4196/J XXII. GP

Eingelangt am 02.05.2006
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Anfrage

 

der Abgeordneten Dr. Matznetter

und GenossInnen

an den Bundesminister für Finanzen

betreffend die steuerliche Behandlung der im ARA-System erzielten Überschüsse bzw. Gewinne

 

 

Die Abgeordneten Dr. Matznetter und GenossInnen haben bereits am 31.3.2005 eine unter 2814/J XXII. GP eingetragene Anfrage zu dem angeführten Thema gestellt (im folgenden „erste Anfrage“), die zu 2803/AB XXII. GP (GZ BMF-310205/0035-I/4/2005) beantwortet wurde. Wenngleich, was hervorzuheben ist, die Beantwortung vorbildlich erfolgte, gibt sie dennoch zu mehreren weiteren Fragen Anlass.

 

Vorweg ist festzuhalten, dass die am ARA-System beteiligten Unternehmen, wie diversen Zeitungsberichten (Standard, Wirtschaftsblatt, Presse) zu entnehmen ist, auch im Jahr 2005, wieder deutlich über den Entsorgungskosten liegende Einnahmen haben werden. Auch 2005 werden vor allem die so genannten Branchenrecyclinggesellschaften (kurz BRG), die sich mit der Entsorgung von Kunststoffverpackungen beschäftigen, hohe Überzahlungen (Zahlungen, die höher sind als die Kosten, die sie als Non-Profit-Unternehmen in Rechnung stellen dürfen), von der Altstoff Recycling Austria AG (kurz ARA AG) überwiesen bekommen, wobei diese letztlich für die Höhe der Entgelte, die von den entsorgungspflichtigen Unternehmen (im folgenden als „Lizenzpartner“ bezeichnet) zu zahlen sind, und daher für die Überzahlungen verantwortlich ist. Die bereits jetzt sehr hohen Überschüsse von 100 Mio. EURO, die in Bilanzen der BRG rückgestellt wurden, werden sich daher mit Sicherheit auch im Jahr 2005 wieder erhöhen. Der Vorstand der ARA AG, Herr Dkfm. Stiglitz, rechtfertigt die Überschüsse mit dem – ganz offensichtlich unrichtigen – Argument, im Jahr 2004 habe niemand wissen können, dass die Erdölpreise steigen würden. Alle diese rückgestellten Gelder werden der österreichischen Wirtschaft entzogen und haben damit klarer Weise einen negativen Einfluss auf das Wirtschaftswachstum und damit auf die Steuereinnahmen insgesamt.

 

1.                  In der Beantwortung der ersten Anfrage (2803/AB XXII. GP [GZ BMF-310205/0035-I/4/2005]) heißt es zu den Fragen 1., 2. und 13. unter anderem:

„Im Zusammenhang mit den ungeplanten Überschüssen im ARA-System ……“. Diese Formulierung legt die Annahme nahe, dass die Antwort, in der die Zulässigkeit von steuerlich wirksamen Rückstellungen für die in Frage stehenden Überschüsse bejaht wird, zur Voraussetzung hat, dass die Überschüsse nicht absichtlich (eben „ungeplant“) erzielt wurden. Tatsächlich muss aber aus folgenden Gründen vom Gegenteil ausgegangen werden:

 

Die von den Lizenzpartnern der ARA AG zu zahlenden Tarife werden in der Weise errechnet, dass die zu erwartenden Aufwendungen durch die zu erwartende Lizenzierungsmenge dividiert werden. Aus den Bilanzen aller BRG, egal ob ARGEV, ÖKK, ARO, AGR, ist zu entnehmen, dass die Aufwendungen über Jahre hinweg völlig stabil sind. Die Tarife hängen einzig und allein davon ab, durch welche Menge diese Aufwendungen dividiert werden. Die BRG haben überhaupt keinen Einfluss auf die Mengenschätzungen. Diese Mengenschätzungen werden ausschließlich von der ARA AG bekannt gegeben. In diesem Zusammenhang ist auf folgende Tabelle hinzuweisen, die der an den Bundesminister für Land- und Forstwirtschaft, Umwelt und Wasserwirtschaft gestellten, Anfrage 3293/J XXII. GP zu entnehmen ist:

 

