IV-20 der Beilagen zu den Stenographischen Protokollen des Nationalrates XXII. GP

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Beratungen des Hauptausschusses
in Angelegenheiten
der Europäischen Union

 

 

 

 

 

(Auszugsweise Darstellung)

 

Donnerstag, 11. Mai 2006

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Beratungen des Hauptausschusses
in Angelegenheiten
der Europäischen Union

 

(Auszugsweise Darstellung)

 

 


 

XXII. Gesetzgebungsperiode                          Donnerstag, 11. Mai 2006

 

 

 

Tagesordnung

 

 

 

KOM (05) 531 endg.

 

Das ganze Potenzial Europas freisetzen

Legislativ- und Arbeitsprogramm der Kommission für 2006

 

(62102/EU XXII.GP)

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Erstmals seit der Mitgliedschaft Österreichs in der EU besuchte ein Kommissionspräsident das Parlament, um mit Abgeordneten im Hauptausschuss des Nationalrates zu diskutieren. Grundlage für die Diskussion war das Legislativ- und Arbeitsprogramm der Kommission für 2006 unter dem Titel "Das ganze Potenzial Europas freisetzen".

 

Kommissionspräsident José Manuel Barroso nützte die Gelegenheit zu unterstreichen, wie ernst ihm die Umsetzung des Subsidiaritätsprinzips ist. Er bekräftigte in diesem Zusammenhang nochmals die Zusage der Kommission, den nationalen Parlamenten direkt die Gesetzesvorschläge sowie andere wichtige Dokumente zu übermitteln, um diese so früh wie möglich in den Entscheidungsprozess einbinden zu können. Nationalratspräsident Andreas Khol bedankte sich ausdrücklich für diese Bestätigung, denn damit habe der Kommissionspräsident einen der wesentlichsten Wünsche der nationalen Parlamente erfüllt, sagte Khol.

 

Kommissionspräsident Barroso sprach sehr offen die Vertrauenskrise in der Union an und hielt aus seiner Sicht fest, dass das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger nur dann zurück gewonnen werden könne, wenn Europa zu einem Europa der Ergebnisse werde und die Politik konsequent das strategische Ziel des Wohlstands, der Solidarität und der Sicherheit verfolge. Er räumte durchaus ein, dass seitens der Menschen der Eindruck entstehen könne, die Union fühle sich nur dem Binnenmarkt und der Wettbewerbsfähigkeit verpflichtet. Dies sei auf die Verträge zurückzuführen, die der EU im sozialen Bereich weit weniger Kompetenzen zuschreiben. Die soziale Dimension sei in erster Linie ein nationales Thema, aber die Kommission werde mit Engagement und Nachdruck die Sozialagenda weiterführen. Sie beabsichtige daher auch, hinsichtlich der sozialen Agenda parallel zur Überprüfung des Binnenmarkts eine Bestandsaufnahme durchzuführen. Die Werte und Prinzipien des europäischen Lebensmodells könnten nur dann verteidigt werden, wenn man mit der Globalisierung richtig umgehe, meinte Barroso.

 

Der Kommissionspräsident kündigte auch einen weiteren Bürokratieabbau und Anstrengungen um eine qualitative Verbesserung der Rechtsvorschriften im Interesse sowohl der Menschen als auch der Unternehmen an.

 

In der Diskussion unterstrichen die Parlamentarierinnen und Parlamentarier die Notwendigkeit, der sozialen Dimension mehr Augenmerk zu schenken. Die Union müsse  zu diesem Zweck auch gegenüber internationalen Organisationen, wie der WTO, stärker auftreten, denn derzeit fehle es im Welthandel an Fair Play. Wie Präsident Khol, begrüßten sie das Versprechen Barrosos, das Subsidiaritätsprinzip auf Grundlage der bestehenden Verträge umzusetzen, gleichzeitig wurde aber klargestellt, dass dies kein Ersatz für die weiteren  Bemühungen sein könne, die Verfassungsdebatte weiterzuführen und Wege zu suchen, Europa doch noch eine Verfassung zu geben. Der Verfassungsvertrag hätte vieles erleichtert, so der allgemeine Tenor, die Entscheidungsstrukturen verbessert,  mehr Bürgernähe gebracht und eine Grundrechtskatalog mit sozialen Rechten verankert. Hinsichtlich der Erweiterung wurde von der Mehrzahl der Abgeordneten die Aufnahmefähigkeit der EU, die Lösung der institutionellen Frage und der Finanzierung der Union als Voraussetzung angesehen.

