253/J XXII. GP

Eingelangt am: 26.03.2003
Dieser Text ist elektronisch textinterpretiert. Abweichungen vom Original sind möglich.

Anfrage

Der Abgeordneten DDr. Erwin Niederwieser und Genossinnen


an den Bundesminister für Wirtschaft und Arbeit

betreffend "Auswirkungen des Dienstleistungsabkommens GATS auf das österreichische

Bildungssystem"

In Vertiefung der Anfrage 3831J/XXI.GP vom 3.5.2002 richten die unterzeichneten
Abgeordneten an den Bundesminister folgende

Anfrage:

1.   Sobald private Träger neben der öffentlichen Hand in einem Bildungssegment tätig sind,
kann dieses Segment nicht unter Berufung auf die Hoheitsklausel von den GATS-
Vorschriften ausgenommen werden. Die EU hat sich 1994 die Ausnahme eintragen lassen,
dass Dienstleistungen, die als öffentliche Aufgaben betrachtet werden, staatlichen
Monopolen oder ausschließlichen Rechten privater Betreiber unterliegen können. Ferner hat
sich die EU für ihre Mitgliedsstaaten das Recht vorbehalten, nach eigenem Belieben Bildung
zu subventionieren.

Österreich war 1994 noch nicht Mitglied der EU und strebt an, ebenfalls unter diese
Vorbehaltsklausel zu gelangen.

a) Wird die EU in den bevorstehenden Verhandlungen diese „horizontale Ausnahme"
aufrechterhalten?

b) Ist bekannt, ob Forderungen anderer Länder angemeldet wurden, die auf eine Aufhebung
dieser Ausnahme abzielen?

c) Ist die Forderung Österreichs auf Unterstellung unter diese EU Vorbehaltsklausel bereits
angemeldet worden?

d) Ist sie im Forderungsprogramm der EU enthalten?

2.   Dienstleistungen, die „in Ausübung hoheitlicher Gewalt erbracht" werden (GATS, Art. l, Abs.
3 b), sind vom Anwendungsbereich des GATS-Übereinkommens ausgenommen. Artikel l,
Abs. 3 (c) nimmt dazu eine Negativdefinition vor: „Für die Zwecke dieses Übereinkommens
(...) bedeutet der Begriff ,in Ausübung hoheitlicher Gewalt erbracht' jede Art von
Dienstleistung, die weder zu kommerziellen Zwecken noch im Wettbewerb mit einem oder
mehreren Dienstleistungserbringern erbracht wird". Der Schutz der Hoheitsklausel ist also
von der Erbringungsform und den bestehenden Wettbewerbsverhältnissen abhängig.
Bereiche, die teilprivatisiert sind oder in denen quasistaatliche oder private Anbieter
öffentliche Aufgaben wahrnehmen (z.B. Finanzierungsvereinbarungen für FH-
Studiengänge) fallen potenziell nicht unter den Schutz der Hoheitsklausel.

Welche Angebote im Bereich der Kindergärten, Vorschule, Pflichtschule, weiterführenden
Schulen, Fachhochschulen, Akademien und Universitäten fallen in Österreich unter diesen
Begriff?

3.   Mit dem UG 2002 wird die Finanzierung der Universitäten schrittweise auf Leistungsverträge
umgestellt. Explizit wurde in den Materialien und in den Diskussionen auf die
Wettbewerbssituation der Universitäten hingewiesen.

Ist sichergestellt, dass Betrieb und Finanzierung der Universitäten über Leistungsverträge
als öffentliche Aufgabe anerkannt wird?