Lizenzmengen in Tonnen

 

Jahr

Kunststoff klein

Kunststoff groß

PLAN-Zahlen

 

[in t]

IST-Zahlen

 

[in t]

Abweichungen zu Gunsten der ARA

[in %]

PLAN-Zahlen

 

[in t]

IST-Zahlen

 

[in t]

Abweichungen zu Gunsten der ARA

[in %]

1996

1997

1998

1999

2000

2001

 

 

58.300

59.400

74.500

80.000

62.010

64.015

67.368

74.250

81.773

86.958

 

 

16

25

10

9

 

 

4.600

5.100

7.000

7.000

9.161

8.497

7.627

7.278

8.193

7.319

 

 

66

43

17

5

 

Auffällig ist dabei insbesondere, dass in den Jahren 1998 und 1999 Planzahlen angenommen wurden, die deutlich unter den IST-Zahlen vorangegangener Jahre lagen. Es kann daher mit hundertprozentiger Sicherheit angenommen werden, dass zwar die genaue Höhe der Überschüsse nicht geplant war, aber es muss genauso mit hundertprozentiger Sicherheit festgestellt werden, dass keine halbwegs seriös planende Firma solche Planungsdifferenzen haben kann. Hier sei darauf hingewiesen, dass die Planungsdifferenzen auch immer ausschließlich zu Gunsten der Gesellschaften des ARA Systems ausfallen.

 

Es stellt sich daher die Frage, ob die Entscheidung über die Zulässigkeit von steuerlich wirksamen Rückstellungen für die dargestellten Überschüsse anders ausfallen, wenn sie zumindest teilweise absichtlich erzielt („geplant“) worden wären.

 

 

2.                  In der Beantwortung der ersten Anfrage wird das für die Zulässigkeit einer Rückstellung erforderliche Bestehen einer Außenverpflichtung wie folgt begründet:

„Die Gesellschaften im ARA-System haben sich verpflichtet, allfällige Überschüsse nicht an die Eigentümer auszuschütten, sondern an Kunden (Lizenzpartner) der ARA AG über jährliche Tarifkalkulationen zurückzuerstatten. Unter Berücksichtigung der verwaltungsrechtlichen Verankerung in den Systembescheinigungen des Bundesministeriums für Land- und Forstwirtschaft, Umwelt und Wasserwirtschaft als Aufsichtsbehörde einerseits sowie des konkreten Verpflichtungscharakters der zivilrechtlichen Festlegungen in den Entsorgungsverträgen zwischen der ARA AG und den Branchenrecyclinggesellschaften andererseits liegt im gegenständlichen Fall eine Außenverpflichtung vor.“

 

Zu untersuchen ist aber, ob es wirklich diese Außenverpflichtung gibt. Dies ist zu verneinen. Die ARA AG schließt so genannte Entsorgungs- und Entpflichtungsverträge mit den Lizenzpartnern ab. Da sie als Treuhänderin der Lizenzpartner gegenüber den BRG auftritt, stellt sich die Frage, wieso sie mit ihren BRG Verträge schließen kann, die nicht eine Rückzahlung der Überschüssen an die Lizenzpartner, sondern eine jährliche Einrechnung in die Tarifkalkulation vorsehen. Aus keinem der bekannten, mit den Lizenzpartnern geschlossenen Entpflichtungs- und Lizenzverträgen ist zu entnehmen, dass die ARA AG eine Befugnis von den Lizenzpartnern erhalten hat, zusätzliche Verluste oder Gewinne in die folgende Tarifkalkulation einrechnen zu dürfen. Aus den Verträgen ist nur zu entnehmen, dass sie sich gegenüber ihren Treugebern, den Lizenzpartnern, ausschließlich dazu verpflichtet hat, die tatsächlichen Kosten und nicht mehr an die BRG weiterzuleiten.

 

Selbst wenn also zwischen den Unternehmen des ARA-Systems die Einrechnung der Überschüsse in die Tarife vereinbart worden wäre, könnte diese Vereinbarung keine Wirkung gegenüber den Lizenzpartnern haben, weil es sich um einen Vertrag zu Lasten Dritter handeln würde. Durch eine Vereinbarung zwischen den Unternehmen des ARA-Systems über die Einrechnung kann somit eine Außenverpflichung nicht begründet werden. Die in der Beantwortung der ersten Anfrage hervorgehobene „Verankerung in den Systembescheinigungen“ des zuständigen Bundesministers reicht ganz offensichtlich nicht aus, weil sie das Fehlen einer wirksamen privatrechtlichen Vereinbarung mit den Lizenzpartnern nicht zu ersetzen vermag.