 

 

 

Der intensive Gedankenaustausch wurde durch die Feststellung von Kommissionspräsident José Manuel Barroso eingeleitet, Europa könne nur dann Fortschritte erzielen, wenn es in einem direkten Dialog mit den Bürgerinnen und Bürgern eintritt, und deren Vertretungen, die Parlamente, aktiv mit einbezieht. Die Menschen wollten nicht weniger Europa, betonte Barroso, ihnen gehe es in erster Linie um ein besseres Europa, das funktioniere und Ergebnisse erziele. Der Verfassungsentwurf, so der Kommissionspräsident weiter, beruhe auf diesen Werten. Die Verfassung hätte die Union demokratischer und effizienter gestaltet, so wie es sich die Bürgerinnen und Bürger erwarten. Man müsse aber akzeptieren, dass derzeit kein Konsens darüber bestehe, wie es weitergehen soll. Dennoch dürfe man nicht die Hände in den Schoß legen, denn die EU verfüge über ein funktionierendes politisches Rahmenwerk und dieses müsse man bestens nützen. Als Beispiele für die Handlungsfähigkeit der Union nannte Barroso den Kompromiss über die finanzielle Vorausschau für die nächsten sieben Jahre, die Reform des Lissabon-Prozesses, den Kompromiss über die Dienstleistungs-Richtlinie und den neuen Stabilitäts- und Wachstumspakt. Barroso hob in diesem Zusammenhang die Arbeit der österreichischen Ratspräsidentschaft positiv hervor.

 

Als wesentlichste strategische Ziele der EU müssten die Sicherung des Wohlstands, der Sicherheit und der Solidarität verfolgt werden, denn dies stünde auch im Zentrum der Erwartungen der Bürgerinnen und Bürger, so Barroso weiter. Um Wohlstand zu sichern, bedürfe es der Realisierung des Binnenmarktes, denn dieser schaffe Arbeitsplätze und stärke die Wirtschaft. Gleichzeitig dürfe man den sozialen Zusammenhalt der Gesellschaft und die Solidarität zwischen den Regionen nicht aus den Augen verlieren, denn das seien die Werte, die Europa verbinden. Die Kommission werde daher eine Bestandsaufnahme der sozialen Dimension parallel und in enger Zusammenarbeit mit einer Überprüfung des Binnenmarktes vornehmen.

 

Priorität werde auch die Sicherheitsfrage haben, bestätigte Barroso. Dazu zähle eine Verbesserung der Antiterrorismus-Politik, eine engere Zusammenarbeit der Exekutive und eine bessere Sicherung der Außengrenzen.

 

Der Kommissionspräsident sah auch die Notwendigkeit, Wohlstand, Solidarität und Sicherheit auf globaler Ebene zu fördern, um die eigenen Ziele der Union erreichen zu können. Daher bedürfe es einer kohärenteren Zusammenarbeit der Kommission mit den anderen europäischen Institutionen und den Mitgliedstaaten.

 

Obwohl die Erweiterung ein Erfolg sei, habe die Geschwindigkeit und das Ausmaß der Erweiterung bei den Bürgerinnen und Bürgern Befürchtungen und Unsicherheit ausgelöst, stellte Barroso mit Bedauern fest. Die Kommission werde aus diesem Grund die Diskussion über die Kapazität und Aufnahmefähigkeit der Union weiterführen.

 

Aufhorchen ließ der Präsident mit seiner Ankündigung, den Bürokratieabbau weiter forcieren zu wollen. Um die Aufgaben erfüllen zu können, brauche man eine neue Arbeitsweise, die kostenintensive und kontraproduktive Überregulierung vermeidet. "Wir brauchen keine Bürokratie, sondern Investitionen," so Barroso. Verbesserungen würden auf allen Ebenen des politischen Kreislaufs angestrebt und Strategien für eine bessere Rechtsetzung für eine Vereinfachung der Vorschriften und für eine Folgenabschätzung der Gesetze entwickelt. Unter dieser Prämisse habe die Kommission bereits einige Vorschläge zurückgezogen, weil diese nicht notwendig gewesen seien.

