IV-16 der Beilagen zu den Stenographischen Protokollen des Nationalrates XXII. GP

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Beratungen des Hauptausschusses
in Angelegenheiten
der Europäischen Union

 

 

 

 

 

(Auszugsweise Darstellung)

 

Freitag, 10. Juni 2005

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Beratungen des Hauptausschusses
in Angelegenheiten
der Europäischen Union

 

(Auszugsweise Darstellung)

 

 


 

XXII. Gesetzgebungsperiode                          Freitag, 10. Juni 2005

 

 

 

Tagesordnung

 

 

 

 

 

Europäischer Rat 16./17. Juni 2005

RAT 9735/05

Europäischer Rat am 16./17. Juni 2005/Entwurf von Schlussfolgerungen

(52935/EU XXII.GP)

und

 

RAT 9637/05

Finanzielle Vorausschau 2007 - 2013

(52936/EU XXII.GP)

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Die große Gefahr nach den negativen Verfassungsreferenden in Frankreich und den Niederlanden sei ein Wuchern der Nationalismen, warnte Bundeskanzler Wolfgang Schüssel im Hauptausschuss des Nationalrates am 10. Juni 2005. Dieser stand im Zeichen des Europäischen Rates am 16. und 17. Juni 2005, bei dem die Staats-  und Regierungschefs über das weitere Vorgehen in Bezug auf die EU Verfassung diskutieren und um eine Einigung über die finanzielle Vorausschau 2007 bis 2013 ringen werden.

 

Dabei waren sich die Abgeordneten einig, dass das negative Votum in den beiden Gründungsstaaten der EU vielfältige Gründe hat. Die Menschen hätten weniger gegen die Verfassung gestimmt, als vielmehr Ängste und Unbehagen über aktuelle Entwicklungen artikuliert. In weiten Bereichen unterschiedliche Auffassungen gab es jedoch darüber, wie man darauf reagieren sollte.

 

So sprachen sich die SPÖ Abgeordneten für eine Kehrtwende in der Wirtschafts-  und Sozialpolitik aus, die für die Menschen spürbar werden müsse. Europa müsse seine Schutzfunktion vor allem im sozialen Bereich erfüllen. Anstatt die Menschen vor Sozialdumping zu bewahren, würden jedoch derzeit die Globalisierungseffekte noch verstärkt, meinten sie.

 

Darüber hinaus forderte die SPÖ, den dritten Teil des Verfassungsvertrags im Rahmen eines neuerlichen Konvents einer Revision zu unterziehen. Die SozialdemokratInnen vertraten weiters die Auffassung, dass vor jeder künftigen Erweiterung eine politische Konsolidierung Vorrang haben müsse und somit die Erweiterung um Rumänien und Bulgarien vorschoben werden sollte. Im Hinblick auf die Finanzierung der EU lehnen sie die Anhebung des österreichischen Beitrags ab, so lange nicht auch die anderen Länder der ehemaligen EU-15 zur Mitfinanzierung der Erweiterung entsprechend ihrer Wirtschaftskraft bereit seien. Diese Eckpunkte sind auch Inhalt des Antrages auf Stellungnahme, der von Abgeordnetem Caspar Einem (S) eingebracht wurde.

 

Demgegenüber argumentierte Bundeskanzler Wolfgang Schüssel, ein Stopp des Erweiterungsprozesses und damit ein Bruch von Verträgen würde die Glaubwürdigkeit der EU stark beeinträchtigen. Man dürfe Rumänien und Bulgarien und eventuell auch Kroatien nicht strafen, weil zwei Referenden schief gegangen sind. Wie Außenministerin Ursula Plassnik trat er dafür ein, den Ratifizierungsprozess fortzusetzen. Die Entscheidung müsse jedes Land für sich treffen, und erst nach einer Gesamtsicht könne man entscheiden. Würde man die Ratifizierung stoppen, dann trage man die Verfassung endgültig zu Grabe.

 

In der Frage der finanziellen Vorausschau appellierte er, Flexibilität walten zu lassen. Der Kompromissvorschlag der luxemburgischen Präsidentschaft komme der Vorstellung der Nettozahlerländer sehr nahe. Sollte es zu keiner Einigung bei dem in Kürze zusammen tretenden Rat kommen, würde das die ohnehin schwierige Situation zusätzlich verschlimmern.

 

Die Grünen teilten die Auffassung des Bundeskanzlers, dass der Ratifizierungsprozess fortgesetzt werden müsse. Kein Verständnis fanden sie für die Position der SPÖ, welche EU- Abgeordneter Johannes Voggenhuber (G) als "Brandlegung" bezeichnete. Sich zum "Profiteur einer Krise" zu machen, sei unverantwortlich, sagte er.

 

Die Grünen betrachteten die Position der Nettozahlerländer als unsolidarisch. Um auf die sozialen Fragen und Probleme eine adäquate Antwort geben zu können, brauche es sogar ein Mehr an Europa und auch mehr finanzielle Mittel, meinen sie. In ihrem Antrag auf Stellungnahme schlagen sie vor, einen neuen Konvent einzuberufen, der die Gründe für die negativen Referenden aufgreift und eine konstitutionelle Antwort auf die sozialen Fragen und die Gefahren der Globalisierung gibt.

 

Seitens des freiheitlichen Parlamentsklubs stellte Abgeordneter Reinhard Eugen Bösch fest, dass die Verfassung gescheitert sei, obwohl er persönlich diese für richtig befinde. Dennoch hielt er es für falsch, den Ratifizierungsprozess abzubrechen, da man damit die Souveränität der Staaten beeinträchtigen würde. Die Ablehnung der französischen und niederländischen Bürgerinnen und Bürger habe deutlich gemacht, dass die politischen Inhalte der letzten Jahre neu überdacht werden müssen. Auch sei die Versicherung, dass am Ende der Verhandlungen mit der Türkei nicht unbedingt der Beitritt stehen müsse, einzuhalten.