 

Es stellt sich daher die Frage, ob die Zulässigkeit einer steuerlich wirksamen Rückstellung für die von den Unternehmen des ARA-Systems erzielten Überschüsse voraussetzt, dass mit den Lizenzpartnern der ARA AG wirksam eine Vereinbarung über die Einrechnung in die Tarife geschlossen wurde und ob andernfalls eine Rückstellung unzulässig wäre.

 

 

3.                  Die in der Beantwortung der ersten Anfrage als wesentlich angesehene Verpflichtung zur Einrechnung der Überschüsse in die Tarife hat zur Folge, dass die Überschüsse nicht notwendig denjenigen Lizenzpartnern zu Gute kommen, auf deren Zahlungen sie zurückgehen. Dies trifft vor allem in den – nicht unbedeutenden – Fällen zu, in denen ein Lizenzpartner in späteren Jahren nicht mehr oder nur mit einer geringeren Menge am ARA-System teilnimmt. Überdies kommt die auf eine Einrechnung zurückgehende Tarifsenkung Lizenzpartnern zu Gute, die erstmals oder mit einer größeren Menge an dem System teilnehmen.

Schwer wiegt doch wohl auch, dass die Lizenzpartner ihnen unmittelbar geleistete Rückzahlungen der Überschüsse versteuern müssten, während bei der Einrechnung in die Tarife eine Steuerpflicht nicht entsteht. Ein Grund für diesen Steuerentgang lässt sich nicht finden.

 

Es stellt sich daher die Frage, ob im Fall einer wirksamen Vereinbarung über die Einrechnung von Überschüssen in die Tarife eine Verpflichtung vorliegt, die zur Bildung von steuerlich wirksamen Rückstellungen berechtigt, obwohl diese Einrechnung in einem nicht zu vernachlässigenden Ausmaß ganz oder zum Teil Personen betrifft, die nicht verhältnismäßig zum Entstehen der Überschüsse beigetragen haben, oder ob eine solche Verpflichtung nicht bloß eine die Steuerpflicht nicht gänzlich ausschließende Gewinnverschiebung zum Gegenstand hat. - Zumal die Einrechnung in die Tarife zur Folge hat, dass weder die BRG (diese über die Steuerpflicht nach § 9 Abs. 5 EStG hinaus) noch die Lizenzpartner für die Überschüsse Steuer bezahlen müssen.

 

 

4.                  Im Übrigen lautet die in der Beantwortung der ersten Anfrage bezogene Vereinbarung zwischen der ARA AG und den BRG wie folgt:

„Etwaige positive oder negative Bilanzergebnisse finden in der Kalkulation der darauf folgenden Tarifperiode Berücksichtigung.“

Wenn steht „in der darauf folgenden Tarifperiode“, so kann darunter zweifelsfrei nur eine einzige Tarifperiode verstanden werden, und zwar diejenige Tarifperiode, in der es erstmals möglich ist, alle Überschüsse einzurechnen.

 

Demgegenüber wird in der Beantwortung der ersten Anfrage unter „Zu 1., 2. und 13.“ ausgeführt, dass für die notwendige “ehebaldige“(!) Rückführung der Überschüsse in das System nach Ansicht des Bundesministeriums für Finanzen der Zeitraum von drei Jahren nicht überschritten werden dürfe.