 

Barroso bekräftigte auch den Willen der Kommission über "den Tellerrand hinauszuschauen". Sie sei dem Subsidiaritätsprinzip verpflichtet, stellte er fest, die Partnerschaft könne nicht einseitig sein, sondern bedürfe einer engen Zusammenarbeit mit dem Europäischen Parlament und den nationalen Parlamenten. Das werde einen Mehrwert bringen, zeigte er sich überzeugt, denn mit der Einbindung der jeweiligen Volksvertretungen bestehe auch die Chance einer besseren Akzeptanz der EU durch die Bürgerinnen und Bürger. Daher sei die Kommission überein gekommen, auf der zur Verfügung stehenden rechtlichen Basis des Amsterdamer Vertrages alle Gesetzesvorschläge und relevanten Dokumente den nationalen Parlamenten direkt zu übermitteln. Dies könnte eventuell auf dem Weg des interparlamentarischen Dokumentationsaustausches (IPEX) geschehen.

 

Um den Kontakt mit den nationalen Parlamenten möglichst eng zu gestalten, werde er alle Parlamente besuchen, kündigte Barroso an, da er an deren Meinung außerordentlich interessiert sei. Er hoffe, dadurch verlorenes Vertrauen wieder zu gewinnen, denn man müsse zugeben, die derzeitige Vertrauenskrise sei durch ein zu technokratisches Europa entstanden. "Wir brauchen Demokratie, Offenheit, Transparenz und Rechenschaftspflicht", fasste Barroso seine Bemühungen als Kommissionspräsident zusammen.

 

Parallel dazu müsste auch die institutionelle Frage weiter entwickelt werden, hielt Barroso fest und regte an, eine entsprechende Entscheidung beim Rat im Juni zu treffen. Als weiteren Schritt zu einer institutionellen Festigung schlug er vor, im nächsten Jahr, 50 Jahre nach der Unterzeichnung des Vertrags von Rom, eine politische Erklärung zu veröffentlichen, die eine Selbstverpflichtung enthält, die europäischen Werte und Zielsetzungen zu stärken. Darauf könnte eine so genannte Roadmap für die weitere Lösung der institutionellen Frage aufbauen.

 

"Wir haben bemerkenswerte Stärken. Nützen wir sie!" appellierte der Kommissionspräsident abschließend. Die Politik habe die Verpflichtung, den Wohlstand, die Sicherheit und die Solidarität unter allen Europäerinnen und Europäern zu gewährleisten.

 

 

 

Nach der einleitenden Stellungnahme zu den Zielen und notwendigen Erneuerungsschritten innerhalb der Union durch Kommissionspräsident Jose Manuel Barroso entwickelte sich eine lebhafte Debatte.

 

Klubobmann Wilhelm Molterer (V) teilte die Auffassung Barrosos, dass die Intensivierung des Dialogs mit den Bürgerinnen und Bürgern auf der einen Seite und mit den nationalen Parlamenten auf der anderen Seite eine essentielle Voraussetzung für die Stärkung des Vertrauens bei den Menschen darstelle. Die vom Kommissionspräsidenten angekündigte Bereitschaft, das Subsidiaritätsprinzip auf der Basis bestehender Verträge umzusetzen, sah Molterer als einen konkreten Anknüpfungspunkt für diesen Dialog und als ein Vehikel, den Verfassungsvertrag wieder zu beleben. Molterer begrüßte auch die Bedeutung, die der Kommissionspräsident der sozialen Dimension beigemessen hat, und befürwortete den geplanten Bürokratieabbau. Im Hinblick auf die zukünftigen Erweiterungsschritte teilte Molterer die Auffassung Barrosos, der Aufnahmefähigkeit der Union besonderes Augenmerk zu schenken. Schließlich erkundigte er sich nach den Perspektiven im Bereich der erneuerbaren Energien.

