3025/J XXII. GP

Eingelangt am 12.05.2005
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DRINGLICHE ANFRAGE

 

 

der Abgeordneten Mag. Terezija Stoisits, Dr. Peter Pilz, Freundinnen und Freunde

 

an den Bundeskanzler

 

betreffend Rehabilitierung der Opfer der NS-Militärjustiz und Nichterfüllung von Art 7 des Staatsvertrages von Wien

 

 

 

 

 

 

Vor 60 Jahren wurde Österreich von der NS-Diktatur befreit. Vor 50 Jahren erlangte das Land durch die Unterzeichnung des Staatsvertrages von Wien seine Freiheit und seine Selbstbestimmung wieder. Es ist eine Schande, dass 60 Jahre nach Kriegsende und damit auch 60 Jahre nach Ende der NS-Diktatur durch Mandatare des Bundesrates die Existenz von Gaskammern infrage gestellt und der Widerstand gegen das NS-Regime diffamiert wird. Abgeordnete wie Kampl und Gudenus müssten in jeder funktionierenden Demokratie innerhalb von wenigen Stunden aus allen Ämtern zurücktreten. Und zwar nicht aus Parteiräson, sondern weil für solche Ewiggestrigen kein Platz in einer ernst zu nehmenden Volksvertretung sein darf. Der Kärntner Bundesrat Siegfried Kampl - neuerdings Mitglied des BZÖ - hat mit seiner Bezeichnung von Wehrmachtsdeserteuren als „Kameradenmörder“ einmal mehr die Notwendigkeit einer unmissverständlichen Rehabilitierung der Opfer der NS-Justiz aufgezeigt. Diese „anderen Soldaten“, die in den Widerstand gingen, desertierten oder Jüdinnen und Juden versteckt haben, waren die Anständigen, denen heute ohne Wenn und Aber unser Respekt und unsere Anerkennung gelten sollte.

 

Darüber hinaus sollte es 50 Jahre nach der Unterzeichnung des Staatsvertrages eine Selbstverständlichkeit sein, dass alle Bestimmungen dieses Vertrages beachtet und umgesetzt sind. Dem ist bedauerlicherweise auch heute noch nicht so. Die vollständige Erfüllung der Bestimmungen des Artikel 7, insbesondere hinsichtlich der Bezeichnungen und Aufschriften topographischer Natur sowohl in slowenischer oder kroatischer Sprache wie in Deutsch, ist nach wie vor ausständig. Die Bundesregierung ist hier seit Jahrzehnten säumig.

 

Der VfGH hat im Erkenntnis G213/01, V62/01 die als verfassungswidrig erkannten Bestimmungen des Volksgruppengesetzes und der Verordnung über zweisprachige Ortstafeln im Dezember 2001 nicht sofort aufgehoben, sondern dem Gesetz- bzw. Verordnungsgeber eine Frist bis 31. Dezember 2002 eingeräumt, um die Verfassungswidrigkeit zu sanieren. Die Bundesregierung hat diesen klaren Auftrag des Höchstgerichtes bisher jedoch völlig ignoriert, kein einziger Akt zur Umsetzung dieses Erkenntnisses wurde bislang gesetzt. Dies ist eine bisher beispielslose Ignoranz gegenüber dem Rechtsstaat. Dafür trägt aufgrund ihrer Untätigkeit nicht nur die Bundesregierung, sondern vor allem auch der Kärntner Landeshauptmann die Verantwortung, der sich nachhaltig weigert, das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes umzusetzen, dieses sogar als „null und nichtig“ bezeichnete und den Rechtsstaat und seine Repräsentanten verhöhnte. Jetzt stellt sich heraus, dass die zuständigen Beamten außerstande sind, den Ortsnamen „Žvabek“ richtig zu schreiben. Darüber hinaus hat der Kärntner Landeshauptmann den Protesten einer kleinen Gruppe von Gegnern zweisprachiger Ortstafeln sofort nachgegeben und den gemeinsam mit dem Bundeskanzler geplanten Festakt in Neuhaus/Suha abgesagt.

