2494/J XXII. GP

Eingelangt am 14.01.2005
Dieser Text ist elektronisch textinterpretiert. Abweichungen vom Original sind möglich.

Anfrage

der Abgeordneten Mag. Maier

und GenossInnen

an die Bundesministerin für Gesundheit und Frauen

betreffend „Vioxx (Schmerz- und Rheumamittel) - Freiwillige Rücknahme durch Merck

-   Patientensicherheit“

Der US-Pharmakonzern Merck & Co Inc bzw. Mercktochter „Merck Sharp und Dohme"
(MSD) musste im September 2004 das umsatzträchtige Schmerz- und Rheumamittel Vioxx
vom Markt nehmen, weil klinische Studien bei längerfristiger Einnahme (18 Monate) ein
erhöhtes Risiko für Schlaganfälle, Herzinfarkte und anderer Gefäßkrankheiten zeigten
(APPROVE Studie).

Merck verlor in den folgenden Tagen mehr als ein Viertel seines US-Börsenwertes. Für
weitere Kosten dürften die anstehenden Schadenersatzklagen sorgen. Das US-
Justizministerium und die US-Börsenaufsicht SEC haben kurz darauf ebenfalls Ermittlungen
aufgenommen.
In Österreich wurde in weiterer Folge für PatientInnen eine Hotline durch MSD eingerichtet.

Sollte sich nun tatsächlich bestätigen, dass das Merck-Medikament nicht das einzige Produkt
der Klasse sogenannter Cox-2-Hemmstoffe ist, das - wegen unerwünschter Nebenwirkungen

- aus dem Verkehr gezogen werden muss, werden sich auch andere Pharmaunternehmen
rechtfertigen müssen. Der Marktführer Pfizer hat beispielsweise zwei umsatzträchtige Cox-2-
Hemmer in seinem Sortiment (Celebrex und Bextra), die nach dem Vioxx-Fall unversehens
zur Hypothek geworden sind; seit Anfang Oktober haben die Pfizer-Aktien denn auch um
über 6 % nachgegeben (NZZ 22.10.2004).

Vor kurzem trug Pfizer selbst zur Verunsicherung bei mit der Publikation der Ergebnisse von

zwei klinischen Studien, wonach mit dem Präparat Bextra behandelte Bypass-Patienten ein

erhöhtes Risiko von Herzinfarkt oder Schlaganfall aufwiesen. Pfizer ist allerdings bislang

nicht bereit, Celebrex und Bextra freiwillig vom Markt zu nehmen.

Zur Zeit prüft die US Food and Drug Administration alle Zulassungen der sogenannten Cox-

2-Hemmer.

Mit dem Arzneimittel Vioxx hatte Merck einen jährlichen Umsatz von 2,5 Mrd. Dollar erzielt
(2003), an die 84 Mio. Menschen nahmen dieses Arzneimittel ein, es wurde in über 80 Länder


vertrieben. Mediziner kritisierten, dass Merck schon Ende 1999 das deutlich erhöhte
kardiovaskuläre Risiko den vorliegenden Studien (z.B. Vigor-Studie) entnehmen konnte.
Auch im letzten Jahr bekannt gewordene unternehmensinterne Dokumente belegen, dass dem
Konzern das Risiko bekannt war. Befürchtet wurde in diesen u.a., dass der Vioxx Wirkstoff
Herz und Blutgefäße schädigen könne (siehe Spiegel 16/2004). Eine Studie kam in den USA
zum Ergebnis, dass hochgerechnet 27.785 Herzattacken und Herztote zwischen 1999 und
2003 hätten verhindert werden können, wenn die Patienten statt Vioxx ein Alternativmittel
eingenommen hätten.

Erste Hinweise auf Nebenwirkungen gab es gemäß dem deutschen „Arzneimittel-Telegramm"
bereits Ende 1999, also nur ein halbes Jahr nach der Zulassung von Vioxx in den USA. Im
Oktober 2000 bestätigte sich dieser Befund aufgrund von Daten, die Merck bei der
amerikanischen Zulassungsbehörde FDA eingereicht hatte.

Die Ergebnisse der VIGOR (VIOXX Gastrointestinal Outcomes Research)-Studie zeigten
2000, dass das Risiko gastrointestinaler Toxizität mit Vioxx geringer war als mit Naproxen,
das Risiko kardiovaskulärer Ereignisse allerdings höher war. Die Interpretation dieser
Ergebnisse durch Merck war allerdings abenteuerlich. Umgehend hatten die findigen Merck-
Manager eine Erklärung für diesen Unterschied parat: Nicht Vioxx ist schädlich fürs Herz,
sondern Naproxen schützt es, ähnlich wie Aspirin. Für diesen spitzfindigen Winkelzug wurde
Merck von der US-Kontrollbehörde FDA am 21. September 2001 ausdrücklich abgemahnt.
Ein weiteres Jahr später kam eine Analyse im „Journal of the American Medical Association"
zu einem vergleichbaren Ergebnis.

