärrechtlich verankerten verstärkten Zusammenarbeit in Form einer Partnerschaft für Europa einzutreten.“

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Das gegenständliche Vorhaben ist nicht durch Bundesgesetz oder Bundesverfassungsgesetz umzusetzen bzw. nicht auf die Erlassung eines unmittelbar anwendbaren Rechtsaktes gerichtet, der Angelegenheiten betrifft, die durch Bundesgesetz oder Bundesverfassungsgesetz umzusetzen wären.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Folgernder Antrag auf Stellungnahme der Grünen erhielt nur die Stimmen der G-Abgeordneten und wurde somit abgelehnt:

 

 

 

ANTRAG AUF STELLUNGNAHME

 

Gemäß Art. 23e.Abs. 2 B-VG

 

 

 

Der Abgeordneten Maga. Ulrike Lunacek, Dr. Peter Pilz, DI. Dr. Wolfgang Pirklhuber

 

Betreffend Aufnahme von Beitrittsverhandlungen mit der Türkei

eingebracht im Zuge der Sitzung des Hauptausschusses am 15. 12. 2004

 

 

 

Im Dezember 1999 beschloss der Europäische Rat in Helsinki, dass „die Türkei ein beitrittswilliges Land ist, das auf Grundlage derselben Kriterien, die auch für die übrigen beitrittswilligen Länder gelten, Mitglied der Europäischen Union werden soll“.

Seit dem Jahr 1998 legt die Europäische Kommission jährlich einen „Regelmäßigen Bericht“ über die Fortschritte der Türkei hinsichtlich der Erfüllung der Kopenhagener Kriterien vor. 2002 wurde in Kopenhagen beschlossen, dass der Europäische Rat im Dezember 2004 auf der Basis des „Regelmäßigen Berichts“ und der Empfehlungen der Kommission zu entscheiden hat, ob die Verhandlungen über einen Vollbeitritt aufgenommen werden.

Am 6. Oktober 2004 veröffentlichte die Europäische Kommission ihren Bericht über die Fortschritte der Türkei bei der Annährung an die Europäische Union. Die Kommission stellt in ihrem Bericht fest, dass die Türkei bereits weit reichende Reformen beschlossen hat  und die politischen Kriterien für die Aufnahme von Beitrittsverhandlungen erfüllt. Obwohl der Bericht auch eine Reihe kritischer Ausführungen über Mängel bei der Umsetzung von Rechtsnormen enthält, wird die Eröffnung von  Beitrittsverhandlungen mit der Türkei, unter Einhaltung  strenger Auflagen, empfohlen: „In Anbetracht der allgemeinen Fortschritte im Reformprozess und unter der Voraussetzung, dass die Türkei die oben genannten, noch ausstehenden Gesetze in Kraft setzt, ist die Kommission der Auffassung, dass die Türkei die politischen Kriterien in ausreichendem Maß erfüllt, und empfiehlt die Eröffnung von Beitrittsverhandlungen. Die Unumkehrbarkeit des Reformprozesses, seine Umsetzung insbesondere im Hinblick auf die Grundfreiheiten, müssen sich über einen längeren Zeitraum bestätigen.“

 

Zum derzeitigen Zeitpunkt ist der Ausgang der Beitrittsverhandlungen noch offen. Einerseits müssen die begonnenen Reformen in der Türkei weiter verfolgt und vor allem umgesetzt werden. Andererseits muss sich auch die Europäische Union weiter entwickeln, damit ein Beitritt der Türkei stattfinden kann. Ziel der Beitrittsverhandlungen der EU mit der Türkei muss aber natürlich ein Beitritt der Türkei zur Europäischen Union sein.

 

Die unterfertigten Abgeordneten stellen daher folgenden

 

 

 

Antrag auf Stellungnahme

gemäß Art. 23e Abs. 2 B-VG

 

 

 

Der Hauptausschuss wolle beschließen:

 

Die zuständigen Mitglieder der Bundesregierung, insbesondere der Bundeskanzler, werden dringend und mit Nachdruck aufgefordert, beim Europäischen Rat in Brüssel am 17. Dezember 2004:

 

1.         für die Eröffnung von Beitrittsverhandlungen mit der Türkei zu stimmen;

 

2.         als Ziel dieser Verhandlungen den Beitritt der Türkei zur Europäischen Union zu definieren;

 

3.         klarzustellen, dass die Integration der süd-osteuropäischen Staaten Priorität hat und vor (oder spätestens gleichzeitig mit) einem Abschluss der Verhandlungen mit der Türkei vollzogen werden muss;

 

4.         klarzustellen, dass die soziale, ökologische und demokratische Vertiefung der EU darüber hinaus ebenfalls eine Voraussetzung eines Beitritts der Türkei ist

 

5.         sich für einen raschen Beginn der Verhandlungen (möglichst im ersten Halbjahr 2005) einzusetzen;

 

6.         sich gegen permanente Schutzklauseln auszusprechen, da  den Bürgerinnen und Bürgern eines EU-Mitgliedsstaates nicht auf Dauer die Grundfreiheiten des Gemeinschaftsrechtes verwehrt werden können;

 

7.         sich dafür einzusetzen, dass es während der Beitrittsverhandlungen klare Vorgaben seitens der EU geben wird, welche Bedingungen bis zu einem endgültigen Beitritt erfüllt sein müssen

·           einerseits betreffend der Implementierung und Fortsetzung von Reformen auf türkischer Seite, insbesondere im Bereich der Achtung der Menschenrechte (vor allem die Rechte von Frauen und Minderheiten), der Rechtsstaatlichkeit und der Reduzierung des Einflusses des Militärs;

·           andererseits betreffend der integrationspolitischen und wirtschaftlichen Fähigkeit der EU, die Türkei aufzunehmen;

 

8.         sich für einen intensiven politischen und kulturellen Dialog seitens der Union und der einzelnen EU-Mitgliedsländer mit der Türkei einzusetzen, wobei die Zivilgesellschaft in besonderem Maße einbezogen werden soll.

 

 

 

 

 

Diese Vorhaben sind durch Bundesgesetz oder Bundesverfassungsgesetz umzusetzen bzw. auf die Erlassung eines unmittelbar anwendbaren Rechtsaktes gerichtet, der durch Bundesgesetz oder Bundesverfassungsgesetz umzusetzen wäre.