3780/J XXII. GP
Eingelangt am 13.01.2006
Dieser Text ist elektronisch textinterpretiert. Abweichungen vom Original sind
möglich.
Anfrage
Der Abgeordneten Mag.a Gisela Wurm
und GenossInnen
an die Bundesministerin für Inneres
betreffend Zukunft der Schubhaftbetreuung in Tirol
Laut
Ankündigung des Bundesministeriums für Inneres (BMI) soll ab 01.01.2006 der
Verein „Menschenrechte Österreich" die Schubhaftbetreuung in Tirol
übernehmen.
Bis dato wurde von Seiten des BMI dem
bisherigen Vertragspartner „arge-Schubhaft"
auf schriftlichem Wege nur die Absicht eines Trägerwechsels mitgeteilt,
nicht aber
die Gründe für diesen.
Die
bislang öffentlich via Medien genannten Gründe für den beabsichtigten
Trägerwechsel widersprechen sich stark. In der APA Nr. 270 vom 19.12.2005
verwies das BMI auf eine „sachliche
Entscheidung" und auf "Probleme, die es in der
Zusammenarbeit mit der
'arge-Schubhaft' gegeben habe". „Die Polizeidirektion
Innsbruck sei mit der 'arge-Schubhaft' nicht ganz zufrieden gewesen", hieß
es
dagegen im Teletext des ORF, ebenfalls vom 19.12.2005, ebenso wie: „Die
künftigen Betreuer würden auch
Rückkehrberatung machen". Im Interview des ORF-
Tirol vom 21.12.2005
(Mittagsinformation) mit dem Sprecher der Bundesministerin
für Inneres, Johannes Rauch, lautete
die Begründung wieder anders: „Ein Verein
der Schubhaftbetreuung macht, muss
Abschiebungen garantieren. Wir gehen davon
aus, dass das mit dem neuen Verein
`Menschenrechte Österreich` besser
funktioniert".
Außerdem wurde in der zitierten APA-Meldung als
Begründung für den Zuschlag an
den Verein
„Menschenrechte Österreich" darauf verwiesen, dass der neue Verein
über "muttersprachliche Betreuer" verfüge. Dass besagter Träger noch
zwei Tage
später auf seiner Homepage dringend ebensolche BetreuerInnen für Tirol suchte,
erübrigt eine ernsthafte Bewertung jener
Aussage. Im Gegensatz zum favorisierten
neuen Träger hat die „arge-Schubhaft" im Verlauf der letzten acht
Jahre einen
hochqualifizierten Pool an muttersprachlichen BetreuerInnen aufgebaut.
Diese
Aussagen stehen offensichtlich im Widerspruch zum Urteil der kürzlich zum
Bundesasylsenat abgewanderten damaligen Leiterin der Sektion II/3, welche die
Fachaufsicht über die Schubhaftbetreuungen
innehatte und kraft ihrer Funktion eine
Vertragsverlängerung für 2006 mit der „arge-Schubhaft" eindeutig empfohlen
hatte.
Die bislang eingelangte Anzahl an UnterstützerInnen, die
der Arbeit der ARGE trotz
unprofessioneller Rahmenbedingungen hohe Professionalität attestieren, ist
enorm:
Caritas Tirol,
Volkshilfe Tirol, die Superintendentin der Evangelischen Kirche in
Salzburg und Tirol Mag. Luise Müller, der Bischof der Altkatholischen Kirche
Österreich Bernhard Heitz, VertreterInnen
der Universitätsklinik und der Universität
Innsbruck, namentlich der Institute für Politikwissenschaft,
Erziehungswissenschaft,
Soziologie und Philosophie, VertreterInnen der Universitätsklinik für
Medizinische
Psychologie und Psychotherapie Innsbruck, zahlreiche VertreterInnen des
Psychiatrischen Krankenhauses des Landes
Tirol Hall, asylkoordination Österreich,
UNHCR-Anwalt
Dr. Max Kapferer, DOWAS, dem Chili out, Helping hands Tirol,
Frauen aus allen Ländern, Ankyra - Zentrum
für interkulturelle Psychotherapie,
LEFÖ Interventionsstelle für Betroffene des Frauenhandels, VertreterInnen der
Arbeitsgemeinschaft Transkulturelle Psychiatrie (psych- TRANSkultAG)
Tirol,
zahlreiche BetriebsrätInnen von Sozialeinrichtungen in Tirol, die Grünen
Tirols, die
SPÖ-Tirol, asyl-in-not, SOS-Mitmensch -
Wien, Zebra - Graz und Asylkoordination
Wien.