Im New Journal of Medicine attackierte der Kardiologe Eric Topol vom Cleveland Clinic
Heart Center die Firma Merck und die FDA heftig. Merck habe unvollständige Daten über
Vioxx geliefert, Hinweise auf vermehrt auftretende Herzinfarkte zerredet, du die FDA hätte
Vioxx auf Basis der wackeligen Informationen gar nicht erst zulassen dürfen. Topol fordert
eine Untersuchung vor dem US-Kongress. Umgehend stritt Merck in der New York Times in
einem giftigen Leserbrief Topols Vorwürfe ab.

Auch im Arzneimittelratgeber „3x täglich", der 2002 auf den Markt fand sich dazu u.a.
folgender Hinweis (Seite 952 f):

"Diese Medikamente sind möglicherweise besser magenverträglich als die bewährten
Standard-Rheumamittel vom Typ der nichtsteroidalen Antirheumatika wie etwa Diclofenac,


dafür haben sie aber ein erhöhtes Risiko für lebensbedrohliche Nebenwirkungen am Herzen
und bei der Blutgerinnung.

Es gibt derzeit keinen Grund, statt der bewährten anthirheumatischen Wirkstoffe Diclofenac,
Ibuprofen oder Indomethacin einen Cox2-Hemmer zu verwenden."

Die darin enthaltenen Schlussfolgerungen wurden von der Ärztekammer bzw. Ihrem
Ministerium als nicht wissenschaftlich beurteilt.

Sie haben weiters in der AB 512/XXII.GP vom 30.07.2003 die Auffassung vertreten keine
Veranlassung zu sehen, dass daraus wie immer geartete Schlussfolgerungen hinsichtlich der
Arzneimittelzulassung oder des Arzneimittelrechts in Österreich zu treffen.

Kritische Mediziner und Wissenschafter sprechen bei Vioxx auch von fragwürdigen
Werbepraktiken und einem groben Versagen von Pharmaunternehmen und nationalen
Kontrollbehörden! Hinweise auf Nebenwirkungen hat es angeblich bereits 1999
gegeben. Irreführende Werbung durch Merck führte sogar zu einer Abmahnung durch
die Zulassungsbehörde FDA (Food and Drug Admininstration). Im Jahre 2002
verlangte die FDA überdies, dass auf den Beipackzetteln auf das kardiovaskuläre Risiko
hingewiesen wird.

Das vom Markt genommene Schmerz- und Rheumamittel Vioxx hat vermutlich auch in
Europa Todesfälle mitverursacht. Die Einnahme des Präparats habe wohl bei mindestens
2.500 Patienten in Deutschland zu Schlaganfällen, Thrombosen und Herzinfarkten geführt,
sagte Peter Sawicki, Leiter des Instituts für Qualität und Wirtschaftlichkeit im
Gesundheitswesen. Für Österreich sind derartige Zahlen bislang nicht bekannt, gesprochen
wird von einem verdächtigen Todesfall.

Nach Presseberichten hat der Berliner Anwalt Andreas Schulz im Auftrag der Hinterbliebenen
eines Vioxx-Patienten Strafanzeige gegen das US-amerikanische Unternehmen Merck Sharp
und Dohme (MSD) wegen fahrlässiger Tötung erstattet. Schulz prüft weitere Todesfälle, die
möglicherweise auf die Einnahme des Medikaments Vioxx zurückgehen. Gegen Merck
wurden in den USA bereits mehrere hundert Schadenersatzklagen wegen Vioxx eingereicht.

In Österreich ist das Vioxx-Risiko sicherlich auch im Zusammenhang mit dem


schockierenden RH-Bericht über die Erfassung der Meldungen über unerwünschte
Arzneimittelwirkungen anzusehen. Den Verpflichtungen zur Arzneimittelüberwachung kam
Österreich nicht nach, so wurden Meldungen über unerwünschte Nebenwirkungen über Jahre
im Gesundheitsministerium lediglich archiviert. Dies hat sich nun angeblich verbessert.
„Zur Erhebung der im Rechnungshof kritisierten Rückstände in der Erfassung von
Meldungen über unerwünschte Arzneimittelwirkungen wurden zwei zeitlich befristet
angestellte AGES-Mitarbeiter der Fachabteilung des BMGF dienstzugeteilt. Der vom
Rechnungshof angesprochene Rückstand konnte reduziert werden; so sind Meldungen von
Angehörigen der Gesundheitsberufe vollständig rückerfasst, bei den Meldungen von
pharmazeutischen Firmen wurde der Rückstand auf die Hälfte reduziert."
(Nr. 576/JBA)

In diesem Zusammenhang ergaben sich daher eine Reihe von zentralen konsumenten- und
gesundheitspolitischen Fragen.

