2447/J XXII. GP
Eingelangt am 22.12.2004
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Anfrage
der Abgeordneten Mag. Maier, Dr. Wittmann
und GenossInnen
an den Bundeskanzler
betreffend „Verfassungsdienst und die vom VfGH
aufgehobene Gesetze und Gesetzesbestimmungen der Schwarz-Blauen
Bundesregierung“
Durch den VfGH wurden seit 2000 zahlreiche
Gesetzesbestimmungen wegen Verfassungswidrigkeiten oder legistischen bzw.
formalen Schlampereien aufgehoben. Zum einem haben die Oppositionsparteien in
vielen Fällen auf Verfassungswidrigkeiten, Widersprüche etc. im Zuge des
jeweiligen Gesetzgebungsverfahrens hingewiesen, zum anderem aber auch
zahlreiche begutachtende Stellen (Institutionen, Experten und Vertreter der
Wissenschaft, darunter auch der Verfassungsdienst des Bundeskanzleramtes).
Trotz der öffentlich dargestellten Einwände und sachlichen Kritikpunkte wurden
viele Gesetze durch die Schwarz-Blaue Mehrheit im Nationalrat beschlossen, die
später allerdings angefochten und vom VfGH wegen Verfassungswidrigkeit
aufgehoben wurden. Schwarz-Blau weist somit seit 2000 eine katastrophale
verfassungsrechtliche Bilanz auf.
Darstellung
von angefochtenen und vom VfGH
aufgehobenen Gesetze bzw. Gesetzesbestimmungen
1)
16.
März 2001:
Im Rahmen des
Sozialrechtsänderungsgesetzes 2000 wurde ein Selbstbehalt von
250 ATS für Ambulanzbesuche eingeführt.
Die Ambulanzgebühr
wurde wegen nicht ordnungsgemäßer Kundmachung aufgehoben und - wegen eines
Formalfehlers bei der Beschlussfassung - dem Gesetzgeber eine Frist zur
Reparatur der Pensionsreform für den öffentlichen Dienst eingeräumt.
Konsequenz: Die Ambulanzgebühr wurde in abgeänderter Form erneut von Schwarz-Blau beschlossen.
2)
Nach der Aufhebung der Ambulanzgebühr im
März 2001 wurde im April des Jahres 2001 eine verschärfte (weniger Ausnahmen)
Version des Gesetzes beschlossen, diese
dann im Wahlkampf 2002 abermals reformiert.
Die SPÖ brachte neue VfGH-Klagen - wegen Verstoßes gegen das
Sachlichkeitsgebot und Gleichheitswidrigkeit - ein. Auch der VfGH äußerte
inhaltliche Bedenken gegen die Gebühr, erklärte das Gesetz jedoch, vor der
eingehenden inhaltlichen Prüfung, aufgrund von Formfehlern für
verfassungswidrig.
3)
Pensionsreform 2000 (März 2001):
Die SPÖ brache eine Klage beim VfGH gegen die
schrittweise Anhebung des Frühpensionsalters ein, weil das Gesetz eine
Verletzung des Vertrauensschutzes darstellte. Der VfGH hob das Gesetz wegen
Formalfehler auf.
2)
6.
Dezember 2001:
Der VfGH stellt fest, dass (mittlerweile
außer Kraft getretene) Bestimmungen über die Versorgung der
Zivildienstleistenden verfassungswidrig waren.
In der
Zivildienstnovelle 2000 wurde die "unentgeltliche Verpflegung" (2.358
ATS plus tägliche Essenbons im Wert von 155 ATS) durch eine Pauschale von
3.600 ATS "ersetzt". Dem Zivildiener bleiben 43 ATS pro Tag.
Die SPÖ brachte beim VfGH Klagen (Drittelantrag plus Sammelklage
Zivildiener) wegen Ungleichbehandlung der Zivildiener gegenüber Präsenzdienern
ein und bekam
Recht.
3)
29.
Juni 2002:
Aufhebung der Erhöhung der
Einkommenssteuer-Vorauszahlung im „Sparpaket“ des Jahres 2000.
4)
17.
Dezember 2002:
Der VfGH hob die Besteuerung der
Unfallrenten wegen fehlender Übergangsfristen als verfassungswidrig auf.
Im Jahr 2000
wurde im Nationalrat die Besteuerung von Unfallrenten
beschlossen. Die SPÖ brachte Klage beim VfGH ein, der das Gesetz auf
aufgrund fehlender Übergangsfristen aufhob.
