674/J XXII. GP

Eingelangt am 10.07.2003
Dieser Text ist elektronisch textinterpretiert. Abweichungen vom Original sind möglich.

ANFRAGE

der Abgeordneten Glawischnig, Freundinnen und Freunde

an den Bundesminister für Land- und Forstwirtschaft, Umwelt und Wasserwirtschaft

betreffend skandalöser Vorgänge in der österreichischen Abfallwirtschaft

Laut Berichterstattung im Nachrichtenmagazin profil vom 30. Juni 2003 „unterlaufen
Großkonzerne mit fragwürdigen Sonderregelungen das österreichische
Recyclingsystem".
Der Schaden übersteige die 100 Mio. € Grenze. Betroffen ist v.a.
die Sammlung und Verwertung von Kunststoff. Laut Angaben von ARA-Vorstand
Dkfm. Stiglitz (siehe Leserbrief in profil vom 7. Juli 2003) lag die Marktmenge von
Kunststoffverpackungen in den letzten Jahren zwischen 195.000 und 205.000
Tonnen. Davon seien 120.000 t bei der ÄRA lizenziert. Laut Stiglitz sind die nicht
lizenzierten Mengen auf „die ausdrücklich erlaubten Selbstentsorgungsmaßnahmen
im Industriebereich zurückzuführen."
Demgegenüber steht der dringende Verdacht,
dass große Handelsketten und Getränkeunternehmen nur einen Bruchteil der
tatsächlich anfallenden Menge an Kunststoffabfällen angeben und dementsprechend
weniger bezahlen.

Dass fast die Hälfte der jährlich in Österreich anfallenden Kunststoffverpackungen im
Restmüll landet, belegt eine Studie (Endbericht zur Studie „Optimierung der
Sammlung und Verwertung von Verpackungsabfällen im Hinblick auf die
Deponieverordnung ab 2004 (bzw. 2008)"
im Auftrag von ARGE Österr.
Abfallverbände, Stadt Wien-MA 48, Städtebund, Gemeindebund; 24.1.2003).
Danach fielen im Jahr 1999 in Österreich 1,315 Mio. Tonen Restmüll an. Davon
waren im Mittel 6,7 Masse-Prozent Kunststoffverpackungen zuzurechnen (siehe
zitierte Studie S 102 ff). Umgerechnet bedeutet das, dass 1999 über 88.000 Tonnen
Kunststoffverpackungen im Restmüll landeten. Die ARA-Angaben hinsichtlich der
Selbstentsorgungsmaßnahmen der Industrie erscheinen daher äußerst zweifelhaft
und jedenfalls aufklärungsbedürftig.

Laut Angaben von ARA-Vorstand Dkfm. Stiglitz (siehe Leserbrief in profil vom 7. Juli
2003) entsprach die so genannte PET-Rückvergütung der tatsächlichen Kostenlage
und galt für den Gesamtzeitraum ihrer Gültigkeit seit 1997 für alle betroffenen 13.000
Vertragspartner. Diese Regelung wurde It. Angaben von Herrn Stiglitz vom
ehemaligen ÖKK-Vorstand Frau Ecker selbst beim Umweltministerium beantragt und
von diesem auch genehmigt. Laut profil bekamen die Unternehmen bereits seit 1996
und bis zum Jahr 2001 durchschnittlich 3,5 Mio. € pro Jahr refundiert, also in einem
Zeitraum von sechs Jahren insgesamt 21 Mio. €. Der für Abfallwirtschaft zuständige
Sektionschef Leopold Zahrer wird in profil mit der Aussage zitiert, dass man erst im
Vorjahr auf diese Sonderregelung aufmerksam geworden sei und diese sodann
unterbunden habe, da es nur eine Refundierung für alle oder gar nicht geben könne.

Eine weitere „obskure Sonderregelung" ortet profil im Bereich der Tray-Folien.
Obwohl seitens der ÄRA der an sich teurere Haushaltstarif verrechnet werden sollte,


wird der billigere Gewerbetarif angewendet. Große Getränkehersteller hätten sich
dadurch bis zu 10 Mio. € erspart.

