835/J XXII. GP

Eingelangt am 24.09.2003
Dieser Text ist elektronisch textinterpretiert. Abweichungen vom Original sind möglich.

Anfrage

 

 

der Abgeordneten Dr. Jarolim

und GenossInnen

an den Bundesminister für Justiz

betreffend eine vom Bundesminister für Justiz zur allgemeinen Verwirrung eingesetzte

Kommission zur Diskussion über die Diversion und das Verhältnis von Strafdrohungen

Am 27. April 2000 wurde vom Hauptausschuss des Nationalrates - nachdem der
Bundespräsident eine grundsätzliche Anregung in diese Richtung öffentlich gegeben hatte -
eine Enquete-Kommission zum Thema „Die Reaktionen auf strafbares Verhalten in
Österreich, ihre Angemessenheit, ihre Effizienz, ihre Ausgewogenheit" eingesetzt. Diese
Enquete-Kommission hatte folgende Themenschwerpunkte zu bearbeiten:

1.      Verhältnismäßigkeit der Strafdrohungen im gerichtlichen Strafrecht (Strafgesetzbuch
und strafrechtliche Nebengesetze)

2.         Anwendungsbereich der Diversion, insbesondere unter Berücksichtigung der Schwere
der Schuld und der Wiedergutmachung des entstandenen Schadens (unter
Sicherstellung der vollen fachgerechten Information des Opfers über das Ausmaß der
ihm zustehenden Ansprüche), Vor- und Nachteile der Diversion sowie eventuell
Ausschluss von bestimmten Tatbeständen aus der Anwendung der Diversion.

3.       Verhältnismäßigkeit verwaltungsstrafrechtlicher Strafdrohungen (einschließlich der
Frage der Absorption bzw. Kumulation von Strafen) und Ausgewogenheit von
gerichtlichen und verwaltungsstrafrechtlichen Strafdrohungen zueinander,
insbesondere auch im Finanzstrafverfahren.

Die Enquete-Kommission hat sich am 21. Juni 2000 unter Vorsitz des damaligen FPÖ-
Justizsprechers Abg. Dr. Harald Ofnerkonstituiert. Es wurden 13 Arbeitssitzungen zwischen
Oktober 2000 und Juli 2002 abgehalten. Einen abschließenden Endbericht der Enquete-
Kommission hat es nicht gegeben, da die Gesetzgebungsperiode vorzeitig (nach den
„Knittelfelder Ereignissen") aufgelöst wurde und somit nach dem Prinzip der Diskontinuität
der Gesetzgebungsperiode auch diese Enquete-Kommission mit Beendigung der
Gesetzgebungsperiode ein Ende gefunden hat.


Nichts desto trotz wurden während der 13 Arbeitssitzungen immerhin in 10 Sitzungen
ausführlich und auf höchstem Niveau die Themenkomplexe l (Strafdrohungen) und 2
(Diversion) behandelt. Dabei kamen Vertreter der Rechtsanwaltschaft, der Richterschaft, der
Staatsanwälte, des Bundesministeriums für Justiz, Experten insbesondere aus dem Bereich der
Lehre, Fraktionsexperten und Abgeordnete etc.ausführlich zu Wort und die zahlreichen
inhaltlichen Stellungnahmen sind in den Protokollen, verfasst vom Stenographenbüro des
Parlaments, nachzulesen.

Als Ergebnis für den Themenkomplex l (Verhältnismäßigkeit der Strafdrohungen im
gerichtlichen Strafrecht) gab es ein 17 Punkte umfassendes Thesenpapier des
Bundesministeriums für Justiz als quasi inhaltliche Zusammenfassung.

Zum Themenkomplex 2 (Diversion) wurde offenbar kein derartiges ministerielles
Thesenpapier verfasst, es kann aber mit Fug und Recht gesagt werden, dass die ganz
überwiegende Mehrheit der Stellungnahmen das Instrument der Diversion sehr positiv
eingeschätzt hat und es praktisch keine Stellungnahme auf Einschränkung der Diversion
gegeben hat.