 

Doch auch in anderen Bereichen ist Österreich schon längst säumig: Mit Entschließung des Nationalrats vom 14. Juli 1999 wurde die damalige Bundesregierung mit großer Mehrheit – alle im Nationalrat vertretenen Parteien mit Ausnahme der (damaligen) FPÖ stimmten zu - ersucht, nach Vorliegen eines wissenschaftlichen Forschungsberichts über die Opfer der NS-Militärjustiz in Österreich Gerichtsbeschlüsse über die Ungültigkeit von Verurteilungen nach dem Aufhebungs- und Einstellungsgesetz, StGBl 48/1945, herbeizuführen. Die Forschungsergebnisse von Univ.-Prof. Manoschek und seiner MitarbeiterInnen liegen seit September 2002 vor und wurden im Juni 2003 anlässlich des Symposions „Österreichische Opfer der NS-Militärgerichtsbarkeit – Rehabilitation und Entschädigung“ im Parlament einer breiten Öffentlichkeit vorgestellt. Die Daten von insgesamt 1.618 Opfern der NS-Militärgerichtsbarkeit wurden dem Bundesministerium für Justiz bereits im Herbst 2002 für die amtswegige Aufhebung der Urteile zur Verfügung gestellt.

 

Im Österreich der Zweiten Republik gibt es bis heute keine öffentliche Anerkennung für jene ungehorsamen Soldaten, die sich der mörderischen Kriegsführung des NS-Regimes verweigerten und dadurch ihren persönlichen Beitrag zum beschleunigten Untergang des Hitler-Regimes leisteten. Deserteure, Selbstverstümmler, Kriegsdienstverweigerer, Saboteure, Meuterer und angebliche Hochverräter streuten Sand ins Getriebe des Vernichtungskrieges und waren aus diesem Grund auch am Wiedererstehen eines freien, unabhängigen österreichischen Staates beteiligt. Dennoch wurde ihnen bis zum heutigen Tage die ihnen gebührende Anerkennung und Respekt nicht zuteil; vielmehr wurden sie in jenem Staat , der sich kollektiv als Opfer Hitlerdeutschlands erklärte, von der Gesellschaft ausgegrenzt, zum Schweigen verurteilt und als "Feiglinge", "Verräter" und "Kameradenschweine" diffamiert.

 

Fahnenflüchtige und andere Opfer der nationalsozialistischen Militärgerichtsbarkeit haben aber nicht nur mit moralischen, sondern auch mit gravierenden straf- und sozialrechtlichen Missständen zu kämpfen: Die zwischen 1938 und 1945 verhängten Urteile der Wehrmachtrichter wurden bisher nicht pauschal und formell aufgehoben, und Zeiten einer wegen Desertion verhängten Haft in Gefängnissen, Wehrmachtsstraf- oder Konzentrationslagern konnten bisher grundsätzlich nicht als Ersatzzeiten in der österreichischen Pensionsversicherung angerechnet werden.

 

Die NS-Militärjustiz war eines der Instrumente in einem Rassen- und Weltanschauungskrieg, deshalb war es notwendig und richtig, dass sich die Soldaten abwendeten. Die Spekulationen über die sehr unterschiedlichen individuellen Beweggründe der Fahnenflüchtigen sind nicht nur müßig, sondern inhaltlich falsch. Den Nationalsozialisten war es ganz egal, warum sich der Deserteur "der Manneszucht" entzog. Deserteure galten als „Verräter“ an der nationalsozialistischen Volksgemeinschaft und wurden aufs Härteste verfolgt. Rund 15.000 von den Wehrmachtsgerichten zum Tode verurteilte und hingerichtete Deserteure belegen die unglaubliche Brutalität der Militärgerichte. Festzuhalten bleibt, dass  die Tat der Desertion aus der Deutschen Wehrmacht richtig war.

 

Im Gegensatz zu Österreich erfolgte in Deutschland die volle Rehabilitierung der Kriegsdienstverweigerer, Wehrmachtsdeserteure und der sogenannten „Wehrkraftzersetzer“ aus der NS-Zeit im Jahr 2002 mit Beschluss des Bundestages.