 

Bei der Abstimmung wurde der Antrag der SPÖ mit der Mehrheit von ÖVP, F und Grünen abgelehnt. Der Antrag der Grünen wurde von ÖVP, SPÖ und F ebenfalls mehrheitlich abgelehnt.

 

 

 

 

 

In ihrer einleitenden Stellungnahme beschwor Bundesministerin Ursula Plassnik Entschlossenheit des Handelns, Augenmaß und Nüchternheit. Die Politik sei gefordert, den Zweiflern den Nutzen Europas zu erklären und die Menschen anzusprechen. Sie brauchten die Gewissheit, dass man ihre Sorgen versteht. Die EU habe sich verstärkt mit Sachimpulsen, insbesondere auch im sozialen Bereich, zu beschäftigen.

 

Die EU bleibe ein Werk der gemeinsamen Solidarität, und gerade in diesen Tagen müsse ein europäischer Realismus und nicht ein Egoismus zum Tragen kommen.

 

Jetzt sei man gefordert, das Vertrauen zu stärken. Die Ratifizierung des Verfassungsvertrages dürfe nicht gestoppt werden, sagte Plassnik, denn bereits zehn Länder und fast 50 Prozent der EU Bevölkerung hätten diesem bereits zugestimmt. Österreich halte an den Zielsetzungen des Verfassungsvertrages fest, der ein soziales, demokratisches, wettbewerbsfähiges und vielfältiges Europa zum Ziel habe. Die EU sei trotz der negativen Referenden nicht handlungsunfähig und stehe auch nicht im rechtsfreien Raum, da mit dem Vertrag von Nizza die Grundlage für die Erweiterung geschaffen worden sei.

 

Europa, und ganz besonders Österreich, profitierten von der Erweiterung in wirtschaftlicher, sicherheitspolitischer, kultureller und menschlicher Hinsicht. Das gelte auch für die kommende Mitgliedschaft von Rumänien und Bulgarien. Derzeit werde intensiv geprüft, wie die eingegangenen Verpflichtungen in den beiden Ländern umgesetzt wurden. Die Kommission werde Ende Oktober einen Fortschrittsbericht vorlegen, und dann werde über einen eventuellen Aufschub des Beitritts um ein Jahr zu diskutieren sein. In Bezug auf Kroatien sei noch nichts fixiert, für die Türkei gelte die Beschlusslage, hielt Plassnik fest. Man arbeite auch daran, Südosteuropa sukzessive an die EU heranzuführen.

 

Plassnik hielt einen Kompromiss über die finanzielle Vorausschau für die Jahre 2007 bis 2013 für möglich und wichtig. Ein Beschluss würde die Handlungsfähigkeit der Union unterstreichen, merkte sie an. Als Ziel der Vorausschau nannte sie eine faire und zumutbare Regelung für die 25 Mitgliedsländer. Der Voranschlag der luxemburgischen Präsidentschaft könne laut Plassnik als beachtlicher Fortschritt gegenüber dem Kommissionsvorschlag bezeichnet werden und komme den Nettozahlern sehr entgegen. Er berücksichtige auch wichtige Anliegen Österreichs, wie die ländliche Entwicklung, die TEN Projekte und die Förderung der Grenzregionen. Die Kohäsions-  und Strukturfonds müssten Prioritäten zugunsten der schwächsten Mitgliedstaaten setzen. Aus ihrer Sicht sei der Rabatt für Großbritannien weder zeitgemäß noch solidarisch.

 

Abgeordneter Michael Spindelegger (V) reagierte als Erster auf die Ministerin und teilte ihre Auffassung, der Ratifikationsprozess dürfe nicht gestoppt werden. Das sei demokratiepolitisch nicht in Ordnung. Man dürfe nicht vergessen, dass beispielsweise die Menschen in Spanien mehrheitlich ja gesagt haben. Ein Stopp des Ratifizierungsprozesses würde auch signalisieren, dass die Verfassung etwas Falsches sei. Vielmehr solle man das Bild vervollständigen und danach die Frage eines europäischen Referendums in den Raum stellen.

 

Auch er hielt es für wünschenswert, wenn für die finanzielle Vorausschau beim kommenden Rat eine Lösung gefunden würde. Der Kompromissvorschlag mit einer Deckelung von 1,06 Prozent komme der österreichischen Position sehr nahe. Unverständlich war für ihn die Haltung der SPÖ, die noch im Juni 2004 im Hauptausschuss gemeint hatte, man werde mit einem Prozent nicht auskommen. Nun wolle die SPÖ keinen Euro mehr ausgeben, und das sei eine Kehrtwende, stellte er fest. Auch in der Frage der Erweiterung habe die SPÖ offensichtlich ihre Meinung geändert, kritisierte Spindelegger. Sie vergesse, dass Österreich in Rumänien und Bulgarien der bedeutendste Investor sei und das Land von der Erweiterung enorm profitiert habe. Verträge seien einzuhalten, und man dürfe die beiden Staaten nicht für Frankreich und die Niederlande büßen lassen. Ihn, Spindelegger, habe die unverantwortliche Haltung der SPÖ betroffen gemacht.

 

Abgeordneter Josef Cap (S) entgegnete, man müsse aus der vorhandenen Stimmung in der Bevölkerung politische Schlussfolgerungen ziehen. Bei der Regierung orte er jedoch eine Diskussionsverweigerung. Die Menschen in Frankreich und in den Niederlanden hätten nicht gegen den Verfassungsvertrag gestimmt, sondern gegen eine falsche Politik. Cap nannte in diesem Zusammenhang den Vorschlag für eine Dienstleistungs-Richtlinie und für eine Arbeitszeit-Richtlinie, wodurch der neoliberale Druck erhöht werde. Man treffe damit die Klein-  und Mittelbetriebe und verhindere eine wirkungsvolle Beschäftigungspolitik. Auch der Steuerwettbewerb wirke sich schädlich auf die heimische Wirtschaft aus.

