1032/J XXII. GP
Eingelangt am 05.11.2003
Dieser Text ist elektronisch textinterpretiert. Abweichungen vom Original sind
möglich.
Anfrage
der Abgeordneten Mag. Maier, Dr. Jarolim und GenossInnen
an den Bundesminister für Justiz
betreffend „Unschuldiger von Neo-Nazis verprügelt - Vorwurf der Kinderschändung"
Unter
dem Titel „Kein Ende in der Affäre um den Kinderschänder von Saalfelden"
berichten die Salzburger Nachrichten über einen tätlichen Angriff gegenüber
Florian
Koblbauer.
„Ein im Sommer von der Exekutive tagelang unschuldig
gejagter Oberösterreicher
wurde in seiner Heimatgemeinde von Neo-Nazis verprügelt.
Mit dem Ausruf „das ist doch dieser Kinderschänder" stürzten sich
am 24.10.2003
gegen Mitternacht zehn offensichtlich aus der Neo-Naziszene stammende
Jugendliche auf Florian Koblbauer und seinen Freund. Koblbauer erlitt
eine
Platzwunde am Kopf. Beide Augen sind stark geschwollen und blau. „Du
verwaltigst
niemand mehr" haben die gerufen. Dann ist alles blitzschnell gegangen.
Mein Freund
und ich hatten keine Chance. Der Wahnsinn hört nicht mehr auf."
Der junge Oberösterreicher hatte den Abend mit Freunden in einem
Gasthaus
verbracht. „Gegen Mittemacht haben sich mein Freund und ich auf den Heimweg
gemacht. Die Gruppe ist zunächst an uns vorbeigegangen, hat dann kehrt
gemacht
und zu prügeln begonnen", erzählte Florian Koblbauer den
Salzburger Nachrichten.
Eine Streife des Postens Gaspoltshofen (Bezirk Grieskirchen) nahm ein
Protokoll
auf. Koblbauer erstattete Anzeige. Eine Beamtin des Gendarmeriepostens
Gaspoltshofen: „Die Sache ist aktenkundig. Es dürfte sich um Neo-Nazis
gehandelt
haben. Die Ermittlungen laufen."
Hintergrund
dieser Ereignisse waren die öffentliche Hetzjagd und Fahndung nach
Florian Koblbauer im Sommer dieses Jahres.
Florian
Koblbauer, zum Zeitpunkt der Tat Senner auf einer Hochalm, wurde in der
Öffentlichkeit als Kinderschänder („Bestie von Saalfelden") gebrandmarkt,
verfolgt
und dabei unerklärlicherweise auch als „Obdachloser" bezeichnet. Defacto
wurde er
in den Medien als schuldig und überführt dargestellt. Die Unschuldsvermutung -
die
nach der österreichischen Rechtsordnung für jeden Verdächtigen gilt - würde bei
dieser Berichterstattung nicht mehr berücksichtigt. Ohne DNS-Analyse durch die
Gerichtsmedizin Salzburg hätte er seine Unschuld nur schwer beweisen können.
Drei
Personen (Zeugen), denen nach der Tat ein Foto Koblbauers gezeigt wurde,
erkannten nach Presseberichten Koblbauer. Laut Sicherheitsdirektion Salzburg
gab
es Hinweise, dass er sich zum Zeitpunkt der Tat in der Nähe des Hauses
aufhielt,
überdies stand er in Verdacht, Einbrüche in der Gegend begangen zu haben.
Koblbauer selbst war jedoch noch nie in Saalfelden (SN 06.09.2003).
Ein Haftbefehl wegen dringenden Tatverdachts wurde durch die Exekutive
beantragt
und durch die StA erlassen.
Daraufhin
wurde - ohne Vorliegen nur irgendeines Sachbeweises - aufgrund dieser
drei Zeugenaussagen und anderer haltloser Verdächtigungen auf Wunsch der
Exekutive
sein Foto und sein voller Name in Tageszeitungen sowie im Fernsehen
veröffentlicht und nach ihm österreichweit gefahndet. Weiters stand er nach
Ansicht
der Exekutive in Verdacht zahlreiche Einbrüche u.a. im Tiroler Unterland
begangen
zu haben. Ein Phantombild, das nach Angaben des Opfers angefertigt wurde, wurde
allerdings zu diesem Zeitpunkt von der Exekutive nicht veröffentlicht. Auch das
Foto
Koblbauers wurde dem Opfer durch die Exekutive nicht gezeigt. Das in den Medien
veröffentlichte Foto von F. Koblbauer wurde dem Opfer allerdings von ihrem
Vater
gezeigt. Dieses erkannte Koblbauer nicht. Trotz Vorhalt gegenüber der
Gendarmerie
verblieben diese weiterhin beim dringenden Tatverdacht gegenüber Florian
Koblbauer!