 

Ein Erlass des Bundesministeriums für Justiz, JABl 7/2004, weist darauf hin, dass neben dem Aufhebungsgesetz 1945 auch die Befreiungsamnestie, BGBl 79/1946, Anwendung zu finden hat. Beide Gesetze sehen die pauschale Ungültigkeit der Verurteilungen ex lege vor. Die umfassende Umsetzung durch die erforderlichen Gerichtsbeschlüsse lässt aber noch immer auf sich warten. „Rehabilitierung ist aber eine offizielle, öffentliche und individuelle Wiederherstellung der Rechte und auch der persönlichen Ehre der Opfer. In juristischem Sinne versteht man darunter die Beseitigung des Makels einer Strafe durch offizielle Aufhebung der Verurteilung“, schreibt Dr. Kohlhofer in seinem Vorwort zu dem Buch, in dem die Ergebnisse des oben erwähnten Symposiums veröffentlicht wurden, und er argumentiert weiter: „Eine Rehabilitierung, von welcher weder die entehrten, bestraften und verfemten Personen wissen, noch das für die Rehabilitierung zuständige Bundesministerium für Justiz und schon gar nicht die Öffentlichkeit, ist keine Rehabilitierung! Die unmittelbar nach dem Krieg beschlossenen Gesetze stellten bestenfalls den (leider gescheiterten) Versuch dar, den zu unrecht Verurteilten Gerechtigkeit zu erweisen. Der österreichische Gesetzgeber ging in seinem Entschließungsantrag aus dem Jahr 1999 davon aus, dass bisher eine Rehabilitierung nicht erfolgt ist. Dies zeigt mit nicht zu überbietender Deutlichkeit, dass der nunmehrige Verweis auf eine durch eben diesen österreichischen Gesetzgeber bereits vor Jahrzehnten erfolgte Rehabilitierung unhaltbar ist.

 

Der Standpunkt des Bundesministeriums für Justiz ist aber nicht nur aus diesen pragmatischen Überlegungen unhaltbar, sondern auch inhaltlich verfehlt: Sowohl das Aufhebungs- und Einstellungsgesetz aus dem Jahre 1945 als auch die so genannte „Befreiungsamnestie“ aus dem Jahre 1946 normieren übereinstimmend, dass verschiedene Verurteilungen durch nationalsozialistische Gerichte „als nicht erfolgt“ gelten. Beide Gesetze verlangen jedoch eine Entscheidung durch das zuständige Gericht, ob im Einzelfall die Verurteilung tatsächlich als nicht erfolgt gilt. Erst diese gerichtliche Entscheidung bewirkt die juristische Rehabilitierung des Verurteilten. Diese erfolgt entweder über Antrag oder „von Amts wegen“. Im Zusammenhang mit der Intention des Gesetzgebers, nämlich der Rehabilitierung der unschuldigen Opfer, ist von einer Verpflichtung zur amtswegigen Aufhebung auszugehen. Wann immer daher Justizbehörden von einer unter die beiden genannten Gesetze fallenden Verurteilung Kenntnis erlangen, sind sie verpflichtet, von Amts wegen einen Gerichtsbeschluss im konkreten Fall herbeizuführen. Soweit ersichtlich ist dies aber bisher in keinem einzigen Fall geschehen. Gerichtsbeschlüsse zur Rehabilitierung erfolgten – erstmals im Jahre 1998 (!) – bisher nur in neun Fällen von ermordeten österreichischen Zeugen Jehovas, jeweils über einen Antrag von Einzelpersonen bzw. der staatlich eingetragenen Religionsgemeinschaft Jehovas Zeugen.

 

Die Befreiungsamnestie 1946 deckt das ganze Feld der notwendigen Rehabilitierungen also ebenso wenig ab wie das Aufhebungsgesetz 1945. Das Verhältnis beider Gesetze zueinander ist verwirrend und teilweise widersprüchlich. Das Aufhebungsgesetz 1945 mit ergänzender Verordnung, StGBl 155/1945, verlangt zusätzlich zur Aburteilung nach bestimmten NS-Gesetzen, dass die Handlung „gegen die nationalsozialistische Herrschaft“ gerichtet war. Das trifft vor allem für die Wehrdienstverweigerer aus religiösen Gründen, von denen viele zum Tode verurteilt wurden, nicht unmittelbar zu. Eine Anwendung des Gesetzes ohne Berücksichtigung dieser individualisierenden Klausel, wie sie bisher erfolgte, ist rechtsstaatlich unbefriedigend. Die Befreiungsamnestie 1946 berücksichtigt zwar schematisch alle Urteile der Militär- und SS-Gerichte, nicht aber der Sondergerichte und der Zivilgerichte. Außerdem hat dieses Gesetz Gnadencharakter, was nicht einer Rehabilitierung entspricht. Die Betroffenen verdienen nicht Gnade, sondern Recht. Beide Gesetze sehen gerichtliche Überprüfungsverfahren in jedem Einzelfall vor, damit nicht nur die gesetzlichen Voraussetzungen überprüft werden, sondern auch das Zusammentreffen mit Allgemeindelikten abgeklärt wird, bei deren Vorliegen eine Straffestsetzung in einem neuen ordentlichen Verfahren einzuleiten ist. Das ist jedoch 60 Jahre nach Kriegsende praktisch unmöglich.

