3450/J XXII. GP

Eingelangt am 22.09.2005
Dieser Text wurde elektronisch übermittelt. Abweichungen vom Original sind möglich.

 

ANFRAGE

 

 

der Abgeordneten Glawischnig-Piesczek, Freundinnen und Freunde

 

an den Bundesminister für Wirtschaft & Arbeit

 

betreffend Gesundheitsschutz und Gastgärten

 

Aus Anlass der Anfechtung einer VO der Landeshauptfrau Klasnic durch die Volksanwaltschaft hob der Verfassungsgerichtshof Teile der Gastgartenregelung der Gewerbeordnung wegen Verfassungswidrigkeit per 31. 12. 2005 auf, und zwar den Passus: „Der Landeshauptmann kann mit Verordnung abweichende Regelungen betreffend die Gewerbeausübung in Gastgärten für solche Gebiete festlegen, die insbesondere wegen ihrer Flächenwidmung, ihrer Verbauungsdichte, der in ihnen bestehenden Bedürfnisse im Sinne des § 113 Abs 1 und ihrer öffentlichen Einrichtungen, wie Krankenhäuser, Altersheime, Bahnhöfe, Theater, Sportplätze und Parks, diese Sonderregelung rechtfertigen.“ (G4/05 vom 9. 6. 2005). Die Gastgartenregelung in § 112 Abs 3 GewO besagt, dass Gastgärten, die sich auf öffentlichem Grund befinden oder an öffentliche Verkehrsflächen angrenzen, jedenfalls von 8 bis 23 Uhr betrieben werden dürfen, sonstige Gastgärten von 9 bis 22 Uhr. Abweichende Regelungen kann der Landeshauptmann/die Landeshauptfrau – wie schon oben dargelegt - mit Verordnung erlassen. Die von der Volksanwaltschaft bekämpfte Verordnung der Landeshauptfrau Klasnic verlängerte die Sperrstunde in der Zeit von 15. Juni bis 15. September in bestimmten Orten wie zB in Graz generell auf 24.00 Uhr (VfGH V 109/03-13 vom 22. Juni 2005).

 

Der Verfassungsgerichtshof befand nun, dass die Ermächtigung an den Landeshauptmann/die Landeshauptfrau ein unzulässiger Eingriff in die Gemeindeautonomie sei: „Für die Betriebszeitengarantie für Gastgärten in § 112 Abs 3 GewO 1994 ist es von erheblicher Bedeutung, dass diese gesetzliche Regelung und damit auch die administrative Festlegung abweichender Betriebszeiten vom Gedanken des Lärmschutzes geprägt ist (arg.: ‚.. lautes Sprechen, Singen und Musizieren.. untersagt ist und auf dieses Verbot hinweisende Anschläge .. angebracht sind...’). Gemäß Art 118 Abs 3 Z 3 iVm Art 15 Abs 2 B-VG zählt jedoch ‚die Abwehr ungebührlicherweise hervorgerufenen störenden Lärmes’ zu der dem eigenen Wirkungsbereich zuzurechnenden‚ örtlichen Sicherheitspolizei’. Es ist daher davon auszugehen, dass auf die der Abwehr störenden Lärmes dienende Betriebszeitenbegrenzung für Gastgärten, zumindest soweit es um deren geringfügige Veränderung für bestimmte Gebiete einer Gemeinde geht, die Kriterien der verfassungsrechtlichen Generalklausel des eigenen Wirkungsbereiches gemäß Art 118 Abs 2 B-VG zutreffen.“ Eine derartige Aufgabe könne daher nur der Gemeinde übertragen werden. Ebenso wurde die Verordnung der Landeshauptfrau Klasnic aufgehoben, zur Kundmachung dieser Entscheidung war der Bundesminister für Wirtschaft und Arbeit verpflichtet. Die Kundmachung erfolgte erst am 29. August 2005 (BGBl II 263/2005), mehr als 2 Monate nach dem Erkenntnis. Damit wurden verfassungswidrigerweise die Nachbarn und Nachbarinnen um die Wohltat einer früheren Sperrstunde in der Sommersaison gebracht (22.00 und 23.00 Uhr statt 24.00 Uhr, siehe auch Standard vom 3. 9. 2005: Höchstrichter wollen nicht warten, VfGH-Präsident bemängelt verzögerte Kundmachung der Ministerien).

 

Entgegen der sonst üblichen Einzelfallbetrachtung im gewerblichen Betriebsanlagenrecht schafft § 112 Abs 3 GewO eine gesetzliche Betriebszeitengarantie, die noch dazu in der Praxis weiter zu Lasten der Nachbarn und Nachbarinnen von Gaststätten ausgedehnt wurde. Allein in Graz sind vom daraus folgenden vormitternächtlichen Schlafentzug ca 10.000 Bewohner/innen betroffen. Ohne entsprechende Erhebungen (Immissionsmessungen, medizinische Gutachten, Raumordnungsgutachten etc) wurde bereits 1999 und in den nachfolgenden Jahren die gesetzliche Sperrstunde um eine resp um zwei Stunden verlängert. Auf diese Weise wurde das Grundrecht auf Privatleben (Art 8 MRK) und auf Eigentum (Art 5 StGG) der betroffenen Nachbarn verletzt. Auch das Ministerium hat anlässlich des Vorschlags für die gesetzliche Betriebszeitenregelung (in den Jahren 1994 und 2002) keinerlei repräsentative Messungen und medizinische Gutachten zur Rechtfertigung der gesetzlichen Betriebszeiten aus Sicht des Gesundheitsschutzes vorgelegt.