 

Hinter der Erweiterung vermutete Cap das Ziel, möglichst rasch einen ungeregelten Wirtschaftsraum zu schaffen. Es sei ein Vertrauensbruch entstanden, und wer auf Kritik und Ängste nicht höre, werde zum Totengräber der Europäischen Union. Die SPÖ möchte das Projekt Europa retten und fordere daher eine Grundsatzdebatte über die Zukunft Europas ein. Anstatt Europa als "Global Player" und starken Wirtschaftsraum zu stärken, sei in den letzten Jahren lediglich eine Politik der Sachzwänge betrieben worden. 

 

Abgeordneter Reinhard Eugen Bösch (F) betonte aus seiner Sicht, die Verfassung sei gescheitert, obwohl sie eine gute Grundlage für die Weiterentwicklung bilden würde. Dennoch müsse der Ratifizierungsprozess weiter geführt werden, da die Souveränität der einzelnen Staaten anzuerkennen sei. Am Ende sollte eine europaweite Volksabstimmung stehen. Aufbauend auf den Vertrag von Nizza würden nun die Staats-  und Regierungschefs eine Grundlage für die Zukunft finden müssen.

 

Als Ursache für den negativen Ausgang der Volksabstimmungen in Frankreich und den Niederlanden sah Bösch politische Gründe, die sowohl in den Nationalstaaten als auch in der EU liegen. Daher müssten seiner Meinung nach alle politischen Inhalte der letzten Jahre und die Erweiterung überdacht werden. Die EU müsse sich die Zeit nehmen, so Bösch, vor einer neuen Erweiterung eine Vertiefung des Integrationsprozesses in Angriff zu nehmen. Bei der Erweiterung dürfe man auch nicht mit zweierlei Maß messen, wie das derzeit in Bezug auf die Türkei und Kroatien geschehe. Auf alle Fälle seien die Verantwortlichen an ihre Zusage gebunden, die Verhandlungen mit der Türkei offen zu führen. Am Ende müsse nicht unbedingt ein Beitritt stehen. Für den Beitritt Rumäniens und Bulgariens verlangte Bösch, einen konkreten Termin zu nennen.

 

Bösch gab all jenen Recht, die meinten, die Menschen hätten auch gegen die negativen Auswirkungen der Globalisierung gestimmt. Die EU habe sich daher um einen effektiven Schutz vor den negativen Auswirkungen der Globalisierung zu bemühen. Die EU-Politik müsse insgesamt bürgernäher werden, betonte er.

 

Abgeordnete Ulrike Lunacek (G) unterstrich, dass die Grünen den Verfassungsvertrag trotz seiner Schwächen unterstützen. Das Nein bei den Referenden habe der unsozialen und mangelnden ökologischen Ausrichtung der Politik in den Nationalstaaten und auf EU-Ebene gegolten. Sie sei daher verwundert, dass die Außenministerin keinerlei konkrete Vorschläge gemacht habe, wie man darauf reagieren werde. Die Menschen erwarteten sich glaubwürdige Antworten auf soziale Fragen und auf Probleme der Sicherheit. Lunacek betrachtete es daher als eine wesentliche Herausforderung, die Sozial  und Wirtschaftspolitik zu vergemeinschaften.

 

Sie vertrat auch die Auffassung, dass jetzt nicht der richtige Moment sei, ein europäisches Referendum einzufordern. Der Ratifizierungsprozess müsse weitergeführt werden, sagte sei, und ein neuer Konvent einberufen werden, in den die Zivilgesellschaft stärker einzubeziehen sei. Als vordringlich erachtete sie es, den kommenden Europäischen Rat öffentlich zu machen. Damit könnte man den Bürgerinnen und Bürgern das Gefühl vermitteln, eingebunden zu sein.

 

Für die Haltung der SPÖ in der Frage der Finanzierung und Erweiterung zeigt die grüne Abgeordnete kein Verständnis.

 

Bundeskanzler Wolfgang Schüssel unterstrich, dass er mehrmals den Vorschlag gemacht habe, die Referenden in den einzelnen Staaten in einem relativ kurzen Zeitraum durchzuführen und dann eine europaweite Volksabstimmung abzuhalten, wo die Mehrheit der Mitgliedstaaten und die Mehrheit der Bevölkerung ihre Zustimmung hätten geben müssen. Zum jetzigen Zeitpunkt sieht er wenig Chancen dafür, dass eine europaweite Abstimmung die Situation entkrampfen könnte. In der Zukunft sei eine solche aber wichtig, um eine Vermengung der Ebenen zu vermeiden.

 

Die negativen Referenden hätten eine "gefährliche Melange" von Gründen gehabt, meinte er. Viele Menschen hätten eine stärkere Vertiefung gewollt, anderen wiederum sei die Verfassung zu weit gegangen. Manche seien völlig gegen Europa. Dazu kämen soziale Fragen und innenpolitische Themen. Im Hinblick auf die Vielzahl von Motiven könne man derzeit keine einfache Antwort geben, sondern müsse die betroffenen Länder hören. Jedenfalls solle man jetzt beim gewählten Prozess bleiben, denn ein Ratifizierungsstopp würde die Verfassung endgültig zu Grabe tragen. Aus seiner Sicht sei es notwendig, dass sich jedes Land dazu äußert, denn erst dann wisse man, wie groß die tatsächliche Zustimmung bzw. Ablehnung sei. Für den Fall, dass vier Fünftel der Länder zustimmen, werde sich der Europäische Rat zusammensetzen, um einen Ausweg zu suchen. 

 

Der Kanzler konnte der Argumentation der SPÖ auch hinsichtlich der Erweiterung nicht folgen. Er halte nichts davon, Bulgarien, Rumänien und gegebenenfalls Kroatien zu bestrafen, weil zwei Referenden schief gegangen seien. Schließlich lägen Verträge vor.

