1514/J XXII. GP

Eingelangt am 26.02.2004
Dieser Text ist elektronisch textinterpretiert. Abweichungen vom Original sind möglich.

 

 

DRINGLICHE ANFRAGE

 

 

der Abgeordneten Dr. Helene Partik-Pablé, Dr. Maria Fekter,

Kolleginnen und Kollegen

an den Bundesminister für Justiz

betreffend Verbesserung des Rechtsschutzes bei Unglücksfällen

Das Unglück von Kaprun, die Hochwasserkatastrophe vom August 2002, die Lawine
von Galtür und andere Katastrophen im In- und Ausland haben uns drastisch vor
Augen geführt, welchen Gefährdungen wir tagtäglich ausgesetzt sind. Diese
Gefahren sind vielfach offenkundig, etwa bei den grenznahen Atomkraftwerken, im
Flug-, Eisenbahn- und Seilbahnbetrieb oder auch beim Transport gefährlicher
Chemikalien und Güter. Manchmal sind wir uns der Risiken und der drohenden
Folgen aber auch nicht bewusst, etwa im normalen Straßenverkehr oder bei
Industriebetrieben, bei denen niemand an ein erhöhtes Gefahrenpotential denkt. Wir
verlassen uns darauf, dass schon nichts passieren wird. Wenn es dann zum Ernstfall
kommt, stehen wir fassungslos vor dem unermesslichen Leid der Betroffenen und
ihrer Angehörigen.

Die Bewältigung dieser Unfälle ist schwierig. Auch mit noch so hohen Summen
lassen sich ihre Folgen vielfach nicht aus der Welt schaffen, und die Schmerzen der
Angehörigen der Opfer lassen sich mit Geld alleine nicht ausgleichen. Es ist daher
auch mehr als verständlich, wenn das (noch nicht rechtskräftige) Urteil im „Kaprun"-
Strafverfahren bei den Angehörigen wie auch in der Öffentlichkeit zu heftigen
Reaktionen geführt hat. Meist wird zwar Verständnis dafür geäußert, dass
strafrechtliche Verurteilungen von nachweisbarer individueller Schuld abhängen. Es
ist aber verständlich, dass nach derartigen Katastrophen nach Schuldigen gesucht
und es z.T. als unbefriedigend empfunden wird, wenn niemand zur Verantwortung
gezogen werden kann.

Nicht nur als Benutzer einer Gletscherbahn sondern auch bei vielen anderen
Gelegenheiten begibt man sich immer wieder in gefährliche Situationen, deren
Risiken man - weil es sich um fremdorganisierte unüberschaubare Anlagen handelt
- schwer bis gar nicht selbst beurteilen und auch kaum selbst beeinflussen kann.
Man kann in solchen Situationen nur darauf vertrauen, dass der Betreiber alles
Menschenmögliche für die Sicherheit der Betroffenen tut und der Staat seine
Aufgabe wahrnimmt, entsprechende Standards und Kontrollen sicherzustellen. Wenn
ein solches Risiko schlagend wird, erwartet man dementsprechend sowohl
zivilrechtliche Entschädigung als auch - bei Verschulden - strafrechtliche
Konsequenzen.

Der Gesetzgeber hat im Bereich des Zivilrechts schon frühzeitig Regelungen
geschaffen, die eine - meist der Höhe nach begrenzte - Haftung auch ohne
Verschulden („Gefährdungshaftung") dann sicherstellen, wenn sich jemand einer
gefährlichen Sache zu seinem Nutzen bedient, damit aber andere gefährdet. Zu
nennen ist hier z.B. die Haftung für Tiere oder für Sachen, die von oder aus Häusern
herabstürzen, sowie die Haftung für Eisenbahnen und Kraftfahrzeuge, aber auch
Schlepplifte und Bergbahnen nach dem Eisenbahn- und
Kraftfahrzeughaftpflichtgesetz sowie Regelungen für andere Technologien (Strom,


Gas, Flugzeuge, Atomkraft). Diese Regelungen gelten aber immer nur für
Schadensfälle in genau festgelegten Risikobereichen.

Für das Beispiel der „Kaprun"-Katastrophe ist also eine Entschädigung auch ohne
Verschulden in einem beschränkten Ausmaß nach EKHG sichergestellt (diese
Entschädigungen wurden ja auch bereits teilweise ausbezahlt), darüber
hinausgehende Ansprüche hängen von der Nachweisbarkeit eines Verschuldens ab.

Der Gesetzgeber hat im Übrigen durch das erste kürzlich beschlossene
Zivilrechtsänderungsgesetz einen immateriellen Schadenersatzanspruch beim Tod
naher Angehörige beschlossen, der gerade auch im Fall von Katastrophen zum
Tragen kommen kann.