 

Den unterfertigten Abgeordneten liegen folgende Stellungnahmen bzw Gutachten zur Situation in Graz vor:

 

·               Stellungnahme des Grazer Umweltamtes zum Antrag GR Krampl vom 6. 12. 1999

 

„Durch den Betrieb eines Gastgartens mit beispielsweise 20 Verabreichungsplätzen, davon 2/3 belegt, ist in der Zeit zwischen 23.00 und 24.00 abhängig von der örtlichen Lage bezogen auf die darüber liegenden Wohnnachbarn eine Erhöhung des Umgebungslärms von 5 dB (Hauptstraße) bis zu 15 dB (Nebenstraße) und somit subjektiv eine störende Belästigung der angrenzenden Wohnnachbarn zu erwarten. Eine Erhöhung des Umgebungslärms durch den prognostizierten Beurteilungspegel um 10dB wird als Verdoppelung der Lautstärke empfunden, eine Erhöhung um 3dB ist noch deutlich wahrnehmbar. Zudem wird der in den Nachtstunden geltende Grenzwert des Widmungsmaßes für „Allgemeines Wohngebiet“ von LAeq = 45dB durch den Beurteilungspegel um 17dB überschritten.“

 

·               Stellungnahme des Grazer Gesundheitsamtes zum Antrag GR Nr. 584/2000 vom 3. 5. 2000

 

„Die WHO gibt zur Sicherung eines erholsamen Schlafes einen äquivalenten Dauerschallpegel LAeq von weniger als 35 dB im Raum an. Nach ÖNORM S 5021 wird in Kategorie 3 (städtisches Wohngebiet) als maximaler Immissionswert ein LAeq von 45 dB nachts im Freien gefordert.“

 

·               Schalltechnisches Gutachten von Dipl.-Ing. Wallner vom 8. 8. 2003

 

Messort Herrengasse 3, Blickrichtung Prokopigasse, 8. 8. 2003, 23.40 Uhr und 00.00 Uhr: „Die Grenze der zumutbaren Störung bei Nacht wurde um 26 dB überschritten. Der Grenzwert für Schallpegelspitzen bei Nacht wurde um 10 dB überschritten.“

 

Messort Stiegengasse 3, Blickrichtung Karmeliterplatz, 8. 8. 2003, 22.45 Uhr und 23.00 Uhr: „Die Grenze der zumutbaren Störung bei Nacht wurde um 19 dB überschritten. Der Grenzwert für Schallpegelspitzen bei Nacht wurde um 6 dB überschritten.“

 

·               Stellungnahme des Grazer Gesundheitsamtes zum schalltechnischen Gutachten Dipl.-Ing. Wallner vom 22. 8. 2003

 

„Die im aktuellen schalltechnischen Gutachten gemessenen Immissionswerte liegen sowohl für die Tageszeit als auch und besonders in der Nachtzeit deutlich und beträchtlich über den angeführten ‚Grenzwerten’. Unter der Annahme einer chronischen, d.h. länger dauernden (mehr als drei Wochen) Lärmexposition der Bewohner der gg. Gebiete, ist mit Belästigungen, Befindlichkeitsstörungen und sogar gesundheitlichen Auswirkungen, wie oben beschrieben, zu rechnen.“

 

Aus Anlass der Aussage des Ministeriums in der Presse am 16. Juli 2005 („Derzeit werde im Ministerium geprüft, wie längere Öffnungszeiten auch weiterhin ermöglicht werden können.“) hegen die unterfertigten Abgeordneten den Verdacht, dass der neue Gesetzesvorschlag einerseits das VfGH-Erkenntnis unterlaufen wird und andererseits den Bedürfnissen der Nachbarn und Nachbarinnen von Gastgärten nicht gerecht werden wird. Sowohl die Verfassung als auch eine gute Politik gebieten, dass der Konflikt zwischen Gastronomie und Unterhaltungsinteressen des Publikums einerseits und der ruhebedürftigen Stadtbevölkerung andererseits auf faire und gerechte Weise gelöst wird. Die Gesundheit der Menschen darf nicht beeinträchtigt werden.

 

Die unterfertigten Abgeordneten stellen daher folgende

 

 

ANFRAGE:

 

  1. Wie wollen Sie – in Anbetracht der einleitend dargestellten Gutachten - sicherstellen, dass nach 22.00 Uhr keine schlafraubenden und damit gesundheitsgefährdenden Beeinträchtigungen aus den Gastgartenbetriebszeiten resultieren?
  2. Sind Ihnen die in der Einleitung angeführten Stellungnahmen und Gutachten bekannt und inwiefern werden Sie diese Erkenntnisse für die Entscheidungsfindung in der Gastgartenfrage heranziehen?
  3. Welche repräsentativen Immissionserhebungen zur Lärmbelastung und medizinischen Gutachten zur sachlichen Rechtfertigung der von Ihnen vorgeschlagenen Gastgartenregelung in der Gewerbeordnung haben Sie in dieser Frage in Auftrag gegeben oder werden dies noch tun?
  4. Wie verantworten Sie die wesentlich verzögerte Kundmachung des VfGH-Erkenntnisses zur steirischen Gastgarten-Verordnung (VfGH V 109/03), womit das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes in der Steiermark in dieser Sommersaison nicht wirksam werden konnte?