 

Schüssel wies auch die, wie er sagte, "dümmliche Sündenbocksuche" zurück. Jeder sollte sich nun bei der Nase nehmen und nachdenken, was er zur Verbesserung beitragen könne. Dazu gehöre auch, eventuell befristete Maßnahmen zu setzen oder bestehende Regelungen befristet auszusetzen. Man könne auch zur Überzeugung gelangen, dass die eine oder andere Richtlinie zurückzuziehen sei. Schüssel beurteilte die Arbeitszeit-Richtlinie nicht so negativ wie die SPÖ, da sie wichtige Verbesserungen bringe. Er unterstützte dabei auch die Beibehaltung des Opting-outs. Man könne einfach nicht alles über einen Leisten schlagen. Nur wenn man Bedenken anderer Länder respektiere und Kompromisse finde, dann erreiche man den ersten Schritt zu langsamer Harmonisierung. Er, Schüssel, stimme aber zu, dass die Schaffung von Arbeitsplätzen das wichtigste Thema sei.

 

Entschieden wies er aber den Vorwurf neoliberaler Politik zurück, denn in diesem Fall würde das Projekt EU anders aussehen. Es gäbe in diesem Fall keine Solidarfonds und keine Erweiterung. Er sei im Dezember 2004 der Einzige gewesen, der sich bei den Verhandlungen mit der Türkei für einen offenen Ausgang und die Aufnahmefähigkeit Europas als Voraussetzung ausgesprochen und dies auch in die Schlussfolgerungen hinein reklamiert habe. Er habe auch als Erster auf Punkte wie Religionsfreiheit, Minderheitenrechte und Frauenrechte bestanden und fühle sich in seiner Linie bestätigt. Frankreich und die Niederlande seien gerade diejenigen Staaten gewesen, die am meisten auf Verhandlungen mit der Türkei gedrängt haben. Er, Schüssel, werde jedenfalls für den Beginn der Verhandlungen mit der Türkei eintreten.

 

Wie zuvor die Außenministerin, bestätigte auch Wolfgang Schüssel, dass der von der Präsidentschaft vorgelegte Kompromiss zur finanziellen Vorausschau deutlich in die Richtung der österreichischen Position gehe. Man sollte ihn auch deshalb nicht von vornherein verwerfen, da Österreich beispielsweise mehr Geld für TEN-Projekte, wie den Brenner Basistunnel, benötige. Auch für die Forschung seien 11 Milliarden Euro mehr vorgesehen. Noch nicht ganz zufrieden sei man mit den Vorschlägen für den ländlichen Raum. Die Kernfrage werde aber der Britenrabatt sein. Als absolutes Minimum nannte der Kanzler, das Großbritannien zumindest die Erweiterungskosten mitträgt. Die Nettoempfänger könnten nicht erwarten, dass alles so weitergehe wie bisher. Die Nettozahler würden moderat mehr beitragen, denn man erhalte dafür auch mehr Sicherheit, mehr Stabilität und bessere Wirtschaftschancen.      

 

Abgeordneter Caspar Einem (S) erläuterte nochmals die Haltung der SPÖ. Die Leute seien "satt". Daher bedürfe es eines deutlichen Signals, dass ihre Alltagssorgen ernst genommen werden. Stabile Finanzen und ein geringes Budgetdefizit seien eindeutig zu wenig. Der Antrag der SPÖ ziele daher darauf ab, ein Signal durch eine neue Wirtschafts-  und Beschäftigungspolitik zu setzen. Der dritte Teil des Verfassungsvertrages, der dem Mandat des Konvents entzogen gewesen sei, sollte im Rahmen eines neuen Konvents einer Revision unterzogen und dann den Bürgerinnen und Bürgern in einem Referendum vorgelegt werden. Die Kehrtwende in der Wirtschafts-  und Sozialpolitik müsse für die Menschen auch spürbar sein.

 

Für die künftige Finanzierung verlangte Einem eine faire Basis. Es sollten auch jene etwas dazu beitragen, die bisher profitiert haben. So lange dies nicht der Fall sei, dürfe auch der österreichische Beitrag nicht angehoben werden. Außerdem müsse die Vorausschau Grundlage für eine zukunfts-  und beschäftigungswirksame Politik bieten. Die SPÖ habe nichts gegen Rumänien, Bulgarien, Kroatien und die Türkei, aber es sei erforderlich, die eigene Funktionsfähigkeit zu garantieren, und daher gehe es jetzt primär um eine Konsolidierung der EU.

 

In die gleiche Kerbe schlug Abgeordneter Hannes Bauer (S), der meinte, Europa sei es nicht gelungen, seine Schutzfunktionen im globalisierten Raum zu erfüllen. Anstatt bewusst seine Stärke einzusetzen, verstärke die EU-Politik die Globalisierungseffekte. Die Erweiterung dürfe auch nicht dazu herhalten, von der Schwäche Europas abzulenken. Europa brauche die Konsolidierung. Die SozialdemokratInnen seien überzeugte EuropäerInnen, sie wollten ein Europa, das stark ist und Schutz gewährt.

 

Abgeordneter Richard Leutner (S) ortete hinter den Abstimmungen einen allgemeinen Protest gegen reale Lebensverhältnisse. Millionen Arbeitslose rutschten immer mehr an das untere Ende der Gesellschaft, ohne Aussicht auf Rückkehr. Ganze Mittelschichten blickten mit großer Angst in die Zukunft. Die Konsequenz könne nur eines bedeuten, nämlich die Änderung der praktischen EU-Politik. Es dürfe nicht zu einem Sozialdumping kommen, weshalb der Entwurf zur Dienstleistungs-Richtlinie sofort zurückgenommen werden sollte. Leutner kritisierte auch die geplante Arbeitszeit-Richtlinie und warf den EU-ArbeitsministerInnen Arroganz vor, weil sie sich über den Beschluss des europäischen Parlaments hinweggesetzt haben.

 

Die Menschen seien enttäuscht, weil die Versprechungen, man brauche die EU, um gegenüber Asien und den USA wettbewerbsfähig sein zu können, nicht erfüllt worden seien, argumentierte Abgeordnete Marianne Hagenhofer (S). Nun aber würden nicht nur Güter, sondern auch Arbeitsplätze exportiert, und das Steuerdumping habe negative Auswirkungen. Wenn man ein europäisches Sozialmodell entwickle und stärke, würde man auch die Menschen mitnehmen können, sagte sie.

