2752/J XXII. GP

Eingelangt am 08.03.2005
Dieser Text ist elektronisch textinterpretiert. Abweichungen vom Original sind möglich.

ANFRAGE

der Abgeordneten Dr. Caspar Einem

und Genossen

an die Bundesministerin für Inneres

betreffend den Vorschlag der Europäischen Kommission für eine Richtlinie des

Europäischen Parlaments und des Rates über Dienstleistungen im Binnenmarkt

Am 25. Februar 2004 legte die Europäische Kommission mit dem Dokument 2004/0001
(COD) einen Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über
Dienstleistungen im Binnenmarkt vor. Diese Richtlinie bedarf zu ihrer Beschlussfassung der
qualifizierten Mehrheit im Rat und einer Mehrheit im Europäischen Parlament.

Gegenstand der Richtlinie ist der Versuch, die Erbringung von Dienstleistungen innerhalb der
Europäischen Union grenzüberschreitend zu liberalisieren, allenfalls bestehende Hindernisse,
die der Erbringung von grenzüberschreitenden Dienstleistungen im Wege stehen, zu
beseitigen und dadurch den Binnenmarkt ein Stück weiter zu realisieren. Der Vorschlag
versucht dieses Ziel durch Verankerung des Herkunftslandprinzips zu erreichen. Ziel ist
offenkundig, sowohl die Rechtskosten der Leistungserbringer zu reduzieren (sie müssen
künftig nur noch die im Sitzland geltenden Regeln beachten), als auch auf der Empfängerseite
die so genannten input-Kosten der innerhalb der EU tätigen Unternehmen auf diese Weise zu
reduzieren und dadurch Europas Wirtschaft wettbewerbsfähiger zu machen.

Offenbar hat die Kommission allerdings keine entsprechenden Erwägungen angestellt, welche
Wirkungen von einer derartigen Liberalisierung des Regimes für grenzüberschreitende
Dienstleistungen bei Konsumenten, kleineren Unternehmen des Dienstleistungsbereichs und
bei den staatlichen Behörden eintreten und mit welchen Kosten diese Wirkungen verbunden
sein werden.

Es kommt daher nun wesentlich auf die Substanz der weiteren Argumente bei der Beratung
des Richtlinienvorschlag im Rat und im Europäischen Parlament an.

In Österreich sind bisher vor allem zwei Stimmen sehr positiv zum vorgeschlagenen Ansatz
zu vernehmen gewesen: die der Industriellenvereinigung und die des zuständigen Wirtschafts-
und Arbeitsministers. Die Positionierung der Industriellenvereinigung als freiwilliger
Vertretung von größeren Unternehmen, die vielfach bereits heute grenzüberschreitend tätig


sind, erscheint nachvollziehbar. Im Falle des Wirtschafts- und Arbeitsministers gehen die
Anfragesteller davon aus, dass der Bundesminister über Analyseergebnisse verfügt, die seinen
Standpunkt rechtfertigen, die allerdings bisher nicht allgemein bekannt geworden sind.

Wegen der deutlich über den Zuständigkeitsbereich des Wirtschafts- und Arbeitsministers
hinausgehenden Regelungsbereich des Richtlinienvorschlags gehen die Anfragesteller davon
aus, dass auch die anderen in Betracht kommenden Bundesminister in ein
innerösterreichisches Abstimmungsverfahren zur Erarbeitung einer österreichischen Position
zur Dienstleistungsrichtlinie einbezogen wurden.

Aus diesem Grunde stellen die unterzeichneten Abgeordneten an die Bundesministerin für
Inneres die folgende

Anfrage

1.              Tritt die vorgeschlagene Dienstleistungsrichtlinie in Kraft, dann sind künftig im
Empfängerland neben der jeweils eigenen Rechtsordnung noch vierundzwanzig
andere Rechtsordnungen maßgeblich. Halten Sie einen derartigen Rechtszustand
Bürgerinnen und Bürgern gegenüber für vertretbar?

2.              Ist Ihnen bekannt, dass etwa Großbritannien keine Pflicht zur Mitführung von
Personaldokumenten kennt?

3.              In welcher Weise soll künftig sicher gestellt werden, dass in Österreich nicht Personen
ohne die notwendige Arbeitserlaubnis von Dienstleistern aus dem EU-Ausland - z. B.
aus Großbritannien - beschäftigt werden, wenn deren Identität nicht vor Ort
festgestellt werden kann?

4.              Gehen Sie davon aus, dass in solchen Fällen die Personen ungeklärter Identität einfach
in Haft genommen werden, bis die Identität geklärt ist?

5.              In welcher Weise ist für Schadenersatzansprüche vorgesorgt, die gegenüber legal
Beschäftigten bzw. deren Arbeitgeber bei solchen im Ergebnis unberechtigten
Inhaftierungen entstehen können?

6.              Die österreichischen Verwaltungsbehörden werden künftig nicht nur österreichisches
Recht anzuwenden haben, sondern bei der Verfolgung vermuteter Gesetzesverstöße


auch das Recht des Herkunftslandes zu studieren haben. Ist in Ihrem Wirkungsbereich
für eine entsprechende Übersetzung der Rechtsakte der vierundzwanzig potentiellen
Herkunftsländer Vorsorge getroffen?

7.            Die österreichischen Verwaltungsbehörden werden künftig nicht nur österreichisches
Recht anzuwenden haben, sondern bei der Verfolgung vermuteter Gesetzesverstöße
durch Leistungserbringer aus dem EU-Ausland auch mit den Behörden des jeweiligen
Herkunftslandes kooperieren müssen. Ist für eine entsprechende sprachliche
Verständigungsmöglichkeit vorgesorgt?

8.            Welche Zusatzkosten für die österreichische Verwaltung sind zu erwarten und stehen
diese in einer vertretbaren Relation zu den Ersparnissen jener Unternehmen, die von
der Richtlinie profitieren werden? Bitte um Hinweis auf einschlägige Studien.

9.            Welche Konsequenzen in zeitlicher und damit in Hinsicht auf die Effizienz der
Vollziehung wird die Notwendigkeit haben, künftig die Behörden der Herkunftsländer
mit Gesetzesverstößen zu befassen?

10.     Halten Sie verfassungsrechtlich für unbedenklich, wenn für gleichartige Vorgänge
bzw. Geschäftsfälle, die sich bloß durch das Herkunftsland des
Dienstleistungserbringers unterscheiden, gänzlich unterschiedliches Recht gilt?

11.     Wenn ja: Werden Sie daher dafür eintreten, dass es zuerst zu einer
Rechtsharmonisierung für die verschiedenen Dienstleistungssektoren kommt und erst
dann zur Liberalisierung des grenzüberschreitenden Dienstleistungsverkehrs?

12.     Was spricht unter Zugrundelegung der vorgeschlagenen Richtlinie dagegen, dass sich
auch bisher österreichische Unternehmen in jenen Ländern ansiedeln, die für die
Erbringung ihrer jeweiligen Dienstleistungen die wirtschaftlich attraktivsten
Bedingungen haben, um den österreichischen Standards der Entlohnung, der sozialen
Sicherheit, des Arbeitnehmerschutzes, des Umweltschutzes, der restriktiv geregelten
Ausländerbeschäftigung usw. zu entgehen?

13.     Halten Sie es für unwahrscheinlich, dass die vorgeschlagene Richtlinie einen
deutlichen Druck in Richtung Absenkung der im vorigen Punkt genannten Standards
führen wird?