4.   Gemäß dem GATS-Übereinkommen sind Verhandlungen über Art und Ausmaß von

Subventionen vorgesehen und der Rat für Dienstleistungshandel ist beauftragt. Regeln zur
Erhöhung der Transparenz staatlicher Regulierung und Kriterien zur Bestimmung der
Notwendigkeit staatlicher Maßnahmen auszuhandeln. In Österreich sind private Träger
neben der öffentlichen Hand in allen Bildungssegmenten tätig. Dies betrifft Kindergärten,
konfessionelle Privatschulen, „private" Betreiber von Fachhochschulstudiengängen,
Universitäten nach dem Akkreditierungsgesetz und vor allem Anbieter von allgemeiner und
beruflicher Weiterbildung.

a) Kann unter diesen Gegebenheiten der österreichische Bildungsbereich unter Berufung
auf die Hoheitsklausel von den GATS -Vorschriften ausgenommen werden oder müssten
ausländische Anbieter grundsätzlich gleich behandelt werden?

b) Wenn beispielsweise das Land Tirol der Universität Innsbruck Mittel für zusätzliche
Lehrstühle für Informatik zur Verfügung stellen will:

Könnten sich auch andere (privat inländische und ausländische) Bildungsträger um die zu
diesem Zwecke zur Verfügung stehenden öffentlichen Gelder bewerben und müßte die
Vergabe dann einem Wettbewerbsverfahren unterzogen werden?

5.   In der zwölf Sektoren umfassenden Unterteilungen der Dienstleistungen befinden sich im
fünften Sektor die Bildungsdienstleistungen (Educational Services, CPC 920), die wiederum
in fünf Kategorien untergliedert sind:

- primäre Bildungsdienstleistungen (im vorschulischen Bereich, z. B. an Kindergärten; nicht
jedoch Kinderaufbewahrung),

- sekundäre Bildungsdienstleistungen (schulische und berufsbildende Angebote unterhalb
der Hochschulen),

- höhere (tertiäre) Bildungsdienstleistungen (z. B. Berufs- und Universitätsausbildung),

- Erwachsenenbildung (allgemeine Bildung und berufliche Ausbildung), soweit sie nicht vom
regulären System für höhere Bildung angeboten wird,

- sowie andere Bildungsdienstleistungen (bezieht sich auch auf spezielle Bildungsangebote
im primären und sekundären Bereich, soweit sie nicht dort aufgeführt sind).

Hinsichtlich der Erbringungsarten wird unterschieden in:

Mode 1 Grenzüberschreitende Erbringung: Eine Dienstleistung, die „aus dem Gebiet eines
Mitglieds stammt und im Gebiet eines anderen Mitglieds erbracht wird", d. h. die Lieferung
einer Dienstleistung von einem Land in das andere (z. B. E-Learning übers Internet);
Mode 2 Nutzung im Ausland: Eine Dienstleistung, die „im Gebiet eines Mitglieds gegenüber
dem Dienstleistungsempfänger eines anderen Mitglieds erbracht wird", d. h. die Erbringung
einer Dienstleistung innerhalb eines Landes für Konsumenten eines anderen Landes (z. B.
für Studierende aus dem Ausland);

Mode 3 Kommerzielle Präsenz. Eine Dienstleistung, die „von einem Erbringer einer
Dienstleistung eines Mitglieds im Wege geschäftlicher Anwesenheit im Gebiet eines
anderen Mitglieds erbracht wird", d. h. die Erbringung einer Dienstleistung durch die
kommerzielle Präsenz in einem anderen Land (z. B. eine Sprachschule von Berlitz);
Mode 4 Präsenz natürlicher Personen: Eine Dienstleistung, die „von einem Erbringer einer
Dienstleistung eines Mitglieds durch die Anwesenheit einer natürlichen Person eines
Mitglieds im Gebiet eines anderen Mitglieds erbracht wird", d. h. die Erbringung einer
Dienstleistung durch Personen, die sich zu diesem Zweck temporär in ein anderes Land
begeben (z. B. muttersprachliches Lehrpersonal an einer Sprachschule).

a) Welche dieser Erbringungsarten sind für ausländische Anbieter in Österreich derzeit ohne
Einschränkungen möglich?

b) Bei welchen bestehen welche Arten von Einschränkungen?

c) Können bestehende Einschränkungen aufrecht erhalten werden?


Die EU hat sich das Recht vorbehalten, den Marktzugang im Bereich öffentlicher Aufgaben

einzuschränken. Die EU definiert dabei öffentliche Aufgaben recht weit. Diese bestünden in

Sektoren „wie z. B. verbundenen wissenschaftlichen und technischen

Beratungsdienstleistungen, Forschungs- und Entwicklungsdienstleistungen in den Sozial-

und Geisteswissenschaften, technische Prüf- und Analysedienstleistungen,

Umweltdienstleistungen. Gesundheitsdienstleistungen. Verkehrsdienstleistungen und

Hilfsdienstleistungen für alle Verkehrsarten.