Die
Fahndung nach Florian Koblbauer dann lief in ganz Österreich, er selbst hörte
am 3. Juli auf der Alm im Radio, dass bundesweit nach ihm gefahndet wird. Für
die
Exekutive stand er in dringendem Tatverdacht ein Verbrechen begangen zu haben.
Nicht jedoch für die Bauernfamilie für die er arbeitete, die zu ihm hielt und
ihn
versteckte.
Erst
eine - allerdings durch die KA der Gendarmerie Salzburg zu spät in Auftrag
gegebene - DNS-Analyse bei der Spermienreste mit DNS-Material von Verwandten
Koblbauers abgeglichen wurden, erbrachten den absoluten Nachweis seiner
Unschuld.
Aus
Sicht der Fragesteller ist es daher unverständlich, wie bei diesem Verbrechen
tatsächlich durch die Kriminalabteilung konkret ermittelt wurde, worauf sich
letztendlich der dringende Tateverdacht gründete, sowie aufgrund welcher
konkreten
Beweis- und Ermittlungsergebnissen eine Foto- und Filmfahndung in den Medien
veranlasst wurde. Ob die rechtlichen Voraussetzungen dafür nach dem SPG bzw.
der StPO vorgelegen sind, ist mehr als fraglich.
Auch
der Vater der vergewaltigten Volksschülerin kritisierte in den Medien die
Ermittler:
„Während er in Tirol gesucht wurde, gelangte er
unbehelligt in die Steiermark. Die
Fahnder der Kriminalabteilung seien sich zu sicher gewesen, dass der
erste
Verdächtige der Täter sei. Sie hätten zu wenig. Sie hätten zu wenig mit dem
örtlichen
Gendarmerieposten kooperiert. Ein Phantombild, das die Kriminalabteilung nach
Angaben des Opfers anfertigte, wurde erst veröffentlicht, nachdem der erste
Verdächtige als unschuldig ausgeschieden war. Vom Phantombild habe der
Posten
Saalfelden zunächst nichts erfahren. Das Foto des ersten
Tatverdächtigen sei seiner
Tochter nicht gezeigt worden. „Sie hat das Foto daheim in der Zeitung gesehen,
aber
überhaupt nicht reagiert." Der Angestellte ist über die erfolglose
Suche verbittert; „Bei
Radarstrafen wird einfach abkassiert..." (SN 1.August 2003).
In
der Zwischenzeit hatte sich der vermutliche Täter in das Ennstal abgesetzt, wo
er
mit grosser Wahrscheinlichkeit mehrere Einbrüche und Lebensmitteldiebstähle
verübte.
Als am 15.
Juli in Aigen im Ennstal eine Brieftasche mit dem Asylausweis des
Armeniers Wartan M. gefunden wurde und Ähnlichkeiten mit dem nun
veröffentlichten Phantombild festgestellt wurden, sowie zwei Zeugenaussagen
vorlagen, wurde dieser zur Fahndung ausgewiesen (Haftbefehl), ebenfalls zu
Unrecht, wie sich am 18. Juli herausstellte. Auch dessen Bild wurde zu Unrecht
in
den Medien veröffentlicht!
Der
der Vergewaltigung verdächtige Moldawier konnte sich hingegen in das
Mühlviertel absetzen und trotz eines Großaufgebotes der Exekutive Hubschrauber
und Wärmekameras der Festnahme entgehen. Über Wochen narrte der Verdächtige
die Exekutive, die österreichischen Medien schrieben von einem Katz und
Mausspiel
sowie von Pleiten und Pannen bei der Exekutive.
Am
22. September 2003 wurde über die Medien bekannt, dass der vermutliche
Kinderschänder von Saalfelden Andrei Mosei alias Andrei Tatarú in Moldawien
verhaftet wurde. In Österreich konnte allerdings dieser sich einer
umfangreichen
Fahndung durch vier Bundesländer mit einem Großaufgebot von Exekutive,
Hubschrauber etc. entziehen und entkam zu Fuß bzw. mit dem Fahrrad nach
Tschechien.
Aus
Sicht der Fragesteller waren die Ermittlungen sowie die Fahndung nach Florian
Koblbauer rechtsstaatlich äusserst bedenklich; der Unschuldsvermutung wurde in
keiner Weise Rechnung getragen. Man muss ohne weiters von einem
Ermittlungsskandal sprechen.
Die
Veröffentlichung eines Fahndungsfotos durch die Exekutive - ohne konkreten
Sachbeweis - zeigt gleichzeitig überdies wieder einmal auf, wie schnell in
Österreich
ein Unschuldiger in die Hände der Exekutive bzw. der Justiz geraten kann. Es
sind
daher viele Fragen zu klären. Florian Koblbauer hat noch immer unter den Folgen
dieser Verwechslung zu leiden.
Herr
Florian Koblbauer hat nun angekündigt, die Republik u.a. für erlittenes Unrecht
und Rufschädigung zu klagen.