Die unterzeichneten Abgeordneten richten daher an die Bundesministerin für Gesundheit und
Frauen nachstehende

Anfrage:

1.   Wie oft wurden in den Jahren 2000, 2001, 2002, 2003 und 2004 Vioxx PatientInnen in
Österreich verschrieben und durch die Krankenkassen bezahlt (Aufschlüsselung auf
Jahre)?

.   2.  Von wie vielen Vioxx-PatientInnen insgesamt ist in Österreich auszugehen?

3.    Ist es aus Ihrer Sicht auszuschließen, dass das vom Markt genommene Schmerz- und
Rheumamittel Vioxx auch in Österreich für Schlaganfälle, Herzinfarkte oder sogar
Todesfälle verantwortlich ist?

Wenn nein, von wie vielen Schlaganfällen, Herzinfarkten, Gefäßerkrankungen oder
sogar Todesfällen ist auszugehen?

4.            Können Sie ausschließen, in den letzten fünf Jahren Meldungen über unerwünschte
Nebenwirkungen betreffend Vioxx erhalten zu haben?


5.             Wenn nein, welche und wie viele derartige Meldungen haben Sie erhalten? Was
geschah mit diesen Meldungen?

6.             Welche Maßnahmen haben Sie zu welchem Zeitpunkt ergriffen? Wurde der
Arzneimittelbeirat damit befasst? Wenn nein, warum nicht?

7.             Wenn ja, wie lautet konkret die Stellungnahme des Arzneimittelbeirates dazu?

8.             Zu welchen Konsequenzen bzw. Maßnahmen hinsichtlich Vioxx führten in Ihrem
Bundesministerium die Ergebnisse der VIGOR-Studie aus dem Jahr 2000? Wer wurde
damit befasst?

9.             Wie lautete die konkrete Nutzen / Risikobewertung für Vioxx durch den
Hauptverband?

10.      Welche Haltung nimmt nun - aufgrund der vorliegenden Studien- der Hauptverband
der Sozialversicherungsträger ein?

11.      Welche Haltung nimmt nun dazu der Oberste Sanitätsrat ein?

12.      Welche Haltung nimmt nun dazu die Österreichische Ärztekammer ein?

13.      Sollte aus Sicht Ihres Ministeriums - aufgrund der vorliegenden Erkenntnisse - Vioxx
die Arzneimittelzulassung entzogen werden?

14.      Wenn nein, warum nicht? Halten Sie sonstige Maßnahmen für notwendig?

15.      Seit wann ist Ihrem Bundesministerium bekannt, dass mit der Einnahme von so
genannten Cox-2-Hemmern wie beispielsweise Vioxx das Infarktrisiko, etc. steigt?

16.      Ist die Aussage fachlich falsch, dass die gesamte Wirkstoffgruppe der so genannten
Cox-2-Hemmer im Verdacht steht, Schlaganfälle, Herzinfarkte oder andere
Gefäßkrankheiten zu verursachen?


17.       Wenn nein, welche Maßnahmen haben Sie zu welchen Zeitpunkt ergriffen? Wurde de
Arzneimittelbeirat damit befasst? Wenn nein, warum nicht?

18.       Wenn ja, wie lautet konkret die Stellungnahme des Arzneimittelbeirates dazu?

19.       Seit wann wurde in Österreich in Beipackzetteln auf das kardiovaskuläre Risiko (wie
in den USA) hingewiesen?

20.  Welche Cox-2-Hemmer waren bzw. sind in Österreich zugelassen (Ersuche um
Bekanntgabe des Namens und Herstellers)?

21.  Wie viele dieser Cox-2-Hemmer wurden jeweils 2000,2001,2002,2003 und 2004
verschrieben und durch die zuständige Krankenkasse bezahlt (Auflistung der
einzelnen Arzneimittel auf Jahre und Kosten)?

22.  Wie viele und welche Meldungen über unerwünschte Nebenwirkungen haben Sie in
den letzten fünf Jahren über die so genannten Cox-2-Hemmer erhalten?

23.  Welche Arzneimittel (Cox-2-Hemmer) betraf dies? Welche unerwünschte
Nebenwirkungen wurden gemeldet (Ersuche um Auflistung der Meldungen auf
Arzneimittel, Nebenwirkungen, Anzahl und Art der Meldungen)?

24.  Welche Meldungen der letzten 5 Jahre über unerwünschte Nebenwirkungen von Cox-
2-Hemmern haben zu behördlichen Konsequenzen und Maßnahmen durch Ihr
Bundesministerium geführt?