 

Der Europaabgeordnete Johannes Voggenhuber (G) gab Bundeskanzler Schüssel insofern Recht, dass die Ablehnung auf ein Bündel von Motivationen zurückzuführen sei, und auch Nationalismus und Schwächen der Verfassung eine Rolle gespielt haben. Nun sei die Stunde der vorsichtigen Fragen und ersten Skizzen gekommen. Voggenhuber zeigte sich froh darüber, dass die Bundesregierung den Ratifizierungsprozess fortsetzen möchte, denn das habe mit der Würde der Demokratie zu tun. Er sprach sich vehement für einen neuen Konvent aus, da man der niederländischen und französischen Bevölkerung nicht nochmals das Gleiche vorlegen könne. Jedenfalls warne er vor einer europäischen Volksabstimmung zum jetzigen Zeitpunkt, denn das würde den Eindruck erwecken, man wolle die beiden Staaten "overrulen". Das Instrument wäre damit für Generationen verloren.

 

Den SPÖ Antrag auf Stellungnahme bezeichnete Voggenhuber als eine "Brandlegung". Es sei gefährlich und unverantwortlich, wenn man sich zum "Profiteur einer Krise" mache.

 

Dem schloss sich Abgeordneter Peter Pilz (G) vollinhaltlich an und meinte, über dem SPÖ-Antrag dürfe nicht Europa stehen, sondern "Österreich zuerst". Auch er forderte eingehend den Bundeskanzler auf, sich für die Einsetzung eines neuen Konvents stark zu machen, um den Teil drei der Verfassung zu überarbeiten. Als wichtig erachtete Pilz eine Vergemeinschaftung der Wirtschafts-  und Steuerpolitik. Pilz bedauerte es sehr, dass es keine parlamentarische Initiative gibt, um eine gemeinsame Stellungnahme zu erarbeiten.

 

Die grüne Abgeordnete im Europäischen Parlament Evelin Lichtenberger (G) ersuchte um eine Klarstellung, was man unter einer europaweiten Verfassung verstehe. Wolle man Referenden in allen Staaten an einem Tag, jedoch nach nationalen Vorschriften, oder eine europaweite Abstimmung nach europäischen Regeln. Lichtenberger versuchte auch deutlich zu machen, dass man bei der künftigen Finanzierung mehr Geld brauche. Nicht nur die Erweiterung bedürfe zusätzlicher Mittel, auch könne sich nie ausgehen, für Forschung, den ländlichen Raum und Grenzregionen mehr zu fordern und nicht mehr zahlen zu wollen. Die Politik müsse endlich auch auf soziale Fragen eine adäquate Antwort geben, betonte sie.

 

Das wurde auch von Abgeordnetem Wolfgang Pirklhuber (G) bekräftigt, der meinte, die Menschen suchten soziale Perspektiven und forderten mehr Gerechtigkeit. Dies könne aber nicht weniger Europa, sondern nur mehr Europa bedeuten. Auch er trat für einen höheren Beitrag Österreichs ein, denn die von den Nettozahlern eingenommene Position sei kein solidarischer Ansatz. Die Grünen unterstützten in diesem Zusammenhang die Haltung des Europäischen Parlaments, hielt er fest.    

 

Abgeordneter Fritz Grillitsch (V) kritisierte die SPÖ, sie trage zur Antistimmung in Europa und zur Unsicherheit bei. In den letzten zehn Jahren habe man den Bauern Sicherheit und Kalkulierbarkeit garantiert, und das müsse auch in Zukunft so sein. Die Landwirtschaft leide ohnehin unter einem enormen Preisdruck, und die Entwicklung der Einkommen sei sehr unterschiedlich. Die Frage stelle sich, wie man den Anforderungen sicherer Lebensmittel gerecht werden könne, und das sei nur bei fairen Preisen möglich und wenn man politisch nicht verunsichere und polarisiere.

 

Ebenso befremdet über die Haltung der SPÖ zeigte sich Abgeordnete Karin Hakl (V), denn noch vor einem Jahr habe die SPÖ die restriktive Haltung Österreichs bei der finanziellen Vorausschau abgelehnt. Jetzt wolle sie über ein Prozent nicht hinaus gehen. Europa müsse aber Handlungsfähigkeit beweisen, und deshalb schätze sie die Besonnenheit des Bundeskanzlers in dieser Frage. Als wesentliche Gründe für die negativen Referenden in Frankreich und den Niederlanden sah sie die Türkei Frage und das Wording beim Verfassungsvertrag. Mit einer Verfassung für Europa verbinde man die Vereinigten Staaten für Europa, und das wollten viele nicht, bemerkte sie.

 

Der Europa-Abgeordnete Othmar Karas (V) warf der SPÖ ebenfalls vor, Ängste zu schüren. Er unterstützte die Position des Bundeskanzlers und sprach sich dafür aus, einen Informations-  und Kommunikationsprozess in die Wege zu leiten, der mehr Realität wiedergibt. Man sollte zeigen, dass alle an einem Strang ziehen, und nicht mit Ängsten und Desinformation spielen. 

 

Auch Abgeordnete Gabriele Tamandl (V) konnte die Auffassung der SPÖ nicht teilen und hielt den Vorschlag der luxemburgischen Ratspräsidentschaft für die finanzielle Vorausschau für akzeptabel. Wichtig sei es, die Rückflüsse zu maximieren. Die Kosten der Erweiterung müssten von allen solidarisch mitgetragen werden. Die Unterstützung habe aber maßvoll zu sein, denn es gehe nicht an, dass die neuen Mitgliedstaaten Steuerdumping betreiben. Dennoch zeigte sich Tamandl gegenüber einer Steuerharmonisierung skeptisch.  

 

Abgeordneter Roderich Regler (V) stellte klar, dass man bei der Dienstleistungs-Richtlinie nun davon ausgehe, dass die Befähigung vom Herkunftsland genüge, die Standards jedoch vom Zielland erfüllt werden müssen. Dies habe Bundesminister Bartenstein im Hauptausschuss vertreten, und er habe im Hinblick auf die Arbeitszeit-Richtlinie bekräftigt, die österreichischen Standards aufrecht erhalten zu wollen. Eine Politik im Interesse der Menschen könne man auch in einem um Rumänien und Bulgarien erweiterten Europa machen. Hier seien geltende Verträge einzuhalten, stellte Regler fest, und Europa würde auch Kroatien verkraften. Westbalkan und Türkei seien eine andere Sache.