Das
Urteil der Fachabteilung des BMI wurde bisher öffentlich nicht dementiert, das
Ansehen des Vereins „arge-Schubhaft" und die Wertschätzung seiner Arbeit
ist
vielfach belegt, die bisher
veröffentlichten Gründe hinsichtlich der Nichtverlängerung
des Fördervertrages durch das BMI sind in sich widersprüchlich oder
geben nur
unzureichend Auskunft. Bis zum heutigen Tag stehen dem Verein bis zu 40% der
Geldmittel aus dem letzten Jahr (2005) aus. Auch steht er durch die
Nichtverlängerung des Vertrages durch gesetzlich festgelegte Kündigungsfristen
seinen MitarbeiterInnen und Vermietern gegenüber in der Pflicht.
Aus den hier dargelegten Gründen richten die
unterfertigenden Abgeordneten an die
zuständige
Bundesministerin für Inneres nachstehende
Anfrage
1.
Ist es aus Ihrer Sicht gänzlich ausgeschlossen, dass
gemäß der Empfehlung der
Fachabteilung des BMI
die beiden Bereiche „Betreuung" und „Rückkehrhilfe"
gesondert behandelt und somit sowohl der Verein „ARGE Schubhaft" wie auch
der Verein „Menschenrechte Österreich"
ab 2006 gefördert werden, zumal daraus
keine zusätzlichen Kosten erwachsen würden?
2.
Ist es richtig, dass bis dato der Vertrag mit der ARGE
nicht verlängert wurde, weil
der neue Träger
zusätzlich Rückkehrberatung für Schubhäftlinge anbietet?
2.1.
Wenn ja, wurden die Vertragsbedingungen für die
Schubhaftbetreuung im
Nachhinein
geändert?
2.2.
Wenn ja, weshalb wurde nicht mit der
„arge-Schubhaft" darüber gesprochen,
dass eine
Vertragsverlängerung für 2006 von der Zusammenlegung der
Agenden „Rückkehrberatung" und
„Schubhaftbetreuung" abhängig gemacht
werden müsste?
2.2.1. Wie erklärt das BMI im Falle einer
beabsichtigten Zusammenlegung der
beiden Bereiche, dass deren Ausschreibung von zwei verschiedenen
Sektionen des BMI erfolgte und die
Fachabteilung der Sektion II/3 eine
Trennung befürwortete?
2.3. Wenn nein, weshalb wurde dieser Grund im o.a.
Teletext-Interview für die
Nichtverlängerung des Vertrags genannt?
3. Ist
es richtig, dass der Vertrag mit der ARGE nicht verlängert wurde, weil die
Bundespolizeidirektion Innsbruck mit der
Arbeit der „arge-Schubhaft" nicht „ganz
zufrieden gewesen sei"?
3.1.Wenn ja, wie lässt sich erklären, dass
in den Besprechungsprotokollen trotz
inhaltlicher, auf unterschiedlichen
Arbeitszusammenhang zurückzuführende
Divergenzen die Zusammenarbeit zwischen der ARGE und der
Bundespolizeidirektion Innsbruck (BPDI) als „gut" bewertet wurde?
3.2.
Wenn ja, weshalb wiegt das Urteil einer BPD schwerer als
jenes der
Fachabteilung im BMI?
3.3.
Wenn nein, weshalb wurde dieser Grund in der o.a.
Presse-Meldung für die
Nichtverlängerung des Vertrages genannt?
4. Ist
es richtig, dass der Vertrag mit der ARGE nicht verlängert wurde, weil der
neue Verein seine Leistungen billiger anbietet? [Zur Information: Die „arge-
Schubhaft" erhielt für die gesamte Arbeit eine Gesamtzuwendung in der Höhe
einer einzigen Personaleinheit (davon waren aber auch die Miete
des Büros, die
Betriebskosten, die alltäglichen Arbeitsmaterialien, die Hilfsgüter für
die
Angehaltenen, die Dolmetscher, die Supervisionen etc. zu bezahlen). Nur mit
beträchtlichen Spendengeldern, mit dem Einsatz eines multiprofessionellen und
multiethnischen ehrenamtlichen und geschultem BetreuerInnenteam und dem
unglaublichen Arbeitseinsatz eines engagierten Vorstands war die Arbeit
überhaupt zu bewältigen und qualitätsvoll auszurichten!]