 

Etwas kritischer reagierte Abgeordneter Josef Cap (S) auf die Ausführungen Barrosos, da dieser nach Auffassung Caps eine falsche Gewichtung vorgenommen habe. Das Hauptgewicht auf den Binnenmarkt zu legen und die soziale Dimension sowie die Erweiterung eher kurz zu streifen, treffe nicht die Stimmung in der Bevölkerung, sagte der SPÖ-Klubobmann. Man müsse sich die Frage stellen, ob die Union als ein Modell eines neoliberalen Binnenmarktes betrachtet wird oder ob man nicht doch eher eine Sozialunion anstreben sollte. Cap fehlten auch Definitionsansätze zum Begriff Aufnahmefähigkeit sowie eine klare Aussage, wo die geographische Grenze der Union anzusiedeln sei. Auch die Vorgangsweise in Bezug auf die Türkei, erst nach dem Beschluss, Beitrittsverhandlungen zu führen, einen negativen Bericht zu veröffentlichen, habe nicht zur Stärkung des Vertrauens geführt. Die Erweiterung mit der Türkei und eventuell auch mit der Ukraine werde die Skepsis weiter stärken und die Grenzen der Union sprengen, zeigte sich Cap überzeugt. Vor allem fehle die institutionelle Weiterentwicklung innerhalb der Union.

 

Abgeordneter Maximilian Hofmann (F) bezeichnete den Verfassungsvertrag trotz berechtigter Kritik als richtungweisend, weil er u.a. die Achtung der nationalen Identität und verfassungsrechtlichen Grundstrukturen bekräftigt und ein Subsidiaritätsprüfungsverfahren festlegt. Man müsse daher nach Alternativen suchen, wie man Bürgernähe und Demokratisierung auch ohne EU-Verfassung realisieren kann. Hinsichtlich eines Türkeibeitritts teilte er die Auffassung Caps.

 

Ein Bekenntnis zum vorliegenden Verfassungsvertrag legte Abgeordnete Ulrike Lunacek (G) ab. Die Grünen stünden der Schaffung und Stärkung einer politischen Union positiv gegenüber, sagte sie und somit auch dem Verfassungsvertrag, den sie als einen wertvollen Kompromiss bezeichnete. Auf Grund einiger in den Medien veröffentlichter Äußerungen Barrosos hegte sie jedoch den Verdacht, dass man derzeit dessen Realisierung nicht mit dem nötigen Nachdruck vorantreibe. Sie unterstützte in diesem Zusammenhang den von den EP-Abgeordneten Duff und Voggenhuber vorgelegten Plan, der insbesondere auch die soziale Dimension der Union unterstreicht. Auch hinsichtlich des Subsidiaritätsprinzips, das sie grundsätzlich für richtig hält, befürchtete sie, dieses könnte dazu benützt werden, Nationalismen zu stärken. Die Erweiterung wurde von der außenpolitischen Sprecherin der Grünen bejaht, zumal diese dazu diene, Europa als Friedenskontinent zu abzusichern.

 

In der zu geringen Beachtung der sozialen Dimension der Union sah auch die Zweite Präsidentin des Nationalrats, Barbara Prammer, einen der Gründe für die Unzufriedenheit der Bürgerinnen und Bürger. Diese negative Stimmung betreffe vor allem die Frauen, wo die EU-Skepsis besonders hoch sei. Die zahlreichen Studien und das Datenmaterial würden ein ernüchterndes und Besorgnis erregendes Bild im Bereich Gleichstellung der Geschlechter am Arbeitsmarkt zeichnen, beklagte Prammer. Die Teilzeitrate bei den Frauen sei viel zu hoch, die Einkommensschere entwickle sich dadurch weiter auseinander. Sie, Prammer, erwarte sich daher von der Kommission eine konkrete Strategie.

 

Ihr Klubkollege Caspar Einem mutmaßte, die Globalisierung werde oft als Vorwand für Anpassungen des Sozialsystems sowie Verzicht und hohe Leistungen durch die Bürgerinnen und Bürger genommen. Das rufe Skepsis hervor, sagte er, weshalb er dafür eintrat, Bedingungen zu schaffen, auf die sich die Menschen verlassen können. Das erfordere aber eine Änderung der EU-Politik und eine neue Art des Diskurses. Einem räumte ein, dass ein gut funktionierender Binnenmarkt eine Voraussetzung für Wachstum und Wohlstand darstelle, ein zweiter wesentlicher Aspekt sei aber die Binnenmarktnachfrage, und die müsse stimuliert werden.

 

Abgeordneter Hannes Bauer (S) ging auf die Energiepolitik ein und fragte, wie man den Bedarf in Zukunft decken wolle. Ihm fehlte in der Debatte vor allem die Thematisierung der sozialen Verträglichkeit der Energiepreise.