 

Selbst für den Fall, dass die ARA AG, was durch nichts zu beweisen ist, mit ihren Lizenzpartnern vereinbart hätte, dass etwaige Verluste oder Gewinne in die laufende Tarifkalkulation eingerechnet werden, ist aber schon nirgends eine Einrechnung über drei Jahre festgelegt geschweige denn erlaubt. Eine Einrechnung über einen längeren Zeitraum (drei Jahre, im Falle der "AGR Austria Glas Recycling" – warum auch immer – fünf Jahre) benachteiligt ganz erheblich diejenigen Lizenzpartner, die in einer Periode zuviel gezahlt haben und in den Folgejahren weniger Umsatz machen. Es benachteiligt aber insbesondere die Einnahmen des Finanzministeriums, weil, wie aus den Bilanzen der BRG deutlich sichtbar, die Rückstellungen dann, wenn sie im Dreijahresrhythmus aufgelöst werden, de facto ad infinitum beibehalten werden und noch dazu, wie aus den Bilanzen unzweifelhaft zu entnehmen ist, stetig steigen und auch weiters steigen können (und – siehe vorher – auch weiter steigen werden).

 

Es stellt sich daher die Frage, womit es sich rechtfertigen lässt, dass die Auflösung der für Überschüsse gebildeten Rückstellungen in einem Zeitraum von drei (in einem Fall sogar fünf) Jahren als zulässig angesehen wird und nicht die Auflösung in einem Jahr verlangt wird.

 

 

5.                  Die Einhebung von Mitteln für ein Sammel- und Verwertungssystem und somit für das ARA-System ist im § 11 der Verpackungsverordnung 1996 BGBl 648 (VerpackVO 1996) geregelt. Diese Verordnung dient der Umsetzung der Richtlinie 94/62/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20.12.1994, deren Ziel es unter anderem ist (s Art 1 Abs. 1), „das Funktionieren des Binnenmarktes zu gewährleisten und zu verhindern, dass es in der Gemeinschaft zu Handelshemmnissen und Wettbewerbsverzerrungen und -beschränkungen kommt“.

 

§ 11 Abs. 3 Z 2 VerpackVO 1996 lautet: „2. die Tarife sind auf Grund einer nachvollziehbaren Kostenkalkulation so zu gestalten, dass die Kosten der Sammlung und Verwertung … auf die insgesamt in Verkehr gebrachte Menge, hinsichtlich der eine Teilnahme an dem System erfolgt, … umgelegt werden.“ Diese Bestimmung normiert also ganz eindeutig, dass für die Festlegung der Tarife ausschließlich die Kosten der Sammlung und Verwertung und die gesammelte Menge an Verpackungen herangezogen werden dürfen. Dies schließt aber eben die Verminderung der Tarife durch Berücksichtigung von Überschüssen aus Vorperioden aus, weil sie weder den Kosten noch den Mengen zugeordnet werden können.

 

Bei der angeführten Bestimmung der VerpackVO 1996 handelt es sich erkennbar um eine Schutznorm, die – wie dies auch die Richtlinie verlangt – Wettbewerbsverzerrungen unterbinden soll. Jedes etablierte oder nicht etablierte System darf und muss bei der Berechnung seiner Tarife ausschließlich die Kosten der Sammlung und Verwertung zur Tarifbildung ansetzen. Es kann sich kein neues System etablieren, das z.B. von einer Muttergesellschaft Zuschüsse bekommt, damit es unter seinen Kosten anbieten kann. Es dürfen aber genauso wenig etablierte Systeme unter ihren Kosten anbieten. Gerade dies wird aber ermöglicht, wenn einem Unternehmen die Bildung von steuerrechtlich wirksamen Rückstellungen und deren Auflösung innerhalb von drei Jahren gestattet wird, weil das Unternehmen sonst die Überschüsse bei nächster Gelegenheit an die Lizenzpartner zurückzahlen oder sie zur Gänze versteuern müsste (was hier wohl dem Status als Non-Profit-Unternehmen widerspräche).

 

Die angeführte Bestimmung der VerpackVO 1996 soll ganz offensichtlich dasjenige System bzw. denjenigen Anbieter fördern, das bzw. der gerade die Kostenführerschaft bezüglich der Sammlung und Verwertung von Verpackungsabfällen inne hat. Gefördert soll dasjenige System werden, das mit den geringsten Kosten arbeitet und damit die Dienste am billigsten anbieten kann. Die Norm fördert auf diese Art und Weise auch noch den technischen Fortschritt. Sie fördert diejenigen Systeme, die schneller kostenreduzierend (und damit billiger) ihre Dienste anbieten können.

