2718/J XXII. GP

Eingelangt am 03.03.2005
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DRINGLICHE ANFRAGE

 

 

der Abgeordneten Dr. Eva Glawischnig, Dr. Gabriela Moser, Freundinnen und Freunde

 

an den Bundesminister für Verkehr, Innovation und Technologie

 

betreffend Tempo 160 als Symbol für das fortgesetzte verkehrs- und umweltpolitische Versagen von FPÖ und ÖVP

 

 

 

Vizekanzler und Verkehrsminister Gorbach hat es kürzlich gegen jede verkehrssicherheitspolitische und umweltpolitische Logik für nötig befunden, Tempo 160 auf Teilen des österreichischen Autobahnnetzes zu fordern. In den letzten Wochen hat er diese Forderung trotz vehementer fachlicher und politischer Kritik nachdrücklich verteidigt und auf bestimmte zweispurige Strecken erweitert. BM Gorbach wurde dabei unter anderem von der ÖVP Steiermark, die diese Forderung bereits seit längerem vertritt, ÖVP-Verkehrsstaatssekretär Kukacka und ÖVP-Verkehrssprecher Miedl unterstützt.

 

In den entsprechenden Äußerungen von Regierungsseite war zwar vielfach von einer sachlichen und seriösen Diskussion die Rede, die zu führen sei. Bei der Untermauerung der Forderung nach Tempo 160 ließen die Befürworter aus ÖVP und FPÖ diese Sachlichkeit und Seriosität jedoch überwiegend vermissen.

 

Die Grünen haben aus diesem Grund als tatsächlichen Beitrag zur Versachlichung eine Untersuchung zu den Auswirkungen von Tempo 160 auf Verkehrssicherheit, Umwelt und Verkehrskosten beauftragt. Die Untersuchung liegt mittlerweile vor und kommt zu folgenden zentralen Aussagen:

 

Ø      mindestens ca. 50 zusätzliche Unfälle mit Personenschaden, ca. 120 zusätzliche Verletzte pro Jahr

Ø      mindestens 5 zusätzliche Unfalltote pro Jahr

Ø      vorsichtige Schätzung, denn: über 15% der Lenker würde über 160 fahren; die als Garantie für „160 und nicht mehr“ angekündigte „Section Control“ wäre dafür kein Hindernis, weil sie nur die Durchschnittsgeschwindigkeit kontrolliert

Ø      auf den für Tempo 160 vorgesehenen dreispurigen Abschnitten: Unfallrisiko +46%, Verletzungsrisiko +77%, Risiko eines tödlichen Unfalls +116% (Verdopplung!)

Ø      Tempo 160 ist für viele Autofahrende ein Signal, auch dort 160 zu fahren, wo dies nicht erlaubt ist

Ø      zusätzliche Unfallkosten: ca. 20-35 Mio €/Jahr

Ø      massive Mehrbelastung durch Lärm: 1 PKW mit 160 verursacht Lärm wie 2 PKW mit 130, Belastungszunahme insgesamt um 21%

Ø      Mehrkosten für Lärmschutz: ca. 20-25 Mio €

Ø      massiver Mehrausstoß von Schadstoffen:

Ø      + fast ein Drittel mehr klimaschädliches CO2 (+30.000t/Jahr),

Ø      + fast zwei Drittel mehr Stickoxide,

Ø      + 41% mehr Feinstaub

Ø      zusätzliche Erkrankungen und Todesfälle durch Schadstoffe und Lärm

Ø      teuer für Steuerzahler wegen der Folgekosten im Gesundheits- und Umweltbereich

Ø      teuer für Autofahrer wegen Fahrzeugverschleiß, Treibstoffverbrauch (+27%!), Lärmschutzmehrkosten aus Vignettengeldern ...

Ø      theoretische Fahrzeitersparnis von z.B. 4,5 Minuten bei einer Fahrt Wien-Graz reduziert sich unter realistischen Bedingungen (Tempo 160 nur bei bestimmten Witterungs- und Verkehrsbedingungen sowie Tageszeiten) auf durchschnittlich 12 Sekunden!

Ø      Tempo 160 steht im Widerspruch zu den Zielen Österreichs und der Bundesregierung in der Verkehrssicherheit.