 

Die Gesetzeslage ist nicht in das Bewusstsein der Öffentlichkeit vorgedrungen. Allenfalls ist ihre Wirkungslosigkeit bekannt. Dem Vernehmen nach ist eine bloße Wiederverlautbarung des Aufhebungs- und Einstellungsgesetz 1945 und der Befreiungsamnestie 1946 und eine sogenannte „authentische Interpretation“ geplant . Dies ist jedoch keineswegs geeignet, eine angemessene Rechtssituation herzustellen. Darum wird der Ruf nach einer pauschalen Aufhebung ohne Einzelprüfung laut, so erst im Jänner dieses Jahres durch den Herrn Bundespräsidenten Dr. Heinz Fischer. Er fordert einen Akt der Gesetzgebung, durch den alle Urteile der Wehrmachtsjustiz „mit einer unserem heutigen Kenntnisstand entsprechenden Begründung“ aufgehoben werden. Aus diesen Gründen ist in Vollziehung der Entschließung des Nationalrats vom 14. 7. 1999 ein umfassendes, vereinfachendes neues Gesetzes über die Rehabilitierung von Opfern der NS-Strafjustiz erforderlich, das unter Einbeziehung der Rechtslage nach den beiden bestehenden Gesetzen alle auf bestimmten nationalsozialistischen Gesetzen beruhenden Verurteilungen durch die NS-Strafjustiz generell aufhebt.

 

 

Der heute 83-jährige Wehrmachtsdeserteur Richard Wadani, der Sprecher des Personenkomitees „Gerechtigkeit für die Opfer der NS-Militärjustiz“, kämpft seit Jahren verdienstvoll um die Rehabilitierung und damit um die Würde der Opfer der NS-Militärjustiz und deren Hinterbliebenen. In einem bezeichnenden Briefwechsel mit dem Bundesministerium für Justiz (9. November 2003) schließt Wadani mit folgenden Worten:

 

„Lassen sie mich zum Abschluss noch einmal auf die Befreiungsamnestie aus 1946 zurück kommen. Ich bin kein Jurist. Wenn ich aber im Duden nachschlage, finde ich unter Amnestie folgende Definition: „das Vergessen; die Vergebung; durch ein besonderes Gesetz verfügter Straferlass oder verfügte Strafmilderung für eine Gruppe bestimmter Fälle, bes. für politische Vergehen“. Es ist ganz bestimmt nicht so, dass das BMJ uns etwas „zu vergessen oder zu vergeben“ hat. Ich habe es als meine Pflicht gesehen, gegenüber diesem verbrecherischen Nazi-Regime den Fahneneid zu brechen und auf Seiten der Alliierten für die Niederlage der Wehrmacht, der Armee Adolf Hitlers, zu kämpfen. Das war meine persönliche Form des Widerstandes gegen den Nationalsozialismus, ich habe meinen Teil für ein freies unabhängiges Österreich damit geleistet. Sorgen Sie jetzt dafür, dass uns endlich Gerechtigkeit widerfährt. Für einen Akt der Gerechtigkeit werden wir auf jeden Fall weiter eintreten. Wir betrachten die Rehabilitierung gewiss nicht als abgeschlossen.“

 

 

Die unterfertigten Abgeordneten stellen daher folgende

 

ANFRAGE:

1.             1995 haben Sie die Aussagen Dr. Jörg Haiders vor ehemaligen Waffen SS-Angehörigen als „ganz unerträglich“ bezeichnet, Haider war für Sie nichts anderes als ein "Wiederholungstäter". Im von Ihnen selbst ausgerufenen großen „Gedankenjahr 2005“ ist er in Ihren Augen eine „konstruktive Persönlichkeit“ geworden. Und zu den Auslassungen von BZÖ-BR Kampl - die entsprechendes internationales Interesse auf sich zogen - schweigen Sie noch immer. Warum verurteilen Sie die Aussagen von FPÖ-BR Gudenus, während bisher Sie zu den Diffamierungen von BZÖ-BR Kampl offensichtlich aus falsch verstandener Koalitionsräson geschwiegen haben und auch nach seinem Rücktritt weiterhin schweigen?