 

Abgeordnete Carina Felzmann (V) vertrat die Auffassung, man sollte nun die Ergebnisse in Frankreich und den Niederlanden analysieren, den Ratifikationsprozess fortsetzen und dann auf Grund des Gesamtbildes weitere Schritte setzen. Sie machte die SPÖ darauf aufmerksam, dass Österreich in Rumänien und Bulgarien Investor Nummer eins sei und eine Verzögerung ihres Beitritts das heimische Wirtschaftswachstum bremsen würde.

 

Bundeskanzler Wolfgang Schüssel unterstrich in seiner abschließenden Stellungnahme, dass er niemanden kenne, der nicht für mehr Arbeitsplätze eintrete. Die Wege dazu seien jedoch strittig. Man könne aber in einem Europa der 25 anderen Staaten nicht etwas aufzwingen. Man müsse tolerieren, dass es andere Wege gibt. Realität sei, dass Europa einen komplexen Prozess darstelle und man aufeinander eingehen müsse.

 

Die SPÖ werde sich entscheiden müssen, ob sie für Forschung und TEN Projekte mehr Geld wolle oder auf der Ein-Prozent Deckelung beharre. Selbstverständlich könne nicht alles ungebremst weitergehen. Der luxemburgische Vorschlag sei ein guter, sagte Schüssel. Wenn es beim kommenden Rat keine Lösung gebe, dann sei dies für Europa schlecht. Er appellierte daher an die Abgeordneten, ihm die Freiheit und Flexibilität zu lassen, um eine Lösung ausarbeiten zu können, die im Interesse Österreichs und Europas liege. Wenn man nicht zustimme, werde dies dann in einem Jahr das Europäische Parlament ohne Zustimmung der Staaten machen.

 

Schüssel unterstrich abermals, dass es mit Rumänien und Bulgarien Verträge gebe, die einzuhalten seien. Andernfalls würde Europa seine Glaubwürdigkeit verlieren.

 

Er verstehe die Ängste der Bevölkerung, deshalb müssten die Antworten offensiv ausfallen. Ein defensives Abschotten brächte keine Lösung, Ängste könnten nur in einer Gemeinschaft aufgefangen werden, nicht in Nationalstaaten. Man dürfe auch nicht vergessen, dass wir heute vier Millionen Arbeitslose weniger und zehn Millionen Arbeitsplätze mehr als vor zehn Jahren haben. Jetzt sei Europa gefordert, zu überlegen, wie man gemeinsam stärker werden könne.

 

Die Konventsidee lehnte der Bundeskanzler nicht ab, meinte aber, sie wäre verfrüht und würde als Unsicherheitszeichen empfunden werden. Auch wenn der Vertrag von Nizza nicht ideal sei, bilde er explizit die Grundlage für die Erweiterung Europas. Hinsichtlich der europaweiten Volksabstimmung erläuterte Schüssel, dass es zuerst eine Ratifizierung in den nationalen Parlamenten geben sollte und danach eine Volksabstimmung in Europa an einem Tag mit dem Erfordernis der doppelten Mehrheit.

 

Eine große Gefahr sah der Bundeskanzler im Wuchern der Nationalismen. Wir sollten uns davor hüten, sagte er, und ersuchte, den kostbaren parteienübergreifenden Konsens nicht zu verlassen. Die Verfassung sei richtig, die Erweiterung sei richtig, denn sie bringe mehr Sicherheit und mehr Stabilität. Österreich sei bei der Erweiterung kein Verlierer.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Folgender  Antrag auf Stellungnahme der SPÖ-Fraktion wurde von den Abgeordneten der ÖVP, des freiheitlichen Parlamentsklubs und der Grünen abgelehnt und blieb somit in der Minderheit:

 

 

ANTRAG AUF STELLUNGNAHME

gemäß Art. 23e Abs. 2 B-VG

 

 

der Abgeordneten Dr. Josef Cap, Dr. Caspar Einem

und GenossInnen

 

betreffend den Europäischen Rat am 16. und 17. Juni 2005

 

 

Eine große Mehrheit der Franzosen (54,9%) und der Niederländer (61,6%) hat in Referenden den Vertrag über eine Verfassung für Europa abgelehnt. Aus Sicht der unterzeichneten Abgeordneten enthält der vorliegende  EU-Verfassungsvertrag in einer Reihe von Punkten Verbesserungen gegenüber den bisher geltenden Verträgen. Er verankert soziale Ziele, Werte und Rechte im Verfassungsrang, er bringt mehr Rechte für die Bürgerinnen und Bürger, die Entscheidungsverfahren der EU werden transparenter, die Rechte des Europäischen Parlaments werden weiter gestärkt, die Einbindung der nationalen Parlamente wird intensiviert und auch die Voraussetzungen, dass die EU international eine gewichtigere Rolle spielt, werden verbessert. Dennoch ist dieses klare Votum beider Staaten – beide sind Gründungsmitglieder der EU – zu respektieren. Es wäre eine Missachtung des Wählerwillens, wenn die EU einfach in ihrer Tagesordnung fortfahren würde.

