2685/J XXII. GP
Eingelangt am 24.02.2005
Dieser Text ist elektronisch textinterpretiert. Abweichungen vom Original sind
möglich.
Anfrage
der Abgeordneten Dr. Caspar Einem
und Genossen
an den Bundesminister für Wirtschaft und Arbeit
betreffend den Vorschlag der Europäischen Kommission für eine Richtlinie des
Europäischen Parlaments und des Rates über Dienstleistungen im Binnenmarkt
Am 25. Februar 2004 legte die Europäische Kommission mit
dem Dokument 2004/0001
(COD) einen Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des
Rates über
Dienstleistungen im Binnenmarkt vor. Diese Richtlinie bedarf zu ihrer
Beschlussfassung der
qualifizierten Mehrheit im Rat und einer Mehrheit im Europäischen Parlament.
Gegenstand der Richtlinie ist der Versuch, die Erbringung
von Dienstleistungen innerhalb der
Europäischen Union grenzüberschreitend zu liberalisieren, allenfalls bestehende
Hindernisse,
die der Erbringung
von grenzüberschreitenden Dienstleistungen im Wege stehen, zu
beseitigen und dadurch den Binnenmarkt ein Stück weiter zu realisieren. Der
Vorschlag
versucht dieses Ziel durch Verankerung des Herkunftslandprinzips zu erreichen.
Ziel ist
offenkundig, sowohl die Rechtskosten der Leistungserbringer zu reduzieren (sie
müssen
künftig nur noch die im Sitzland geltenden
Regeln beachten), als auch auf der Empfängerseite
die so genannten input-Kosten der innerhalb der EU tätigen Unternehmen auf
diese Weise zu
reduzieren und dadurch Europas Wirtschaft wettbewerbsfähiger zu machen.
Offenbar hat die Kommission allerdings keine
entsprechenden Erwägungen angestellt, welche
Wirkungen von einer
derartigen Liberalisierung des Regimes für grenzüberschreitende
Dienstleistungen bei Konsumenten, kleineren Unternehmen des
Dienstleistungsbereichs und
bei den staatlichen Behörden eintreten und mit welchen Kosten diese Wirkungen
verbunden
sein werden.
Es kommt daher nun wesentlich auf die Substanz der
weiteren Argumente bei der Beratung
des Richtlinienvorschlag im Rat und im Europäischen Parlament an.
In
Österreich sind bisher vor allem zwei Stimmen sehr positiv zum vorgeschlagenen
Ansatz
zu vernehmen gewesen: die der
Industriellenvereinigung und die des zuständigen Wirtschafts-
und
Arbeitsministers. Die Positionierung der Industriellenvereinigung als
freiwilliger
Vertretung von größeren Unternehmen, die vielfach bereits heute
grenzüberschreitend tätig
sind, erscheint nachvollziehbar. Im Falle des Wirtschafts- und Arbeitsministers
gehen die
Anfragesteller davon aus, dass der Bundesminister
über Analyseergebnisse verfügt, die seinen
Standpunkt rechtfertigen, die allerdings bisher nicht allgemein bekannt
geworden sind.
Aus diesem Grunde stellen die unterzeichneten
Abgeordneten an den zuständigen
Bundesminister, der
Österreich im Rat vertritt, die folgende
Anfrage
1.
Tritt die vorgeschlagene Dienstleistungsrichtlinie in
Kraft, dann sind künftig im
Empfangerland neben der jeweils eigenen Rechtsordnung noch vierundzwanzig
andere Rechtsordnungen maßgeblich. Halten Sie einen derartigen Rechtszustand
Konsumenten gegenüber für vertretbar?
2.
Die
auf die konkreten Rechtsgeschäfte bezüglichen Geschäftsbedingungen und
sonstigen Regeln des jeweiligen
Herkunftslandes werden in der Regel in der Sprache
des Herkunftslandes verfasst sein. Auf welche Weise sollen sich
Leistungsempfänger
künftig rechtlich orientieren?
3.
Das
österreichische Konsumentenschutzgesetz sieht bei so genannten
Konsumentengeschäften, bei denen einerseits ein Unternehmer und andererseits
ein
Konsument beteiligt ist, zwingende, dem
Konsumenteninteresse entgegenkommende,
Gerichtsstände vor. Werden Sie sich Im Rat dafür einsetzen, dass dies so
bleibt oder
werden österreichische Konsumenten künftig am Sitz und auf Basis des Rechts des
Herkunftslandes des
Dienstleistungserbringers zu klagen haben?
4.
Es
gibt Dienste, bei denen der österreichische Gesetzgeber aus guten sachlichen
Gründen bestimmte Anforderungen an die Zuverlässigkeit des Leistungserbringers
stellt und deshalb z.B. bestimmte
Gewerbeberechtigungen voraussetzt. Wie soll sich
künftig ein Kunde über die spezifische Berechtigung des
Leistungserbringers
orientieren?
5.
Es
gibt Dienste, bei denen der österreichische Gesetzgeber aus guten sachlichen
Gründen bestimmte Anforderungen an die Ausbildung der Beschäftigten in
bestimmten Dienstleistungsbranchen stellt.
Wie schätzen Sie das Risiko ein, dass mit
Inkrafttreten von
Regelungen, wie sie der Vorschlag beinhaltet, weiterer Druck auf
Verminderung des Lehrstellenangebots in Österreich entsteht?
6.
