3536/J XXII. GP
Eingelangt am 19.10.2005
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ANFRAGE
der Abgeordneten Mag. Terezija Stoisits, Freundinnen und Freunde
an die Bundesministerin für Justiz
betreffend anti-homosexuelle Verurteilungen unter der nationalsozialistischen Herrschaft
Artikel I § 1 des
Anerkennungsgesetzes 2005 (BGBl I
86/2005) bestimmt:
„Es wird
festgestellt, dass mit dem Aufhebungs- und Einstellungsgesetz, StGBl. Nr.
48/1945, in Verbindung mit der dazu ergangenen Verordnung StGBl. Nr. 155/1945,
und mit der Befreiungsamnestie, BGBl. Nr. 79/1946, in der Fassung des
Bundesgesetzes BGBl. Nr. 192/1947, alle Verurteilungen, die Gerichte,
insbesondere Militär-, SS-, Sonder- oder Standgerichte, unter der
nationalsozialistischen Herrschaft gegen Österreicher ausgesprochen haben und
als Ausdruck typisch nationalsozialistischen Unrechts zu betrachten sind,
rückwirkend aufgehoben wurden. Einer gesonderten, amtswegigen Prüfung und
Feststellung bedarf es nicht.“
Gerichtliche Verurteilungen
sind daher nur dann aufgehoben, wenn sie „als Ausdruck typisch
nationalsozialistischen Unrechts zu betrachten sind“.
Hinsichtlich der
Verurteilungen wegen (einverständlicher) homosexueller Kontakte erhebt sich
daher die Frage nach dem genauen Inhalt dieser Einschränkung. Gleichgeschlechtlich l(i)ebende Menschen wurden nämlich
nicht nur von der Nazidiktatur verfolgt. Verfolgt wurden homo- und bisexuelle
(sowie homosexuell aktive heterosexuelle) Frauen und Männer sowohl vor 1938 als
auch nach 1945.
Das deutsche
NS-Aufhebungsgesetz (idF dtBGBl 2002 Teil I Nr. 51, S. 2714, 26.07.2002)
versteht Verurteilungen, die während der nationalsozialistischen Herrschaft wegen (einverständlicher) homosexueller Kontakte erfolgten,
generell als „strafgerichtliche Entscheidungen, die unter Verstoß gegen
elementare Gedanken der Gerechtigkeit nach dem 30. Januar 1933 zur Durchsetzung
oder Aufrechterhaltung des nationalsozialistischen Unrechtsregimes aus
politischen, militärischen, rassischen, religiösen oder weltanschaulichen
Gründen ergangen sind“ und hebt diese auf (§§ 1, 2 Nr. 3 NS-AufhG iVm Nr. 26
der Anlage zu § 2 Nr. 3).
Das Anerkennungsgesetz 2005 hebt Urteile auf, mit denen NS-Gerichte Österreicher verurteilt haben. Eine Beschränkung auf Gerichte mit Sitz oder Wirkungsbereich im heutigen Bundesgebiet findet nicht statt. Das deutsche NS-Aufhebungs-Gesetz wiederum hebt strafgerichtliche Entscheidungen auf, die unter Verstoß gegen elementare Gedanken der Gerechtigkeit nach dem 30. Januar 1933 zur Durchsetzung oder Aufrechterhaltung des nationalsozialistischen Unrechtsregimes aus politischen, militärischen, rassischen, religiösen oder weltanschaulichen Gründen ergangen sind. Die Aufhebung ist weder auf Gerichte mit Sitz oder Wirkungsbereich im Staatsgebiet der heutigen Bundesrepublik Deutschland beschränkt noch von der Staatbürgerschaft der Verurteilten abhängig.
Die unterfertigten Abgeordneten stellen daher folgende
ANFRAGE:
1. Betrachten Sie Verurteilungen, die während der nationalsozialistischen Herrschaft wegen (einverständlicher) homosexueller Kontakte erfolgten, „als Ausdruck typisch nationalsozialistischen Unrechts“?
Wenn nein, warum nicht?
2. Wenn
Sie Frage 1. mit Ja beantwortet haben: Erachten Sie Verurteilungen die während der nationalsozialistischen Herrschaft wegen (einverständlicher) homosexueller Kontakte erfolgten,
als gem. Artikel
I § 1 des Anerkennungsgesetzes 2005 (BGBl I 86/2005) aufgehoben?
Wenn nein, warum
nicht?
3. Wenn
Sie die Frage 1. mit Nein beantwortet haben: Unter welchen Umständen betrachten
Sie Verurteilungen, die
während der nationalsozialistischen Herrschaft wegen
(einverständlicher) homosexueller Kontakte erfolgten, „als Ausdruck
typisch nationalsozialistischen Unrechts“?
4. Wenn Sie die Frage
1. mit Nein beantwortet haben:
a) Wie beurteilen Sie die Diskrepanz
zwischen dem dt. NS-Aufhebungsgesetz und Ihrer Auslegung des
Anerkennungsgesetzes 2005? Erachten Sie diese Diskrepanz als wünschenswert,
insb. im Hinblick auf den zT identen Regelungsgegenstand?
b) Erachten
Sie die Beurteilung des dt. Gesetzgebers wonach Verurteilungen, die während der
nationalsozialistischen Herrschaft wegen
(einverständlicher) homosexueller Kontakte erfolgten, generell als typisch
nationalsozialistisches Unrecht anzusehen sind, als verfehlt? Wenn ja, aus
welchen Gründen?
5. Der dt. Gesetzgeber hat 2002 alle Verurteilungen, die während
der nationalsozialistischen Herrschaft wegen
(einverständlicher) homosexueller Kontakte erfolgten (§§ 175, 175a Nr. 4
dtStGB), als typisch nationalsozialistisches Unrecht aufgehoben. Von dieser
Aufhebung sind auch Verurteilungen von Österreichern und Verurteilungen durch
Gerichte mit Wirkungsbereich im Gebiet der heutigen Republik Österreich
erfasst. Wird die Aufhebung dieser Verurteilungen (von Österreichern und
Nicht-Österreichern) in Österreich anerkannt?
Wenn
nein, warum nicht?
Wenn
ja, inwiefern und mit welchen Auswirkungen?