2082/J XXII. GP
Eingelangt am 09.07.2004
Dieser Text ist elektronisch textinterpretiert. Abweichungen vom Original sind
möglich.
Anfrage
der Abgeordneten Mag. Terezija Stoisits, Freundinnen und Freunde
an die Bundesministerin für Justiz
betreffend Strafvollzug in Österreich
Der österreichische Strafvollzug befindet sich in einer schweren Krise.
In Österreich
befinden sich derzeit rund 8.300
Menschen im Gefängnis, davon über 2.200 in
Untersuchungshaft. Die wahre Dramatik verdeutlicht aber erst der Anstieg der
Häftlingszahlen: Langjährig wurde die
Grenze von 7.000 Häftlingen niemals
überschritten. Den historischen Tiefststand gab es dank gezielter
Strafrechtsreformen 1989 mit 5.950
Häftlingen. Mit dem Antritt der Schwarz-blauen
Bundesregierung im Jahr 2000 sind die Häftlingszahlen geradezu explodiert (ein
Plus von 22,5 Prozent innerhalb von nur 2 Jahren!). Ein derartiges
Wachstum des
Gefängnisbelages ist beispiellos.
Zugleich verschlechterte sich das Verhältnis zwischen Häftlingen und
Justizwachebeamtinnen vom
langjährigen Schnitt 2:1 auf 2,55:1. Bei einem
Personalstand von rund 3.300 besteht laut
Justizministerium ein Mehrbedarf im
Strafvollzug von 750. Besonders
schlimm ist die Situation in Österreichs größtem
Gefängnis in der Wiener Josefstadt, das nach der Auflösung des Wiener
Jugendgerichtshof mit einem Überbelag von 400 Insassinnen kämpfen muss.
Dabei gelten Gefängnisse bereits ab einer Auslastung von 85 bis 90
Prozent als
vollbelegt. In überfüllten
Gefängnissen können Gefangenengruppen (z.B.
Ersttäterinnen von kriminell Vorbelasteten
oder Gruppen zwischen denen ethnische
Spannungen bestehen) nicht mehr voneinander getrennt werden, mit dem erhöhten
Stress sowohl für Insassinnen als auch Betreuerinnen steigt das Risiko
von
größeren Zwischenfällen; das Arbeitsangebot
steigt nicht entsprechend,
Rehabilitierungsmaßnahmen treten zurück... - der Strafvollzug verkommt
wieder
zum reinen Verwahrungsvollzug.
Nun wurde in der Zeitschrift „Falter" bekannt, dass psychisch
kranke Strafgefangene
in gesetzlich unzulässiger Weise
auf sogenannten Gurtenbetten „ruhiggestellt"
werden und dass 2001 der Häftling Johann K. während einer derartigen Fixierung
gestorben ist. Damit ist die seinerzeitige Rechtfertigung des BMJ nicht mehr
aufrechthaltbar. Hier besteht dringender
Handlungsbedarf!
Verschärft wird
die Situation in den Justizanstalten durch eine starke Zunahme von
psychisch kranken Menschen in den
Gefängnissen. Seit der Psychiatriereform in den
frühen 90er Jahren gibt es eine besonders starke Zunahme der psychisch
Kranken
in den Justizanstalten (21/1 StGB, 21/2 StGB und 129 StVG). Die Anzahl der
Maßnahmenpatientinnen hat sich in den letzten 20 Jahren vervielfacht ohne eine
entsprechende Aufstockung der psychologischen und psychiatrischen
Behandlungsmöglichkeiten.
Die unterfertigten Abgeordneten stellen daher
folgende
ANFRAGE:
1.
Wird das
Festgurten von Häftlingen in Österreichs Gefängnissen
angewendet? Wenn ja, aufgrund welcher
gesetzlichen Grundlage?
Was sind die Voraussetzungen? Wie
viele Anwendungsfälle hat es in
den letzten 10 Jahren gegeben?
2.
Wurde der Häftling
Ernst K. 2001 in der Justizanstalt Stein
festgegurtet? Wenn ja, war das Festgurten
für seinen Tod kausal?
3.
Wann sind die nun durch die Zeitschrift „Falter" bekannt gewordenen
Photos zum
Fall Ernst K. der Staatsanwaltschaft bzw. dem
Justizministerium bekannt geworden?
4.
Warum wurden die staatsanwaltschaftlichen Erhebungen zum Tod von
Ernst K. eingestellt? Wurden dem
ermittelnden Staatsanwalt
Weisungen erteilt?
5.
Wenn der Staatsanwaltschaft die genannten Photos nicht bekannt
waren, warum
nicht?
6.
Das BMJ hat am 7. Juli 2004 gegenüber der APA die Vermutung
geäußert, dass die Photos aus dem
Polizeiakt stammen dürften, der
offensichtlich nicht zur Gänze an die
Anklagebehörde gegangen wäre.
Wurde das BMJ in der APA 343 vom 7. Juli 2004 korrekt
wiedergegeben? Wenn ja, wie beurteilen Sie diese Fakten rechtlich,
insbesondere strafrechtlich?
7.
Wie viele
MaßnahmenpatientInnen und Strafgefangene mit
psychiatrischer Krankheitsprognose werden
in den Justizanstalten
angehalten? Wie viele waren es
aufgeschlüsselt nach Jahren über die
letzten 20 Jahren?
8.
Wie viele
PsychiaterInnenstunden werden heute auf die Behandlung
dieser Patientinnen mehr bzw. weniger aufgewendet nach Jahren
aufgeschlüsselt über die letzten 20 Jahre? Welche forensischen
psychiatrischen Studien und welche Studien
zu
Personalentwicklungsmaßnahmen im
Strafvollzug liegen darüber vor?
9.
Das Antifolterkomittee des Europarates (CPT) hat in seinem Bericht,
nach der
Visite in Österreich 1999 die sofortige Stilliegung von
„archaisch gestalteten Gitterkäfigen"
in der Justizanstalt Göllersdorf
gefordert. Ist dies geschehen?
10.
Wenn nein, stehen „Sonderhafträume", wie Gitterkäfige oder
vergleichbare
Einrichtungen immer noch in Verwendung und in
welchen
Justizanstalten und auf welcher gesetzlichen Grundlage?
11.
Wieviele Anzeigen gegen JustizanstaltenmitarbeiterInnen hat es in den
letzten 3
Jahren , aufgegliedert nach Justizanstalten gegeben?
12.
Wieviele Anzeigen wegen des Verdachtes der Vergewaltigung von
Häftlingen an Häftlingen hat es in der Justizanstalt Josefstadt seit der
Übersiedlung der Justizanstalt
Rüdengasse (Auflösung des JGH) in
die JA Josefstadt gegeben?
13.
Beruht die Auskunftsverweigerung von MitarbeiterInnen des BMJ
bezüglich
Missständen im Strafvollzug auf einer Anordnung Ihrerseits,
oder geschieht dies aus eigenem
Antrieb der Mitarbeiterinnen des
Ressorts?