Die österreichischen Verwaltungsbehörden werden künftig
nicht nur österreichisches
Recht anzuwenden
haben, sondern bei der Verfolgung vermuteter Gesetzesverstöße
auch das Recht des Herkunftslandes zu studieren haben. Ist für eine
entsprechende
Übersetzung der Rechtsakte der vierundzwanzig potentiellen Herkunftsländer
Vorsorge getroffen?
7.
Die österreichischen Verwaltungsbehörden werden künftig
nicht nur österreichisches
Recht anzuwenden
haben, sondern bei der Verfolgung vermuteter Gesetzesverstöße
durch Leistungserbringer aus dem EU-Ausland
auch mit den Behörden des jeweiligen
Herkunftslandes kooperieren müssen. Ist für eine entsprechende
sprachliche
Verständigungsmöglichkeit vorgesorgt?
8.
Welche Zusatzkosten für die österreichische Verwaltung
sind zu erwarten und stehen
diese in einer
vertretbaren Relation zu den Ersparnissen jener Unternehmen, die von
der Richtlinie profitieren werden? Bitte um
Hinweis auf einschlägige Studien.
9.
Wurden entsprechende Vereinbarungen mit den
Bundesländern getroffen, die deren
Akzeptanz für den
neuen Rechtsrahmen sichern, soweit durch die vorgeschlagene
Richtlinie in Landesrecht eingegriffen
wird?
10.
Wurde mit den Bundesländern und Gemeinden eine Vereinbarung
über die Tragung
der anfallenden
Zusatzkosten der Verwaltung erzielt und wie lautet sie?
11.
Welche
Konsequenzen in zeitlicher und damit in Hinsicht auf die Effizienz der
Vollziehung wird die Notwendigkeit haben,
künftig die Behörden der Herkunftsländer
mit Gesetzesverstößen zu befassen?
12.
Halten Sie verfassungsrechtlich für unbedenklich, wenn
für gleichartige Vorgänge
bzw. Geschäftsfälle, die sich bloß durch die Herkunft des
Dienstleistungserbringers
unterscheiden, gänzlich unterschiedliches Recht gilt?
13.
Wenn
ja: Werden Sie daher dafür eintreten, dass es zuerst zu einer
Rechtsharmonisierung für die verschiedenen
Dienstleistungssektoren kommt und erst
dann zur Liberalisierung des grenzüberschreitenden Dienstleistungsverkehrs?
14.
Tritt die Dienstleistungsrichtlinie wie vorgeschlagen in
Kraft werden große, schon
bisher
grenzüberschreitend tätige Dienstleistungsunternehmen gegenüber dem
heutigen Zustand voraussichtlich beträchtliche Rechtskostenersparnisse haben.
Können Sie diese Ersparnisse beziffern?
15.
Gehen Sie davon aus, dass auch kleine Unternehmen des
Dienstleistungssektors
Nutznießer der vorgeschlagenen Richtlinie sein werden?
16.
Was wird diese Unternehmen zur Erbringung grenzüberschreitender
Dienstleistungen
befähigen bzw. welche
Maßnahmen werden Sie setzen, um insbesondere kleine
Unternehmen in die Lage zu versetzen, von
derartigen Regelungen primär Vorteile zu
haben?
17.
Welche Untersuchungen gibt es und zu welchen Ergebnisse
kommen sie zur Frage der
Verdrängung von österreichischen Dienstleistungsunternehmen durch die
zunehmende
Konkurrenz durch
Dienstleistungsanbieter aus Ländern mit geringeren
Gestehungskosten (Lohnkosten, Aufwendungen für soziale Sicherheit, geringere
Umweltauflagen usw.)?
18.
Wenn es solche Untersuchungen nicht geben sollte, die
eine einigermaßen konkrete
Abschätzung der
Wirkungen in Österreich erlauben, warum halten Sie dann den
Kommissionsvorschlag für akzeptabel?
19.
Mit
welchen Wirkungen der Richtlinie rechnen Sie insbesondere in der
österreichischen Bauwirtschaft und zwar
sowohl was Unternehmen, als auch was
deren Arbeitnehmer betrifft?
20.
Was spricht unter Zugrundelegung der vorgeschlagenen
Richtlinie dagegen, dass sich
auch bisher
österreichische Unternehmen in jenen Ländern ansiedeln, die für die
Erbringung ihrer jeweiligen Dienstleistungen die wirtschaftlich attraktivsten
Bedingungen haben, um den österreichischen
Standards der Entlohnung, der sozialen
Sicherheit, des Arbeitnehmerschutzes, des Umweltschutzes usw. zu entgehen?
21.
Halten
Sie es für unwahrscheinlich, dass die vorgeschlagene Richtlinie einen
deutlichen Druck in Richtung Absenkung der
im vorigen Punkt genannten Standards
führen wird?
22.
Halten Sie es für notwendig und wünschenswert, die so
genannten Dienste von
allgemeinem wirtschaftlichen oder sozialen Interesse von der vorgeschlagenen
Richtlinie auszunehmen und werden Sie sich dafür einsetzen?
23.
Wenn nein: Wie wollen Sie dann die Kosten im Bereich der
heute auch von Seiten
der Zahler rationierten Leistungen des Gesundheitswesens unter Kontrolle
behalten,
wenn künftig
vorangehende Anfragen von Patienten rechtlich verboten sind?
24.
Sind in Ihren Augen die Erfahrungen mit der
Fernseh-Richtlinie und der e-commerce-
Richtlinie von einer
Art, die das Konzept der Dienstleistungsrichtlinie rechtfertigen?