Die
unterzeichneten Abgeordneten stellen daher an den Bundesminister für Justiz
folgende
Anfrage
1.) Werden Sie als Justizminister Herrn
Florian Koblbauer bei der Durchsetzung
seiner Ansprüche gegenüber der Republik Österreich unterstützen? Wenn
nein, warum nicht?
2.) Welche Rechte von Florian Koblbauer
wurden nach Ansicht des BMJ verletzt?
Wurde bei der Bildweitergabe gegen die in der Menschenrechtskonvention
normierten Unschuldsvermutung verstoßen?
3.) Gab es zu diesem Zeitpunkt gegen
Florian Koblbauer (03.07.03) Anzeigen bei
einer StA wegen des Verdachts andere Straftaten begangen zu haben?
3.1. Wenn ja, welche Straftaten soll er wann und wo begangen haben?
3.2.
Welche Beweise - insbesondere Sachbeweise - für seine Täterschaft
lagen zu diesem Zeitpunkt der Staatsanwaltschaft vor? Gab es dafür jeweils
Zeugen?
3.3.
Wird bzw. kann der Verdacht bezüglich dieser Straftaten gegen Florian
Koblbauer aufrecht erhalten wurden? Wenn ja, warum?
3.4.
Wenn nein, gegen welche Täter wird wegen dieser Taten zur Zeit
ermittelt?
4.) Wann wurde der Haftbefehl gegen
Florian Koblbauer beantragt und durch wen
(z.B. Journalstaatsanwalt) erlassen (ersuche um Datums- und
Uhrzeitangabe)?
5.) Worauf gründete sich letztendlich der
dringende Tatverdacht durch die
Exekutive und die Beantragung des Haftbefehls gegenüber Florian
Koblbauer?
Welche Delikte wurden ihm vorgeworfen?
6.) Gab es in der StA jemals Zweifel an
der Schuld des Verdächtigten Florian
Koblbauer? Wenn ja, warum wurden diese Zweifel nicht berücksichtigt?
7.) Aufgrund welcher Rechtsgrundlage und
unter welchen Voraussetzungen kann
in Österreich durch die Exekutive bei aufrechtem Haftbefehl eine Fahndung
unter voller Namensangabe und mit Foto (das an Medien weitergeben wird)
durchgeführt werden? Welche Beweis- und sonstigen Ermittlungsergebnisse
müssen dafür vorliegen? War der Haftbefehl rechtmäßig?
8.) Lagen im Fall Florian Koblbauer die
faktischen Voraussetzungen (z. B.
Ermittlungsergebnisse) und die gesetzlichen Vorraussetzungen vor, die eine
Bildweitergabe an die Medien rechtfertigten?
muss die StA darüber informiert
werden? Wenn nein, warum nicht?
9.) Wann wurde der Haftbefehl gegenüber
Florian Koblbauer zurückgezogen und
die Fahndung eingestellt (Ersuche um Datumsangabe und Uhrzeitangabe)?
Wann wurde dies der Öffentlichkeit (Medien) bekanntgegeben (ersuche um
Datums- und Uhrzeitangabe)?
10.)Wann wurde gegen den vermutlichen
Täter Andrei Mosei ein internationaler
Haftbefehl beantragt und erlassen (Ersuche um Datumsangabe)?
Welche Staatsanwaltschaft hat darüber entschieden?
11.)Lagen im Fall Wartan M., die faktischen Voraussetzungen (z.B.
Ermittlungsergebnisse) und die gesetzlichen
Voraussetzungen vor, die den
Haftbefehl und eine
Bildweitergabe an die Medien rechtfertigten?
12.)Wie wurde bzw. wird nun durch das BMJ
diese Fahndung, die Ermittlungen
bzw. die Anzeige durch die KA der Gendarmerie gegenüber F. Koblbauer
beurteilt? Zu welchen konkreten Konsequenzen und Schlussfolgerungen
führte dies?
13.)Welche Maßnahmen wurden seitens des
Justizressorts ergriffen, damit
einerseits ein derartiger Ermittlungsskandal sowie andererseits die Erlassung
eines Haftbefehls unter diesen Voraussetzungen für die Zukunft
ausgeschlossen wird?
14.)Welche Schlussfolgerungen ziehen Sie als ressortzuständiger
Bundesminister
in Anbetracht dieses Ermittlungsskandals für die Änderung
des Vorverfahrens (Strafprozessreformgesetz)?
15.)Werden Sie dabei dafür eintreten, dass
eine öffentliche Fahndung d.h. mit
Namensnennung und Fotofahndung in den Printmedien, Radios und
Fernsehen von der Genehmigung durch den ermittlungszuständigen
Staatsanwalt bzw. durch einen unabhängigen Richter abhängig gemacht
wird?
Wenn nein, warum nicht?