3186/J XXII. GP

Eingelangt am 21.06.2005
Dieser Text ist elektronisch textinterpretiert. Abweichungen vom Original sind möglich.

Anfrage

der Abgeordneten Dr. Caspar Einem

und Genossen

an Bundeskanzler Dr. Wolfgang Schüssel

im Zusammenhang mit den Beschlüssen des Europäischen Rates am 16. und 17.

Juni 2005

Die Volksabstimmungen zur Europäischen Verfassung in Frankreich und in den
Niederlanden haben deutlich gezeigt, welchen Sprengstoff es für das Projekt der
europäischen Integration bedeutet, wenn die Menschen überwiegend den Eindruck
haben, ihre Alltagssorgen würden von der Politik - auf nationaler ebenso wie auf
europäischer Ebene - nicht ernst (genug) genommen.

Es ist offen sichtlich, dass die auf europäischer Ebene hohe - in Österreich die seit
Jahren steigende - Arbeitslosigkeit den Menschen Sorgen macht. Und das betrifft
nicht nur die Arbeitslosen selbst, sondern alle, die um ihren Arbeitsplatz fürchten
müssen. In diesem Zusammenhang haben viele Menschen in Europa, aber auch in
Österreich den Eindruck, dass die europäische Politik und auch die nationale
Ausformung der Politik - auch in Österreich - die Bedingungen, die ihnen Angst
machen, noch verschärften. Immer wieder wird davon gesprochen, dass es zunächst
Strukturreformen brauche, bevor mit Wachstum und zusätzlicher Beschäftigung zu
rechnen sei. Was sie dann als Strukturreformen erleben sind Verschärfungen für
Arbeitslose, Verschlechterungen im sozialen Netz, höherer Leistungsdruck,
Forderungen nach längerer nicht besonders abgegoltener Arbeitszeit usw..

Für Familien, in denen ein Familienangehöriger/eine Familienangehörige arbeitslos
ist, die sehen, dass die Arbeitslosigkeit seit Jahren steigt und dass die Arbeitslosen
zwar immer wieder in Schulungen geschickt werden, dass diese Kurse aber weniger
einer notwendigen und nützlichen Qualifizierung dienen, sondern bloß der
temporären Entfernung aus der Arbeitslosenstatistik, ist der Zusammenhang deutlich:
um sie kümmert sich keiner. Aber die Frage der Erweiterung der Union ist wichtig
genug, um vom Regierungschef abwärts die halbe Republik zu beschäftigen.

Werden dazu kritische Stimmen laut, wird nicht nur den Kritikern entgegen gehalten,
sie seien keine guten Europäer, es wird auch gesagt, dass die Erweiterung für
Österreich wirtschaftlich ein großer Erfolg gewesen sei. Statistiken belegen diese
Aussage auch. Sie verschweigen allerdings, dass die wirtschaftlichen Vorteile aus
der Erweiterung der Union, insbesondere um Österreichs Nachbarstaaten, nicht
gleich verteilt sind. Manche Unternehmen und ihre Eigentümer verdienen offenbar
außerordentlich gut. Zum Teil geht das auch mit der Ausweitung der Zahl der


Beschäftigten einher. Überwiegend werden jedoch Investitionen in den neuen
Märkten realisiert und führen dort zu mehr und besserer Beschäftigung. Das ist zwar
insgesamt wirtschaftlich erfreulich, kann jedoch diejenigen, die hier arbeitslos oder
von Arbeitslosigkeit bedroht sind, nicht befriedigen. Sie wollen und Europa braucht
ein Signal, dass diese Menschen nicht vergessen, aus der politischen Agenda
verbannt worden sind, sondern dass sie ins Zentrum der Bemühungen gerückt
werden.

Und wenn schon die überwiegend konservativ geführten Regierungen in Europa und
auch die österreichische nicht bereit sind, durch entsprechende Maßnahmen zu einer
einigermaßen fairen und gleichmäßigen Verteilung der Erweiterungsgewinne zu
sorgen, so sollte zumindest ein wirklich großes Qualifizierungsprogramm für jene
Gruppen aufgelegt werden, die aufgrund ihrer zu geringen oder mittlerweile
entwerteten Qualifikation von Arbeitslosigkeit bedroht sind. Das wäre ein Signal für
viele tausend Menschen in Österreich, das zwar vor der Erweiterung von drei
Parlamentsparteien in einem gemeinsamen Entschließungsantrag am 21. 11. 2001
von der Bundesregierung gefordert worden ist. Die Forderung blieb allerdings
unerfüllt.