 

Zusammengefasst bedeutet dies: Die Erhöhung des Tempolimits auf bestimmten Autobahnabschnitten schädigt Mensch und Umwelt massiv und kostet die Volkswirtschaft viel Geld. Angesichts der Jahr für Jahr erschreckenden Unfallbilanz und des großen und weiter wachsenden Beitrags des Straßenverkehrs zu Luftverschmutzung, Lärmbelastung und negativer Klimabilanz ist ein derartiger Vorstoß daher nicht zu verantworten. Die Verkehrspolitik dieser Regierung würde damit endgültig zum Sicherheits- und Gesundheitsrisiko für die Bevölkerung.

 

Auch die angekündigte weitere „sachliche“ Diskussion über Tempo 160 ist angesichts dieser mehr als eindeutigen Bilanz völlig entbehrlich. Dies auch angesichts der jüngsten Aussagen von BM Gorbach (Nationalrat, 2.3.2005), dass „das Vermeiden von Toten und Verletzten parteiübergreifender Konsens sein müsste“. Es sei denn, die Regierung will sehenden Auges die zahlreichen negativen Konsequenzen ihres Vorschlags wie zusätzliche Tote und Verletzte in Kauf nehmen.

 

Die Bubenträume von Tempo 160 (renommierte Medienvertreter haben dafür weitere treffende Begriffe wie „Faschingspolitik“ geprägt) sind aber auch ein Symbol für eine Verkehrspolitik von ÖVP und FPÖ, die auf die Interessen der Menschen, der Umwelt und des Klimaschutzes keine Rücksicht nimmt, z.B.:

 

Ø      Unfallbilanz – katastrophal,

Ø      Verkehrssicherheitsziele – weit verfehlt,

Ø      Klimaziele – Österreich entfernt sich statt sie einzuhalten,

Ø      Transit – desaströses Versagen,

Ø      innerstaatliche Maßnahmen gegen die LKW-Lawine – völlig halbherzig,

Ø      Pro-LKW-Maßnahmen wie die aus dem direkten Sympathisantinnenkreis von BM Gorbach angestoßene Klage Vorarlbergs gegen Tirols LKW-Fahrbeschränkungen aus Umweltgründen,

Ø      Nahverkehr – Preissteigerungen, Budgetkürzungen, Reformverweigerung.

Ø      null Maßnahmen zur Stärkung des Stellenwerts von Radfahren und Zufußgehen.

 

Tempo 160 entpuppt sich somit als Fortsetzung des verkehrs- und umweltpolitischen Generalversagens der Regierung, das auch durch die aktuelle Aufweichung des UVP-Gesetzes zum Ausdruck kommt.

 

Mehr noch: Luftblasen- und Biertischpolitik wie diese soll offensichtlich von den skandalösen Zuständen im Verantwortungsbereich von Vizekanzler BM Gorbach ablenken: Das BMVIT ist durch enorme Aufblähung des BMVIT-Apparats durch Mehrfach-Staatssekretäre, zwei völlig überdimensionierte Ministerbüros sowie parteipolitische Postenbesetzungen im Ministerium geprägt, bei den Unternehmen im BMVIT-Einflussbereich grassieren hemmungsloser Postenschacher und Freunderlwirtschaft. Dazu kommen verkehrspolitische Serien-Niederlagen auf EU-Ebene, eine Scheinpolitik mit Luftschlossprojekten bei der Bahn und eine einseitige den Individualverkehr statt den Umweltverbund fördernde Grundlinie der Regierungspolitik.

 

Unter dem Strich haben sich durch dieses Versagen von ÖVP und FPÖ gewaltige Probleme in Verkehrssicherheit und Luftreinhaltung angehäuft. Es ist unzumutbar, dass die Vertreter der Regierungsparteien zu diesen Problemen nichts anderes als populistische Biertisch-Forderungen zu bieten haben: Forderungen wie Tempo 160 (BM Gorbach und die steirischen ÖVP-Vertreter), wie die Anhebung der Feinstaubgrenzwerte (wie die steirische ÖVP) oder wie das Vorantreiben von zusätzlichen Transitstraßen zulasten von Gesundheit und Natur (wie durch ÖVP und FPÖ in Niederösterreich – Stichworte Brücke Traismauer, Klosterneuburg, Nordautobahn – und in der Steiermark – Stichwort Fürstenfelder Schnellstraße)

 

Derartigen kontraproduktiven Maßnahmen muss angesichts von hunderten Toten und zehntausenden Verletzten pro Jahr durch Verkehrsunfälle und angesichts von tausenden Toten und zehntausenden zusätzlichen und schwereren Erkrankungen durch verkehrsbedingte Luftverschmutzung wie etwa Diesel-Feinstaub umgehend ein Riegel vorgeschoben werden.