Letztlich steht die Vermutung der unerlaubten Geschenkannahme bzw. Korruption
durch hohe Beamte des BMLFUW im Zusammenhang mit den aufklärungswürdigen
Vorgängen in der österreichischen Abfallentsorgungswirtschaft im Raum. Leopold
Zahrer, als Sektionschef für die Kontrolle der österreichischen Abfallwirtschaft
zuständig ist nach eigenen Angaben „1999 von einem langjährigen persönlichen
Freund zu den Salzburger Festspielen eingeladen worden" (profil, 30. Juni 2003).
Der persönliche Freund saß jedoch just 1999 im Aufsichtsrat der für
Kunststoffverwertung zuständigen Branchenrecyclinggesellschaft ÖKK und der ÄRA.
Die Kosten für den Besuch von SC Zahrer und Gattin bei den Festspielen (Preis pro
Ticket 1.500 €) wurden jedoch nicht vom guten Freund persönlich, sondern als
Spesen durch die genannten Abfallunternehmen bezahlt. Das vom Sektionschef zu
kontrollierende Unternehmen hat demnach die Einladung bezahlt. Geht man nach
den Maßstäben der von BM Grasser im Juni 2003 herausgegebenen „Anti-
Korruptionsbroschüre'', so drängt sich zu Zahrers Verhalten der massive Verdacht
der unerlaubten Geschenkannahme bzw. Korruption auf. „Eine Einladung zu einem
Abendessen ist beispielsweise eine Situation, die Sie hellhörig machen sollte.
Nehmen Sie an oder lehnen Sie ab? Ihre Antwort kann bereits eine Entscheidung
über Recht oder Unrecht bedeuten. Was sollten Sie daher tun: Schon beim
geringsten Zweifel ablehnen",
warnt Grasser laut profil (30.6.2003) seine Beamten.
Ob Zahrer Zweifel hatte ist nicht belegt, dass er angenommen hat ist belegt. Auch
ARA-Chef Stiglitz scheint es mit Einladungen nicht so genau zu nehmen. „Wir hüten
uns, irgendeinem Beamten irgendetwas zukommen zu lassen, was über eine
Einladung zum Essen nach einem gemeinsamen Arbeitstag hinausgeht" (profil,
30.6.2003). Folgt man Grasser - einmal außer acht lassend dass der Finanzminister
sich offenbar selbst nicht streng an das hält, was er seinen Beamten rät - dann
scheint sich Stiglitz ganz selbstverständlich an der Grenze zwischen Recht und
Unrecht zu bewegen.

Jedenfalls ist es augenscheinlich, dass die insgesamt nur als skandalös zu
bezeichnenden Vorgänge in der österreichischen Abfallwirtschaft höchst
aufklärungsbedürftig sind.

Die unterfertigten Abgeordneten stellen daher folgende

ANFRAGE:

1.  Die Differenz zwischen Marktmenge und Lizenzierungsmenge von
geschätzten mindestens 80.000 Tonnen bei Kunststoffverpackungen in
Österreich wird seitens der ÄRA mit ausdrücklich erlaubten
Selbstentsorgungsmaßnahmen im Industriebereich argumentiert. Teilen Sie
diese Einschätzung?

2.  Falls ja, welche konkreten Selbstentsorgungsmaßnahmen der Industrie

hinsichtlich Kunsthoffverpackungsabfällen existieren in Österreich? Bitte listen
Sie alle existierenden Selbstentsorgungsmaßnahmen unter Angabe von
Firmennamen und jährlich entsorgter Menge an Kunststoffverpackungsabfall
auf)


3. Welche Menge an Kunststoffverpackungsabfällen sind wo über den Weg von
Selbstentsorgungsmaßnahmen der Industrie in den Jahren 1995 bis 2002 pro
Jahr entsorgt worden? (Bitte um Auflistung nach Jahr, Mengen, Betriebe)