2.             Unterstützen Sie die Forderung nach Rücktritt von Bundesrat John Gudenus?

3.             Sind für Sie Personen als Abgeordnete des österreichischen Parlaments tragbar, die Wehrmachts-Deserteure als „Kameradenmörder" bezeichnet haben?

4.             Macht es für Sie einen rechtlichen Unterschied, aus welchen Gründen bzw. Motiven ein Österreicher in einem völkerrechtswidrigen Angriffs- und Vernichtungskrieg desertiert ist? Sind die Wehrmachtsdeserteure Ihrer Meinung nach aus einer fremden Armee desertiert?

5.             Bedurfte es in den Jahren 1938 - 1945 nicht eines  viel höheren Maßes an Mut zu desertieren, als in der Wehrmacht zu bleiben?

6.             Mit welchem Urteil musste ein Wehrmachtsdeserteur rechnen, wenn er sich der Wehrmachtsjustiz gegenüber mit dem Argument verantwortet hat, er habe sich „gegen die nationalsozialistische Herrschaft“ gerichtet bzw. er sei „Gegner des Nazi-Regimes“?

7.             Teilen Sie die „Sorge“ Ihres Koalitionspartners und der Bundesministerin für Justiz um eine vermeintliche „Zwangsbeglückung“ der Betroffenen bzw. deren Hinterbliebenen bei einer amtswegigen Urteilsaufhebung von NS-Unrechtsurteilen?

8.             Werden Sie sich als Bundeskanzler dafür einsetzen, dass es - wie von den Betroffenen und Bundespräsident Dr. Heinz Fischer gefordert - einen eindeutigen, unmissverständlichen, kollektiven Akt des Gesetzgebers geben wird? Wenn ja, welche Vorbereitungen werden von Ihnen getroffen? Ihre Pressesprecherin kündigte gegenüber dem „Falter“ eine „Geste“ des Gesetzgebers an. Welche konkreten Pläne hat die Bundesregierung für die Opfer der NS-Militärjustiz im „Gedankenjahr 2005“?

9.             Werden Sie bzw. die Bundesregierung dem Nationalrat ein Gesetz zur Beschlussfassung vorlegen, dessen erklärtes Ziel es ist, mittels Rehabilitierung Gerechtigkeit für die Opfer der NS-Militärjustiz herzustellen und nicht den Anschein eines Gnadenaktes zu erwecken, weil es nicht um die Amnestierung eines begangenen Unrechts, sondern um die Anerkennung des Unrechtes der NS-Militärjustiz geht?

10.         Warum ehrt die Republik einerseits den militärischen Widerstand von Offizieren wie Bernardis, Szokoll und anderen, der darin bestand, kein weiteres Unrecht durch Nationalsozialismus und Wehrmacht zuzulassen, respektiert aber andererseits Fahnenflucht und Desertion von einfachen Soldaten nicht entsprechend als den „Widerstand des kleinen Mannes“?

11.         Entspricht es den Tatsachen, dass seitens der Bundesregierung eine bloße Wiederverlautbarung des Aufhebungs- und Einstellungsgesetz 1945 und der Befreiungsamnestie 1946 sowie eine sogenannte „authentische Interpretation“ geplant sind?

12.         Mit einer Wiederverlautbarung und einer Interpretation ist es nicht getan, weil beide genannten Gesetze Ihrem Wortlaut nach teilweise sowohl zu weit als auch zu kurz greifen, was durch Auslegung nicht zu beseitigen ist. Insbesondere sind die Vorschriften für neue Strafverfahren bei Mischurteilen so nicht zu gebrauchen (neue Hauptverhandlung). Werden Sie sich dafür einsetzen, dass aus genannten Gründen ein umfassendes, neues Gesetz über die Rehabilitierung von Opfern der NS-Strafjustiz zur Beschlussfassung kommt, das unter Einbeziehung der Rechtslage nach den beiden bestehenden Gesetzen alle auf bestimmten nationalsozialistischen Gesetzen beruhenden Verurteilungen durch die NS-Strafjustiz generell aufhebt?