Vor dem Europäischen Rat, der soeben in Brüssel zuende gegangen ist, haben wir
versucht, den Bundeskanzler und die Außenministerin darauf aufmerksam zu
machen, dass jetzt ein Signal an die Menschen in Europa, an die Menschen in
Österreich notwendig ist, das ihnen zeigt, dass sie es mit ihren Alltagssorgen um
Arbeit, Einkommen, soziale Sicherheit und eine unversehrte Natur sind, die im
Mittelpunkt der nationalen und der europäischen Politik stehen. Nach Durchsicht der
Schlussfolgerungen des Vorsitzes zum Europäischen Rat kann man nicht den
Eindruck haben, die Europäischen Staats- und Regierungschefs hätten die Nachricht
„von unten", von der Basis der Menschen in ihren Ländern wirklich verstanden. Da
die anderen Mitglieder des Europäischen Rates keinem Interpellationsrecht des
österreichischen Nationalrates unterliegen, muss versucht werden, zumindest vom
österreichischen Bundeskanzler Antworten zu diesen Grundfragen der Akzeptanz der
Politik in Europa und damit zugleich des europäischen Integrationsprojektes zu
bekommen.

Wir machen uns Sorgen um Europa. Wir machen uns Sorgen um die Menschen in
Europa, um die Menschen in Österreich.

Die unterzeichneten Abgeordneten stellen daher die folgende

 


Anfrage

1.  Würden Sie sagen, dass vom Dokument, das die Schlussfolgerungen des
Vorsitzes zum Europäischen Rat in Brüssel am 16. und 17. Juni 2005
enthält, ein Signal ausgeht, das geeignet ist, die BürgerInnen Europas
wieder mehr für Europa zu begeistern?

2.            Die Schlussfolgerungen des Vorsitzes umfassen 97 Punkte, mit denen sich
der Europäische Rat beschäftigt zu haben scheint. Davon befassen sich je
zwei Punkte mit dem Scheitern der Verhandlungen zur finanziellen
Vorausschau bzw. zu „Nachhaltiger Entwicklung" und drei mit „Wachstum
und Beschäftigung". Halten Sie das angesichts der vor allem durch die
wirtschaftlichen Rahmenbedingungen mit verursachten EU-Skepsis vieler
EU-BürgerInnen für ein ausreichendes Signal?

3.            Halten Sie die vom Europäischen Rat mit beschlossenen Leitlinien für
Wachstum und Beschäftigung (2005-2008) für ein klares und deutliches
Signal?

4.            Die Schlussfolgerungen des Rates befassen sich in 56 Punkten mit
Außenpolitik. Angesichts der Rolle, die dem Europäischen Rat in der
Gestaltung der gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik zukommt, mag
das nicht überraschen. Ist es ein gutes Signal an die BürgerInnen Europas,
dass sich ihre Staats- und Regierungschefs in den für ihr Alltagsleben
wichtigsten Fragen nicht oder bloß auf weniges einigen konnten, aber viel
Engagement auf Fragen der Außenpolitik investierten?

5.            In den Schlussfolgerungen behandelt Punkt 2. die Erweiterung der Union um
Bulgarien, Rumänien. Ist im Europäischen Rat zur Frage der
Erweiterungsgeschwindigkeit diskutiert worden?

6.            Zu welcher Auffassung ist der Rat, sollte dieses Thema behandelt worden
sein, hinsichtlich der bevorstehenden Erweiterung um Rumänien und
Bulgarien gekommen?

7.            Hat die Europäische Kommission während des Europäischen Rates
erkennen lassen, ob sie daran denkt, von der Möglichkeit des Aufschubs des
Beitritts dieser beiden Länder bis 2008 Gebrauch zu machen?

8.            Im Entwurf der Schlussfolgerungen vom 31. Mai 2005 9490/05 war noch
unter ausdrücklicher Nennung der Türkei ausdrücklich von der weiteren
Vorgangsweise die Rede. Welchen Hintergrund hat die Tatsache, dass nun


die Türkei namentlich nicht mehr und auch der Beginn der Verhandlungen
nicht ausdrücklich genannt wird?

9.   Kann man diese Vernebelung als Feigheit vor den WählerInnen
bezeichnen?

10. Im Entwurf der Schlussfolgerungen vom 31. Mai 2005 9490/05 war
vorgesehen, dass sich ein Punkt mit den Verhandlungsaufnahme-
Perspektiven Kroatiens befassen sollte. Nun ist von Kroatien nicht mehr die
Rede. Hat der Europäische Rat diese Frage nicht behandelt?

11. Was war Ihre Position zum Verschwinden des Kroatien-Punktes?

12.   Welche Position haben Sie während des Europäischen Rates zu dieser
Frage eingenommen?

13.   Wenn schon vom Europäischen Rat keine Signale an die BürgerInnen der
EU ausgehen, die sie wieder mehr für Europa begeistern könnten, haben
denn Sie als österreichischer Regierungschef konkrete Akzentsetzungen
vor, die diesem Ziel dienen könnten?

14.   Welche?