 

Abgeordnete Marianne Hagenhofer (S) sprach den Globalisierungsfonds an, der zur Unterstützung arbeitslos gewordener Menschen nach Absiedelung von Betrieben eingerichtet wurde, und kritisierte, dass die Grenze ab 2.000 Beschäftigten für die Ausschüttung von Mitteln viel zu hoch gegriffen sei. Man müsse bedenken, dass auch zahlreiche Mittelbetriebe ihren Standort verlagern.

 

Im Gegensatz zu Abgeordnetem Cap hielt Abgeordneter Michael Spindelegger (V) die von Kommissionspräsident Barroso vorgenommene Gewichtung für richtig dimensioniert. Der zukünftige Fokus der Politik müsse sich sowohl auf den Binnenmarkt als auch auf den Schutz des europäischen Lebensmodells in der Außenvertretung gegenüber internationalen Organisationen, wie der WTO, konzentrieren. Besondere Bedeutung maß er einer gemeinsamen Asyl- und Migrationspolitik bei. Spindelegger begrüßte die Aussagen Barrosos zur Subsidiarität und Zusammenarbeit mit den nationalen Parlamenten. Die Subsidiarität diene der richtigen Balance zwischen den Ebenen und nicht der Renationalisierung, hielt er aus seiner Sicht fest.

 

Die Globalisierung dürfe nicht als Bedrohung, sondern als Chance aufgefasst werden, sagte Abgeordneter Günter Stummvoll (V), indem er die Ausführungen Barrosos dazu unterstrich. Globalisierung stelle einen Teil der EU-Skepsis dar, weshalb es einer europäischen Antwort auf die Globalisierung bedürfe. Er knüpfte dabei an die Aussagen seines Vorredners an und meinte, im Welthandel fehle es trotz aller Bekenntnisse an einem Fair Play. Europa habe es bislang verabsäumt, Strategien zu entwickeln, um stark gegen einen unfairen Wettbewerb aufzutreten. Dieses Fair Play im Welthandel sei aber Voraussetzung für den Erhalt der sozialen und ökologischen Marktwirtschaft.

 

Dem stimmte Abgeordneter Martin Preineder (V) zu, der die Ernährungssicherheit und die Produktion erneuerbarer Energien in den Mittelpunkt seiner Wortmeldung stellte. Auch er plädierte für eine stärkere Position gegenüber der WTO und meinte, bei der Lebensmittelproduktion sei ein besserer Außenschutz notwendig. Preineder brach auch eine Lanze für die Unterstützung erneuerbarer Energieträger und der Biomasse.

 

EP-Abgeordneter Othmar Karas (V) reagierte auf Abgeordnete Lunacek und ersuchte um Klarstellung Barrosos, dass die Umsetzung des Subsidiaritätsprinzips keinen Ersatz für den Verfassungsvertrag darstelle. Er erinnerte an die kürzlich abgehaltene Zukunftskonferenz in Brüssel und sprach sich dafür aus, diese Form der parlamentarischen Foren beizubehalten. Dieses Modell könnte man auch auf das nationale Parlament und die Landtage übertragen, schlug er vor. Karas sah ebenso, wie einige Redner zuvor, hinsichtlich der sozialen Dimension eine Schieflage und nannte den Werdegang der Dienstleistungsrichtlinie als ein gutes Beispiel dafür, wie man zwischen Binnenmarktkompetenz und sozialer Dimension zu einem Kompromiss kommen kann.

 

EP-Abgeordnete Evelin Lichtenberger (G) teilte die Befürchtung ihrer Klubkollegin Ulrike Lunacek, dass der Verfassungsvertrag nicht mehr im Zentrum der EU-Politik stehe. Sie gab jedoch zu bedenken, dass bisher nur zwei Staaten nein gesagt, 17 Staaten aber ratifiziert haben, und diesen sollte man genauso viel Augenmerk schenken, meinte sie. Mit dem Vorziehen einiger "Rosinen" werde man die Verfassungsdebatte nicht in Schwung halten. Sie kritisierte auch die untergeordnete Rolle der Grund- und Sozialrechte in der Diskussion. Lichtenberger schnitt kurz die finanzielle Vorausschau an und bedauerte, dass die Mittel für jene Projekte nicht ausreichen, die die Bürgerinnen und Bürger von der EU erwarten. Sie interessierte sich auch für konkrete Überlegungen zur Frage der Eigenmittel und bedauerte die erhöhte Mittelzuteilung zu EURATOM, obwohl ein Großteil der Europäerinnen und Europäer die Atomenergie ablehnen.

