4019/J XXII. GP
Eingelangt am 01.03.2006
Dieser Text ist elektronisch textinterpretiert. Abweichungen vom Original sind
möglich.
DRINGLICHE ANFRAGE
der
Abgeordneten Van der Bellen, Grünewald, Freundinnen und Freunde
an die
Bundesministerin für Bildung, Wissenschaft & Kultur
betreffend „Elite-Universität Maria Gugging: ein Scherbenhaufen“
Die Entstehungsgeschichte des in den Anfängen als „Elite Universität“
bezeichneten Projektes (derzeit: „Austrian Institute of Advanced Science and
Technology“/AIST) gleicht zunehmend einer Realsatire. Wie um von den wahren
Problemen österreichischer Universitäten und unseres Bildungssystems
abzulenken, plante Bundesministerin Gehrer ein Prestigeprojekt, das
internationale Beachtung finden sollte. Beschränkt auf zwei bis drei
naturwissenschaftliche Disziplinen sollten von internationalen
SpitzenforscherInnen Grundlagenforschung auf höchstem Niveau betrieben und
begleitend Doktoratsstudien angeboten werden. Konzipiert war die
nachbarschaftliche Ansiedlung innovativer Firmen, um „Spin-Offs“ der
Grundlagenforschung wirtschaftlich zu nutzen. Die Suche nach breitem Konsens
mit der Wissenschaftsszene und den parlamentarischen Parteien war ebenso
zugesagt, wie die völlige Unabhängigkeit der dort tätigen ForscherInnen von den
Geldgebern, was die Wahl ihrer Forschungsinhalte betrifft.
Die
Vorstellung, Weltklasseforschung per Regierungsbeschluss auf die grüne Wiese zu
stellen, zeugt von wenig Verständnis für die Forschung. Top-Institutionen wie
das Massachusetts Institute of Technology (MIT) oder Harvard, Oxford oder
Cambridge, die die Bundesregierung als Vorbilder anführt, basieren auf
Jahrhunderte alten Traditionen und gewachsenen Strukturen. Das kolportierte jährliche
Budget der österreichischen Elite-Uni beträgt nicht einmal 100 Mio. Euro.
Verglichen mit den anglo-amerikanischen Top-Institutionen ist dieser Betrag
lächerlich gering. Das MIT etwa verfügt über ein jährliches Budget von 2 Mrd.
US$ - das ist etwa soviel, wie alle 21 österreichischen Unis zusammen!
Zahlreiche
ExpertInnen und international renommierte WissenschafterInnen kritisierten
diese Konzeption als künstlich verordnete Wissenschaft auf der „Grünen Wiese“
und hätten gezielte Förderungen von Spitzeninstituten und Spitzenteams in
Österreich vorgezogen. Nachdem Ministerin Gehrer und Kanzler Schüssel im
Alleingang eine falsche Standortentscheidung zugunsten von Maria Gugging
getroffen haben, sind die wissenschaftlichen Proponenten des Projekts, die Professoren
Anton Zeilinger, Arnold Schmidt und Peter Schuster, wegen der Dominanz der
Politik bei der Standortentscheidung zurückgetreten. Zwei Wochen nach deren
Ausscheiden hat auch der Projektleiter und frühere langjährige Uni-Sektionschef
Sigurd Höllinger die ministerielle Projektgruppe für die Elite-Uni verlassen.
Auch er hat sich gegen die Standortwahl ausgesprochen. Gugging erfüllt nur
eines der vier Kriterien (Erreichbarkeit, Möglichkeit zu Campusbildung und
Firmenansiedlung, Finanzierungsangebote) der ministeriellen Projektgruppe –
durch das finanzielle Angebot des Landes Niederösterreich.
Die
Projektgruppe vertrat in ihrem Vorschlag zur Standortentscheidung vom 24.1.2006
wörtlich die Ansicht, dass „das Schließen von Kompromissen oder der Abtausch von
Mängeln in einem Punkt durch eine mehr als ausreichende Erfüllung in einem
anderen, [...] die Gefahr des Scheiterns enorm [erhöhen] [...] und die
Neugründung nicht rechtfertigen [ließe].“
Die
schlechte Erreichbarkeit bestehender wissenschaftlicher Einrichtungen vom
Standort Gugging reduziert die Möglichkeit des wissenschaftlichen Austauschs
und der interdisziplinären Kooperation insbesondere mit herausragenden
universitären und außeruniversitären Einrichtungen in Wien. Außerdem gibt es in
Gugging keine Möglichkeiten zur Errichtung von Spin-Offs und
Industrieansiedlung in unmittelbarer Nähe. (Im Standort-Bericht der Projektgruppe AIST vom 24.1.2006
heißt es wörtlich und unmissverständlich: „Für Maria Gugging spricht vor
allem das finanziell großzügige Angebot des Landes Niederösterreich. Die
Option, es trotz der Standortnachteile anzunehmen, erscheint eventuell günstig.