Konsequenz: Finanzminister Grasser nützte aber eine Lücke im VfGH-Urteil und
beharrte auf der Einhebung der „Unfallstrafsteuer“ für das Jahr 2003!
5)
23.
Juni 2003:
Der VfGH erkennt die gesetzliche
Abschaffung von Personalvertretungswahlen bei Neuschaffung von
Dienststellen als verfassungswidrig.
6)
27.
Juni 2003:
Die Pensionsreform 2000 ist für den VfGH
in Teilen (Anhebung des Antrittsalters, Erhöhung der Abschläge)
verfassungskonform. Als verfassungswidrig wurde aber die im Herbst 2000 beschlossene
Neuregelung der Hinterbliebenenpensionen angesehen.
Nachdem der
VfGH im März 2001 die Pensionsreform 2000 wegen Formfehlern
aufgehoben hatte, verlangte die SPÖ eine inhaltliche Prüfung des Gesetzes
durch das Verfassungsgericht. Der VfGH folgte der Argumentation der SPÖ
teilweise und erklärt die Kürzung der Hinterbliebenenpensionen für
verfassungswidrig.
7)
10.
Oktober 2003:
Der VfGH kippt die komplette Reform
des Hauptverbandes.
Im Jahr 2001 wurde der Hauptverband der Sozialversicherungsträger per
Gesetz
("Lex Salmutter") schwarz "eingefärbt". Der VfGH leitete
ein
Gesetzprüfungsverfahren ein und kam zu dem Schluss, das Gesetz sei beinahe
zur Gänze verfassungswidrig.
8)
23.
Jänner 2004:
Die Uni-Reform wurde teilweise
aufgehoben: Durch das Universitätsgesetz 2002 wurde
die organisatorische Struktur der Universitäten grundlegend geändert. Die Höchstrichter befinden die
Organisation (inkl. umstrittene Uniräte) als verfassungskonform. Als verfassungswidrig
wurden die ab 2007 geplanten Leistungsvereinbarungen zwischen Bund und den
Universitäten aufgehoben.
9)
18.
Februar 2004:
Teile des Militärbefugnisgesetzes
wurden aufgehoben.
Mit dem
Militärbefugnisgesetz 2000 wurden Militärbehörden zu massiven
Eingriffen in die Grundrechte ermächtigt. Die SPÖ brachte wegen
verfassungsrechtlicher Bedenken einen Drittelantrag gegen das Gesetz ein.
Der VfGH hob drei Eckpunkte des Gesetzes auf.
10)
13.
März 2004:
Teile des Ausgleichsfonds der
Sozialversicherungsträger werden als verfassungswidrig aufgehoben.
Im Juli 2002
wurde ein Paket zur Krankenkassensanierung beschlossen, in dem
unter anderem der Ausgleichsfonds zwischen den Kassen neu geregelt wurde
(Verdoppelung der Beiträge ...). Der VfGH hob alle wesentlichen Elemente -
die Neuregelung des Ausgleichsfonds, die Zielvereinbarungen, die Erhöhung
der Beiträge, die "Zwangsdarlehen", die Einbeziehung vier weiterer
Krankenkassen - wegen Verfassungswidrigkeit auf.
11)
23.
Juli 2004
Gekippt wurde durch den VfGH die 2001
eingeführte Regelung über die Zwangs-Pensionierung von Beamten: Diese Regelung war schon beim
Beschluss umstritten. Um missliebige Beamte zu entfernen,
wurde 2001 die Zwangs-Pensionierung im
Öffentlichen Dienst per Gesetz massiv erleichtert. Der Verfassungsgerichtshof
gab den Beschwerden von betroffenen Beamten Recht und hob die Regelung als verfassungswidrig
auf.
Innenminister Ernst Strasser hatte die
Bestimmung des Beamtendienstrechtes genutzt, um im September 2002 die
Landesgendarmeriekommandanten von NÖ, Burgenland und Steiermark loszuwerden -
weil sie seiner Organisationsreform im Wege standen.
12)
15.
Oktober 2004
Teile des neuen Asylgesetzes wurden als
verfassungswidrig beurteilt.
Im Oktober 2004 hat der VfGH schließlich das Asylgesetz
in folgenden Punkten aufgehoben: Das Neuerungsverbot ist verfassungswidrig,
der geplante wegfallende Abschiebeschutz für Asylwerber mit negativem
Erstbescheid, die in Berufung gehen, ist verfassungswidrig, und die
sofortige Verhängung von Schubhaft nach negativem Asylbescheid ist
verfassungswidrig.