4. Welche gesetzliche Grundlage existiert dafür?

5. Wie werden diese Selbstentsorgungsmaßnahmen behördlich erfasst? Besteht
eine Meldepflicht?

6. Wie werden diese Selbstentsorgungsmaßnahmen seitens ihres Hauses als
zuständige oberste Abfallbehörde kontrolliert?

7.  Die Anlage 3 der Verpackungsverordnung sieht spezielle Meldepflichten unter
anderem für Selbsterfüller betreffend der nicht lizenzierten Verpackungen vor.
Wie viele Firmen senden dieses Formular ausgefüllt an das BMLFUW? Wie
viele Firmen kommen Ihrer Meinung nach dieser Verpflichtung nicht nach?
(Bitte um detaillierte Auflistung für die Jahre 1996 bis 2002)

8.  Über welche Menge an Kunststoffverpackungen wurde für die Jahren 1996
bis 2002 mit dem Formular Anlage 3 der Verpackungsverordnung
Rechenschaft abgelegt? Bitte um Auflistung nach Jahr, in Verkehr gesetzte
Menge, zurückgenommene Menge und verwertete Menge.

9. Wie hoch war die Marktmenge an Kunststoffverpackungen in den Jahren
1995 bis 2002 pro Jahr? (Bitte um Auflistung pro Jahr und Angabe der Quelle
für die genannten Werte)

10. Wie hoch lag die Menge an lizenzierten Kunststoffverpackungen in den
Jahren 1995 bis 2002 pro Jahr?

11. Wie hoch war der Anteil an Kunststoffverpackungsmüll im Restmüll in den
Jahren 1995 bis 2002 pro Jahr (Bitte um Auflistung in Tonnen und Massen-
Prozent Verpackungsanteil im Restmüll und Angabe der Quelle)

12. Seit wann genau gibt es die PET-Refundierung?

13. Wurde seitens des ARA-Systems beim BMLFUW beantragt, für PET-
Flaschen eine Rückvergütung geben zu können?

14. Falls ja, wann wurde diese beantragt und von wem? Und wurde dieser
Antrag seitens Ihres Hauses genehmigt oder abgelehnt?

15. Falls nein, seit wann genau war die zuständige Abfallsektion im BMLFUW
über die PET-Refundierung informiert?

16. Wie viele von den 13.000 Vertragspartnern der ÄRA konnten diese PET-
Refundierung in Anspruch nehmen? (Bitte um Auflistung der Firmenanzahl
pro Jahr)


17. Welche Beträge wurden im Rahmen der PET-Rückvergütung von 1996 bis
2002 pro Jahr refundiert und durch wen und an wie viele Firmen? (Bitte um
genaue Auflistung nach Jahr, refundierten Beträgen, Anzahl der Firmen)

18. An welche Unternehmen wurde in den Jahren 1996 bis 2002 welche Beträge
refundiert (Bitte um detaillierte Auflistung)

19. Was soll hinsichtlich der offensichtlich ungerechtfertigt ausbezahlten
Refundierung geschehen? Müssen die refundierten Beträge von den
jeweiligen Firmen zurückbezahlt werden? Falls nein, warum nicht? muss der
Betrag von der ÄRA selbst zurückerstattet werden? Wer haftet für die
ungerechtfertigt ausbezahlten Refundierungen?

20. Auf welcher Rechtsgrundlage wurde die PET-Refundierung abgewickelt?

21. War die PET-Refundierung in den Tarifkalkulationen der ÄRA beinhaltet?

22. Wurde die PET-Rückvergütung seitens Ihres Hauses unterbunden? Wenn
nein, warum nicht? Wenn ja, wann und mit welcher Begründung?

23. Stimmen Sie zu, dass die PET-Refundierung eine ungerechtfertigte
Bevorzugung eines bestimmten Kunststoff-Materials bzw. des Packmittels
PET-Flasche darstellt? Wenn Nein, warum nicht?

24. Würden Sie zustimmen, dass die PET-Refundierung in der abgewickelten
Form rechtswidrig ausbezahlt wurde? Wenn nein, warum nicht?