Im Sinne eines AIST aber, das mit möglichst geringem Aufwand mit den lokalen
Universitäten kooperieren können soll und Platz für Spin-Offs und
Industrieansiedlung in unmittelbarer Nähe braucht, sollte man diese nicht
wählen.“ Und einige Zeilen später: „Fehler, die man bei der Gründung von
AIST vielleicht macht, sind sicherlich nur schwer korrigierbar. Ein Fehler bei
der Wahl des Standortes ist so gut wie unkorrigierbar.“)
Losgelöst
und isoliert von bestehenden universitären wie außeruniversitären
Forschungszentren soll ein Exzellenzzentrum entstehen, von dem sich die
Mehrheit österreichischer WissenschafterInnen öffentlich distanziert und dem auch
viele Rektoren kritisch gegenüber stehen.
Erschwerend
kommt hinzu, dass Bundesministerin Gehrer entscheidende Fragen zur Errichtung
der sogenannten Elite-Uni bis heute unbeantwortet ließ. In dem im Juni 2005
vorgelegten Endbericht der Projektgruppe „Austrian Institute of Advanced
Science and Technology“ (AIST) werden zwar einige Eckpunkte einer „neuen
Exzellenz-Universität in Österreich“ ausgearbeitet. Allerdings weiß bis dato
niemand, wie sich der konzipierte Aufsichtsrat der geplanten Elite-Uni zusammensetzt,
die Mitglieder des Gründungskomitees sind ebenso unbekannt und unbenannt wie
jene des wissenschaftlichen Beirats. Dennoch will Landeshauptmann Pröll bereits
im April „die Bagger auffahren“ lassen, obwohl niemand weiß, wer dort was
forscht. Die Behauptung, die Arbeit könnte provisorisch schon im Herbst dieses
Jahres beginnen, ist daher einigermaßen skurril.
Keine
Elite ohne entsprechende Basis
Es ist
zu befürchten, dass wertvolles Geld, das Österreichs Universitäten, ihr
wissenschaftlicher Nachwuchs und die Studierenden dringend benötigen würden,
für ein fragwürdiges Renommierprojekt in den sprichwörtlichen Sand gesetzt
wird. Die wesentlichsten Bildungsindikatoren der OECD weisen Österreich keinen
ruhmreichen Platz zu:
Die
frühe soziale Selektion bedingt bereits einen niedrigen Anteil von
MaturantInnen: Im OECD-Ländermittel absolvieren 66 % eines Jahrgangs im
typischen Abschlussalter die Matura (AHS + BHS), in Österreich lediglich 36 %.
Diese
Selektion wird in Österreich durch unterdurchschnittlichen Übertritt der
MaturantInnen an die Universitäten
noch verstärkt: Österreichs Hochschulzugangsquote liegt bei 35 %, während im
OECD-Ländermittel 53 % eines Maturajahrganges studieren. In der OECD studiert
also jede(r) Zweite, in Österreich nur jede(r) Dritte eines Maturajahrgangs.
Daraus resultiert eine im internationalen Vergleich niedrige
AkademikerInnenquote: Mit 15 % liegt Österreich weit unter dem OECD-Schnitt von
24 %. In den USA, in Japan, Finnland, Schweden, Australien liegt die
AkademikerInnenquote über 30 %.
Niedrige
MaturantInnenquoten und unterdurchschnittliche Hochschulzugangsquoten
verschlechtern Österreichs Bildungsposition (jetzt, im Zeitalter der sog.
wissensbasierten Ökonomien!) und legitimieren die Forderung nach höheren
Studierendenzahlen: Allein um den OECD-Schnitt der Übertrittquoten an die
Universitäten zu erreichen bräuchten wir 100.000 Studierende mehr.
Österreich
ist neben Frankreich jedoch das einzige Land, in dem es laut OECD im Jahr 2004
weniger Studierende gab als 1999. Österreich hatte mit 241.576 Studierenden im
Wintersemester 2000/01 bereits vor Einführung der Studiengebühren weniger
Studierende als die meisten EU- und OECD-Staaten. Derzeit sind 211.000
Studierende an österreichischen Unis inskribiert. Statt jedoch Anreize für
Studierwillige zu schaffen, wurden Gebühren und Zulassungsbeschränkungen
eingeführt. Knappe Budgets führen zur Reduktion von Studienrichtungen,
schlechten Betreuungsverhältnissen und schaden der Qualität der Lehre.
Auch
das Hochschulbudget in Österreich ist im internationalen Vergleich
unterdurchschnittlich. Daran ändert auch die von der Regierung
versprochene sogenannte
„Uni-Milliarde“ nichts. Die schwarz-blau-orange Bundesregierung hatte zwei
Legislaturperioden Zeit, um den seit dem Jahr 2000 unter ständiger Budgetnot
leidenden Universitäten ein auch international vergleichbares Uni-Budget zur
Verfügung zu stellen, was jedoch bis zum bereits beschlossenen Budget für 2006
nicht geschehen ist.
Die
Beruhigungsfloskel der Bundesregierung, die Gründung einer Elite-Universität
werde den bestehenden 21 österreichischen Universitäten keine Ressourcen
entziehen, weil sie mit „frischem Geld“ erfolge, ist daher kein Trost.
Österreichische Universitäten brauchen auch „frisches Geld“.
Die unterfertigten Abgeordneten
stellen daher folgende
ANFRAGE:
In formeller Hinsicht wird die dringliche Behandlung dieser Anfrage
unter Verweis auf § 93 Abs.1 GOG verlangt.