 

Abgeordneter Wolfgang Pirklhuber (G) trat dafür ein, die sozialen und ökologischen Prinzipien in der Union zu stärken, zumal die Menschen das Gefühl hätten, die EU sei in erster Linie ein Markt. Viele Großunternehmen leisten keine Beiträge mehr für das Bestehen der Gemeinschaft, führte er an, und im internationalen Handel würden qualitative Aspekte wie Menschenrechte und Arbeitsrecht kaum berücksichtigt. In Bezug auf gentechnisch veränderte Pflanzen gehe die Kommission nicht wirklich demokratisch vor, so sein Vorwurf gegenüber Barroso, die regionalen und nationalen Wissenschafter und Behörden würden in die Diskussion nicht einbezogen. Im Gegensatz zum Vorgehen der Kommission sei jedoch die Mehrheit der Europäerinnen und Europäer gegen gentechnisch manipulierte Lebensmittel. Abschließend sprach Pirklhuber die Situation im afrikanischen Darfur an.

 

Ein breites Meinungsspektrum hinsichtlich der zukünftigen Finanzierung der Union und der Verfassungsfrage konstatierte Abgeordneter Anton Wattaul (F). Jedenfalls sollten vor einer zukünftigen Erweiterung diese Fragen geklärt werden, forderte er. Er kritisierte auch die komplizierte Sprache in der EU und trat für eine verständlichere Ausdrucksweise ein.

 

 

 

"Wir sind der Europäischen Verfassung verpflichtet und haben diese immer unterstützt", reagierte Kommissionspräsident José Manuel Barroso auf die Wortmeldungen der Abgeordneten. Diese aber in Kraft zu setzen, liege bei den Mitgliedstaaten. Die Kommission werde alles tun, um den Stillstand in der Diskussion zu vermeiden. Er räumte ein, dass die EU vor einem schwierigen und komplexen Problem stehe und kurzfristig kein Konsens in Sicht sei. Jetzt sei eine politisch und intellektuell ehrliche Auseinandersetzung gefragt und dafür solle man sich noch etwas Zeit nehmen, sagte Barroso. Er appellierte, alle pro-europäischen Kräfte zu bündeln, denn man stehe derzeit an einer Weggabelung, und die Widerstände könne man nur dann überwinden, wenn man in Europa mit einer Stimme spreche.

 

Die Kommission fühle sich auch dem Subsidiaritätsprinzip verpflichtet, bekräftigte Barroso. Auch wenn man aufgrund der derzeitigen Verträge die Subsidiaritätsprüfung, wie sie in der Verfassung vorgesehen sei, nicht anwenden könne, könne man das Prinzip institutionell weiter entwickeln. Die Idee, die dahinter stehe, sei es, ein Gleichgewicht zu schaffen. Für wichtiger als viele Vorschriften halte er die Kultur des Dialogs und des Systems. Ein gutes Beispiel dafür stelle der Kompromiss zur finanziellen Vorausschau und zur Dienstleistungsrichtlinie dar. Wenn man das europäische Friedens-, Freiheits- und Solidaritätsprojekt umsetzen wolle, brauche man Kompromissbereitschaft.

 

Der Kommissionspräsident unterstrich abermals die Bedeutung der sozialen Dimension Europas und wiederholte seine Ankündigung einer Bestandsaufnahme parallel zur Überprüfung des Binnenmarkts. Es sei notwendig, sich in der EU auf eine neue soziale Agenda zu einigen. Dass sich die Union manchmal mehr für die Liberalisierung einsetze, liege an den Verträgen, erläuterte er. Denn nur im Bereich Binnenmarkt und Wettbewerbsfähigkeit verfüge die Kommission über starke Kompetenzen, nicht jedoch im Sozialbereich. Dieser sei in erster Linie eine nationale Angelegenheit. Die Gründung des Globalisierungsfonds stelle einen ersten Lösungsansatz dar, und er versichere, dass die Sozialagenda, wie auch die Bemühungen um die Gleichstellung von Männern und Frauen, fortgesetzt werden. Bei der Gleichstellung stünden viele Mitgliedsstaaten wesentlich schlechter da als die EU.