 

Die Ablehnung des Europäischen Verfassungsvertrages in Frankreich und den Niederlanden hat gezeigt, wie groß die Unzufriedenheit mit der Politik der EU und der Politik ihrer Regierungen in der EU ist. Umfragen, auch aus anderen EU-Mitgliedstaaten, dokumentieren, dass die Unzufriedenheit sowohl den Kurs in der Wirtschafts- und Sozialpolitik betrifft als auch das als zu schnell empfundene Tempo der Erweiterung. Zu Recht erwarten die Bürger und Bürgerinnen, dass die Europäische Union den Kampf gegen die wachsende Arbeitslosigkeit – über 19 Millionen Menschen sind zur Zeit in der Europäischen Union arbeitslos – endlich zu ihrer obersten Priorität macht. Zu Recht erwarten sie, dass die Erweiterung so gestaltet wird, dass auch auf den sozialen Zusammenhalt in der EU und die wachsende Arbeitslosigkeit Rücksicht genommen wird. Zu Recht erwarten sie, dass die EU ihnen soziale Sicherheit und Schutz vor den negativen Auswirkungen der Globalisierung bietet. Eine EU, die sich zum Vorreiter der Liberalisierung macht und damit die negativen Auswirkungen der Globalisierung weiter verschärft, die keine Rücksicht auf die Interessen der ArbeitnehmerInnen und KonsumentInnen nimmt, lehnen sie zu Recht ab.

 

Zu den Bedingungen für die Aufnahme neuer Mitglieder in die EU (Kopenhagener Kriterien, 1993) zählt, dass die EU weiter in der Lage sein muss, die Stoßkraft der europäischen Integration zu erhalten. Mit dem Vertrag von Nizza, der am 26. Februar 2001 unterzeichnet wurde, konnten die erforderlichen Grundlagen für eine auf 25 Staaten erweiterte EU nicht geschaffen werden. Außenministerin Benita Ferrero-Waldner sprach damals von einem großen „Kompromiss, der niemanden befriedigt“ (APA 343, 25.2. 2001). Die EU Staats- und Regierungschefs beschlossen daher bei ihrem Gipfeltreffen im Dezember 2001 die Einsetzung eines Konvents, der über grundlegende Reformen der EU im Hinblick auf die geplante Erweiterung um zehn neue Mitgliedstaaten beraten sollte. Der Konvent sollte klären, wie das politische Leben und der europäische politische Raum in einer erweiterten Union zu strukturieren sind (Erklärung von Laeken, 14. und 15. Dezember 2001). Wenn eine Reform der Institutionen nicht gelänge, so die Einschätzung, würde eine auf fünfundzwanzig oder noch mehr Mitgliedstaaten erweiterte EU nicht handlungsfähig sein.

 

Die institutionellen Grundlagen, um eine erweiterte EU handlungsfähig zu machen, fehlen gegenwärtig ebenso wie Schritte zur Vertiefung der europäischen Integration. Diese hätten ja der Erweiterung eigentlich vorangehen sollen. Nach dem Scheitern der Referenden in Frankreich und den Niederlanden, nach dem Aussetzen des Referendums in Großbritannien, braucht die EU eine Phase der politischen Konsolidierung und einen Kurswechsel in der Wirtschafts- und Sozialpolitik.

 

Angesichts der rapide wachsenden Skepsis in der Bevölkerung gegenüber der Politik der  Europäischen Union, die leicht in eine Skepsis gegen die EU insgesamt umschlagen kann,  müssen die Staats- und Regierungschefs bei der Tagung des Europäischen Rates am 16. und 17. Juni mit ihren Beschlüssen zu verstehen geben, dass sie die Signale aus Frankreich und den Niederlanden und den anderen EU-Mitgliedstaaten verstehen und ernst nehmen.

Die unterfertigten Abgeordneten stellen daher folgenden

 

 

Antrag auf Stellungnahme

gemäß Art. 23e Abs. 2 B-VG

 

Der Hauptausschuss wolle beschließen:

 

 

Die Bundesregierung und insbesondere der Bundeskanzler werden aufgefordert, dafür Sorge zu tragen, dass umgehend ein Verfassungskonvent mit dem Auftrag eingesetzt wird, Teil III der EU-Verfassung, der weitestgehend der heutigen Rechtsgrundlage entspricht, neu auszuarbeiten und dabei vor allem für eine klare Neuordnung im Bereich und Wirtschafts- und Beschäftigungspolitik im Interesse der Menschen Europas zu sorgen. Der neue Text kann dann mit Teil I und II der Verfassung zusammengeführt werden und soll einem gesamteuropäischen Referendum unterzogen werden.

 

Die Bundesregierung und insbesondere der Bundeskanzler werden aufgefordert für die umgehende Einberufung einer Regierungskonferenz einzutreten, deren Aufgabe ausschließlich darin bestehen soll, die Grundlagen für ein gesamteuropäisches Referendum auszuarbeiten und zu beschließen.

 

Die Bundesregierung und insbesondere der Bundeskanzler werden aufgefordert, bei diesem Europäischen Rat und darüber hinaus für eine grundlegende Kehrtwende in der Wirtschafts- und Sozialpolitik einzutreten, damit der Förderung des Wirtschaftswachstums und der Bekämpfung der Arbeitslosigkeit sowohl seitens der Mitgliedstaaten als auch seitens der EU oberste Priorität eingeräumt wird. Die im EU-Verfassungsvertrag genannten Ziele – Vollbeschäftigung, Bekämpfung von sozialer Ausgrenzung und Diskriminierung, Förderung sozialer Gerechtigkeit, Gleichstellung von Männern und Frauen etc. –  müssen in der konkreten Politik der EU auch tatsächlich realisiert und für die Menschen spürbar werden. Dafür sind Instrumente zu entwickeln und entsprechende budgetäre Mittel zur Verfügung zu stellen. 

 

Die Bundesregierung und insbesondere der Bundeskanzler werden aufgefordert, beim kommenden Europäischen Rat und in den Verhandlungen über die finanzielle Vorausschau 2007 – 2013 dafür einzutreten, dass die Finanzierung der EU auf eine faire Basis gestellt wird. Das bedeutet insbesondere, dass nunmehr auch jene Länder der EU-15 zur Mitfinanzierung der EU-Erweiterung entsprechend ihrer Wirtschaftskraft herangezogen werden, die in den letzten Jahren von der Solidarität der wohlhabenderen EU-Mitgliedsstaaten profitiert haben.

 

Die Bundesregierung und insbesondere der Bundeskanzler werden  aufgefordert, einer Anhebung des österreichischen Beitrags zur EU solange nicht zuzustimmen, solange den oben genannten Grundsätzen nicht Rechnung getragen und eine deutliche Umstrukturierung der Ausgaben der EU zugunsten von Zukunftsinvestitionen (Infrastruktur, Forschung, Bildung) vorgenommen und in der EU nichts gegen Steuerdumping unternommen wird.