 

 

Die unterfertigten Abgeordneten stellen daher folgende

 

 

ANFRAGE:

 

 

  1. Welche Konsequenzen ziehen Sie aus der Tatsache, dass Tempo 160 auf bestimmten Autobahnabschnitten mindestens 50 zusätzliche Unfälle mit Personenschaden, mindestens 120 zusätzliche Verletzte und mindestens 5 zusätzliche Unfalltote pro Jahr verursachen würde?

 

  1. Im aktuellen Verkehrssicherheitsprogramm  der Bundesregierung ist als Grundsatz der österreichischen Verkehrssicherheitspolitik festgehalten, dass jeder Tote und Schwerverletzte im Verkehr einer zuviel ist. Wie können Sie Ihren Vorschlag für Tempo 160 verantworten, wo dieser diametral sogar Ihren eigenen Grundsätzen widerspricht?

 

  1. Was würden Sie jenen Familien, über die bei Umsetzung Ihres Vorschlags für Tempo 160 durch zusätzliche Tote und Verletzte unermessliches Leid kommen würde, erklären?

 

  1. Welche Konsequenzen ziehen Sie aus Studienergebnissen, die belegen, dass sich auf den geplanten dreispurigen Tempo-160-Abschnitten das Unfallrisiko um die Hälfte, das Verletzungsrisiko um drei Viertel und das Risiko eines tödlichen Unfalls auf das Doppelte erhöhen würde?

 

  1. Welche Konsequenzen ziehen Sie aus den Studienergebnissen, wonach sich die theoretische Fahrzeitersparnis von 4 Minuten auf der Strecke Wien-Graz unter realistischen Bedingungen auf durchschnittlich 12 Sekunden verringern würde?

 

  1. Sind Sie nicht auch der Meinung, dass diese kaum wahrnehmbare Zeitersparnis in keinem nachvollziehbaren Verhältnis zu 120 zusätzlichen Verletzten und 5 zusätzlichen Todesopfern pro Jahr stünde?

 

  1. Da Tempo 160 nachgewiesener Maßen keine nennenswerte Zeitersparnis für die Autofahrer bringt, welche andere Vorteile von Tempo 160 auf Autobahnen sind Ihnen bekannt?

 

  1. Welche Konsequenzen ziehen Sie aus den Studienergebnissen, wonach durch Ihren Vorschlag für Tempo 160 zusätzlichen Unfallkosten von bis zu 35 Mio. Euro pro Jahr entstehen würden? Sind sie nicht auch der Meinung, dass diese Mehrausgaben der Volkswirtschaft schaden?

 

  1. Welche Konsequenzen ziehen Sie aus den Studienergebnissen, wonach durch Ihren Vorschlag für Tempo 160 die Lärmbelastung für die Bevölkerung  um 21% zunehmen würde?

 

  1. Welche Konsequenzen ziehen Sie aus den Untersuchungen, die belegen, dass die dadurch anfallenden zusätzlichen Kosten für Lärmschutzmaßnahmen 20 bis 25 Mio. Euro betragen würden?

 

  1. Welche Konsequenzen ziehen Sie aus den Studienergebnissen, wonach Ihr Vorschlag für Tempo 160 eine massive Zunahme der Schadstoffbelastung zur Folge hätte, und zwar fast um ein Drittel mehr klimaschädliches CO2, fast zwei Drittel mehr gesundheitsgefährliche Stickoxide, und sogar um 41% mehr gesundheitsschädlichen Feinstaub?

 

  1. Haben Sie eigene Untersuchungen, wie sich Ihr Vorschlag betreffend Tempo 160 auf Autobahnteilstrecken auf die Entwicklung der Unfallbilanz, auf die Bilanz bei Unfallverletzten und Todesopfern, auf die Feinstaubbelastung, auf die Treibhausgasemissionen, auf die Lärmbelastung der Bevölkerung und bei den volkswirtschaftlichen Kosten auswirkt? Wenn ja, zu welchen Ergebnissen kommen Ihre Untersuchungen? Wenn nein, warum haben sie solche Untersuchungen nicht erarbeiten lassen?