 

Eine Ermöglichung der Auflösung von steuerfreien Rückstellungen zur Verbilligung von ehemals überteuerten (und, wie die Tabelle unter 1. zeigt, mitunter überteuerten) Tarifen steht genau den mit der VerpackVO 1996 angestrebten Zielen, nämlich die Förderung der Kostenführerschaft und des technischen Fortschritts, diametral entgegen. Würden die Finanzbehörden nicht das Bilden von mehr oder weniger steuerfreien (5% Steuern müssen ja auf jeden Fall gezahlt werden) Rückstellungen zulassen, könnten diese Rückstellungen auch nicht wettbewerbsverzerrend und den Zielen der VerpackVO 1996 (Förderung der Systeme, welche die Kostenführerschaft inne haben, und Förderung des technischen Fortschritts) widersprechend aufgelöst werden.

 

Es stellt sich daher die Frage, ob die Finanzbehörden nicht verpflichtet sind, die angeführte zwingende Norm der VerpackVO 1996 zu beachten und daher die Bildung von Rückstellungen für Überschüsse, die in einem Sammel- und Verwertungssystem erzielt werden, zu untersagen; dies ungeachtet einer allenfalls bestehenden zivilrechtlichen Verpflichtung eines Unternehmens, solche Überschüsse in die Tarife einzurechnen.

 

 

6.                  Im Art 87 Abs. 1 neu (früher Art 92 Abs. 1) des Vertrages zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft (kurz EG) heißt es:

„(1) Soweit in diesem Vertrag nicht etwas anderes bestimmt ist, sind staatliche oder aus staatlichen Mitteln gewährte Beihilfen gleich welcher Art, die durch die Begünstigung bestimmter Unternehmen oder Produktionszweige den Wettbewerb verfälschen oder zu verfälschen drohen, mit dem Gemeinsamen Markt unvereinbar, soweit sie den Handel zwischen Mitgliedstaaten beeinträchtigen.“

 

Nach ständiger Rechtsprechung des EuGH umfasst der Begriff „Beihilfe“ in der angeführten Bestimmung nicht nur positive Leistungen, sondern auch Maßnahmen, die in verschiedner Form die Belastungen vermindern, die ein Unternehmen normalerweise zu tragen hat und die somit zwar keine Subventionen im strengen Sinn des Wortes darstellen, diesen aber nach Art und Wirkung gleichkommen (z.B. Urteil vom 8.11.2001 in der Rechtssache C-143/99 mwN). Da durch die Zulassung von Rückstellungen für Überschüsse die steuerliche Belastung zweifellos vermindert wird, muss in Betracht gezogen werden, dass diese staatliche Maßnahme als Beihilfe im Sinn des Art 87 Abs. 1 EG zu qualifizieren ist. Dass dadurch die Unternehmen des ARA-Systems begünstigt werden, weil sie zur Gestaltung der Tarife über Mittel verfügen, die früher nicht und seit dem Jahr 2000 gemäß § 9 Abs. 5 EStG überwiegend nicht versteuert werden müssen, ist eindeutig. Diese Begünstigung führt zweifellos auch zu Verfälschungen des Wettbewerbs, weil andere Unternehmen über diese Mittel nicht verfügen. Hiezu ist anzumerken, dass den Unternehmen des ARA-Systems eine Monopolstellung nur für Verpackungsabfälle, die in Haushalten oder im haushaltsnahen Bereich anfallen, zukommt, während es für die Entsorgung von Verpackungsabfällen aus dem gewerblichen Bereich außerdem andere vom zuständigen Bundesminister genehmigte Unternehmen gibt. Diese Unternehmen haben infolge der Zulassung der Rückstellungen aber einen erheblichen Wettbewerbsnachteil, weil sie bei Festlegung ihrer Tarife allein von den Kosten der Entsorgung ausgehen müssen und die Tarife nicht durch Einrechnung von „Überschüssen“ niedriger festlegen können.