Das Neuerungsverbot besagt, dass in der
zweiten Instanz nur in Ausnahmefällen (z.B. Traumatisierungen) neue
Sachargumente vorgebracht werden können. Nicht aufgehoben wurde vom VfGH
hingegen die ebenfalls beeinspruchte Liste sicherer Dritt- und Herkunftsländer.
Auch die Durchsuchungsbestimmungen und das Bundesbetreuungsgesetz ist
verfassungskonform. Das Asylgesetz wurde von den Landesregierungen von OÖ und
Wien sowie vom unabhängigen Bundesasylsenat beeinsprucht.
13)
20.
Oktober 2004
Der Verfassungsgerichtshof hob Teile des
Zivildienstgesetzes und einer darauf beruhenden Verordnung auf: Die Ausgliederung
der Zivildienstverwaltung an nichtstaatliche Institutionen ist
verfassungswidrig, da nur dem Staat das Recht zusteht, in die Grundrechte
einzelner (wie es bei der Abwicklung des Zivildienstes der Fall ist)
einzugreifen. Die Ausgliederungsverordnung von Minister Strasser, mit der die
Verwaltung an das Rote Kreuz übertragen wurde, wurde damit als gesetzwidrig
ebenfalls aufgehoben. Reparaturfrist bis Ende 2005.
Im Februar
2004 leitete der VfGH von selbst ein Gesetzesprüfungsverfahren
bezüglich der von Innenminister Strasser im April 2002 vorgenommenen
Ausgliederung der Zivildienstverwaltungs GesmbH ein. Schließlich hob der
VfGH im Oktober 2004 die im § 54a Zivildienstgesetz festgelegte
Ausgliederung der Zivildienstverwaltung mit der Begründung, dass "die
Verpflichtung zur Ableistung des Zivildienstes eine solche gegenüber dem
Staat bleibt, selbst wenn der Dienst bei (privaten) Einrichtungen
abgeleistet wird" auf.
Aus Sicht der Fragesteller stellt sich daher die berechtigte Frage in welcher Form die berechtigten Einwände des Verfassungsdienstes des BKA oder anderer begutachtender Stellen in Zukunft im Rahmen von Gesetzgebungsverfahren – insbesondere bei Verfassungsrelevanz –berücksichtigt werden. Es stellt sich damit auch die Frage, ob sich der Umgang der Bundesregierung bzw. der Parlamentsmehrheit mit der Bundesverfassung, der Demokratie und dem Rechtsstaat verbessert oder ob 2005 mit weiteren - teilweise bewussten und politisch motivierten -Verfassungsbrüchen gerechnet werden muss.
Die unterzeichneten Abgeordneten
richten daher an den Bundeskanzler nachstehende
Anfrage:
1.
Welche
Gesetze bzw. welche Gesetzesbestimmungen wurden seit 2000 durch den VfGH zur
Gänze oder teilweise aufgehoben? Welche Wirkung hatten jeweils diese
Aufhebungen (Ersuche um detaillierte Auflistung)?
2.
Durch
wen erfolgte jeweils die Anfechtung bzw. die verfassungsrechtliche Überprüfung?
3.
Bei
welchen Gesetzen bzw. bei welchen Gesetzesbestimmungen– die später in diesen
vier Jahren vom VfGH zur Gänze oder teilweise aufgehoben wurden – hat der
Verfassungsdienst des BKA in seinen Stellungnahmen im Rahmen des
Gesetzgebungsverfahren auf verfassungsrechtliche Probleme aufmerksam gemacht
(ersuche um Bekanntgabe und Übermittlung der jeweiligen Stellungsnahme des
Verfassungsdienstes)?
4.
Bei
welchen Gesetzen bzw. bei welchen Gesetzesbestimmungen– die später in diesen
vier Jahren vom VfGH zur Gänze oder teilweise aufgehoben wurden – haben andere
begutachtende Stellen im Rahmen des Gesetzgebungsverfahren in ihren
Stellungnahmen auf verfassungsrechtliche Probleme aufmerksam gemacht (ersuche
um Bekanntgabe und Übermittlung der jeweiligen kritischen Stellungsnahmen)?
5.
Warum
wurden in den jeweiligen Regierungsvorlagen diese Anregungen bzw. Kritikpunkte
nicht berücksichtigt?
6.
Werden
Sie sicherstellen, dass in Zukunft die Stellungnahmen von begutachtenden
Stellen im Rahmen des Gesetzgebungsverfahrens zu verfassungsrelevanten Fragen –
so insbesonders auch des Verfassungsdienstes des BKA – durch den Ministerrat
entsprechend berücksichtigt werden?