1104/J XXII. GP
Eingelangt am 19.11.2003
Dieser Text ist elektronisch textinterpretiert. Abweichungen vom Original sind
möglich.
Anfrage
der Abgeordneten Dr. Jarolim
und GenossInnen
an den Bundesminister für Justiz
betreffend „das Elend der bedingten Entlassung" und explodierende Haftzahlen
Auch vom Bundesministerium für Justiz wird beklagt, dass
in jüngster Zeit die Haftzahlen
explodiert seien. Laut „Salzburger Nachrichten", vom 8. November 2003,
Seite 7, hat der
Justizminister „dem Ministerrat den Bau eines neuen Straflandesgerichtes samt
Justizanstalt
mit 700 weiteren zu den derzeit bestehenden 8.000 Belegplätzen in den 28
Justizanstalten
vorgeschlagen.."
Tatsächlich sind die explodierenden Haftzahlen in
höchstem Maße besorgniserregend und
führen zu dramatischen Zuständen in den österreichischen Justizanstalten. Immer
mehr
Häftlinge
sollen von immer weniger Personal auf viel zu engem Raum betreut werden. Dem
vom Gesetz vorgesehenen Resozialisierungsgedanken kann unter diesen Umständen
kaum
mehr
Rechnung getragen werden.
In der Festschrift für Herbert Steininger zum 70.
Geburtstag hat Univ.Prof. Dr. Christian
Bertel von der Universität Innsbruck einen Beitrag zum Thema „das Elend mit der
bedingten
Entlassung" geschrieben. Darin wird ausgeführt, dass die bedingte
Entlassung in Österreich
nur eine geringe Rolle spiele: So wurden 2001 nur 19% der Gefangenen bedingt
entlassen,
Vergleichszahlen
in der Schweiz bzw. in Deutschland liegen bei 92%.
Dem Willen des Gesetzgebers werde in der Praxis der
bedingten Entlassung nicht
entsprochen. Nach dem Konzept der Gesetzesverfasser, so führt Bertel aus
„sollte die
bedingte Entlassung für Gefangene mit guter Prognose nach Verbüßung der Hälfte,
für
Gefangene
mit minder guter Prognose nach Verbüßung von zwei Dritteln der verhängten
Strafe
die Regel sein; die Verbüßung der gesamten Strafe sollte die Ausnahme
sein."
Die Überbetonung des generalpräventiven Aspektes bei der
Prüfung, ob der Vollzug der
gesamten Strafe notwendig ist, muss sehr kritisch eingeschätzt werden.
In diesem Sinn hat die SPÖ bereits im letzten
Nationalratswahlkampf 2002 unter „Eckpunkte
Sozialdemokratischer
Justizpolitik" zum Kapitel 7, „Strafrecht" folgende Forderung
aufgestellt:
„Die bedingte Strafnachsicht soll nicht primär von
generalpräventiven Überlegungen („um
der Begehung strafbarerer Handlungen durch andere entgegenzuwirken
") abhängig sein.
Grund dafür ist, dass - wie die Diskussion in Lehre und Rechtssprechung
zeigt - niemand
wirklich ernsthaft sagen kann, ob eine Strafnachsicht dieser Anforderung
im Einzelfall
entsprechen kann oder nicht. Derart unbestimmte Definitionen sind aus
rechtsstaatlichen
Überlegungen hintan zu halten. Als möglicher Anknüpfungspunkt könnte
die
generalpräventive Wirkung durch eine noch zu definierende „Schwere"
des Einzelfalles
(Wertigkeit des geschützten Rechtsgutes und Umfang des Schadensausmaßes
bzw. der Folgen
für das Opfer der Straftat) ersetzt werden ".
Nach Prof. Beitel sollte das Gesetz „klarstellen, dass ,besondere Gründe', die nach
Verbüßung von zwei Dritteln der verhängten Strafe zur Verweigerung der
bedingten
Entlassung fuhren müssen, die Gefahr schwerer Gewaltverbrechen oder
gemeingefährlicher
Verbrechen
ist. Der Missbrauch von Lockerungen und schwere Aggressionen während des
Vollzuges
sollen zur Verweigerung der bedingten Entlassung führen können."
Weiters schlägt Beitel vor, dass die bedingte Entlassung
nichts mit einer neuerlichen
Strafzumessung zu tun habe, sondern ein möglicher Abschluss des
Entlassungsvollzuges sei.
Deshalb sollte darüber nicht das Gericht, sondern eine Vollzugskommission
entscheiden. „Sie
sollte aus dem Staatsanwalt, einem leitenden Vollzugsbediensteten und einem
Sozialarbeiter
der Bewährung- oder Entlassenenhilfe bestehen. Gegen ihre Entscheidung sollte
ein
Rechtsmittel an eine Oberkommission, bestehend aus einem Richter, einem
leitenden
Vollzugsbediensteten und einem Sozialarbeiter zulässig sein."
Da die dargelegte Problematik einen wesentlichen Teil der
aktuellen Justizpolitik
widerspiegelt, stellen die unterzeichneten Abgeordneten an den Bundesminister
für Justiz
nachstehende
Anfrage:
1. Wie gedenken Sie die derzeit
explodierenden Häftlingszahlen in den Griff zu
bekommen?
2. Was sind die Hauptursachen für die derzeitigen hohen Häftlingszahlen?
3. Teilen Sie die Auffassung, dass die
restriktive Praxis bei der bedingten Entlassung
(siehe die Einleitung) mit eine Ursache für
die hohen Häftlingszahlen sind?
4. Teilen Sie die Auffassung, dass ein
gesetzgeberischer Akt notwendig wäre, um die
Praxis bei der bedingten Entlassung im Sinne des ursprünglichen Willens des
Gesetzgebers zu ändern?
5. Teilen Sie
die Auffassung, dass die Verweigerung der bedingten Entlassung (das heißt
die volle Verbüßung der Strafe) eigentlich die Ausnahme und nicht - wie in
Österreich
- die Regel sein sollte?
6. Welche Gründe sollten nach Ihrer
Auffassung ausschlaggebend dafür sein, dass doch
die volle Strafzeit verbüßt werden muss?
Wie stehen Sie zu dem Vorschlag von
Univ.Prof. Bertel „die Gefahr schwerer Gewaltverbrechen oder
gemeingefährlicher
Verbrechen" sowie „den Missbrauch von Lockerungen und schwere Aggressionen
während des Vollzuges" als Gründe für die Verweigerung der bedingten
Entlassung
gesetzlich zu verankern?
7. Teilen Sie die Auffassung, dass über die
bedingte Entlassung nicht das Gericht, sondern
eine
Vollzugskommission entscheiden sollte?
8. Teilen Sie die Auffassung, dass der
enorme Überbelag in den Haftanstalten mit dazu
beiträgt, die Chancen für eine Resozialisierung zu vermindern und die
Wahrscheinlichkeit von Rückfalltaten zu
erhöhen?
9. Gedenken Sie dem Nationalrat einen Gesetzesentwurf vorzulegen, in den im
angesprochenen Sinn eine Reform der bedingten Entlassung vorgeschlagen wird?
10. Welche sonstigen Maßnahmen sind von Ihnen im gegebenen Zusammenhang geplant?