845/J XXII. GP

Eingelangt am 24.09.2003
Dieser Text ist elektronisch textinterpretiert. Abweichungen vom Original sind möglich.

Anfrage

 

der Abgeordneten Öllinger, Freundinnen und Freunde
an den Bundesminister für Finanzen
betreffend Kafka beim Karenzgeldzuschuss

„Warum quält ihr mich so?" sagte er mühsam. „Wir quälen dich doch nicht", sagte
das Mädchen, „du willst etwas von uns, und wir wissen nicht, was."
( Franz Kafka, Das Schloss)

1995, im Rahmen des ersten Sparpakets, euphemistisch Strukturanpassungsgesetz
genannt, wurde das Karenzurlaubszuschussgesetz (kurz KUZuG) ins Leben gerufen.
Mit dem Zuschuss zum Karenzgeld wurde das „erhöhte Karenzgeld" abgelöst, das
bis zu diesem Zeitpunkt Alleinerziehenden und Familien mit geringem Einkommen
während der Karenzzeit, die damals noch „Karenzurlaub" hieß, gewährt wurde.
Auch der Zuschuss (in der Höhe von ATS 2.500,-) wurde nur über Antrag und unter
bestimmten Voraussetzungen gewährt. Wesentlicher Unterschied: der Zuschuss
muss zurückbezahlt werden. Innerhalb von maximal 15 Jahren und abhängig vom
jährlichen Einkommen sollten die nichtbetreuenden Elternteile, also in der Regel die
Kindesväter, den Zuschuss beim Finanzamt zurückzahlen.

Der „Zuschuss" war also kein Zuschuss, sondern ein Kredit. Einziger Bonus des
KUZuG: es gab bis zum Jahr 2003 keine Rückzahlung.

1997 wurde das KUZuG außer Kraft gesetzt und seine Bestimmungen weitgehend in
das Karenzgeldgesetz (KGG) integriert, die Rückzahlung wurde aber weiterhin nicht
eingefordert.

2002 wurde das Karenzgeldgesetz durch das Kinderbetreuungsgeldgesetz (KBGG)
abgelöst, die Zuschussregelung blieb, aber der Finanzminister verzichtete nach wie
vor auf die Rückzahlung.

2003 änderte sich das allerdings. Der Finanzminister entdeckte, dass mit dem
rückzahlbaren Zuschuss Geld zu holen sei und beauftragte die Finanzämter mit
Erhebungen und Rückforderungen zu den geschätzten 95.000 Zuschüssen, die seit
1996 ausbezahlt worden sind.

Aus der Schublade geholt wurde ein Formular, „Erklärung gemäss § 16
Karenzurlaubszuschussgesetz", das ganz offensichtlich noch aus dem Jahr 1996
stammt und das beginnt mit der sehr bestimmten Anrede „Sehr geehrte
Steuerzahlerin! Sehr geehrter Steuerzahler!".

Entgangen ist dem Finanzminister, dass im Jahr 2003 eine Rückforderung unter
Berufung auf das Karenzurlaubszuschussgesetz schon deshalb etwas seltsam ist,
weil das KUZuG seit Juli 1997 außer Kraft gesetzt ist!


Entgangen ist dem Finanzminister auch, dass die Rückforderung eines Zuschusses
aus den Jahren 1996 und 1997, der bis 2003 nicht eingefordert wurde, an rechtliche
Grenzen stößt: die Rückforderung einer Abgabe verjährt nach 5 Jahren! Dass die
Schreiben der Finanzbehörde keine umfassende Information über die gesetzlichen
Grundlagen bzw. eine Rechtsmittelbelehrung enthalten, lässt den Schluss zu, dass
es dem Finanzminister auch billig ist, Geld einzutreiben, selbst wenn es nicht
rechtens ist.

Entgangen ist dem Finanzminister außerdem, dass ein Grossteil der zur
Rückzahlung Verpflichteten jahrelang von keiner Behörde darüber informiert wurde,
dass eine Forderung gegen sie besteht. Im Unterschied zum neu geschaffenen
Kinderbetreuungsgeldgesetz, in dem der § 16 dem zuständigen
Krankenversicherungsträger aufträgt, den zur Rückzahlung verpflichteten Elternteil
davon zu verständigen, gab es weder im KUZuG noch im KGG eine Information an
die Betroffenen: diese wurden zwar gesetzlich zur jährlichen Erklärung ihrer
Einkommen (§ 32 KGG) und zur Zahlung verpflichtet, aber ohne darüber informiert
zu werden!