13.         Führende Rechtsexperten - wie zum Beispiel Univ. Prof. Dr. Reinhard Moos, der in Fragen der NS-Justiz als Koryphae gilt - sprechen sich für einen neuen eindeutigen Rechtsakt zur Beseitigung von zahlreichen rechtlichen Widersprüchlichkeiten aus. Im Justizausschuss wurde ein neues, von Prof. Moos ausgearbeitetes „NS-Rehabilitierungsgesetz“ eingebracht. Wie beurteilen Sie dieses Gesetz und werden Sie sich als Bundeskanzler für dessen Beschlussfassung einsetzen?

14.         Sozialrechtlich sind Wehrmachtsdeserteure und andere Opfer der NS-Militärjustiz gegenüber Wehrmachtssoldaten, SS-Schergen und auch Kriegsverbrechern immer noch schlechter gestellt. Werden Sie dafür Sorge tragen, dass dieser unerträgliche Missstand endlich beseitigt wird?

15.         Aus Anfragebeantwortungen des Sozialministeriums geht hervor, dass "Zeiten einer wegen Desertion verhängten Haft in Gefängnissen, Wehrmachtsstraf- oder Konzentrationslagern [...] grundsätzlich nicht als Ersatzzeiten in der österreichischen Pensionsversicherung angerechnet werden (können)".  Begründung: Desertion sei auch schon vor 1938 in Österreich ein strafbares Delikt gewesen. Soll diese Rechtslage, auch für die Zeit der NS- Herrschaft weiter bestehen?

16.         Das Sozialministerium hat laut eigenen Angaben bisher keine Anhaltspunkte gefunden, wonach Opfer der NS-Militärjustiz sozialrechtlich benachteiligt worden seien. Die wissenschaftlichen Forschungen belegen jedoch das genaue Gegenteil. Über Jahrzehnte wurden mehr als 2/3 der gestellten Anträge auf Opferfürsorge abgelehnt. Die Leidensgeschichten der Kriegsdienstverweigerer, Deserteure u.a. wurden zumeist deshalb nicht berücksichtigt, weil in diesen Fällen laut Gesetz keine "Haft aus politischen Gründen" anerkannt wird. Da sich weder die gesetzlichen Bestimmungen noch die Sachlage seit den damaligen Entscheidungen geändert haben, waren die Anträge „wegen entschiedener Sache zurückzuweisen". Zuletzt erhielt Franz Piontek, der die berüchtigten "Moorlager" im Emsland überlebte, im Dezember 2004 einen entsprechenden Bescheid der Behörden. Was gedenken Sie bzw. die Bundesregierung zu unternehmen, dass diese Verhöhnung der wenigen noch lebenden Opfer endlich beendet wird?

17.         Ist im „Gedankenjahr 2005“ endlich mit der Anerkennung von homosexuellen und sogenannten „asozialen“ NS-Opfern im Opferfürsorgegesetz zu rechnen? Werden Sie sich dafür einsetzen, dass diese vergessenen (in Wahrheit bewusst ausgegrenzten) Opfergruppen endlich in das Opferfürsorgegesetz aufgenommen werden?

Staatsvertrag und Ortstafeln

18.         Der VfGH hat im Erkenntnis G213/01, V62/01 die als verfassungswidrig erkannten Bestimmungen des Volksgruppengesetzes und der Verordnung über zweisprachige Ortstafeln im Dezember 2001 nicht sofort aufgehoben, sondern dem gesetzes- bzw. Verordnungsgeber eine Frist bis 31. Dezember 2002 eingeräumt, um die Verfassungswidrigkeit zu sanieren. Weshalb haben Sie in dieser Zeit nicht Ihre Verantwortung wahrgenommen  und dafür Sorge getragen, dass die als verfassungswidrig erkannten Bestimmungen fristgerecht durch verfassungskonforme Regelungen ersetzt wurden?

19.         Wer trägt die Verantwortung dafür, dass das zitierte Erkenntnis des VfGH bisher nicht umgesetzt wurde?

20.         LH Haider hat den mit Ihnen gemeinsam geplanten Festakt zur Ortstafel-Aufstellung in der Gemeinde Neuhaus/Suha abgesagt, weil es Proteste gab. Haben Sie der Absage zugestimmt?

21.         Sind auch Sie bereit, dem Druck von Gegnern von zweisprachigen Ortstafeln auf diese Weise nachzugeben?

22.         Auf der Ortstafel, die in Schwabegg/Žvabek aufgestellt wurde, ist der slowenische Ortsname falsch geschrieben. Wer ist für die falsche Schreibweise verantwortlich?