Umso erstaunlicher war es für die Unterzeichner der gegenständlichen Anfrage, dass vor
kurzem aus Medienberichten zu entnehmen war, dass Justizminister Böhmdorfer eine
Kommission mit rund zehn Personen (Juristen, Professoren und Journalisten) unter Vorsitz
der Vizepräsidentin des Verfassungsgerichtshofes Dr. Brigitte Bierlein ins Leben gerufen
habe, welche sich insbesondere mit der Diversion, aber auch mit dem Verhältnis von
Strafdrohungen bei Delikten gegen Leib und Leben einerseits und Eigentumsdelikten
anderseits beschäftigen soll. Begründet wurde die Einsetzung der Kommission vom
Justizminister unter anderem damit, dass diversioneile Maßnahmen in jüngerer Zeit
„Verwirrung ausgelöst" hätten, (siehe dazu: Der Standard, 18. Sept. 2003, Seite 11)

Weil die Einsetzung dieser Kommission aufgrund der vorliegenden umfassenden Ergebnisse
der obgenannten Enquete-Kommission nicht unbedingt plausibel erscheint, stellen die
unterzeichneten Abgeordneten an den Bundesminister für Justiz nachstehende


Anfrage:

1.         Wie beurteilen Sie die inhaltlichen Ergebnisse der in der vorigen

Gesetzgebungsperiode tagenden Enquete-Kommission insbesondere zu den Themen
„Verhältnismäßigkeit der Strafdrohungen im gerichtlichen Stra
frecht" und
„Diversion"?

2.         Sind Sie der Meinung, dass die Expertinnen der Enquete-Kommission die genannten
Themenkomplexe nicht ausführlich oder nicht niveauvoll genug abgehandelt haben,
woraus sich die Notwendigkeit der Einsetzung einer neuen Kommission ergäbe?

3.     Wenn Sie Frage 2 mit ja beantworten: Welche Ergebnisse der Enquete-Kommission
erachten Sie als nicht berücksichtigenswert?

4.         Wenn Sie Frage 2 verneinen: Welche anderen Gründe waren dafür ausschlaggebend,
eine Kommission einzusetzen, die Themen behandeln soll, welche sowohl vom
inhaltlichen Niveau wie auch von der Intensität und vom praxisrelevanten Tiefgang
her in jüngster Zeit außerordentlich ausführlich behandelt worden sind?

5.       Sind Sie der Auffassung, dass von den rund zehn Personen der gegenständlichen
neuen Kommission bessere Ergebnisse zu erwarten sind, als es durch die rund 30
Expertinnen der Enquete-Kommission möglich war?

6.         Können Sie ausschließen, dass ein Motiv für die Einsetzung der genannten Kommission
darin gefunden werden kann, dass ein Landeshauptmann aus einem südlichen
Bundesland „inhaltlich beruhigt" werden soll, nachdem letzterer in populistischer
Manier Kritik an der Diversionspraxis in Österreich geübt hatte?

7.         Wäre es nicht sinnvoller gewesen, die schriftlich vorliegenden Ergebnisse der Enquete-
Kommission auszuwerten, statt eine neue Kommission einzuberufen?

8.     Nach welchen Kriterien wurden die Mitglieder der genannten neuen Kommission
ausgewählt?


9.          Befürchten Sie nicht, dass die zahlreichen hochqualifizierten Mitglieder der Enquete-
Kommission wenig Verständnis dafür haben könnten, dass Sie viele Stunden in die
Arbeit der Enquete-Kommission unbezahlt investiert haben, und nunmehr die
Ergebnisse der Enquete-Kommission mehr oder weniger ignoriert werden, während eine
neue kleine Kommission zu den gerade ausführlich abgehandelten Themenkomplexen
eingesetzt wird?