Ab dem Jahr 2001 wurde durch eine Änderung des Krankenanstaltenrechtes die
Situation bei Schadensfällen in Krankenanstalten durch die Einrichtung von
Entschädigungsfonds erstmals deutlich verbessert, die pauschale Abgeltungen bei
Patientenschäden ohne klar nachweisbares Verschulden leisten. Gerade im
Krankenhaus sind Patienten aber auch Mitarbeiter und Besucher - abgesehen von
Fehlbehandlungen - spezifischen Risiken und Gefahren wie vor allem dem in
Spitälern grundsätzlich erhöhten Infektionsrisiko ausgesetzt. Ein mehr oder weniger
harmloser Knochenbruch kann so trotz hervorragender Behandlung zu einer
schweren Keiminfektion mit Dauerschäden führen. Solche Risiken musste der
Betroffene vor Schaffung dieser Fonds geradezu als schicksalhaft hinnehmen, weil
die Krankenanstalt hiefür nur haftet, wenn sie Hygienemaßnahmen nachweislich
unterlassen hat.

Doch nicht nur die zivilrechtliche Haftung im Sinne von Schadenersatzansprüchen ist
nach Ansicht der unterfertigten Abgeordneten unbefriedigend, auch die Frage einer
allfälligen strafrechtlichen Verantwortung ist derzeit nur zum Teil gelöst. Ist ein
Verhalten, das zu einem Schaden führt, eindeutig einer natürlichen Person
zurechenbar, so kann selbstverständlich die Strafbarkeit des gesetzten Verhaltens
von Staatsanwaltschaft und Gericht überprüft werden. Anders stellt sich die Situation
dar, wenn die inkriminierte Handlung nicht eindeutig zuordenbar ist, etwa in dem Fall,
dass eine Herzkreislaufmaschine aufgrund grob fahrlässiger Wartungsmängel
ausfällt und der Patient verstirbt. Diesfalls liegt zwar unter Umständen ein
Organisationsverschulden der Krankenanstaltsleitung vor. Eine ähnliche
Konstellation könnte auch im Fall der „Kaprun"-Katastophe vorliegen.

Viele andere Staaten (Großbritannien, Frankreich, Irland, Niederlande, Belgien,
Dänemark, Schweden, Kanada, Australien, USA, Japan, demnächst die Schweiz und
Finnland) sehen in solchen Fällen die Verantwortlichkeit juristischer Personen vor.
Auch in etlichen internationalen Beschlüssen wird eine Verantwortlichkeit juristischer
Personen vorgesehen, um zu verhindern, dass für ein Fehlverhalten, von dem eine
juristische Person profitiert und das sie auch irgendwie begünstigt hat, nur ein
einzelner Mitarbeiter bestraft werden kann, die „Methode" aber ungestraft und damit
weiterhin wirtschaftlich interessant bleibt. Ein derartiges System würde - unabhängig
von der Strafbarkeit eines einzelnen Mitarbeiters - Geldstrafen für Unternehmen
ermöglichen, die sich dem Vorwurf aussetzen, z.B. durch ihre leitenden Mitarbeiter,
durch mangelhafte Organisation oder mangelhafte Kontrolle ihrer Mitarbeiter
strafrechtliches Unrecht verwirklicht zu haben und davon zu profitieren.


Im Bundesministerium für Justiz besteht bereits seit längerer Zeit eine Arbeitsgruppe,
die sich mit der Neugestaltung des österreichischen Schadenersatzrechts befasst.
Gerade die Erfahrungen im Umgang mit Katastrophen wird in dieser Arbeitsgruppe
sicherlich auch zu einer Überprüfung der bisherigen Ergebnisse im Lichte der
Besonderheiten von Unglücksfällen führen müssen.

Die unterfertigten Abgeordneten stellen daher an den Herrn Bundesminister für
Justiz nachstehende

Anfrage:

1.       Wie beurteilen Sie die derzeit geltenden Regelungen über die straf- und
zivil rechtliche Verantwortlichkeit für gefährliche Betriebe und Anlagen?

2.       Wie weit sind die Arbeiten der Arbeitsgruppe Schadenersatzrecht im
Bundesministerium für Justiz gediehen?

3.            Werden Sie darauf hinwirken, dass in dieser Arbeitsgruppe insbesondere
auch die Besonderheiten des Schadenersatzrechts im Katastrophenfall
berücksichtigt und die bisherigen Ergebnisse in diesem Lichte überprüft
werden?

4.       Wie stehen Sie zu der in letzter Zeit häufig gestellten Forderung der
Verantwortlichkeit von juristischen Personen ?

5.                Wie beurteilen Sie das Verhältnis gerichtliches Strafrecht zu
Verwaltungsstrafrecht im Bereich der Verantwortlichkeit juristischer Personen
insbesondere im Lichte des Verbots der Doppelbestrafung?

6.                Welche Überlegungen gibt es dazu bisher im Bundesministerium für Justiz?

7.                Wodurch soll sichergestellt werden, dass es durch eine Einführung der
Strafbarkeit juristischer Personen nicht zu einer reinen Erfolgshaftung kommt?

8.                Wie beurteilen Sie die rechtliche Stellung von Patienten und Pflegebedürftigen
aus der Sicht Ihres Ressorts?

9.                Welche Maßnahmen haben Sie bereits in Ihrem Ressortbereich zur Stärkung
von Patientenrechten getroffen bzw. welche sind in Vorbereitung?

In formeller Hinsicht wird verlangt, diese Anfrage im Sinne des § 93 Abs. 1 GOG-NR
dringlich zu behandeln und dem Erstunterzeichner Gelegenheit zur mündlichen
Begründung zu geben.