Lehrtätigkeiten sind nicht explizit in diese Ausnahmeliste aufgenommen worden. Diese

betreffen alle Bildungssegmente. Doch noch hat sich die EU zusätzlich das Recht

vorbehalten, Zweigstellen von Unternehmen aus Nicht-EU-Staaten, die nicht nach dem

Recht eines Mitgliedsstaats errichtet worden sind, vom Prinzip der Inländerbehandlung

auszunehmen.

Im Falle von Subventionen steht auch Zweigstellen, die nach dem Recht eines

Mitgliedsstaats errichtet worden sind, nicht das Recht auf Inländerbehandlung zu:

„Der Anspruch auf Subventionen der Gemeinschaften oder der Mitgliedsstaaten kann auf im

Hoheitsgebiet eines Mitgliedsstaats oder in einem besonderen geographischen Teilgebiet

eines Mitgliedsstaats niedergelassene juristische Person beschränkt werden".

Ferner heißt es: „Soweit Subventionen natürlichen Personen zur Verfügung gestellt werden,

können sie auf Staatsangehörige eines Mitgliedsstaats der Gemeinschaften beschränkt

werden." (Liste der spezifischen Verpflichtungen: 1680)

Gelten für Österreich ähnliche Schutzbestimmungen und wenn Ja, auf welcher Basis bzw.
wenn Nein, ist deren Aufnahme angemeldet worden?

7.   Mit Ausnahme der Kategorie „andere Bildungsdienstleistungen" haben die Europäische
Gemeinschaft und ihre Mitgliedsstaaten in allen Kategorien des fünften Sektors
Verpflichtungen zur Gleichstellung ausländischer Bildungsdienstleister übernommen, diese
aber auf „Privat finanzierte Ausbildungsleistungen" beschränkt. Diese Verpflichtungen
haben sie in die so genannte sektorale Länderliste eingetragen, also eine Liste, die u. a.
nach Sektor und Erbringungsart differenziert ist. Dabei gewähren die EU-Mitgliedsstaaten
durchgängig Marktzugang und Inländerbehandlung für die Erbringungsart 2, den Konsum im
Ausland. Bei Bildungsdienstleistungen im primären, sekundären und im tertiären Bereich
gewähren sie ebenfalls Marktzugang für Niederlassungen. Der Bereich der
Erwachsenenbildung, der sowohl die allgemeine Erwachsenenbildung als auch die
berufliche Weiterbildung umfasst, ist am weitesten liberalisiert. Vergleichsweise geringe
Liberalisierungsverpflichtungen sind insgesamt für Modus 4 (Präsenz natürlicher Personen)
übernommen worden.

Welche Einschränkungen für spezifische Kategorien hat Österreich eintragen lassen oder
angemeldet?

8.   Besonders dynamisch entwickelt sich die grenzüberschreitende Erbringung (Mode 1) vom
Hoheitsgebiet eines Mitgliedes in das Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedslandes (e-
Learning, Cyber-Universities etc.). Im Jahre 2000 nahmen 6 % aller im Ausland
Studierenden an „distance Iearning"-Programmen teil. Das Konzept der virtuellen
Universität, sei es als Teilvirtualisierung einer bestehenden Hochschule, als Virtualisierung
in einem Verbund von Partnerhochschulen oder als Neugründung einer nur im „Cyberspace"
existierenden Virtuellen Universität findet rasche Verbreitung.
Private Anbieter, die Regierungen der USA, Australiens und Neuseelands sowie
internationale Organisationen wie die OECD sehen große Potenziale im
grenzüberschreitenden Bildungsdienstleistungsverkehr.
Als positive Auswirkungen gelten die Mobilität der Menschen, der Austausch des


akademischen Wissens, Reichtum an Unterschiedlichkeit sowie Stärkung der

wirtschaftspolitischen und soziokulturellen Allianzen durch bildungsgestützte Netzwerke.
Die OECD erwartet durch die Öffnung der Märkte weltweite Wohlfahrtssteigerungen
insbesondere für die Entwicklungsländer (OECD 2001).

a) Ist Österreich mit seinen traditionell starken und im Bereich der neuen IKT Technologien
gut ausgestatteten Universitäten an einer weltweiten Liberalisierung hinsichtlich der
grenzüberschreitenden Erbringung von Bildungsdienstleistungen interessiert und

b) wird Österreich entsprechende Liberalisierungsforderungen einbringen?

c) Wenn ja, wird dafür eine Gegenleistung zu erbringen sein?