 

Durch die dargestellte Begünstigung der Unternehmen des ARA-Systems wird aber auch der Handel zwischen Mitgliedstaaten beeinträchtigt. Zu den in Österreich für die Entsorgung von Abfällen aus dem Gewerbebereich zugelassenen Unternehmen gehört nämlich unter anderem die EVA Erfassen und Verwerten von Altstoffen GmbH, die zur Gänze im Eigentum der Interseroh AG mit dem Sitz in der Bundesrepublik Deutschland steht. Die EVA GmbH ist auf Grund einer Vereinbarung mit der deutschen Gesellschaft verpflichtet, an diese alle verwertbaren Verpackungsabfälle zu liefern. Eine Behinderung ihrer Marktchancen in Österreich führt daher auch zu einer Verringerung der in die Bundesrepublik Deutschland abzuführenden Mengen an Verpackungsabfällen und damit zu einer Beeinträchtigung des Handels mit einem Mitgliedstaat der Europäischen Union.

 

Die Zulassung der Bildung von de facto steuerfreien Gewinnrückstellungen oder von Rückstellungen, die sich ganz offiziell (in den Bilanzen) Rückstellung zur Tarif-(eigentlich Preis-)senkung für Folgeperioden nennen dürfen, gibt es ausschließlich für die Unternehmen des ARA-Systems. Keine andere Firmengruppe verfügt über ein solches Privileg. Dieses Privileg der de facto steuerfreien Gewinnverschiebung und der damit verbundenen beliebigen Preisbildungsmöglichkeiten in Zukunftsperioden erweckt sehr stark den Anschein, dass ein Verstoß gegen Art. 87 Abs. 1 EG vorliegt.

 

Es scheint daher geboten zu prüfen, ob die Zulassung der in Frage stehenden Rückstellungen nicht gemäß Art. 87 Abs. 1 EG mit dem Gemeinsamen Markt unvereinbar ist. Es stellt sich deshalb die Frage, ob von den Mitarbeitern Ihres Ministeriums die Zulässigkeit der in Rede stehenden Rückstellungen auch unter dem Gesichtspunkt des Art 87 Abs. 1 EG geprüft wurde und ob Sie ausschließen können, dass die darin getroffene Regelung der Zulassung der Rückstellungen entgegensteht.

 

 

7.                  Uns ist bekannt, dass ein Beamter Ihres Ministeriums, Herr Ministerialrat Dr. Wolfgang Schneider, im August 2001 gegenüber Betriebsprüfern unter anderem die – wohl einer Weisung gleichkommende – Ansicht vertreten hat, dass Zinserträge aus Bankguthaben, die den BRG aus Veranlagungen zufließen, und Verzugszinsen, die von Lizenzpartnern bezahlt werden, dem Geschäftsbereich „Entsorgung“ zuzuordnen seien und daher in die „Systemrückstellung Lizenzanpassung“ einzufließen hätten. Es ist nicht erkennbar, worin in diesem Fall die für die Rückstellung erforderliche Außenverpflichtung bestehen könnte, bezieht sich doch die hiefür in der Beantwortung als maßgebend angesehene Vereinbarung der Gesellschaften des ARA-Systems nur auf Überschüsse, die durch zu hohe Entgeltzahlungen der Lizenzpartner entstehen. Dass sich diese Vereinbarungen nicht auf die angeführten Zinsen beziehen können, ergibt sich nicht zuletzt aus dem in den Entsorgungsverträgen verwendeten Wort „Zufallsgewinne“, die in die Tarife eingerechnet werden sollen. Diesem Begriff, aber im Übrigen auch nicht dem Begriff „Überschüsse“, können die angeführten Zinsen aber nicht unterstellt werden, weshalb eine Vereinbarung über die Einrechnung in die Tarife und damit eine Verpflichtung hiezu nicht zu erkennen ist. Etwas anderes könnte allenfalls gelten, wenn eine Verpflichtung angenommen würde, die angeführten Beträge an die Lizenzpartner im Folgejahr unmittelbar (und nicht über eine Tarifanpassung!) auszuzahlen. Das Bestehen einer solchen Verpflichtung wird aber von der ARA AG nicht anerkannt.

 

Es stellt sich daher die Frage, wodurch es zu rechtfertigen ist, dass für Zinsen, die den BRG aus Veranlagungen oder von den Lizenzpartnern zufließen, Rückstellungen gebildet werden dürfen und dass diese nicht als betrieblich veranlasste Gewinne zu versteuern sind.