25. Falls ja, handelt es sich dabei dann ihrer Meinung nach um ein gravierendes,
jahrelanges Kontrollversagen des BMLFUW als oberste Abfallbehörde? Wenn
nein warum nicht? Falls ja, welche Konsequenzen werden Sie daraus ziehen?

26. Wer trägt Ihrer Meinung nach die Verantwortung für diese unkorrekte
Vorgangsweise?

27. Seit wann sind Sie selbst von den geschilderten Vorgängen betreffend PET-
Refundierung in Ihrem Haus informiert? Wann und von wem wurden Sie über
genau welche Sachverhalte informiert? Welche Konsequenzen haben Sie
daraus gezogen?

28. Wie hoch war die Menge des aus dem Bereich Tray-Folien stammenden
Kunststoffverpackungsabfalls in den Jahren 1998 bis 2002? (Bitte um
detaillierte Auflistung in Tonnen pro Jahr und Angabe der Quelle) Wie hoch
war dabei der Anteil an Tray-Folien, die mit einem Henkel zum Nach-Hause-
Tragen versehen waren?

29. Wie hoch ist bzw. war der Gewerbetarif für Tray-Folien in den Jahren 1998
bis 2002 ?(Bitte um Auflistung.)

30. Wie hoch ist bzw. war der Haushaltstarif für Tray-Folien in den Jahren 1998
bis 2002 ?(Bitte um Auflistung.)


31. Ist Ihnen oder in Ihrem Hause bekannt, dass die Vermutung besteht, dass
Tray-Folien mit einem Henkel zum Nach-Hause-Tragen von Firmen bei der
ÄRA nach dem billigen Gewerbe-Tarif statt richtigerweise nach dem teureren
Haushaltstarif lizenziert werden? Wenn ja, seit wann und was wurde Ihrerseits
dagegen unternommen?

32. Wissen Sie, ob bei den Getränkeherstellern im Rahmen der von der ÄRA
veranlassten Prüfungen die richtige Lizenzierung der Tray-Folien überprüft
wurde? Wenn ja, wissen Sie, ob solche Prüfungen auch bei großen Firmen
wie Coca-Cola, Vöslauer und Radlberger durchgeführt wurden? Wenn nein,
was gedenken Sie dagegen zu tun?

33. Wenn bei den genannten Großfirmen Prüfungen stattgefunden haben,
wissen Sie, ob diese Prüfungen auch gezielt die Frage der richtigen
Lizenzierung der Tray-Folien mit Henkel betroffen haben, und wenn ja,
wurden bei solchen konkreten Prüfungen Beanstandungen festgestellt? Falls
ja, welche? (Bitte um detaillierte Auflistung von 1996 bis 2002)

34. Liegen diese Prüfungsberichte dem Ministerium vor?

35. Hat das Ministerium irgendetwas unternommen, um die Richtigkeit und
Vollständigkeit solcher Prüfungen zu verifizieren oder nimmt es diese als
gegeben an?

36. Hat das Ministerium irgendetwas unternommen, um die richtige Anwendung
der Tarife durch die ÄRA zu überprüfen, oder nimmt es diese einfach als
gegeben an?

37. Wie beurteilen Sie die Tatsache, dass sich der Leiter der Abfallsektion ihres
Hauses genau von jenen Firmen zu den Salzburger Festspielen einladen
lässt, die er in seiner Funktion als Sektionsleiter eigentlich zu kontrollieren
hat?

38. Halten Sie diese Vorgangsweise eines hohen Beamten für tragbar? Wenn ja,
warum? Falls nein, welche Konsequenzen werden sie ziehen?

39. Welche Konsequenzen werden Sie insgesamt auf Grund der geschilderten,
offensichtlich skandalösen Vorgänge in der österreichischen Abfallwirtschaft
ziehen, in die auch Ihr Haus verwickelt scheint? Werden Sie eine lückenlose
Aufklärung vornehmen? Wenn ja, bis wann? Wenn nein, warum nicht?