23.         Werden Sie dafür sorgen, dass die zuständigen Beamten ganze Wörter auf Slowenisch richtig schreiben können?

24.         Wie beurteilen Sie die Äußerungen des Landeshauptmannes von Kärnten, der öffentlich erklärt hat, er würde die Umsetzung des VfGH-Erkenntnisses in Kärnten nicht zulassen und das Erkenntnis des VfGH sei „null und nichtig“?

25.         Was werden Sie als Bundeskanzler konkret unternehmen, um einen verfassungskonformen Zustand herzustellen?

26.         Entspricht es ihrem Verständnis von Rechtsstaatlichkeit, den Bruch von verfassungsrechtlich garantierten Minderheitenrechten solange in Kauf zu nehmen, bis Sie die Zustimmung von offensichtlich minderheitenfeindlichen Kräften erhalten?

27.         Sind Sie auch in anderen Politikfeldern, bei denen es um Grund-, Menschen- und Minderheitenrechte, somit um den verfassungsrechtlichen Schutz von potentiell benachteiligten Personen und Gruppen in unserer Gemeinschaft geht, bereit, den Bruch von Verfassungsrecht hinzunehmen und mit zu verantworten? Wenn ja, in welchen Bereichen? Wenn nein, weshalb nehmen Sie ihre Verantwortung im Bereich des Minderheitenschutzes nicht wahr?

28.         Nach Ziffer 5 des Artikel 7 im Staatsvertrag von Wien ist die Tätigkeit von Organisationen, die darauf abzielen, der kroatischen oder slowenischen Bevölkerung ihre Eigenschaft und ihre Rechte als Minderheit zu nehmen, zu verbieten. Welche Schritte hat die Bundesregierung bisher gesetzt, um diese Staatsvertragsbestimmung umzusetzen?

29.         Sind Sie im Einklang mit diesen gesetzlichen Bestimmungen bereit, ein Verbot des Kärntner Abwehrkämpferbundes prüfen zu lassen?

30.         Das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes zum Anwendungsbereich des Staatsvertrages von Wien 1955 hinsichtlich der zweisprachigen Topographie ist wegen der identen Rechtsgrundlagen auch auf das Burgenland anzuwenden. Dessen ungeachtet wurden bisher überhaupt keine Schritte zur Umsetzung gesetzt. Wann ist damit zu rechnen, dass die Topographieverordnung für das Burgenland um jene Orte ergänzt wird, die zwar die Kriterien des Verfassungsgerichtshofes erfüllen („ein Minderheitenprozentsatz von mehr als 10% auf Grund der Ergebnisse der Volkszählungen über einen längeren Zeitraum betrachtet“), aber bisher nicht berücksichtigt wurden?

31.         Welche konkreten Schritte haben Sie bisher unternommen, um das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes im Burgenland umzusetzen?

32.         Artikel 7 des Staatsvertrages von Wien garantiert in den Verwaltungs- und Gerichtsbezirken Kärntens, des Burgenlandes und der Steiermark mit slowenischer, kroatischer oder gemischter Bevölkerung die Zweisprachigkeit von Bezeichnungen und Aufschriften topographischer Natur. Trotzdem wurden im Burgenland, in Kärnten und in der Steiermark seit nunmehr 50 Jahren in Verletzung des Staatsvertrages keine Wegweiser nach der Straßenverkehrsordnung zweisprachig angebracht. Mit 45 Jahren Verspätung wurden im Jahr 2000 unter dem Druck der EU-Sanktionen lediglich die Ortstafeln an den Ortseinfahrten zweisprachig gestaltet. Weshalb verweigern sie die Umsetzung der zweisprachigen Topographie auf den Wegweisern in den betroffenen Bezirken des Burgenlandes?

33.         Können sie garantieren, dass zumindest noch in diesem Jahr, dem 50. Jahr nach der Unterzeichnung des Staatsvertrages von Wien, die Bundesregierung dieser Verpflichtung sowohl im Burgenland als auch in Kärnten nachkommt? Wenn nein, wie rechtfertigen sie die nunmehr 50 jährige Verletzung dieser Bestimmungen des Staatsvertrages von Wien?

 

 

In formeller Hinsicht wird die dringliche Behandlung dieser Anfrage gem. §93 Abs. 1 GOG verlangt.