 

 

Die unterzeichneten Abgeordneten richten daher an den Bundesminister für Finanzen nachstehende

 

Anfrage:

 

1.                  Würde die Entscheidung über die Zulässigkeit von steuerlich wirksamen Rückstellungen für die dargestellten Überschüsse anders ausfallen, wenn sie zumindest teilweise absichtlich erzielt („geplant“) worden wären?

 

2.                  Setzt die Zulässigkeit einer steuerlich wirksamen Rückstellung für die von den Unternehmen des ARA-Systems erzielten Überschüsse voraus, dass mit den Lizenzpartnern der ARA AG wirksam eine Vereinbarung über die Einrechnung in die Tarife geschlossen wurde und wäre andernfalls eine Rückstellung unzulässig?

 

3.                  Liegt im Fall einer wirksamen Vereinbarung über die Einrechnung von Überschüssen in die Tarife eine Verpflichtung vor, die zur Bildung von steuerlich wirksamen Rückstellungen berechtigt, obwohl diese Einrechnung in einem nicht zu vernachlässigenden Ausmaß ganz oder zum Teil Personen betrifft, die nicht verhältnismäßig zum Entstehen der Überschüsse beigetragen haben, oder hat eine solche Verpflichtung nicht bloß eine die Steuerpflicht nicht gänzlich ausschließende Gewinnverschiebung zum Gegenstand, zumal die Einrechnung in die Tarife zur Folge hat, dass weder die BRG (diese über die Steuerpflicht nach § 9 Abs. 5 EStG hinaus) noch die Lizenzpartner für die Überschüsse Steuer bezahlen müssen? Womit lässt sich dies rechtfertigen?

 

4.                  Womit lässt es sich rechtfertigen, dass die Auflösung der für Überschüsse gebildeten Rückstellungen in einem Zeitraum von drei (in einem Fall sogar fünf) Jahren als zulässig angesehen wird und nicht die Auflösung in einem Jahr verlangt wird?

 

5.                  Sind die Finanzbehörden nicht verpflichtet, die angeführte zwingende Norm der VerpackVO 1996 zu beachten und daher die Bildung von Rückstellungen für Überschüsse, die in einem Sammel- und Verwertungssystem erzielt werden, zu untersagen; dies ungeachtet einer allenfalls bestehenden zivilrechtlichen Verpflichtung eines Unternehmens, solche Überschüsse in die Tarife einzurechnen?

 

6.                  Wurde von den Mitarbeitern Ihres Ministeriums die Zulässigkeit der in Rede stehenden Rückstellungen auch unter dem Gesichtspunkt des Art 87 Abs. 1 EG geprüft und können Sie ausschließen, dass die darin getroffene Regelung der Zulassung der Rückstellungen entgegensteht?

 

7.                  Wodurch ist es zu rechtfertigen, dass für Zinsen, die den BRG aus Veranlagungen oder von den Lizenzpartnern zufließen, Rückstellungen gebildet werden dürfen und dass diese nicht als betrieblich veranlasste Gewinne zu versteuern sind?

 

8.                  Zusammenfassend stellen sich daher die Fragen,

a)         ob die hier dargestellten Argumente und die dazu gestellten Fragen nicht ausreichen, damit dem Bilden von de facto weitaus überwiegend steuerfreien Gewinnrückstellungen – zum Zwecke der späteren Einrechnung in überhöhte Tarife und somit zur dauerhaften Etablierung der Marktdominanz einer einzigen Firmengruppe, in diesem Fall den Branchenrecyclinggesellschaften des ARA-Systems – endlich ein Ende gesetzt wird,

 

b)         welche Argumente die Finanzbehörden noch benötigen, um die Bildung solcher Rückstellungen zu verhindern und um solcher Art agierende Unternehmen dazu zu zwingen, wie jede Art von Firmengruppen Steuer zu zahlen oder die Firmengruppen anzuhalten, dass sie die jeweiligen Überzahlungen sofort aus der Bilanz ausscheiden und

 

c)         ob es den Finanzbehörden nicht egal sein muss, wer sofort Steuer zahlt (die Non-Profit-Systeme oder diejenigen Firmen, denen die Überzahlungen wegen des Non-Profit-Charakters der Systeme zurückzuzahlen wären) und ob sie nicht sicherstellen müssen, dass auf die eine oder andere Weise Steuer gezahlt wird.