Entgangen ist dem Finanzminister auch, dass das Gesetz - sowohl das gültige
Karenzgeldgesetz als auch das außer Kraft getretene KUZuG - davon spricht, dass
die Abgabe „höchstens im Ausmaß von 115 % des Zuschusses, der für den
jeweiligen Anspruchsfall ausbezahlt wurde, zu erheben" sei. Den Finanzminister hat
das „höchstens" nicht gekümmert - die Rückzahlung wurde mit 115 Prozent für alle
Fälle festgelegt.

Auf der Suche nach Geld ist dem Finanzminister offensichtlich noch viel mehr
entgangen.

Etwa der Umstand, dass beim rechtmäßig bezogenen Zuschuss der andere
Elternteil zu einer Rückzahlung mit Aufschlag verpflichtet wird, während der § 39
KGG festlegt, dass im Falle einer zu Unrecht bezogenen Leistung diese
zurückbezahlt werden muss - ohne Aufschlag!

Während KUZuG und KGG davon ausgehen, dass die zur Rückzahlung
Verpflichteten jedes Jahr nach der Geburt des Kindes ihre Einkommen offen legen
und - abhängig vom Einkommen - in Raten die um 15 Prozent erhöhte Abgabe
leisten (ohne dass sie bisher über ihre Verpflichtung informiert wurden), gehen
Finanzminister bzw. -behörde offensichtlich davon aus, dass die Rückzahlung auch
gleich für mehrere Jahre eingefordert werden kann: eine finanzielle Belastung, die
manche zur Aufnahme eines Kredits für die Rückzahlung der erhöhten Abgabe
zwingt!

Auch der Umstand, dass die zur Rückzahlung Verpflichteten in der Regel niedrige
Einkommen haben oder ohnehin zum Unterhalt (für das Kind) verpflichtet sind, wirft
nicht nur soziale, sondern auch rechtliche Probleme auf.

Da nicht nur die gesetzlichen Voraussetzungen der Rückzahlungsaktion geradezu
grotesk sind (Verpflichtung zur jährlichen Einkommensoffenlegung und
Ratenzahlung, ohne darüber informiert zu werden; Vergleich von rechtmäßiger
Rückzahlung mit Aufschlag und Rückforderung unrechtmäßiger Leistung ohne


Aufschlag), sondern die praktische Umsetzung kafkaeske Dimensionen erreicht hat,
stellen die unterfertigten Abgeordneten daher folgende

ANFRAGE:

1.   Wurden  in den Jahren vor 2003  Rückzahlungen  von Zuschüssen zum
Karenzgeld bzw. Kinderbetreuungsgeld eingefordert?
Wenn ja, wie viele? Wenn nein, warum nicht?

2. Wie viele Personen wurden bisher im Jahr 2003 aufgefordert, ihr Einkommen
wegen der Rückzahlungsverpflichtung offen zu legen?

3. Aus welchen Datenbeständen bzw. aus den Datenbeständen welcher
Organisationen, Körperschaften oder sonstiger Einrichtungen stammt das
Datenmaterial, auf Grund dessen Personen zur Rückzahlung angeblich
erhaltener Zuschüsse aufgefordert werden (wir ersuchen um vollständige
Anführung aller Datenquellen unter Hinzufügung der Art der Daten, die von der
jeweiligen Quelle stammen)?

4. In welcher Weise wurde vor Aussendung der Aufforderung zur Bekanntgabe
des zur Feststellung einer Rückzahlungspflicht erheblichen Einkommens durch
die Behörde geprüft, ob die aufgeforderte Person tatsächlich einen
Karenzgeldzuschuss erhalten hat?

5. Welche Kosten (aufgeschlüsselt nach Material-, Porto-, Personalkosten etc.)
sind bisher im Jahr 2003 den Finanzbehörden durch die Rückzahlungsaktion
erwachsen?

6. Welche Beträge wurden bisher im Jahr 2003 durch die Rückzahlungsaktion
eingebracht?

7. Wie hoch sind die zu diesem Titel in den Budgets 2003 und 2004 eingeplanten
Einnahmen (Budgetposition und Höhe)?

8. Warum hat sich das Finanzministerium bei seiner Rückzahlungsaktion auf das
Karenzurlaubszuschussgesetz, das 1997 außer Kraft getreten ist, berufen?