9.   In welchem Stadium befinden sich die Verhandlungen zur Dienstleistungsliberalisierung mit
der Welthandelsorganisation WTO derzeit konkret und wann werden die "offers", die
Österreich bis zum 31.3.2003 vorzulegen hat, dem Nationalrat als offizielles Dokument
vorgelegt?

10. Der zuständige österreichische Wirtschaftsminister stimmt als Mitglied des EU-
Wirtschaftsministerrats die Verhandlungsvorgaben mit der EU-Kommission ab. Im Bereich
Bildung, Gesundheit und Soziales, kulturelle und audiovisuelle Dienstleistungen sowie
Transportdienstleistungen gilt auch mit dem Vertrag von Nizza die Einstimmigkeit.

a)Welche Vorgaben des Nationalrats sind für Sie im EU-Wirtschaftsministerrat bindend?

b) Ist es für Sie denkbar, dass im Zuge der Reformdiskussion im EU-Konvent in Zukunft die
EU-Kommission mit Vorgaben (qualifizierte Mehrheitsentscheidungen) des EU-
Wirtschaftsministerrats Wirtschaftsabkommen mit Drittstaaten abschließt?

11. Ihr Vorgänger im Ministeramt, Dr. Hannes Farnleitner, beantwortet in der Parlamentarischen
Anfrage 6103/AB (XX. GP) die Frage der Einbeziehung von sozialen Mindeststandards in
der WTO auf Basis der ILO-Konventiqnen: "Im Vorbereitungsprozess für die 3.
Ministerkonferenz in Seattle hat sich Österreich im EU-internen Koordinierungsverfahren
nachdrücklich dafür eingesetzt, dass aufgrund der Bedeutung der Sozialstandards für eine
nachhaltige Entwicklung deren Berücksichtigung im Rahmen der WTO verfolgt werden
muss."

Was war das Ergebnis dieses Engagements?

12. Setzen auch Sie sich engagiert für Sozialstandards ein wie Minister Farnleitner?

13. Ist für Sie ein Abschluss einer weiteren Liberalisierungsrunde ohne die Beachtung der ILO-
Kernarbeitsnormen, also der konkreten Ausformung eines Teils der Menschenrechte
denkbar?

14. Gibt es Überlegungen seitens der österreichischen Regierung, das Parlament, die
Sozialpartner und andere zivilgesellschaftliche Gruppen (NGO's...) stärker in den
Entscheidungsfindungsprozess einzubeziehen als bisher?

15. Wie sehen - soweit schon bekannt - die konkreten "requests" der Mitglieder der
Europäischen Union aus, d.h. welche horizontalen und sektoralen
Marktöffnungsforderungen werden gegenüber welchen Drittstaaten erhoben?


16. Wie sehen - soweit schon bekannt - die konkreten "requests" der USA, Japans, Russlands.
Chinas, Indiens und weiterer wichtiger Staaten aus? Welche horizontalen und sektoralen
Marktöffnungsforderungen in welchen Bereichen werden gegenüber welchen Drittstaaten
erhoben?

17. Plant die österreichische Regierung weitere Marktöffnungsangebote ("offers") und wenn Ja,
welche und aus welchen Gründen?

18. Welche konkreten "requests / offers" gibt es seitens der Mitgliedsstaaten der EU für den
Bereich Bildungsdienstleistungen, konkret für die Dienstleistungsuntergruppen
Kindergarten, Grundschule, Schulbildung, Berufs- und Universitätsausbildung,
Erwachsenenbildung und andere Bildungseinrichtungen?