4.1. Wenn ja, wie soll der neue Träger
"Verein Menschenrechte" unter noch
niedrigeren finanziellen Zuwendungen, ohne
ein Ehrenamtlichenteam, ohne
Eingebundenheit in die Strukturen vor Ort, ohne Kenntnis der
Soziallandschaft vor Ort einigermaßen qualitätsvolle Arbeit leisten?
5.
Die
Fachabteilung des BMI favorisierte eine Trennung der Agenden
„Schubhaftbetreuung" und
„Rückkehrberatung". Worin gründet im Detail die im
Widerspruch zur Empfehlung der Fachabteilung Sektion II/3 stehende
Nicht-
Verlängerung des Vertrages mit dem Verein „arge-Schubhaft" für 2006?
6.
Die Beurteilungen welcher Behörden und anderer Einrichtungen
wurden bei der
Entscheidung
berücksichtigt?
6.1.
Allein die Beurteilung der BPDI oder auch noch die
anderer relevanter
Behörden,
etwa der BH-Innsbruck, der BH-Kufstein, des Bundesasylamtes,
etc.?
6.2.
Wenn
noch andere Behörden zur Beurteilung herangezogen wurden, zu
welcher Beurteilung der Zusammenarbeit mit
der „arge-Schubhaft" kamen die
anderen beteiligten Behörden?
6.3.
Sind
- wie für eine Evaluation psychosozialer Arbeit im
Menschenrechtsbereich und darüber hinaus üblich
- auch die anderen
relevanten soziale Umwelten der „arge-Schubhaft" (die Einrichtungen
der
Flüchtlingshilfe und Sozialassistenz vor Ort) zu einer Beurteilung befragt
worden? Ist schließlich das betreute Klientel, sind also die NutzerInnen des
Dienstes befragt worden?
6.3.1.
Wenn
ja, zu welchem Urteil kamen die anderen relevanten
Koorperationspartnerlnnen der „arge-Schubhaft" und die NutzerInnen des
Dienstes?
6.3.2.
Wenn nein, weshalb wurden relevante SystempartnerInnen
nicht
befragt?
7.
Welche qualitativen Parameter veranlassen das BMI zu der
Ansicht, die Arbeit
des Obmanns des Vereins „Menschenrechte Österreich" ohne Vorhandensein
ausreichender
psychosozialer Kompetenz und ohne Existenz eines örtlichen
Teams im Vergleich zu jener der „ARGE Schubhaft" als professioneller
einzustufen?
8.
Dem
Verein „arge-Schubhaft" wurde am 22. Dezember 2005 ein nicht
unterschriftlich gezeichnetes Schreiben der damaligen Abteilungsleiterin der
zuständigen Fachabteilung übermittelt, welches mitteilt, dass mit 2006 das
Ministerium beabsichtigt, den Vertrag nicht mehr an die „arge-Schubhaft"
zu
vergeben und dass auf eine Zusammenarbeit
in einem anderen Bereich gehofft
wird. An welche Zusammenarbeit wird dabei von Seiten des BMI konkret
gedacht?
9.
Sehen Sie eine Zusammenhang zwischen der Vorgangsweise im
Februar 2003,
als quasi über Nacht
(vom 26. auf den 28. Februar 2003) den beiden - gut
arbeitenden - Schubhafteinrichtungen
Caritas und Volkshilfe in Wien ebenfalls der
Vertrag entzogen und dem selben Träger "Menschenrechte
Österreich"
übertragen wurde?
10.Wann wird
die bereits vor Jahresfrist fällig gewesene Überweisung der 3.
Jahresrate
für 2005, die aufgrund mitgeteilter Zahlungsunfähigkeit des BMI erst
für 01.01.2006 zugesagt
wurde, jedoch noch immer ausständig ist, erfolgen?
11.Werden Sie
auf die zuständige Abteilung in Ihrem Ressort dahingehend
einwirken,
dass die Prüfung der Jahresabrechnung 2005 der ARGE zügig
durchgeführt
wird, sodass unmittelbar daraufhin die Restrate für 2005, die nahezu
40%
der Gesamtsubvention für das abgelaufene Jahr 2005 ausmacht,
angewiesen werden und
dadurch die bereits jetzt untragbare finanzielle Situation
der Vorstandsmitglieder entschärft werden kann?
12. Wird das
BMI die aufgrund seiner verspäteter Informationspolitik ausschliesslich
von
ihm zu verantwortenden Folgekosten, die durch die Einhaltung der
gesetzlichen
Kündigungsfristen von MitarbeiterInnen und der Büroräumlichkeiten
im Jahr 2006 entstehen werden, voll übernehmen und wenn ja, wann wird deren
Anweisung
vorgenommen?