 

  1. Sind Sie nicht auch der Meinung, dass die derzeit in weiten Teilen Österreichs enorm hohe Feinstaubbelastung jenseits der gesetzlichen Grenzwerte der Bevölkerung nicht mehr zumutbar ist und dringender Gegenmaßnahmen bedarf? Falls ja, wie können Sie vor diesem Hintergrund Ihren Vorschlag für Tempo 160 rechtfertigen? Falls nein, wieso ignorieren Sie die hohe Gesundheitsgefahr durch Feinstaub insbesondere für Kinder und alte Menschen?

 

  1. Welche Konsequenzen ziehen Sie aus der Tatsache, dass sich die laut WHO- und EU-Untersuchungen erschreckende Zahl von Krankheitsfällen und zusätzlichen Todesfällen infolge verkehrsbedingter Luftverschmutzung wie Feinstaub durch den massiv wachsenden Schadstoffausstoß bei Tempo 160 stark erhöht statt wie dringend erforderlich gesenkt würde?

 

  1. Im aktuellen Verkehrssicherheitsprogramm der Bundesregierung ist zum Thema „Geschwindigkeit“ festgehalten, dass die österreichischen Geschwindigkeitslimits im internationalen Vergleich vergleichsweise hoch sind, dass nicht-angepasste Geschwindigkeit die mit Abstand wichtigste Unfallursache darstellt und dass eine mittlere Geschwindigkeitssenkung um 1% eine Unfallreduktion von 3% mit sich bringt. Wie können Sie Ihren auch in diesem Sinne kontraproduktiven und gefährlichen Vorschlag für Tempo 160 rechtfertigen?

 

  1. Die Bundesregierung ist von ihrem erklärten Ziel, die Zahl der Unfalltoten im Verkehr zu halbieren, meilenweit entfernt. Warum wollen Sie durch die Umsetzung Ihres Tempo-160-Vorschlags Österreich noch weiter von diesem wichtigen Ziel wegführen?

 

  1. Welche Konsequenzen ziehen Sie aus der Tatsache, dass aufgrund seriöser wissenschaftlicher Schätzung über 15% der Lenker bei einem Tempolimit von 160 schneller als 160 fahren würden und dass die von Ihnen als Gegenmittel gepriesene Section Control keinerlei Handhabe dagegen bietet, dass Lenker z.B. auf der Hälfte der jeweiligen Strecke Tempo 200 und auf der Reststrecke Tempo 120 fahren?

 

  1. Haben Sie weiterhin vor, trotz der einstimmigen Ablehnung von Tempo 160 in der Oberösterreichischen Landesregierung am 28.2.2005 Tempo 160 auch in Oberösterreich versuchsweise einzuführen?

 

  1. Was sagen Sie zu der Tatsache, dass sich der steirische FPÖ-Verkehrslandesrat LHStv Schöggl klar ablehnend zu Tempo 160 ausspricht?

 

  1. Unterstützen sie generell Überlegungen, das Tempolimit z.B. auf Autobahnen den in der Praxis gefahrenen Geschwindigkeiten anzupassen, und falls ja, auf welcher sachlichen Grundlage?

 

  1. Werden Sie angesichts der Tatsache, dass der Feinstaubausstoß bei höheren Geschwindigkeiten beträchtlich überproportional zunimmt, z.B. bei Tempo 160 gegenüber Tempo 130 um 41%, Ihre einseitig transportwirtschaftsfreundliche und gesundheitsfeindliche Position zum Immissionsschutz überdenken und sich bei den dringend erforderlichen Verschärfungen und Vollzugsverbesserungen des Immissionsschutzgesetzes-Luft (IG-L) statt als Bremser künftig als Motor engagieren, wenn nein, warum nicht?

 

  1. Halten Sie weiterhin an Ihrem Plan fest, Tempo 160 versuchsweise einzuführen?

 

In formeller Hinsicht wird die dringliche Behandlung dieser Anfrage gem. §93 Abs. 1 GOG verlangt.