9. Wird das Finanzministerium seine „sehr geehrten Steuerzahler und
SteuerzahlerInnen", die zur Erklärung ihrer Einkommensverhältnisse „gemäß
§ 16 Karenzurlaubszuschussgesetz" aufgefordert wurden, darüber informieren,
dass dieses Gesetz seit 1997 außer Kraft gesetzt, eine Berufung der Behörde
auf dieses Gesetz deshalb unstatthaft und ohne Konsequenz für die
Betroffenen ist?

10. Wie viele Personen wurden bisher im Jahr 2003 aufgefordert, für die Jahre
1996 und 1997 ihr Einkommen offen zu legen?

11. Wie vielen Personen wurden bisher im Jahr 2003 Rückzahlungen für die
Jahre 1996 und 1997 vorgeschrieben?


12. Wie viele Personen haben bisher im Jahr 2003 für die Jahre 1996 und 1997
Rückzahlungen geleistet?

13. Wieviele Personen wurden in Zusammenhang mit dem KUZuG zur
Rückzahlung erhaltener Zuschüsse bzw. zur Bekanntgabe der
Einkommenshöhe aufgefordert, obwohl gar kein Karenzurlaubszuschuss in
Anspruch genommen wurde?

14. Teilt das BMF die Rechtsauffassung der Unterfertigten, wonach die
Rückzahlung einer Abgabe, die 5 Jahre nicht eingefordert wurde, nach § 207
Abs. 2 BAO verjährt ist?

a. Wenn nein, warum nicht?

b.  Welche Verjährungsfrist gemäß welcher gesetzlichen Bestimmung gilt

für diese Fälle?
c.  Wenn ja, welche Konsequenzen zieht das BMF daraus?

15. Wie beurteilt das BMF den Umstand, dass sowohl KUZuG als auch KGG den
Rückzahlungsverpflichteten auftragen, jährlich eine Abgabenerklärung über das
Einkommen einzureichen, obwohl die nach § 27 (1),1 Abgabepflichtigen bislang
nicht über ihre Abgabepflicht informiert wurden?

16. Da sowohl KUZuG als auch KGG und KBGG davon sprechen, dass „die
Abgabe höchstens im Ausmaß von 115% des Zuschusses, der für den
jeweiligen Anspruchsfall ausbezahlt wurde, zu erheben" ist, das BMF bzw. die
Finanzbehörden aber bei der laufenden Rückzahlungsaktion in allen Fällen
115% festgelegt haben, stellt sich die Frage, auf welcher gesetzlichen
Grundlage aus „höchstens" „jedenfalls" geworden ist?

17. Wie beurteilen Sie den Umstand, dass die nach § 27 KGG Abgabepflichtigen
„höchstens 115 %" des Zuschusses zu bezahlen haben, während Personen,
die unrechtmäßig einen Zuschuss oder eine andere Leistung nach dem KGG
bezogen haben, nur
die Leistung, also 100 % zurückzahlen müssen?

18. Welche anderen Forderungen bzw. Rückforderungen seitens der
Finanzbehörden werden mit einem ähnlich hohen Prozentsatz bezuschlagt?

19. Sind Ihnen andere Tatbestände bekannt, in denen generell die höchsten
gesetzlich möglichen Zuschläge verrechnet werden. Wenn ja, welche?

20. Inwieweit wirkt sich eine Unterhaltsverpflichtung a) gegenüber dem Kind,
b) gegenüber dem betreuenden Elternteil auf das Einkommen bzw. die Höhe
der Abgabe nach § 28 KGG aus?

21. Inwieweit wirkt sich die Rückzahlung des Zuschusses auf eine
Unterhaltsverpflichtung a) gegenüber dem Kind, b) gegenüber dem
betreuenden Elternteil aus?

22. Während KUZuG, KGG und KBGG von einer jährlichen
Einkommensfeststellung bzw. Abgabenrückzahlung ausgehen, halten Sie bzw.
die Finanzbehörden anscheinend auch eine einmalige Abgabenrückzahlung für


mehrere Jahre für möglich. Auf welche Gesetzesinterpretation stützen Sie Ihre
Auffassung?

23. Angesichts der kafkaesken Züge Ihrer Rückzahlungsaktion: Werden Sie diese
Rückzahlungsaktion stoppen?
Wenn nein, warum nicht?

24. Wie  gedenken  Sie  die  Rückzahlbarkeit  der Zuschüsse  in  Zukunft  zu
handhaben?