 

Die Bundesregierung und insbesondere der Bundeskanzler werden im Zusammenhang mit der finanziellen Vorausschau 2007 – 2013 daher aufgefordert, sicherzustellen, dass eine Reduktion der geplanten Ausgaben nicht zu Lasten beschäftigungswirksamer Ausgaben, etwa im Bereich transeuropäische Netze oder in den Bereichen Bildung, Forschung und Entwicklung erfolgt.

 

Die Bundesregierung und insbesondere der Bundeskanzler werden schließlich aufgefordert, sich in der EU mit Nachdruck dafür einzusetzen, dass die politische Konsolidierung der EU Vorrang vor jeder künftigen Erweiterung hat. Zuerst muss die EU-25 fähig werden, Politik im Interesse der Menschen in der EU wirksam zu betreiben, bevor an weitere Erweiterungen gedacht werden kann. 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Das gegenständliche Vorhaben ist durch Bundesgesetz oder Bundesverfassungsgesetz umzusetzen oder auf die Erlassung eines unmittelbar anwendbaren Rechtsaktes gerichtet, der Angelegenheiten betrifft, die durch Bundesgesetz oder Bundesverfassungsgesetz umzusetzen wären.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Folgender  Antrag auf Stellungnahme der Grünen wurde von den Abgeordneten der ÖVP, des freiheitlichen Parlamentsklubs und der SPÖ abgelehnt und blieb somit in der Minderheit:

 

 

 

ANTRAG AUF STELLUNGNAHME

gemäß Art. 23e Abs. 2 B-VG

 

 

 

der Abgeordneten der Abgeordneten Mag.a Ulrike Lunacek, Dr. Pilz,  Dipl-Ing. Pirklhuber

 

betreffend den Europäischen Rat am 16. und 17. Juni 2005

 

eingebracht im Zuge der Sitzung des EU-Hauptausschusses am 10.6.2005

 

 

 

Der Ablehnung der Verfassung für Europa in Frankreich und den Niederlanden war in erster Linie eine Kritik an der unsozialen und unökologischen Ausrichtung der europäischen Politik und der Politik der europäischen Regierungen. Die BürgerInnen Frankreichs und der Niederlande haben damit die soziale Agenda auf die Tagesordnung gesetzt und die kann und soll auch nicht mehr abgesetzt werden!

 

Europa muss Antworten finden zu den Problemen die der Ablehnung der französischen und niederländischen Referenden zugrunde liegen. Die sozialen und ökologischen Herausforderungen der Globalisierung können nur gemeinsam in der EU gelöst werden.

 

Die unterzeichneten Abgeordneten haben der EU-Verfassung in dem Bewusstsein zugestimmt, dass die EU eine Verfassung braucht und dass der vorgelegte Entwurf wesentliche Verbesserungen gegenüber dem Vertrag von Nizza bringt.

 

Der Ratifikationsprozess soll daher jedenfalls fortgesetzt werden, um einen Überblick zu bekommen, wie der derzeitige Verfassungsentwurf von allen EU-Mitgliedstaaten beurteilt wird.

 

 

Die unterzeichneten Abgeordneten stellen daher folgenden

 

 

Antrag  auf Stellungnahme

gemäß Art 23e Abs. 2 B-VG

 

 

Der EU-Hauptausschuss wolle beschließen:

 

 

Der EU-Hauptausschuss begrüßt die Erklärung des Bundeskanzlers zur Fortsetzung des Ratifikationsprozesses. Der EU-Hauptausschuss fordert die Bundesregierung auf, diese Position im Europäischen Rat am 16./17.Juni 2005 zu vertreten

 

Der EU-Hauptausschuss fordert den Bundeskanzler auf, bereits im Vorfeld die öffentliche Abhaltung des Europäischen Rates zu initiieren.

 

Der EU-Hauptausschuss sieht im Vorschlag eines neuen Konventes, der die Gründe für die Ablehnung der Referenden aufgreift und einarbeitet einen erfolgversprechenden Weg zur Fortsetzung des Verfassungsprozesses. Dieser sollte mehrheitlich von Parlamentarierinnen und Parlamentariern beschickt sein und eine angemessene Vertretung der Zivilgesellschaft haben.  Er erarbeitet Vorschläge und findet:

-          die konstitutionelle Antwort auf die soziale Frage und auf die Gefahren der Globalisierung.

-          die Prüfung der Abtrennung des 3.Teiles des Verfassungsentwurfes und die Eröffnung eines Reformprozesses über die darin niedergelegten konkreten Politiken der Union.

 

 

Der EU-Hauptausschuss erachtet die Einrichtung eines Weisenrates oder eines anderen Gremiums, dem die parlamentarische Legitimation fehlt für ungeeignet, die durch die negativen Voten in Frankreich und den Niederlanden aufgeworfenen Probleme zu lösen;

 

Der EU-Hauptausschuss erkennt die Position der Europäischen Kommission und des Europäschen Parlamentes, betreffend Finanzvorschau 2007-2013, die deutlich über 1 Prozent Deckelung des Bruttonationaleinkommens hinausreicht, an. Die Punkte, die für die Weiterentwicklung der EU gerade angesichts der aktuellen Situation wichtig sind, müssen ausreichend berücksichtigt werden. Frauen, Bildung, lebenslanges Lernen, Ausbau der Forschung, Förderung von kleinen- und mittleren Unternehmen, Jugend, nachhaltige Umgestaltung des Arbeitsmarktes, Kultur, Umweltschutz und regionale Entwicklung.

 

 

 

 

 

 

 

 

Diese Vorhaben sind durch Bundesgesetz oder Bundesverfassungsgesetz umzusetzen bzw. auf die Erlassung eines unmittelbar anwendbaren Rechtsaktes gerichtet, der durch Bundesgesetz oder Bundesverfassungsgesetz umzusetzen wäre.