 

Die Globalisierung werde uns auch in Zukunft begleiten und sei von den Märkten, von den Staatsbürgerinnen und Staatsbürgern sowie vom technischen Fortschritt bestimmt, so Barroso in seiner Antwort weiter. Es gelte daher, mit ihr richtig umzugehen und sie zu gestalten, das heiße auch, die Instrumente weiter zu entwickeln und zu modernisieren, um das europäische Lebensmodell und die soziale Marktwirtschaft verteidigen zu können. Barroso ging auch auf die demographische Entwicklung der europäischen Gesellschaft ein und unterstrich die Notwendigkeit, die Sozialversicherungssysteme zu reformieren. Sicherlich sei es populär, Gelder zu verteilen, Politiker und Politikerinnen trügen aber auch Verantwortung und sollten ehrlich zugeben, schwierige Entscheidungen treffen zu müssen.

 

Barroso sprach sich auch für die völlige Verwirklichung des Binnenmarkts aus, da die Verbraucherinnen und Verbraucher davon profitierten. Als Beispiel nannte er die Preissenkung in der Telekommunikation und bei den Flugtickets. Weniger gut funktioniere derzeit der Binnenmarkt im Versicherungs- und Bankwesen, sagte Barroso, weshalb man weiterhin bemüht sei, die Hindernisse zu beseitigen. Jeder europäische Bürger und jede europäische Bürgerin müsste in den einzelnen Mitgliedsländern gleich behandelt werden. Die Kommission lege bei den Wettbewerbsregeln strenge Maßstäbe an und sie sei um die Klein- und Mittelbetriebe besonders bemüht. Ihnen komme der Bürokratieabbau zugute. Man wolle auch die Zuschussmöglichkeiten vereinfachen, Verbesserungen beim Risikokapital erzielen und das geistige Eigentum besser schützen. Der Kommissionspräsident betonte auch die Notwendigkeit einer stärkeren Investitionstätigkeit, vor allem in saubere Technologien. Die Kommission, so Barroso, hätte für die TEN-Projekte und regionale Entwicklung sowie für Forschung und Entwicklung mehr Finanzmittel gefordert, da dies eine Antwort auf die Globalisierung darstelle. Dazu brauche man aber die Hilfe der Mitgliedsländer, aus deren Budgets die Beiträge kommen.

 

Was die Umwelt betrifft, so sei die EU kein Musterschüler, bekannte Barroso, aber wesentlich besser als beispielsweise die USA, Russland und China. Man müsse sich aber in diesen Fragen sicher noch mehr einbringen. Zu den gentechnisch veränderten Lebensmitteln bemerkte Barroso, dass hier die Gesetze besonders streng seien.

 

Die Kernenergie sei dem Prinzip der Subsidiarität unterworfen und ein Konsens sei nicht in Sicht. Hinsichtlich der erneuerbaren Energieträger habe die Kommission einen Aktionsplan beschlossen, wobei sich das Europäische Institut für Technologie zu einem europäischen Exzellenzzentrum im Bereich Energie und Umwelt entwickeln sollte. Grundsätzlich sei die Energiepolitik kein Feld der gemeinsamen Politik, bemerkte Barroso, aber man habe erkannt, dass es keinen Sinn mache, einzeln vorzugehen. Daher habe man anlässlich des Frühjahrsgipfels im März einen ersten wichtigen Schritt zu einer gemeinsamen Energiepolitik gesetzt.

 

Zum Erweiterungsprozess bemerkte Barroso, dass die Union ihren Verpflichtungen nachkommen werde, um gleichzeitig zu betonen, dass neue Mitglieder nur dann aufgenommen werden, wenn diese alle politischen und wirtschaftlichen Kriterien erfüllen. Dabei gebe es "Null Toleranz". Die Diskussion über die Kriterien der Aufnahmefähigkeit werde intensiv geführt.

 

Als Ziel der Entwicklungshilfe nannte der Kommissionspräsident die Verdoppelung der Hilfen. Zur Lösung des Konflikts in Darfur wolle man die Afrikanische Union und deren institutionelle Kapazitäten stärken.